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Das Weib des Giorgione.

Das Haus und die Malerwerkstatt des Giorgio Barbarelli aus Castel franco, den man seiner erstaunlichen Körperkräfte wegen den »Giorgione« nannte, lag in dem Sestier von St. Polo in Venedig, nahe der St. Silvester-Kirche, die von der Familie der Andreardi erbaut und 1177 vom Papst Alexander III. feierlich eingeweiht worden war. Es waren zwei gar große Gemächer noch Norden gelegen, mit kühlen Steinplatten gefließt und von dem breiten Fenster aus, in dessen Nähe die Staffelei des Meisters stand, sah man die vielgerühmte Rialtobrücke, (die aber damals noch von Holz war), den Platz von Rialto mit seinem öffentlichen prächtigen Palast, hörte an stillen Abenden das Schlagen der Ruder im Canal grande und den schwermüthigen Gesang der Gondoliere. In dem Nebengemach, dessen Fenster auf den Platz vor der Kirche schauten, zeichneten die jüngeren Schüler des Meisters, während die älteren ihre Staffeleien in der Nähe des Giorgione aufstellen durften.

Hübsch genug waren sie alle anzusehen, die jungen Häupter, von denen jedes einzelne wohl sicher träumte ein großer Meister zu werden; man fand unter ihnen Haarfarben jeglicher Art und eine Auswahl frischer rother Wangen und heller Augen.

Der Staffelei des Meisters zunächst aber arbeitete doch der schönste von allen, ein kaum neunzehnjähriger Jüngling mit braunem Haar und funkelnden blauen Augen. Sein Name war Pietro Luzzo und man sagte von ihm, daß er der Liebling des Giorgione sei. Es geschieht ja wohl zuweilen, daß sich die größten reichsten Herzen an einen Gegenstand heften, ihn tragen und halten, ohne daß man recht einzusehen vermöchte, wie dieser Gegenstand solche Liebe verdiene, da er weder mit sonderlichen Eigenschaften begabt ist, noch diese Liebe voll zurückgiebt.

Das Sprüchlein, geben sei seliger denn nehmen, muß doch wohl wahr sein; bei dem Giorgione und dem Pietro sah man es wenigstens recht deutlich. Der Meister war kaum 32 Jahre alt, hatte weder Verwandte in Venedig, noch Weib noch Kind, und da hing sich denn sein ganzes Herz an diesen Knaben wohl zunächst lediglich wegen seines bildschönen Angesichts und seines lieblich schmeichlerischen Wesens. Wohl hatte der Pietro Luzzo auch ein anmuthiges Talent zur Malerei, verstand lebendige Gruppen zu entwerfen und hatte ein gutes Auge für die Wirkungen der Farbe; aber just solche Art von Begabung fand man in der damaligen gesegneten Zeit hundertfach. Zudem war er ganz absonderlich faul und lag lieber mit der Laute im Arme, die er meisterlich zu schlagen verstand, auf den weichen Kissen einer Gondel, als daß er vor der Staffelei arbeitete. Er trieb in der Malerwerkstatt tausend Possen, mischte gewaltig viel, rannte geschäftig hin und her, fertig wurde dabei aber blutwenig. Und der Meister, der sonst so streng und ernst verkehrte mit seinen Schülern und ihnen zu tausendmalen wiederholte, was für ein hochheiliges Ding es sei um die Kunst der Malerei, und wie ein echter Maler die Seele erheben müsse und das Herz reinigen, bevor er an seine Staffelei trete, und daß solch Plätzchen nicht minder geweiht sei als ein Betstuhl in der Kirche, der war doch so wundersam nachsichtig mit der Trägheit und den tollen Einfällen des blonden Pietro. Einige meinten, das schöne Gesicht des Knaben habe es ihm angethan wie mit einem Zauber, und sie hatten wohl recht.

Dem Giorgione wohnte nämlich ein ganz absonderlich tiefes Empfinden inne für Schönheit, ein unsagbares Wohlgefallen an edlen Formen. Ein häßlicher Schüler hatte es härter bei ihm als ein hübscher, und einem verkrüppelten widerlichen Bettler gab er eine weit geringere Gabe als einem edel gezeichneten Kopfe, der auf einer regelrechten Gestalt saß. Da war es denn auch natürlich, daß in all den Gestalten, die sein Pinsel schuf, dieser Sinn für das Schöne, Glänzende, Harmonische deutlich hervortrat, und die heiteren genußsüchtigen Venetianer liebten eben deshalb seine strahlenden Schöpfungen vor allen andern; und wem es gelang, den Giorgione zu vermögen, die Hallen seines Palastes mit einigen Fresken zu verzieren, der dünkte sich beneidenswerth. Er ließ in seinen Bildern seinem Genius den freiesten Lauf und seine Figuren zeigten keine Spur von jener Härte in den Rundungen, wie man sie in den Schöpfungen älterer Meister zu sehen gewohnt war, und diese Weichheit, verbunden mit dem Glanz der Farben, übte eine mächtige Wirkung aus.

Soeben hatten sich einige seiner Schüler um seine Staffelei versammelt, auf der das vollendete Bildniß eines vornehmen Patriziers aufgestellt war, der eigens von Florenz gekommen, um sich von dem Giorgione malen zu lassen. Der junge Liccino von Pordenone, später »il Pordenone« genannt, seufzte tief und sagte: »Meister, lehrt mich nur eines: die wunderbare Rundung der Glieder Eurer gemalten Figuren; seht nur wie die Finger des Signore sich faßlich abheben von dem schwarzen Sammet des Gewandes, und wie der Kopf rundlich sich loslöst von dem Grunde!«

»Und mich lehrt den Glanz des Colorits! – Was kümmert mich die Zeichnung? Die Farbenpracht allein ist's, die das Herz erhebt!« sagte Sebastiano von Venedig, der wenige Jahre nachher unter dem Name »Frate del Piombo«, nach dem Amte, das ihm Clemens VII. zu Rom gab, ein tüchtiger Maler wurde.

»Ich möchte Eurem Pinsel die köstliche Wärme stehlen und jene wundersamen Drucker, Blicke und Halbtinten, die ich noch niemals so auf Gemälden geschaut,« rief der heitere Nanni von Udine.

