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Sar Péladan

Ist dieser mystische Königstitel, den Péladan sich beigelegt hat und den ihm keiner streitig macht, nicht charakteristisch für den ganzen Mann? Denn ebenso wie seinem Namen dieses tönende »Sar« vorangeht, schickt er allen seinen Romanen wahre Posaunenstöße vorauf, die es hinausdrommeten sollen: Hier naht ein König!

Er liebt es zu betonen, daß er von den alten Magiern abstamme, jenen dunklen Geisterbeschwörern, vor denen die Pharaonen zitterten und mit denen sich selbst ein Moses maß; er prahlt gern damit, daß er der geistige Erbe des dunklen Zarathustra sei, des tiefen Pythagoras und des mythischen Orpheus. Von den Magiern hat er die starken Beschwörungsformeln, ohne die er undenkbar ist; von Zarathustra das pathetische Tempo seines blumigen Stils; von Pythagoras die Lust, seinem Wort einen vieldeutigen Sinn zu geben, und von Orpheus die Gabe des Sängers, den das Chaos geboren zu haben scheint. Er fühlt sich als der einzig würdige Nachkomme der Tempelritter und Rosenkreuzer, die er in dem Orden des Rosenkreuzes wieder hat aufleben lassen. Alles brünstig Religiöse lockt ihn; der Pomp vergessener Fürsten des Altertums begeistert ihn; die Farben des Orients berauschen ihn. Er kleidet sich in schwarze atlassene Gewänder, wie manche staubgewordene Könige der Perser und Meder sie trugen; seine Haartracht und sein Bartschnitt sind archaistisch treu der kunstvollen Tracht der Assyrer nachgeahmt; seine Schriftzüge selbst sind groß, steil, von mittelalterlichen Floskeln übersät. Seine Tinte ist gelb, rot, violett, grün, nur nicht wie üblich schwarz. Am Kopf seiner Briefbogen gewahrt man eine assyrische Königsmütze mit den drei vorn geöffneten Schlangenwülsten; das Abzeichen seiner Würde. Die Briefe selbst nennt er »Erlasse« oder »Befehle«. Er redet die Personen, an die er zu schreiben geruht, mit »Magnifici«, »Pairs« oder »Synoede« an. Er sagt nie »Monsieur«, sondern »Ew. Herrlichkeit«. Er beginnt: »Heil, Licht und Sieg in Jesu Christo, dem einzigen Gott, und in Petro, dem einzigen Könige«, oder auch: »Ad Rosam per Crucem, ad Crucem per Rosam, in ea, in eis gemmatis resurgam«, und er schließt: »Amen. Non obis, Dominae, non obis, sed nominis tui gloriae solae.« Sein Wappen trägt das Sinnbild seines geheimnisvollen Ordens: im silber- und schwarzgespaltenen Schilde ein goldener Kelch mit darüber schwebender purpurner Rose, auf der zwei entfaltete Flügel wachsen. Inmitten der Rose liegt das schwarze lateinische Kreuz. Auf dem Schilde ruht ein Kronenreif mit drei pentagrammischen Zacken. Der Wappenspruch: Ad Rosam per Crucem usw., Péladans Orden, ist kein leeres Gebilde. Zu diesem Orden gehören Komture und Würdenträger, die Péladan zu Großprioren und Archonten, zu Postulanten und Zöglingen ernannt hat. Alexander Léon hat ihn in seiner besonderen Großmeistertracht lebensgroß gemalt, und ein Komponist, der dem Orden angehört, hat eine Posaunenmusik geschrieben, die bei feierlichen Anlässen geblasen wird, wenn Péladan eintritt: Es naht der König!

Man muß diese Grillen und Sonderbarkeiten des Dichters erwähnen, wenn man von Péladans geistigem Wesen ein Bild geben will, denn dieser Hang zu allem, was mystisch ist und feierlich, macht auch den Grundton seiner Romane aus und gibt ihnen ihre bestimmte Prägung.

