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Die unbezähmte Widerspenstige.

»Mein Herzlieb trägt ein dunkles Kleid,
Darunter wohl viel Herzeleid,
Das kann ihm niemand wenden.«

 

»Will noch ein Stündlein hinab gehen zu meinem Freunde Pirkheimer,« sagte der hochberühmte Meister Albrecht Dürer in Nürnberg zu seinem ihm vor kaum einem Jahre angetrauten Weibe, drückte das schwarzsammetne, seltsam geformte Malerhütlein auf das Haupt und ging, da Frau Agnes ihm keinerlei Antwort gab, auch nicht den Kopf hinwendete nach ihm, ruhig fort aus der niedern Stube, die schmale Stiege hinab, auf die Straße hinaus nach dem Marktplatz zu. Es war eigentlich noch ganz hell und schön, und just rechte Zeit zum Malen, die Thurmuhr an der Kirche zu unserer lieben Frauen schlug eben die vierte Nachmittagsstunde, aber der junge Meister konnte nicht arbeiten: Frau Agnes hatte sich in seine Malerstube gesetzt, um ein Huhn zu rupfen. Dabei ließ sie die Thür eben weit genug offen, um recht laut und heftig mit der Magd Susanne zu schmälen, die heut wohl gar vielerlei versehen haben mußte, denn des Scheltens und Drohens war kein Ende. Und als Albrecht Dürer endlich seiner Hausfrau beides, das Rupfen wie das Schelten, sanft verwiesen, und sie bedeutet, daß er nicht arbeiten könne unter fliegenden Federn und Schmähreden, da hatte sie alles von sich geworfen und laut gejammert und geschrien, und immerfort ausgerufen, daß sie doch das unseligste Weib auf Gottes weiter Erden, daß ihr eheleiblicher Mann sie von sich stoße und nimmer dulde in seinem Gemach. Da war er denn still geworden, ganz still, und als ihre Thränen endlich versiegten und sie ruhig ihr Huhn weiter zupfte und rupfte, legte er Pinsel und Palette nieder, rückte die Staffelei in die fernste Ecke, und ging zu seinem treusten Freunde. –

Auf dem Marktplatz war viel Leben. Ehrsame Bürger mit ihren Töchtern wandelten den Thoren zu, um des lieben Maitags im Freien zu genießen, schlanke Jünglingsgestalten stolzirten grüßend vorüber, mit Feuerblicken die sittigen Mägdlein streifend. Am »schönen Brunnen,« dem vielbelobten Meisterwerk des Brüderpaares Rupprecht und ihres Freundes Schonhofer, plauderten hübsche Mägde und achteten nicht der überlaufenden Gefäße. Kinder standen mit frohglänzenden Gesichtern dabei, und zählten wieder und wieder die acht Löwenköpfe, aus denen das helle Wasser lief, und die stolzen Figuren, die oben darüber standen; besonders gefiel den Buben der stattliche Gottfried von Bouillon, Karl der Große und der kriegsgerüstete Alexander. Die kleinen Mägdlein lobten den Moses, der ganz hoch oben mit seinen sieben Propheten stand, ihre Strahlenkränze blitzten gar zu hell im Sonnenschein. – Durch all dies lachende junge Leben drängten sich ernste Dominicanermönche, die in ihr Kloster heim wollten, das friedlich im Schatten hoher Bäume an der Straße lag, die nach der Burg hinaufführte. Auch ein frommer Priester schritt eben vorüber, gefolgt von schönen Chorknaben und dem Meßner; lautlos sank alles vor ihm nieder, er trug barmherzig das Allerheiligste in das Pilgrimshospital zu einem armen Sterbenden. –