»Ihr habt Recht,« fiel der Pietro Luzzo ein, der schon lange keinen Strich gethan und auf einem hohen Schemel sitzend, den Malerstock in der einen, die Palette in der andern Hand, seine herabhängenden Füße hin- und herschaukelnd, die Gruppe betrachtet hatte. »Wir alle könnten etwas vom Meister gebrauchen, wenn er uns allen gäbe, bliebe er doch noch reich genug. Aber eines fehlt ihm doch – und das Beste

Der Meister sah den kecken Redner halb erstaunt, halb lächelnd an; er war daran gewöhnt tolles Geschwätz von ihm anzuhören. Die andern Schüler aber murmelten unwillig untereinander und warfen dem übermüthigen Knaben finstere Blicke zu.

»Ihr habt Eure Rede unvollendet gelassen,« sagte Liccino in herausforderndem Tone und stemmte den Arm in die Seite. »Was sollte dem Giorgione fehlen? Redet!«

Aber Pietro erwiderte nur mit einem trotzigen Lächeln diese Ansprache, dann sprang er von seinem Sitz herab, trat vor den Meister hin, schlug die Arme in einander und fragte mit der Stimme eines zärtlichen Kindes: »Erlaubt Ihr, daß ich sagen darf, was Euch fehlt?«

Der volle Tagesschein fiel auf seine Stirn und zuckende goldene Lichter spielten in seinen Haaren, Augen und Mund lachten – der Knabe war zu schön, um ihm zu zürnen. »Nun so rede frei heraus!« antwortete der Giorgione und strich ihm mit der mächtigen Hand liebkosend über die Locken.

»Euch fehlt – eine schöne Frau!« sagte Pietro und brach in ein helles Lachen aus, in das die andern nur nach und nach und minder laut einstimmten.

»Da hast Du wohl recht!« seufzte der Meister nach einer Weile und sein dunkles kraftvolles Angesicht war plötzlich sehr ernst geworden. »Ich hab's wohl oftmals selbst gedacht, daß ein echter Künstler eine schöne zärtliche Gefährtin haben müsse, aber ich fand bis auf diesen Tag keine, die mir schön genug däuchte, sie anzuschauen Tag für Tag, und immer neue Wunder zu entdecken, und neue Lichter und neue Wandelungen. Die Schönheit, der man nicht nach einem Monde schon müde wird, giebt's selten auf Erden, und solche Schönheit nur begehrt der Giorgione. Als ich ein Knabe war, lebte solch ein ewig schönes Angesicht in meiner Nähe, die Base meines Vaters und ich konnte Stunden lang zu ihren Füßen sitzen und sie anschauen. Jetzt deckt wohl längst die Erde dies Angesicht; sie war eines Tages verschwunden und mein Vater ballte die Fäuste und stieß eine Verwünschung aus, wenn ihr Name genannt wurde. Niemals hörten wir wieder von ihr, aber ihr wunderbares Antlitz steht noch in meinem Sinn. Viele reizende Frauen sah ich in Venedig, aber keine, die es verdiente, ihr die Schuhriemen zu lösen. Man kam weit und breit herbei sie zu sehen und sie verkehrte mit den vielen vornehmen Cavalieren wie eine Königin mit ihren Vasallen. Sie war unvergleichlich, die arme Elena!« – Hier schwieg der Meister und hieß die Schüler wieder an die Arbeit gehen.

Seit jenem Gespräch in der Malerwerkstatt waren wenige Wochen hingegangen, als der Meister eines Abends in das Sestier von Canaleggio beschieden wurde, in das kleine Hospital der Franziskanernonnen, nahe der Kirche St. Giobbe, wo man arme verlassene Weiber aufzunehmen pflegte. Eine kranke fremde Frau wünschte mit ihm zu reden, sagte ihm die Wärterin. Lange stand er an ihrem Lager und hielt ihre schwere kalte Hand in der seinen und lauschte ihren abgebrochenen Worten, ehe er sie erkannte. Es war ja die längst verlorene »Elena«, die schöne Base seines Vaters, die vor langen, langen Jahren aus Castel franco verschwand. Ihre Schönheit war untergegangen in Elend und Jammer, ihre einst so prächtige Gestalt zerstört.

»Die Geschichte meiner Leiden ist kurz,« sagte sie zu dem Giorgione. »Ich liebte und ward betrogen, in den Staub getreten und verlassen. Ich sehne mich zu sterben, aber ich besitze noch einen kostbaren Schatz und fühle die nagende Pein des Geizigen, der nicht von seinem Schatze lassen kann. Seit ich erfahren, daß Du der vielgerühmte »Giorgione« bist, weiß ich, wen ich zum Erben einsetzen soll. Du hast die arme Elena lieb gehabt, Du wirst auch ihr Kind lieben. Schütze sie! Ich lege sie rein in Deine Hände – und sie ist schöner, als ihre Mutter war. Alezia! richte Dich auf, komm näher; da ist der Giorgione!«

Da erhob sich langsam zu den Füßen des Lagers eine Frauengestalt – es war so düster in dem ärmlichen Gemach, daß der Meister sie vorher nicht bemerkt hatte – dunkle ärmliche Kleider hingen um ihren schlanken Leib, goldnes verwirrtes Haar fiel über ihre Stirn.

»Näher, mein Kind,« bat die arme Elena sanft, und die Tochter warf sich dicht neben ihr auf die Knie. Die Kranke richtete mit dem letzten Rest ihrer Kräfte das Haupt des Mädchens empor, strich ihr mit zitternder Hand das Haar aus dem Gesicht und flüsterte ängstlich: »O, sieh ihn freundlich an, Alezia, er ist Dein künftiger Schützer und einziger Freund!«

Da wendete sich das verjüngte und verschönte Abbild der einst so herrlichen Elena dem Maler zu, da schauten ihn zwei dunkle tieftraurige Augen an, ein Angesicht wie aus Marmor gemeißelt, von Linien wie sie die Seele keines Künstlers vollkommener träumen konnte. Die Kranke sah sein Staunen und das Lächeln einer stolzen glücklichen Mutter glitt über ihr Angesicht – es war das letzte. Die arme Elena lebte zwar noch einige Tage, während welcher der Giorgione sehr selten von ihrem Schmerzenslager wich, aber sie lächelte nicht mehr. Ehe sie starb, nahm aber der Meister eines Abends das stille, scheue, 15jährige Kind an seine Brust und sagte mit bebender Stimme und bleichen Lippen: »Gebt sie mir zum Weibe, Elena, ich werde sie anbeten mein Leben lang und ihr treu sein bis in den Tod. Gebt sie mir, ich kann sie nicht mehr aus meinen Armen lassen!«

Da legte die Sterbende die Hände der beiden in einander, und als die Tochter um die todte Mutter weinte, lag sie an dem Herzen eines Gatten.