Ich nenne diese pompösen Bücher »Romane«, ohne verschweigen zu wollen, daß der »Ethopoet« sie als »Ethopoen« bezeichnet oder »Wagnerien«. Daß er auch diese Bücher mit einer Menge Stilfloskeln ziert und ihnen sonderbare Symbole anhängt, ist nicht minder charakteristisch für sein Bedürfnis nach Selbsttäuschung.

Denn was können im Grunde diese Äußerlichkeiten für eine so tief verwundete Natur anders sein als gewaltsame Mittel, diese nüchterne, merkantilistische Welt vollkommen zu vergessen? Denn – der Vergleich wird es klären – ebenso wie Verhaerens starkes Pathos nur wachsen konnte an unserer und durch unsere Zivilisation (ich sage nicht: durch unsere Kultur!), so kann das starke Pathos Péladans sich nur ausleben, indem er unsere ganze Zivilisation verneint. Da es heute keinen Winkel der Erde gibt, wo der Künstler leben könnte, ohne sich zu erniedrigen, ging er dorthin, wo alle seinesgleichen hingehen: nach Paris. Aber da nach Balzacs Wort diejenigen, die Ideen haben, es in der Welt nicht so weit bringen wie die, die keine haben, und da Péladan arm war, wollte man nichts von ihm wissen.

Er rief den Tod: »Edle Sehnsucht meines Herzens; letztes Verlangen eines Besiegten. Wenn Gott es erlaubte, mit einem Sprung würde ich dir entgegeneilen, und kein Liebender, der an ein Stelldichein denkt, hat größere Eile empfunden als ich nach deinem Kuß, der beruhigt, einschläfert und wiegt. Wie die Bettler an der Wand des Campo Santo flehen, daß ihre Leiden enden, werde ich ungeduldig, und ich rufe dich, als Besiegter tödlich verwundet, der verlangt, daß man ihm ein Ende macht: ›Nimm mich in Gnaden auf, o Tod!‹ Denn: Wenn alles das Herz des Menschen belogen hat, wenn er nicht mehr an sich glaubt und an Gott zweifelt, an der Grenze des Unglücks oder des Ekels, dem der Last oder der Krone Müden, dem Großen wie dem Kleinen erscheinst du, gleichmäßige Lösung jedes Dramas, unveränderliches Finale, unheilvolle Gleichheit, Epilog jedes Lebens, o bleicher Tod!«

Die Beschwörung des Todes glückte Péladan erst während des Weltkrieges; er starb an diesem Kriege, den man »Die große Zeit« genannt hat. Ich kann das Wort »Krieg« nicht niederschreiben, ohne von einem Paroxysmus gepackt zu werden; ich sehe rot und breche lieber ab, als daß ich mich länger dabei aufhalte zu erzählen, welches Unheil diese Institution des Satans angerichtet hat. Auch Péladan ist ihr, gegen die er die stärksten Worte aller Europäer fand, zum Opfer gefallen, und während er der Mitwelt zuweilen verstiegen oder irre schien, kann man objektiv nur sagen, daß hier einer der edelsten Geister durch eine der niederträchtigsten Völkerbestialitäten zugrunde ging.

Péladan hat die Qual des Verstoßenseins ganz wundervoll und über alle Maßen vollkommen in dem Roman » Das allmächtige Gold« zum Ausdruck gebracht. Ich habe dies Werk mit Entzücken gelesen und mit Abscheu, mit Verwunderung und mit höchster Bewunderung. Es ist jedenfalls außergewöhnlich.

»Was ist mit dem Mann, daß er nicht über seine Kreise hinausgedrungen ist,« fragt Strindberg; und er antwortet: »Er war allzu gebildet, um von allen begriffen zu werden.«

Aber in Wahrheit ist das nicht die richtige Antwort; Wedekind hat die zutreffendere gegeben: Ein berühmter Künstler wird man nicht ohne Geld. Und Péladan war arm.