Albrecht Dürer wandelte langsam weiter; hie und da blieb er stehen, wenn ein Kind an ihm vorüber lief oder ihm irgend wer mit ehrfurchtsvollem Gruße näher trat. Manch schönes Frauenauge hob sich, um verstohlen nach ihm hinzuschauen, wie er so stolz und doch so bescheiden daherging, in seinem dunklen pelzverbrämten Gewande. Seine hellbraunen, langen Locken, die er immer sorgfältig glättete, und sein schöner brauner Bart schimmerten goldig, die großen blauen Augen blickten ernst und mild zugleich, die Stirn war wundersam klar, Nase und Mund edel und fein, so daß es gar manchem Mägdlein bedünken wollte, der Meister Albrecht Dürer gleiche wundersam jenen erhabenen Christusköpfen auf den heiligen Bildern. – Als Albrecht Dürer in das Haus des wohlangesehenen Rathsherrn Willibald Pirkheimer eintrat, das an der Nordseite des Platzes belegen war, traf er den edlen Hausherrn nicht daheim. »Er ist wieder bei Adam Krafft in der Bildhauer-Werkstatt,« sagte ihm die freundliche Hausfrau, Crescenz, »Ihr wißt ja, lieber Meister, daß er nun einmal nimmer müde wird zuzuschauen, wie das kunstvolle Sacramentshäuslein wächst, das der Krafft in der Lorenzkirche einstmals aufstellen will. Dem wackern Rothgießer Vischer ergeht es just ebenso; der war hier, vor kaum einem Stündlein, um meinen Eheherrn dahin abzurufen. Doch werden die Männer bald heimkommen, denke ich!«

»Ihr wißt ja, wo ich am geduldigsten auf ihn warte,« antwortete der Meister und ging die Stiege hinauf in – die Kinderstube. Da lagen denn auf einem Stück Wollenzeuge zwei Kinder von zwei und drei Jahren, Charitas und Felicitas Pirkheimer. Eine Magd saß bei ihnen und rings umher lag allerlei Spielzeug aus Holz geschnitzt, Thiere und kleine Gefäße. Die kleinen Stirnen lagen so dicht nebeneinander im Eifer des Spieles, daß die langen schwarzen Locken der dunkeläugigen Felicitas über die Wangen der blonden Charitas herabhingen. Albrecht Dürer hatte die kleinste, Charitas, über das Taufbecken gehalten, er hatte sie darum auch ganz absonderlich lieb. Das mochte denn das Kinderherz wohl fühlen, es hing gar sehr an dem ernsten Manne. Felicitas sah kaum nach ihm hin, als er hereintrat, Charitas schrie aber hell jauchzend auf, langte mit den kleinen Armen nach ihm, stellte sich behend auf die vollen nackten Füßchen und stolperte zu ihm hin. Und er beugte sich herab zu ihr und fing sie auf in den Armen, setzte sich zu ihr hin auf den Boden, und ließ sie auf seine Knie steigen; nun faßte sie mit beiden Händen in seine Locken, zerrte und zauste ihn hin und her, griff in seinen Bart, kletterte an ihm in die Höhe, suchte ihr Bildniß in seinen Augen und lärmte und tobte dazu ganz gewaltig. – Allerlei unverständliche Worte lallte sie, fiel mit offnem küssenden Munde ungeschickt an seine Stirn, an seine Wangen, hing sich endlich an seinen Hals, und ruhte da aus von allem Lachen und Klettern. – Und nun begann ein seltsam Gespräch zwischen den beiden. Er hielt sie fest, redete ihr ernsthaft zu, und sie gab Antwort, aber ganz heimlich und sah ihn dabei mit den großen blauen Augen so froh an, daß ihm zu Muth war, als fielen Sonnenstrahlen hinein in seine Seele. Wenn sie auch laut geredet hätte, die kleine Charitas, niemand hätte es verstanden, die eigne Mutter kaum, Albrecht Dürer aber verstand diese wunderlichen Laute, und das Kind verstand seine Worte. O wie wurde unter diesem Lallen und Jauchzen die Stirn des Meisters heller, wie schwand der tiefe, tiefe Schmerzenszug um den Mund, wie Schatten schwinden, wenn die Sonne kommt. Und als es unter diesem Tändeln fast Abend geworden und die Männer kamen: Pirkheimer, Peter Vischer und der fromme Bildhauer Adam Krafft, und der heiterblickende Hausherr den vielgeliebten Freund hinabführen wollte aus der Kinderstube in sein eigenes trauliches Gemach zu einfachem Imbiß, da begann Charitas so herzbrechend zu weinen und klammerte sich so fest an den Nacken ihres Freundes, daß er nicht lassen konnte von ihr und bei ihr verblieb, bis die Mutter sie in ihr Bettlein gelegt. Selbst da hielt sie noch seine Hand, bis der Schlaf sie überwältigte. –