*

Elena war begraben; da trat der Giorgione mitten unter seine Schüler und sagte ihnen, daß er binnen kurzer Frist ihnen das Weib zeigen werde, welches ihm der Himmel bescheert. Und sein Angesicht leuchtete bei diesen Worten wie von einem innern Feuer, und ein wundersames Lächeln spielte um seine ernsten Lippen. Um den Pietro schlug er den Arm und flüsterte: »Armer Knabe, Du wirst Dich jetzt mit einem armseligen Kämmerlein begnügen müssen, weil in meinem Herzen die Königin einzieht, und sie theilt nicht. Aber liebe sie, wie Du mich liebst – Du magst ihr Spielgefährte werden, denn sie ist noch sehr jung, mein Knabe, und ich bin ein ernster Mann, ungeübt in allen Künsten einem Weibe die Zeit zu vertreiben. Magst Du ihr Sänger und Lautenspieler sein! – Was zu allen Zeiten die hohen Frauen um sich hatten, soll sie auch haben!«

Ein häßliches Spottlächeln zog die Lippen des Pietro Luzzo auseinander; aber der Meister sah es nicht und hörte auch nicht das heftige Wort, das ihm nachflog, noch das schadenfrohe Murmeln der andern Schüler untereinander, die nun einmal dem Pietro jegliche Demüthigung gönnten. – »Spottet nur,« sagte der endlich erbittert, »ich werde es dem Giorgione und Euch allen zeigen, daß ich zum bloßen Sänger und Lautenschläger zu gut bin. Die Stirn des Pietro Luzzo ist hübsch genug, auch eine Krone zu tragen.«

Der Giorgione richtete nun sein Hans ein, als gälte es eine Fürstin zu beherbergen. Er hatte Alezia zu den Franziskanernonnen in Hut gegeben, und an dem Tage, als er sie heimholte in sein Haus, sagte er ihr sehr ernst: »Du bist jetzt das Weib des Giorgione! Was Deine Mutter war, wo Du gelebt bis zu dieser Stunde, komme nie über Deine Lippen. Du ziehst als Königin ein in mein Herz und in mein Haus; mögen alle auch glauben, daß Du das Kind eines Königs seist. Treibt Dich's von der Todten zu reden, so komm zu mir. Du gehörst jetzt dem Giorgione mit Deiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Vergiß das nie!«

Sie sah ihn groß und erschrocken an, und neigte dann den Kopf demüthig zur Bejahung.

Und ein Tag kam, da ging die große Sonne auf in der großen Werkstatt des Meisters: an der Hand des Giorgione wandelte eine prächtige jugendliche Frauengestalt zwischen den Staffeleien der Schüler umher, jeden einzelnen lieblich begrüßend. Weißer Atlas floß in schweren Falten an dem Körper nieder, aber er war nicht blendender als der Nacken und Busen, den der Ausschnitt des Gewandes freiließ. Schwere goldene Locken, zu allen Zeiten in Italien als eine Seltenheit gepriesen, fielen auf die stolzen Schultern nieder und waren am Hinterhaupt mit einem perlenverzierten Kamme, wie ihn damals nur vornehme Frauen trugen, zusammengerafft. Goldene Spangen umgaben die schönen Arme und eine schwere Goldkette hing an der Seite des Gewandes fast bis zum Boden herab, an der ein kleines purpurnes Sammettäschlein befestigt war mit kunstvoll verziertem Bügel. Der Giorgione hatte sein junges Weib königlich geschmückt. Ihr Angesicht war von unvergleichbarer Schönheit, aber eine tiefe scheue Trauer schaute aus ihren dunklen Sammetaugen. »Da seht mein Weib!« sagte der Giorgione hoch aufgerichtet, und alle verneigten sich tief wie vor einer Fürstin. Und als er sie in ihre Gemächer geleitet, da konnten die Schüler kaum Worte finden, die Schönheit der jungen Herrin zu preisen und Liccino rief: »Sie hat die Mienen einer Königstochter. Sie ist nimmer eine Venezianerin!«

»Sie hat die Stirn einer Römerin!« meinte der Nanni von Udine.

»Fragt Ihr ihn doch einmal, wo er diese Perle gefunden, Pietro!« sagte spottend Sebastiano. – Da fuhr der Luzzo auf wie von einem Pfeil getroffen und murmelte verwirrt: »Seht Ihr denn nicht, ihr Kurzsichtigen, daß sie vom Himmel herabgesunken für den Giorgione? Die Erdentöchter waren ihm ja nicht schön genug. – Mag er sie nur hüten! die Engel vergehen am Heimweh in den Armen den Sterblichen. Habt Ihr gesehen, wie traurig ihr Lächeln war?«

Und damit warf er Pinsel und Palette von sich und lief hinaus, und man sah ihn den ganzen Tag nicht wieder in der Malerwerkstatt des Meisters.

Der Giorgione richtete sich jetzt auch in den oberen Räumen seines Hauses eine Werkstatt ein, dicht neben den Gemächern seines jungen Weibes, wo nur er allein malte. Ein neues seliges Leben schien ihm aufgegangen in den weißen Armen der schönsten Frau. Stundenlang konnte er in trunkener Wonne zu ihren Füßen sitzen und in ihr wundervolles Angesicht schauen, bald sie bittend zu lächeln, bald wieder ernst zu schauen. Dann begann er wohl, ihr von der todten Mutter zu erzählen, wie sie die Anbetung seines Kinderherzens gewesen, denn es gab ja nichts Süßeres als Alezia lauschen zu sehen. Sie fragte auch – leise und schüchtern, sie erzählte auch mit halblauter Stimme wie im Traume: – der Name der Mutter entzündete ein wundervolles Licht in ihren Augen. Er ließ sie gern reden und verfolgte dabei die langsamen Bewegungen ihres Hauptes und ihrer Hände und das wechselvolle Mienenspiel ihrer Züge, er sah unter jenem Schleier von Trauer, der über ihrem ganzen Wesen hing, die Glut ihrer Seele schimmern: der Giorgione war glücklich. Er überschüttete sein junges Weib mit dem Reichthum seiner Liebe, denn er liebte sie mit dem Herzen eines Künstlers, der sein hohes Schönheitsideal lebend und athmend in den Armen hält und mit den Sinnen eines Mannes, dessen stolze Lippen noch kein Weib geküßt. Keinen Athemzug lang dachte er daran, daß sie sich nur wie eine verirrte Taube an sein Herz geschmiegt, daß sie in ihm nur den Schützer und Gatten, aber noch nicht den Geliebten sah.