Die Gesellschaft hat recht, die Armut als ein Verbrechen anzusehen, das sie mit Nichtachtung bestraft, Sie stößt die Armen und Unglücklichen aus ihren Kreisen aus, so wie ein gesunder Körper die Gifte ausscheidet, die in seine Bahn geraten sind. Und doch haben fast alle diese Armen und Elenden Anwandlungen von Arbeitslust und Streben; aber sie werden in ihren Schmutz zurückgestoßen von einer Gesellschaft, die nicht zu erforschen wünscht, was es an Dichtern, großen Männern, unerschrockenen Seelen und prachtvollen Organisationen unter den Elenden, den Zigeunern und Bettlern aller großen Städte geben kann. Und dennoch haben sie alle einen Traum, eine Hoffnung, ein Glück; Spiel, Lotterie oder Wein; Größe, Reichtum oder Liebe.

Péladans Sehnsucht und Hoffnung, sein Glück und sein Reichtum, seine Leidenschaft und seine Liebe war die Poesie. Der Ärmste war ein Dichter. Schlagt die erste Seite auf und lest sein »Lied auf das Gold«, in dem man in jeder Zeile die Tränen blitzen sieht, geweint um das tägliche Brot und um die unverdienten Erniedrigungen, durch die es errungen wird; geweint von einem Dichter, von dem eine Seite Prosa wertvoller und beständiger ist als der Reichtum aller Rothschilds. »Gold, warum kommst du nicht auf den Ruf des Genies? Immer bist du fern vom Leben der Großen: Corneille ohne Schuhe, Wagner seinen Hund verkaufend, Balzac von Schulden geplagt, Spinoza Brillenschleifer, Sigalon ohne Farben, Lamartine ohne Brot klagen dich an. Warum bist du den Einfältigen und den Räubern treu?«'

Oder man lese seine »Beschwörung des Elends«: »Seltsame Folter, du scheinst, unbesiegbar, eigensinnig, die Reinsten und die Besten zu wählen; was bist du? ... Unvermeidliche Begleiterin des Genies, der Tugenden, du bedrängst so hart den Schritt der Wanderer des Lichts; immer bist du gegenwärtig auf dem Weg großer Schicksale! Immer besiegst du die edle Anstrengung! ... Immer willst du das Werk verhindern, immer verbietest du Ruhe, Feindin des Friedens, Feindin der Liebe, Elend!«

Wie schön und natürlich und mit welch unerbittlicher Konsequenz hat er im »Allmächtigen Gold« die Phasen der Liebe in der Ehe geschildert und gezeigt, wie die glücklichste Liebe sich in den furchtbarsten Fluch wandelt, wenn selbst diesem mystischen Gefühl kein goldener Boden bereitet ist, auf dem es gedeihen kann. Obzwar das innere Elend oft die kräftigste Wurzel der Leidenschaft ist, hindert das äußere Elend oft ihr Aufblühen. Selbst dem Stolzesten entkreuzt die Not die Arme und zwingt das Genie zu den demütigsten Arbeiten und die Schönheit zur Schmach der bezahlten Sünde. »Um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, ohne sich gemein zu machen, muß man ungebildet sein.« Aber selbst der Gebildete verlernt es, in seiner Erniedrigung eine Demütigung des Stolzes zu sehen. Fahr hin, Bildung, Adel, Stolz, Kultur – wenn die Zähne nur etwas zu beißen haben!