»Nun? Hat Euch mein unbändig Mägdlein frei gegeben?« lachte Pirkheimer, als Albrecht Dürer endlich zu ihm trat. Der Meister nickte, bot allen die Hand zum Gruße, setzte sich nieder, sah eine Weile still vor sich hin, und sagte dann plötzlich mit tiefster Inbrunst: »O allbarmherziger Gott, hätte ich solch ein Kindlein!«

Es war aber keiner der über solches Wort scherzte, alle sahen gar mitleidig hin zu dem Meister, alle verstanden die hellen Thränen in seinen Augen, alle wußten, was dieser Sehnsuchtsruf bedeutete, alle kannten das schwere Herzeleid Albrecht Dürer's. –

*

Es war dazumal, ihm Jahre 1496, eine gar reiche Zeit in der freien Reichsstadt Nürnberg; geschickte Hände regten sich, herrliche Werke der Bildnerei, Erzgießerei und Holzschneidekunst entstanden zum Schmucke für die Kirchen und Klöster. Adam Krafft's Name hatte bereits einen guten Klang; seine Hand verzierte die Kirche unserer lieben Frauen mit prächtigen Reliefs, und an der stolzen Sebalduskirche sah man Stücke aus dem Leben und Leiden des Herrn in schöner hocherhabener Arbeit von seinem Meißel geschaffen. Auch die sieben Fälle Christi, in Stein gebildet und mit Inschriften versehen, die man an sieben Stellen von dem Hause des Bürgers Martin Ketzel am Thiergärtnerthore bis auf den Johanniskirchhof aufgestellt sah, wo zum Schlusse ein Calvarienberg mit den drei Kreuzen angelegt war, waren Adam Krafft's kunstreiche Schöpfungen. Ketzel, der Vorsteher des Heiligengeisthospitals, war nämlich ein gar frommer Mann und selbsteigen zweimal in der heiligen Stadt Jerusalem gewesen, um mit seinen Augen und Füßen jenen langen schweren Weg zu messen, den der göttliche Sohn der Maria mit dem Kreuz auf dem Rücken gewandelt. Krafft's jüngstes, eben begonnenes Werk aber machte die ganze Stadt Nürnberg von sich reden, und Alt und Jung harrte der Vollendung mit großem Verlangen. Der Meister wollte ja ein steinernes Weihbrodgehäuse aufführen, das in der Lorenzkirche aufgestellt werden sollte, nach eigner sorgsamster Zeichnung. Er stellte aber eine Frist von zehn Jahren bis zur Vollendung seiner Arbeit. Neben ihm wurde der Bilderschnitzer Veit Stoß vielfach gerühmt, der die heilige Kreuzkirche des Pilgrimspitals mit kostbaren Schnitzwerken beschenkt, und in der Kirche zu unserer lieben Frauen eine Maria mit dem Kinde aufgestellt, vor deren Hoheit sich jeder niederwerfen mußte, so wie auch ein Crucifix in der Sebalduskirche von wahrhaft heiliger Schönheit. Den wackern Rothgießer Peter Vischer und seine fleißigen Söhne kannte jedes Kind, und so auch den 18 Centner schweren Christus am Kreuze, am Mittelfenster der Peterscapelle in der Sebalduskirche, den er gegossen. Man redete davon, daß er ein Grabmal aufstellen werde über dem Sarge des heiligen Sebaldus; er arbeitete schon eifrig mit seinen Söhnen an allerlei Zeichnungen und Plänen.