Kostbare Gewänder von schwerem Seidenstoff brachte er ihr und reichen Schmuck, und wenn die geschickten Hände ihrer Dienerinnen den schimmernden Atlas, den prächtigen Damast zerschnitten und dem geschmeidigen Körper der jungen Herrin angepaßt hatten, dann mußte das geschmückte Weib vor ihm hin und wieder gehen, und er berauschte sich an den weichen Biegungen ihres Leibes und der Frische ihrer Schönheit. Wenn er sie dann voll leidenschaftlicher Zärtlichkeit rief und sie mit der königlichen Wendung des stolzen Hauptes, die ihr eigen war, über die Schulter weg zu ihm einfach und halb beklemmt, halb kindlich fragte: »Gefalle ich Euch?« da überwältigte ihn oft ihr Anblick so, daß er aufsprang, sie an sich riß, sie in seinen starken Armen forttrug, sie auf seine Knie nahm und zu ihr redete, wie die Lippen und Augen eines wahrhaftig Liebenden zu der Geliebten redeten von allem Anfang an. Sie beugte und neigte sich dann unter seinen Küssen wie eine Rose im Sturme, sie schlang auch wohl ihre Arme um seinen Nacken, wie um sich zu halten, sie hauchte ihm ein Liebeswort ins Ohr, wenn er gar so heiß bat, sie war immer holdselig, freundlich zu ihm: aber der Schleier der Traurigkeit wurde nicht weggehoben von ihrem Angesicht wie von ihrer Seele. Der Giorgione ehrte diese Trauer – galt sie doch der todten Mutter, wie er meinte – wenn es auch Augenblicke gab, wo er hätte sterben mögen, wenn er sie dazu hätte zwingen können, sich ihm einmal freiwillig in heller aufjauchzender Liebeslust an die Brust zu werfen.

Nach Ablauf der ersten Monde führte er ihr auch den Pietro zu; er sollte ihr seine kecken frohen Lieder singen. Sie war auch gar nicht scheu vor ihm: Jugend gehört ja zu Jugend, und der Knabe war so schön! Der Giorgione schickte ihn bald täglich zu ihr, wenn er in der großen Malerwerkstatt länger zu verweilen genöthigt war, als er vorhergesehen, oder wenn irgend ein vornehmer Patrizier oder eine schöne Frau durchaus von ihm gemalt sein wollten, zu welchem Ende er oft halbe Tage lang in dem einen oder andern Palaste verweilte. Kehrte er dann zurück, so trug er sein schönes Weib in eine Gondel und Pietro durfte sie begleiten, seine Laute im Arm, und so fuhren sie hinaus in das blaue adriatische Meer und die süße Stimme des jungen Schülers mischte sich mit dem melancholischen Rauschen der Wellen. Dann barg die schöne Alezia oft ihr bethräntes Angesicht an der Brust ihres Gatten, und er drückte sie an sich, als wolle er sie halten für Zeit und Ewigkeit.

Nach einer solchen Gondelfahrt war es, als das junge Weib den Meister bat, ihr die Laute lehren zu lassen. »Ihr gestattet mir ja keinerlei Arbeit,« sagte sie, »und ich habe der müßigen und einsamen Stunden so viele, die solch Lautenspiel zu verkürzen vermag.«

Da freute er sich, daß sie einmal einen Wunsch gethan, und wies den Pietro an ihr das Lautenspiel zu lehren. Dann ging er hin und kaufte ihr eine kostbare Laute aus Cremona. Als er das Instrument auf ihren Schoß legte, küßte sie ihn zum ersten male freiwillig und lächelte vor Freude. Erröthend wie ein beschenktes Kind ließ sie die feinen Finger über die Saiten hingehen, bei jedem Tone aufhorchend. Der blaßblaue Atlas ihres Kleides schimmerte, Arme und Nacken leuchteten, köstliche Tinten standen auf den Wangen und köstliche Lichter spielten in den Locken.

»Ihr müßt ein prächtiges Bild geben, die Laute im Arm, Alezia!« sagte der Meister da und vertiefte sich in ihrem Anschaun.

»Verstünde ich's nur erst!« seufzte sie zaghaft.

»Ich denke diese Kunst ist nicht schwer!« antwortete der Giorgione. »Man lernet leichter die Laute anmuthig schlagen, als den Pinsel führen. Fragt nur den Pietro Luzzo.«

*

Der schöne Pietro wurde nun der eifrige Lehrer des jungen Weibes seines Meisters. Täglich kam er und Alezia machte rasche Fortschritte. Der Giorgione sah und hörte wohl zuweilen ein wenig zu, wenn sein Weib nach der Anleitung ihres Lehrmeisters allerlei Accorde griff, und freute sich ihr Gesicht heiterer zu sehen als ehedem. Lange konnte er sich aber nicht um solches Spiel kümmern, der ernsten Arbeit gab es mehr denn je, und wenn auch zuweilen das Verlangen des Mannes nach dem reizenden Weibe groß war, die Sehnsucht des Künstlers nach seiner Staffelei siegte doch allezeit. Die Schöpfungen des Giorgione leuchteten auch immer heller, sein Pinsel war nie zuvor so markig gewesen, nie war eine solche Fülle köstlicher Halbtinten in seinen Bildern bemerkt worden, als jetzt, und seine Malerwerkstatt wurde nicht leer von Besuchenden, die da bewunderten oder um die Gunst bettelten, von seiner Hand conterfeit zu werden. Hatte er aber einmal recht lange vor einem steifen unbeweglichen Menschenantlitz gesessen, so warf er wohl auch plötzlich den Pinsel fort, kehrte sich an kein Staunen und Zürnen, stürmte hinaus in die nächste Gondel und fuhr heim.