Es beginnt die Lüge aus Barmherzigkeit, die Verleugnung des Ichs, die moralische Beugung des Wesens, die Verschacherung der Seele, die Entartung des Willens, kurz, die ganze Philosophie der Armut, dieser elende Trost der Gebeugten wird praktisch durchlebt, diese Philosophie, die die gestohlene Brotrinde zu rechtfertigen sucht, weil es so weh tut, die geliebte Frau hungern zu sehen oder die Kinder, die sie einem geschenkt hat. Im höchsten Elend, besiegt vom Golde und gebrochen vom Golde, ausgesogen, zu schlecht zur Prostitution, zerstampft von einem gleichsam wütend gewordenen Schicksal, zerstört und der Auflösung preisgegeben wie ein willkürlich fortgespuckter Kirschstein, dessen fester Kern im Rinnstein verwesen muß, würdelos, ehrlos und ohne Sinn für den verschönernden Firniß des Lebens, stammelt sein Mund: »Dein Ruhm verwirrt, geheimnisvolles goldenes Metall, höchstes Ding, Allbeherrscher, der über der Welt der Seele eine zweite Sonne zu sein scheint, kostbarer und fruchtbarer. Wenn Gott nicht wäre, du würdest Gott sein.«

» Das unbekannte Schicksal« kommt nicht mehr so aus der tiefsten Quelle des Gemüts wie »Das allmächtige Gold«. Dieser Roman ist vom Herzen diktiert und jener vom Kopf; von einem bewundernswürdig intelligenten Kopf, der in jedem Augenblick alles aufgenommene Wissen gegenwärtig zu haben scheint und bei dem darum die Wahl der entlegensten Bilder und Gleichnisse keineswegs in Erstaunen setzt. Natürlich ist bei einem Dichter, der so sehr das Ungewöhnliche und Exklusive liebt, vieles in seiner künstlerischen und menschlichen Art Pose. Aber wer, der als Künstler seine Seele prostituiert, würde die Pose vermeiden können? Sie ist übrigens nichts als eine gewisse Selbsterhöhung. Wenn wir schreiben, ziehen wir alle den Sonntagsrock an. Wenigstens insofern wir zur Erbauung der Seelen schreiben, die das Schöne lieben. Als Dichter hat Péladan einzig dastehende Schönheiten. Jener Kritiker, der in seinem einst viel gelesenen Werke »Entartung« die Tolstoi, Nietzsche, Ibsen, Maeterlinck und Wagner als »vollkommene Idioten und Irrsinnige« erklärt hat, weiß doch von Péladan zu sagen: »In ihrem bewußten Teil ist Péladans Hirntätigkeit eine reiche und schöne. In seinen Romanen finden sich Seiten, die zu den prächtigsten gehören, welche eine zeitgenössische Feder geschrieben hat. Sein sittliches Ideal ist ein hohes und edles. Er verfolgt alles Niedrige, alles Gemeine, jede Form der Selbstsucht, der Falschheit, der Genußgier mit loderndem Haß, und seine Gestalten sind durchweg vornehme Seelen, deren Denken sich bloß mit den würdigsten, allerdings vorwiegend künstlerischen Interessen der Menschheit beschäftigt.« Péladans höchstes Sittlichkeitsideal besteht im Verzicht auf die Geschlechtlichkeit – es ist das Ideal Tolstois. »Alle Menschen zur Liebe reizen, heißt: sie sittlich deklassieren und sie vernichten. Die Liebe ist ihrem Wesen nach eine Kastenerscheinung, nicht der physischen Kasten, die heute ihre alten Namen schleppen wie ein Betrunkener seinen Stock, sondern der Kaste des Gehirns, die sich auf alle sozialen Formen verteilt und die sich nach den Zeiten der Geschichte Hildebrand, Vinci, Shakespeare, Balzac oder Wagner nennt. Die Liebe für alle, eine ebenso lächerliche Formel wie die Kunst oder die Metaphysik für alle, vergiftet unsere Sitten.«

Trotz solcher exklusiven Anschauung muß man Péladan nicht für einen Tugendbonzen halten. Im Gegenteil; er ist sehr häufig vom Genius des Bösen besessen und stets umwittert vom Mysterium der sinnlichen Leidenschaft. Er hat ein Buch geschrieben: »Der Gipfel des Lasters«, in dem die teuflische Verruchtheit ihre höchste Höhe erreicht und in dem Wollust, Religion und Grausamkeit – die drei scheinbar unvereinbaren Motive, die sich in vielen schönheitstrunkenen Seelen zu einer seltsamen Harmonie zusammenfinden – zu einer kostbaren Sinfonie des Gedankens miteinander verschmolzen sind. Seine Dämonie löst sich in einem großartigen Wortprunk aus, der den Leser trunken macht. Aber im Grunde ist Péladan zu sehr Musiker, als daß das Wort ihm genügen könnte. Nur weil ihm die Aussprache in Tönen versagt ist, lebt er sich in Worten aus, die stark vom himmelanschwellenden Rhythmus Wagners beeinflußt sind.

Ich habe schon einigemal Richard Wagner genannt, das »himmlische Genie«, der auf das Gesamtwerk Péladans den stärksten Einfluß geübt hat. Und nicht allein auf das Werk in geistiger und stofflicher Beziehung, sondern auch in künstlerischer Hinsicht, also auf den Stil und vor allem auf den Rhythmus der Prosa. Man hat das Gefühl, als habe diese metaphorische Prosa Péladans erst unter dem unmittelbaren Eindruck der Wagnerschen Opern ihre eigene Musikalität empfangen und sich zu jenen lapidaren Anrufen, Hymnen und leitmotivischen Präludien geformt, von denen die Werke Péladans in so charakteristischer Weise durchsetzt sind. Jedenfalls steht es außer Zweifel, daß Péladans Aufschwung ausschließlich unter der Suggestion Wagners entstanden ist. Péladan ist fasziniert von dem »göttlichen Zauberer« und hat in dem Bayreuthroman »Der Sieg des Gatten« das hohe Lied der Wagnerschen Musik gesungen, zu einer Zeit, da man in unseren dummen Zeitungen und Journalen noch blödsinnigere »Kritiken« über Wagner zum besten gab als in den französischen, die wenigstens für ihre Dummheit die Ausrede des Deutschenhasses hatten.

Im »Sieg des Gatten« erfahren die Bayreuther Festspiele die höchste Glorifizierung; hier ist den »Wagnerien« wohl das imposanteste Denkmal gesetzt, abgesehen davon, daß der gesamte Gehalt des Romans nichts anderes ist als ein hymnischer Ausdruck der Ideen und Empfindungen, die »Parsifal« und »Tristan« in Péladan ausgelöst haben; selbstverständlich von einer Fabel umrahmt, die nicht das geringste von Wagner, aber alles von der mythischen Spuk- und Zauberwelt Hoffmanns entlehnt. Selbst die Dramen Péladans »Der Prinz von Byzanz« und »Semiramis« sind ohne die Voraussetzung der Wagnerschen Tondramen nicht denkbar.

»Parsifal«, den Péladan in Bayreuth zuerst gehört hat, betäubt ihn fast. »Es war ein unvergeßlicher Tag, an dem ich das Wunder des Grals geschaut; der Heilige Geist ist sichtbar herniedergestiegen; ich habe ihn gesehen!«

Wo man dieses Buch auch aufschlägt, verspürt man alle musikalischen Schwingungen der Wagnerschen Polyphonien und erlebt die Widerspiegelung des Parsifal-Klingsor-Zaubers.