Da ging denn die Sonne der Schönheit wieder auf vor ihm und er saß nur still und schaute sie an. Die reizende Alezia begrüßte ihn allezeit so freundlich, sie ging hin und wieder, ihn mit Erfrischungen zu bedienen, und der glänzende Atlas ihres schleppenden Gewandes rauschte dann um ihre kleinen Füße wie Wellen. Viel heiterer schien sie jetzt als ehedem, und seltsamer Weise hätte er sie gerade jetzt tausendmal lieber traurig gesehen.

»Ich lasse Euch so gar viel allein,« sagte er einmal zu ihr, »betrübt Euch das auch nicht allzusehr?«

»O nimmermehr! Laßt Euch das nicht kümmern!« antwortete sie. »Habe ich nicht meine Laute und ist nicht der Pietro da? – So kommt die Stunde schnell herbei, wo ich Euch alltäglich erwarten darf.«

»Allezeit Laute spielen und mit einem Knaben plaudern ist ein einförmig Ding,« bemerkte der Giorgione und zog sie an sich, den Arm um ihren schlanken Leib legend.

»Sprecht doch nicht so!« sagte sie, sich sanft von ihm loswindend. »Der Luzzo ist kein Knabe. Ist er nicht drei Jahre älter als ich, Euer Weib? Und ich war doch kein Kind, als ich Euch folgte.«

Er verschloß ihr die Lippen mit einem Kusse, aber ihre Antwort hatte ihn seltsam traurig gemacht: er vergaß sie nicht wieder. Zuweilen trug er ihren Sessel in seine kleine Werkstatt, und sie mußte dort bei ihm bleiben, und er wies ihr die verschiedenen Farben und Mischungen und zeigte ihr, wie man sie auftrage auf die Holztafeln und das Malertuch, und führte sie vor seine Bilder und öffnete die Thore der lichten Farbenwelt weit vor ihr. Sie aber blieb unbewegt bei all dieser Herrlichkeit. Wohl rührte sie mit ihren feinen Fingern dies und jenes an, wohl fragte sie auch hin und wieder nach manchen Dingen, oder rief bei manchen glänzenden Lichtern: »Wie schön ist das!« aber ihre Seele war nicht bei ihren Worten, ihre Augen leuchteten nicht auf. Da ließ er sie denn seufzend aus seinen Armen und sagte schmerzlich: »Geht hin zu Eurer Laute und laßt Euren Lustigmacher rufen; Ihr seid wohl mein schönes angebetetes Weib, aber Ihr seid nicht die Gefährtin des Malers Giorgione.«

Und sie ging dann von ihm, glücklich wie ein Kind, das die Mutter wieder in seine Spielstube zurückschickt.

So vergingen Wochen und Monate. Die Fresken im Palast Manufrin, die der Giorgione malte, waren vollendet, sowie die im Fondaco dei Tedeschi, und vornehm und gering strömte hin, um diese farbenglühenden Schöpfungen anzustaunen. Ein großes Gemälde von düsterer Composition beschäftigte jetzt den Meister: der Kindermord zu Bethlehem, ein figurenreiches Bild, vor dem oft seine Schüler auf Stunden ihre eigenen Arbeiten vergaßen und dem Pinsel des Meisters staunend folgten.

Einstmals hatte er auch bis zur Erschöpfung gemalt. Den Pinsel niederlegend, ließ er sich in seinem Sessel nieder. Zerstreut umherblickend, fragte er plötzlich: »Wo ist Pietro?«

»Bei Eurem Weibe, Meister!« antwortete ruhig der Sebastiano, der ihm zunächst stand.

Ein Wort zur bösen Stunde gleicht dem Blitzstrahl, der zu unsern Füßen zündend niederschlägt. Wo zündete aber jener Blitz, der so eben von den Lippen Sebastianos fuhr?

»Was wagt Ihr da zu sagen?« fragte der Giorgione, wie aus einem Traume auffahrend und den erschreckten Schüler mit flammenden Blicken messend.

»Der Luzzo ist bei Eurem Weibe,« wiederholte Sebastiano schüchtern, »wie jeden Tag, Ihr habt's ihm ja selbst geboten!«

»Ich habe es ihm selbst geboten!« wiederholte der Meister mit einem wunderlichen Lächeln; »Ihr habt recht, mein Sohn! War er doch allezeit ein fauler Bursch, stand doch seine Staffelei Tage lang leer; mich nimmt's nur Wunder, daß ich nach ihm fragte! Aber ich will ihn doch wieder an die Arbeit treiben. Der Knabe lernt nichts. Ich kann keinen Schüler in meiner Werkstatt brauchen, der nichts lernt.«

Damit stand er auf, ging scheinbar ruhig noch von Staffelei zu Staffelei, Worte des Lobes und Tadels austheilend, auch noch durch den Zeichensaal, dann nickte er in seiner ernsten freundlichen Weise allen zu und schritt die Stiegen hinauf zu den Gemächern seines Weibes. Fröhliche Lautenklänge schallten ihm entgegen, dann lachte Alezia hell auf. Dies Lachen schnitt ihm ins Herz wie ein Messer: er selbst hatte sie noch nie so lachen gehört.

Als er den schweren Thürvorhang aufhob, sah er den Pietro und sein Weib bei einander sitzen wie zwei glückliche Kinder, sie in ihrem purpurnen Sessel mit der kunstvoll geschnitzten Lehne, ihn auf einem Kissen halb kniend halb sitzend ihr zu Füßen, beide in ihrer vollen jungen Schönheit. Er hatte eben ihre Hand gefaßt und schien versuchen zu wollen, ihren Finger einen Griff zu lehren auf jenem Instrumente, das auf ihren Knien lag.

Arglos hob das junge Weib ihre Augen auf zu dem Eintretenden: »Seht wie ungeschickt ich noch bin!« rief sie ihm lächelnd zu. Der Pietro Luzzo aber zog die Hand zurück und erröthete.