Die beiden Bücher »Weibliche Neugier« und »Die Einweihung des Weibes«, die im engsten Sinne zusammengehören und sowohl thematisch wie kompositionell ein Werk bilden, sind alles andere als Romane. Graf Nebo, ein Plato und Sokrates in einer Person, der Stendhals und Balzacs Bücher über die Liebe gelesen und verworfen hat (den einen, weil er diese nie zu erforschenden Gefilde des Eros zu theoretisch, den andern, weil er sie zu substantiell betrachtet), ist der weisheitstrotzende Virgil der jungen und schönen Prinzessin Riazan, der er Paris zeigt, die große Babel, wie sie haßt und liebt. Es gibt keine Nuance der Liebe, von der grob sinnlichen, rein materiellen und verbrecherischen angefangen, bis hin zum ätherischen Platonismus, der hier nicht behandelt würde. Wer einen Roman zu lesen hofft, sieht sich mit Deduktionen, die in einem Raketenfeuerwerk von feingeschliffenen Aperçüs aufgehen, und mit Dialogen, die in Wahrheit niemals zwischen zwei lebendigen Menschen geführt worden sind oder auch nur möglich wären, auf die raffinierteste, geistvollste Art abgespeist. Diese Bücher sind ein Festessen für Psychologen; in jedem Wort ebenso wahr wie falsch, ebenso möglich wie unwahrscheinlich, ebenso hypothetisch wie antithetisch.. Und nichts Naiveres als diese Technik.

Prinzessin Riazan, nimmer müde, ihrem rede- und geistreichen Führer zuzuhören, dessen Kursus über die Einweihung in die Liebe mindestens so anstrengend ist, wie die Auflösung trigonometrischer Formeln, wird von ihm zu irgendeinem Paar gebracht, das – beispielsweise – des Grafen Behauptung demonstrieren soll, daß zwei Menschen, die im Grunde sich leidenschaftlich lieben, trotzdem das Leben sich zur Hölle steigern. Man fährt im Wagen vor, man klingelt, das aufs Korn genommene Paar bittet näher zu treten und, kaum guten Tag gesagt, öffnen die armen Opfer ihre Münder, um in immer glänzender Suada, deren Kasuistik lückenlos ist, zu beweisen, daß die Wirklichkeit aufs Haar mit der Theorie übereinstimmt, die Nebo entwickelt hat. Das erstemal sagt man: ausgezeichnet! Oder auch: Nebo hat Glück gehabt, das Paar zu Hause zu finden, und in solcher Gebelaune anzutreffen, daß es a tempo bereit war, die lebendige Illustration zu Nebos Thesen zu liefern. Oder endlich: Nebo und seine Prinzessin wurden von dem glücklich-unglücklichen Paar ohne Zweifel erwartet, und seine Herzen sind sozusagen auf dem Sprung aufzuschnellen, sobald man sie anrührt. Gut.

Aber einige hundert Besuche gleicher Art werden mit gleichem Erfolge absolviert. Wie es Spezialärzte für jedes Leiden gibt, scheint Nebo Arzt zu sein für seelische Liebesanomalien. Wenn er wenigstens Sprechstunde hielte, in der er die verrückten Verliebten empfinge. Dann wäre es gerechtfertigt, daß alle Liebespaare Herz und Seele gleich weit auftun, um die Schleusen des jeweils besonderen Schmerzes und der besonderen Monomanie über die Prinzessin und ihrem allwissenden Lehrer in blendenden Fontänen zu ergießen.

Die kindliche Romantechnik, die Péladan anwendet, beweist, daß er den Balzac und Stendhal als Dritter im Bunde sich zugesellen wollte, aber der Gefahr des dürren Theoretisierens über die Liebe auszuweichen hoffte, indem er als Roman benannte, was man, wesentlich folgerichtiger, als »Theorien über die Liebe und ihre Abarten« bezeichnen sollte.

Allein dieser Mangel, der lediglich im Technischen liegt, hindert nicht, daß man über die Liebe mehr Kluges und Feines zu hören bekommt, als man sich assimilieren kann. Es ist ein Brillantenhagel, der hier niedergeht, von Geistesblitzen begleitet, die in jedem Satze wetterleuchten. Man bekommt die feinsten Früchte vorgesetzt, aber in solchen Mengen, daß einem der Appetit vergeht.