Der Giorgione antwortete nicht; es fuhr ihm etwas durch die Brust wie ein kalter Stahl, es zuckte etwas durch sein Hirn wie ein glühendes Eisen; er ergriff mit seiner Riesenhand die zierliche Laute und zerdrückte sie, wie man ein Spielzeug zerdrückt, warf sie dann zu Boden, daß die Saiten ächzten und rief mit zitternder Stimme: »An die Staffelei, fauler Bube! was hast Du hier zu schaffen? An die Arbeit, Tagedieb, bis es mir, Deinem Meister, gefallen wird Dich rufen zu lassen!«

Da erglühte das Angesicht des schönen Knaben; er sprang auf und nahm eine drohende Stellung an, seine Lippen öffneten sich zu einem bösen Worte: da fiel sein Blick auf Alezia. Sie war zusammengebrochen vor ihrem Gatten in Schmerz oder Furcht, sie starrte ihn regungslos an und schwere Tropfen rollten langsam über ihre todtenbleichen Wangen. Und gewaltsam sich zusammenraffend, wendete bei diesem Anblick sich Pietro Luzzo hastig, und eilte trotzigen Schrittes hinaus.

Der Giorgione aber ging, als Pietro verschwunden, lange und schweigend auf dem Teppich des Gemaches auf und nieder, mit untergeschlagenen Armen und finsterer Stirn. Als er endlich vor seinem jungen Weibe stehen blieb, sah er, daß sie zitterte wie ein Blatt im Winde. Da brach sein Zorn, da war es ihm plötzlich, als habe er einen wüsten Traum geträumt, da sah er sie an, wie sie so jung und schutzlos war, da erinnerte er sich, wie sie so ganz verlassen sei, wenn er sie verließe, und er kniete voll unsäglichen Mitleids vor ihr nieder, preßte sein dunkles Angesicht gegen ihre Kleider, küßte ihre kleinen Füße und redete ihr zu und hielt sie endlich wieder in seinen Armen, auf seinen Knien. Sie lächelte ihn furchtsam an unter Thränen und ließ es ohne Sträuben geschehen, daß er ihre Lippen und Hände wieder und wieder küßte. Als der Sturm verflogen, bat er sie leise: »Löscht diese Stunde aus, Alezia, aus Eurem Gedächtniß.«

Da kam ein Siegesgefühl über sie und sie richtete sich auf und sagte zum ersten mal ohne Schüchternheit: »Ich will sie auslöschen, aber gebt mir meine Laute wieder!«

»Nicht nur Eure Laute sollt ihr wieder spielen, auch Euer Spielgefährte mag wieder kommen!« antwortete er voll schwermüthigen Ernstes, »ich vergaß, daß Ihr ein Kind seid und Kinderspiele liebt – und ich – ein Mann!«

*

Und Pietro Luzzo kam wirklich wieder und eine neue Laute war auch da, und der Giorgione selbst führte seinen jungen Schüler zu seinem Weibe und verließ sie dann.

Aber seltsam, es war anders geworden zwischen den beiden Kindern seit jenem Zornausbruch des Meisters: Lehrer und Schülerin standen sich voll wunderbarer Befangenheit gegenüber und doch war es beiden, als zöge eine unsichtbare Macht sie mit Ketten zu einander. Warum bebte jetzt ihre Hand, wenn die Finger Pietros die ihrigen streiften? Weshalb scheuten sie sich beide ihren Blicken zu begegnen? Verändert klang der Ton seiner Stimme, wenn er zu ihr sprach, ihr Kinderlächeln hatte aufgehört und halberstickte Seufzer oder Worte ohne Sinn mischten sich in die wollüstig klagenden Töne der Laute. Seltsam verkehrten sie miteinander. Sie, die früher sich so viel zu sagen gewußt, marterten sich jetzt mit wunderlich geschraubten Reden und Fragen. Gewitterschwüle hing über den Häuptern beider.

Trat der Giorgione ein, so kam Leben in die Gestalt seines Schülers. Er schien wieder der kecke übermüthige Knabe von ehemals, seine Rede war frei und gewandt und sein funkelnder Witz entlockte selbst dem ernsten Meister zu Zeiten ein Lächeln. Aber mit der Zärtlichkeit des Giorgione für seinen ehemaligen Liebling war es vorbei für immer; er behandelte ihn kalt, oft gar verächtlich. Da ging denn nicht selten ein böses Zucken über das Gesicht des Luzzo, aber der Meister sah es nicht. Er schien nur auf sein junges Weib zu achten; es gab keinen Wunsch, den er ihr nicht zu erfüllen sich gemüht. Mit Glanz und Pracht umgab er sie gleich einer Königin. Sie spielte jetzt die Laute fast meisterlich und begleitete ihr Spiel mit der süßesten Stimme der Welt, und wenn sie die wehmüthigen Gondellieder sang, die der Pietro sie gelehrt, so mußte der Giorgione sich oft abwenden; das Bild der Sängerin mit der unverwischbaren Trauer um den Mund und die weichen Klänge trieben ihm die Thränen in die Augen.

Da nahm er ihr denn eines Tages wiederum die Laute aus den Händen und sagte: »Laßt einmal eine Weile das Spielen und Singen, einen Monat lang, mir zu Liebe, es macht Euch krank und mich dazu. Ihr seht bleicher aus als vordem! Und damit Euch der Pietro nicht sobald wieder zu Spiel und Gesang verleite, habe ich ihn mit einem Auftrage an einen Freund für eine Zeit nach Rom geschickt. Er geht morgen dahin, aber er wird wohl heute noch zu Euch kommen Euch Lebewohl zu sagen, da er schon am frühen Morgen des andern Tages reisen soll. Er geht aber gern, sorgt Euch nicht; in Rom ist das Leben reich und die Frauen sind schön allda.«

Sie hatte kein Wort erwidert, sie konnte auch nicht, denn kaum nachdem seine Rede vollendet, wandte er sich und ging hinab in die große Malerwerkstatt. Hastig verließ er sie; er wollte nicht warten, bis sie ihn bat, ihr Laute und Spielgefährten noch zu lassen. Nichts sollte sie haben, nichts behalten als ihn allein; an nichts sollte sie sich erfreuen, wenn er es nicht war, der es ihr gab.

*

Der Meister hatte den letzten Strich an seinem großen Bilde gethan – es war vollendet, als er hinauf gehen wollte zu seinem Weibe. Alle Schüler waren schon längst fortgegangen. Still und einsam war es geworden um ihn her. Mit einem seltsamen Schauer blickte er noch einmal auf das Bild. Die Figuren schienen zu leben. Blut und Thränen, Jammer und Graus überall. Er wandte sich mit einem beklemmenden Angstgefühl von seiner eigenen Schöpfung ab und verließ die Werkstatt.

Als er die letzten Stufen hinanstieg zu den Gemächern Alezias, trat sein Fuß auf etwas Hartes, eine goldene Spange lag da, die Alezia allezeit an ihrem linken Arm getragen. Verwundert hob er sie auf. Ein äußerst kunstvoll gearbeitetes Herz, das daran gehangen, war zertreten. Vor der Thür kam ihm ihr kleiner Lieblingshund winselnd entgegen. Da war's ihm plötzlich, als presse ihm eine Eisenfaust sein Herz zusammen; mit stockendem Athem trat er in ihr Gemach. Es lag vor ihm in gewohnter Ordnung. Die ruhigen Wände erzählten nichts von jener Scene voll wilder Leidenschaft und Kampf und Thränen, deren Zeugen sie gewesen. Der Giorgione schlug die Wände des Schlafgemachs zurück, sie war nicht da, ihr Lager unberührt. Wie im Traum hob er die Deckel der großen Truhen auf, die Gewänder seines jungen Weibes lagen sorglich gefaltet vor ihm. Auch das Schmuckkästlein schien unberührt, die Spangen und Ringe, Ketten und Stirnreife, mit denen er seine Königin beschenkt, blitzten ihm entgegen. Nichts fehlte als – die Laute und sein junges Weib. Da schloß er die Thüren und fiel dann ohne Besinnung auf den Boden nieder.

Am andern Tage wußte ganz Venedig, daß das schöne Weib des Giorgione, das er gehütet wie den Apfel seines Auges, das er getragen wie eine leuchtende Krone, dem er gehuldigt wie der Tochter eines Königs, mit dem hübschen Pietro Luzzo entflohen sei. –

Als der Giorgione wieder in der großen Werkstatt erschien, erschraken seine Schüler vor seinem Anblick. Sein Haar und Bart waren ergraut, tiefe Furchen standen auf seiner Stirn, er schien um 20 Jahre gealtert. Aber ein theilnehmendes warmes Wort wagte niemand; es war da ein Zug um seinen Mund, der jedem Schweigen gebot.

*

Ein Jahr war vergangen, ein langes dunkles Jahr für den Giorgione. Er hatte sich allmählich finster und immer finsterer zurückgezogen von den Menschen, und weigerte sich endlich sogar ferner noch ein Portrait zu malen. Halbe Tage lang verbrachte er eingeschlossen in den verödeten Gemächern seines Hauses und sein treuer alter Diener, der das Leid seines Herren mittrug als wäre es sein eigenes, hörte ihn gleichförmigen Schrittes nur immer unablässig auf und nieder wandeln. – Langsam, nur sehr langsam wendete er sein »geängstigtes und zerschlagenes« Herz wieder der einzigen Sonne zu, die fortan über seinem Leben leuchten sollte: der heiligen Kunst; zögernd ergriff er endlich wieder die Hände, die sie nach ihm ausstreckte. Als der greise Andrea ihn zum erstenmale in der kleinen Werkstatt die Staffelei rücken hörte, fiel er auf die Knie: er wußte, sein Herr war nun gerettet.

Der Giorgione malte von da an viel in dem versteckten Gemache, aber niemand sah was seine Hand schuf, er pflegte allezeit die Staffelei sorgsam zu verhängen, wenn er hinausging, oder wohl gar die Thür zu verschließen. So verbreitete sich denn nun die Sage in ganz Venedig von einem ganz absonderlich prachtvollen Bilde, das der Meister im geheimen male und das die Krone sei aller seiner Schöpfungen. Alt und jung, Mann und Weib redeten davon wie von einem Schatze, an dem jeder seinen Antheil zu haben vermeinte. In der großen Malerwerkstatt sah man ihn aber auch öfter, er malte ein großes Bild, das er der Accademia zum Geschenk anbot. Es stellte einen Seesturm dar, der die bella Venezia zu verschlingen und zu zerstören drohte, aber von den Schutzheiligen der Stadt, St. Marcus, St. Nicolaus und St. Georg beschwichtigt wurde. Auf den wilden Meereswellen schwamm das Schauerschiff daher, das die sturmbringenden Dämonen herbeiführte. Aber eine unendliche Furcht schien sie ergriffen zu haben vor dem sanften Lichtschein, der aus jener kleinen Barke strömt, in der man die edlen Gestalten der heiligen Männer sieht. Häßliche Satyrgestalten flüchteten sich in das Takelwerk oder stürzten in toller Hast in die hoch aufwallenden Fluten. Gräßliche Seeungeheuer tauchten auf aus der dunkeln Tiefe – überall wildes Leben – nur in einer Gruppe war wundervolle Ruhe: in jener Gruppe der glorienumleuchteten Sieger.

Als der Meister den letzten Strich an jenem mächtigen Bilde gethan, da war es ihm, als hätte er den Sturm des Schmerzes und der Verzweiflung, der in seinem Herzen wüthete, auf das Malertuch hingebannt, als säßen die gräßlichen Dämonen, die sein Leben zu zerstören gedroht, festgeschmiedet in jenem Schiff und könnten ihm nimmer schaden. Das Oel eines langentbehrten wundersamen Friedensgefühls träufelte in seine zerquälte Seele, er athmete tief auf, wie unsichtbare Fesseln fiel es von ihm ab. Seine Schüler waren in großem Kreise um seine Staffelei getreten, das vollendete düstere Meisterwerk bewundernd. Aber sie flüsterten nur leise und wagten kaum näher zu treten; der Meister schaute ja immer so finster darein seit jenem Unglückstage und seine Worte klangen allezeit so hart und waren so karg. Plötzlich wendete er sich gegen sie und seine Augen grüßten jeden einzelnen mit sanftem Gruße und seine Stimme klang weich, als er ihnen zurief: »Tretet näher, Kinder; seht, der Giorgione kann doch noch malen!«

Da drängten sie sich in freudiger Rührung um ihn wie zärtliche Söhne um ihren langentbehrten Vater, da brach das lange versteckte Mitgefühl sich Bahn, und einige faßten seine Hände und bedeckten sie mit Küssen, andere griffen nach seinen Gewändern und drückten sie an die Brust.

Und der Meister duldete alles, sah sie liebevoll an, redete zu ihnen über das Bild, ging dann, was er so lange nicht gethan, von Staffelei zu Staffelei und hatte für jeden ein gütiges Wort, ein sanftes Lächeln. Als er sie später alle entließ, klang sein » felice notte« so mild und wunderbar, daß es allen war, als habe er ihnen einen Segensspruch nachgerufen.