Interessant ist die Stellungnahme Péladans gegen Zola, gegen den Gehirnanatomen Charcot, und vor allem gegen Napoleon. In diesem Punkte ist Péladan, der von Balzac, dem fabelhaften Wundertäter, die höchste Meinung hegt, sein genauer Antipode. Es hat wohl niemals ein Deutscher heftigere Worte gegen »den Würger und Massenmörder« Napoleon geschleudert, als Péladan gegen den »wilden Korsen«, diesen »Kuppler des Todes, der die militärische Prostitution einführte«, diesen »Koloß aus Erz, Koloß eines Molochs«, diesen »Monomanen des Gemetzels«, diesen »Schlächter im wahrsten Sinne des Wortes«, diesen »modernen Nimrod«.

Überhaupt sind diese beiden Bücher Péladans, die Bücher der überspitzten, übersteigerten, überspannten, überhitzten starken Worte. Ach, und wenn er nur trunken machte durch seine fortreißende Wortflut, oder nur berauschen würde durch die Kaskaden der Bilder und Vergleiche und Heranziehungen der unmöglichsten Schmöker und vergessensten Possen und Tragödien. Aber er ersäuft einen förmlich in dem Überschwang, und er selbst ist fast betäubt vor lauter Schönheitsliebe.

In seinen prunkgierigen, lichtdurstigen Räuschen ist er bis zur Luftleere verfeinert und geht bis zu den äußersten Grenzen des Geistigen. In einem Satze zehn Zitate, und man muß raten, was gemeint ist. Wer nicht die gesamte Weltliteratur und jede Figur eines jeden Theaterstückes – zumindest jedes französischen! – im Kopfe hat und nicht jedes Boulevard-Schmarrens sich erinnert, ist verloren. Man kommt sich wie ein Kretin vor, der noch keine zehn Bücher gelesen hat. Ist das Bosheit, Ironie oder Protzentum? Ist es Wissen oder die Weisheitsschminke des Zettelkastens?

Bei alledem haftet Péladan aber etwas stark Erdhaftes an, und dieser Sar, der die zwei Millionen Bücher des Britischen Museums gelesen und ihren Inhalt allezeit gegenwärtig zu haben scheint, überläßt sich zuweilen wie ein Waldtier den triebhaften Mysterien des Lebens. Man liest seine Hymnen an Eros, diese phantastische Ausschweifung eines zu lebhaften Geistes, die Pan gut anstehen würde, und wartet zuversichtlich, daß bald die schrille Syrinx ertönen werde. Man ist wie benommen von diesen riesenhaften lyrischen Ausbrüchen, von diesem Crescendo eines heidnischen Gebets, das in Erschütterungen endet und dessen Überladenheit niederdrückend ist.

Péladan ist nicht einfach genug, nicht naiv, nicht schlicht; aber die Gemeinverständlichkeit ist für einen Künstler nur ein ganz untergeordnetes Verdienst, und Péladan ist ein Künstler. Er ist zuweilen absurd und gefällt sich oft in Narreteien. Allein, er hat sehr viel Talent, ist ein rassiger Schriftsteller und ein Meister der tönenden Phrase; er hat Bewegung und Farbe, Impuls und Temperament. Seine Bücher sind oft nichts als poetische Feerien. Sie sind nicht nur mit Gehirn und Herz, sondern mit Blut und Galle geschrieben. Ein Mann hat sie geschrieben, den der Schmerz zum Dichter krönte. Ich weiß nicht, ob etwas Ewiges in ihnen ist. Wer darf dieses gewichtige Wort überhaupt anwenden, wo es sich um menschliche Werke handelt? Daß sie aber durch und durch menschlich sind, ist vielleicht ein mindestens ebenso großes Lob, als wenn man ihnen nachsagen würde, sie seien göttlich. Wir schaffen schließlich für Menschen und nicht für Götter; abgesehen davon, daß auch die Götter nur Menschenwerk sind.


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