Es war spät am Abend, als der alte Andrea mit schreckensbleichem Angesicht zu seinem Herrn eintrat, um zu melden, daß man ein todtkrankes Frauenbild auf den steinernen Stufen in der Vorhalle des Hauses gefunden. Er habe zu dem Hospital der Carmeliterinnen gesendet, damit sie die Arme aufnähmen, allein der dienstthuende Arzt, ein Carmelitermönch, habe nach einer Betrachtung der Kranken sich dessen geweigert, da sie von einem gar furchtbaren Uebel befallen sei. »Geht nicht hinab, Herr,« bat er mit zitternden Lippen, »die graue Bahre wird allsogleich hier sein, sie wegzubringen.«

»Dann ist sie pestkrank!« rief der Giorgione erschrocken zurückweichend. »Auf der grauen Bahre trägt man nur Kranke ins Pesthaus

»So ist's, Herr!«

»Aber warum zittert Ihr so? Ihr habt sie doch nicht berührt, Andrea?«

»Nein, Herr! Aber es ist schrecklich, eine Pestkranke auf den Stufen Eures Hauses zu wissen.«

Das Geräusch von Schritten in der Vorhalle unterbrach die kurze Unterredung. – »Ah, sie kommen endlich sie zu holen!« sagte der alte Diener sichtlich erleichtert.

Da schrillte ein Schrei durch die Luft, ein unendlich klagender, herzzerreißender Schrei; ein kurzer furchtbarer Ton namenlosen Jammers antwortete aus dem Gemach des Giorgione; ein Mann hatte die Stimme seines Weibes erkannt: Alezia rief den Giorgione! – Schneller als der Blitzstrahl eilt, hatte der Giorgione den verzweifelnden Diener bei Seite geschleudert und war hinabgestürzt. Den rohen Händen vermummter Gestalten entriß er ein dunkles Etwas, das man auf ein hölzernes Gerüst geschoben. Mit dumpfem Stöhnen preßte er seine Beute an die Brust, in seinen Armen trug er sie die Stufen hinauf in die so lange verödeten Gemächer, um sie sanft zu betten auf das so lange vereinsamte Lager. Dann riß er ihr keuchend den Mantel ab. Die Lampe beleuchtete eine verfallene Gestalt, ein zerstörtes Angesicht, zwei dunkle von brennenden Thränen verlöschte Augen, aber es war Alezia mit dem blonden Haar, es war die Krone seines Lebens, das Weib seines Herzens; und als er vor ihr niederstürzte und mit wahnsinnigem Lächeln die Fetzen des hellen Atlasgewandes, das um ihren Körper hing, zu glätten versuchte, da war es doch, als ob ein Strahl nach langer Nacht seine Seele berührte. Und der Blick, der ihn traf aus ihren Augen, zeigte halb Entsetzen, halb Seligkeit. Aber dann hob sie stumm die Arme und wies auf die dunklen Siegel des Todes: die bläulich schimmernden Pestbeulen.

Einen Augenblick lang beugte er sich zurück, seine Lippen öffneten sich und er fragte leise und feierlich, wie man zu Todkranken spricht: »Warum seid Ihr wiedergekommen, Alezia?«

»Weil man nur bei dem sterben kann, den man liebt!« antwortete sie kaum hörbar.

Da umfaßte er ihren kranken sterbenden Leib mit Inbrunst und drückte einen Kuß auf ihre kühlen Lippen: »Mit diesem Kuß werde ich Euer Gatte für den Tod, wie ich Euer Gatte sein wollte für das Leben. Da ich ohne Euch nicht fürder weiter leben mag, so will ich mit Euch sterben. Euer Mund bringt mir den Tod!«

»Friede sei mit uns!« hauchte sie. »Und nun laßt mich Euch beichten wie dem Priester.«

Da hat der Meister sich erhoben und zu dem jammernden Andrea gewendet, der in der Thüre kniete und sich die grauen Haare raufte, und hat ihm ernst geboten hinaus zu gehen und ihm untersagt Aerzte und Priester zu rufen: er wollte unbelästigt in den Himmel gehen mit seinem Weibe. Darauf verschloß er das Gemach und eine lange stille Nacht verging. Am Morgen fand man den treuen Diener wie einen Hund bewußtlos auf der Schwelle ausgestreckt; und drinnen – die lächelnde Leiche eines jungen Weibes und einen todten ernsten Mann, der sie fest in seinen Armen hielt.

Der vielgerühmte Meister Giorgione war an der Umarmung seines pestkranken, allzusehr geliebten Weibes gestorben, im 34. Jahre seines reichen Lebens, was man in allen alten Büchern, die von dem Leben der großen venetianischen Maler erzählen, nachlesen kann.

Und der heimliche Schatz in der kleinen Werkstatt?

Die Staffelei stand nun enthüllt vor aller Augen und auf derselben erblickte man das Bildniß Alezias, die Laute im Arm. – Man findet dieses Meisterwerk noch heutigen Tages in der Gemäldegallerie des Manufrin-Palastes zu Venedig und es ist unter dem Namen: »die Lautenspielerin des Giorgione« bekannt. – Da sitzt die wunderschöne Frau, im Vordergrunde einer Landschaft, unter Baumzweigen, mit ihrer auf dem Schoße ruhenden linken Hand die Laute haltend. Den andern Arm stützt sie auf einen Tisch, der bauschige weiße Aermel fällt zurück und man erblickt den schönsten Arm, über die Hand rollt das reiche Goldhaar hin, in den großen wundersamen Augen schimmert es wie von heimlichen Thränen, die Wangen sind gebleicht, um den Mund zuckt es wie Trotz. Aber ein Reichthum von Licht und eine Farbenpracht sind über das Bild gebreitet, die man nicht beschreiben kann. Der Pinsel des Giorgione in seiner Kraft und Weichheit, in seinem Glanz und Adel hat hier sein Meisterwerk geschaffen, denn das stolze treue Herz des Meisters hatte ihn geführt.

Von dem Pietro Luzzo hat man in Venedig nichts wieder gehört, seinen hübschen Kopf findet man aber in verschiedenen Fresken wieder, in denen ihn der Giorgione zu jener Zeit, als er den Knaben noch allein liebte, angebracht hatte.


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