Auf den jungen Albrecht Dürer war aber doch jeder Nürnberger Bürger am stolzesten. Hatte nicht schon sein Lehrer, der alte Meister Wohlgemuth, von ihm gesagt: » sein Ruhm wird einstens alle Lande durchfliegen,« und mußte man nicht dieser Prophezeiung glauben, wenn man die frommen, herrlichen Bilder sah, die er geschaffen? War nicht insbesondere die Grablegung in der Sebalduskirche ein Meisterwerk? Und jene Prophezeiung, (die er nach altem Brauch vorlegen mußte, als er aus den Niederlanden, wo er seine weiteren Lehrjahre verbracht, heimkehrte), wurde sie nicht laut gepriesen und im Rathhause sorgsam aufbewahrt? Wie gern und freudig gab man ihm den Namen »Meister«, als man sie gesehen! Sie war nur mit der Feder gezeichnet, aber mit wunderfeinen Strichen, und stellte einen sangeslustigen Orpheus dar, in einer schönen Landschaft, der von wüthenden Bacchantinnen überfallen wird. Wußte man nicht obendrein von dem jungen Albrecht, daß er bei seinem wackern Vater, dem wohlgeschickten Goldschmiede, auch die edle Goldschmiedekunst gründlich erlernt, und die sieben Fälle des Leidens Christi so überaus kunstvoll in Silber gearbeitet, daß jedermann darüber billig erstaunen mußte? Auch aus Holz und Elfenbein verstand er meisterhaft Heiligengestalten und Crucifixe zu schnitzen, die gar mancher noch höher schätzte als seine Bilder. Und bei alledem mußte man ihn tief gelehrt nennen, denn er hatte mit Lust und Eifer an dem Unterrichte seines Freundes Pirkheimer theilgenommen, und dieser war von einem klugen Abt in den artibus clericalibus sorgsam unterwiesen worden. Hauptgegenstände dieses Unterrichts waren das Trivium und Quadrivium der sieben freien Künste, und die Erlernung der lateinischen Sprache. Uebertraf nun auch Willibald Pirkheimer seinen jüngern Freund in der Kunst des Lautenspiels und Gesanges, so wie in der Kunst der zierlichen Rede, so zeigte hingegen Albrecht Dürer ein wunderbares Verständnis der ernsteren Wissenschaften, insbesondere der Geometrie und Mathematik. Er schrieb späterhin mehrere Bücher, unter anderen über Perspective, über die Proportionen des menschlichen Körpers, ja sogar eine Schrift des Titels: »Etliche Unterricht zur Befestigung der Städt Schloß und Flecken.«

Als 19jähriger Jüngling zog er frohen Muthes nach den Niederlanden, um dort unter den Augen der großen Meister zu lernen und zu malen, und gesund an Leib und Seele kehrte er im Jahre 1494 heim zu seinen Eltern, heim in die liebe Vaterstadt. Aber arm, wie er ausgewandert, war er zurückgekehrt, und deshalb redeten ihm die Eltern freundlich und dringlich zu, sich ein Weib zu nehmen, das ihm etwas zubrächte, und nannten ihm ein gar stattliches Frauenbild, die Jungfrau Agnes Frei, das einzige Kind des wohlbekannten Harfenschlägers Hans Frei. Sie ging jeden Morgen, wenn die Messe vorüber, dem schönen Maler zu lieb an seinem kleinen Hause her, nickte auch der alten Mutter gar zuthunlich, reichte ihr auch wohl ein Blumensträußlein ins Fenster hinein, und brachte in der Dämmerung dann und wann gar ein Krüglein edlen Weins, »zur Stärkung«, wie sie sagte. Allendlich gestand sie der alten Frau frank und frei ihres Herzens Wohlgefallen an dem bildschönen Albrecht und sagte, daß sie schier vergehen möchte vor Liebe zu ihm. Dann redete sie auch gar listig und klug von ihrem schmucken Hause am Thiergärtnerthor und von den 200 Gulden Mitgift, die ihr der Vater verheißen, und von den vielen Freiern, die sie unablässig umlagerten. Und obwohl die große, derbe Gestalt, mit den funkelnden schwarzen Augen und zusammengepreßten Lippen, dem edlen Meister nicht allzusehr gefiel, widerstand er doch nur kurze Zeit dem Flehen der Mutter, den Bitten des kränkelnden Vaters, und willigte ein die Jungfrau zu freien. Stand ihm doch kein Gebot höher, als das eine: »ehre Vater und Mutter«, und hatte er doch in seinem jungen reinen Leben noch kein Weib inbrünstiger geliebt als die Mutter, ja noch niemals andere Frauenlippen geküßt, als den Mund seiner Mutter. An seinem Hochzeitstage dachte er mehr an seine Eltern, als an sein junges Weib, und während des Hochzeitsmahles mußte er immer und immer die Mutter anschauen, die so froh blickte, und in einer neuen schwarzsammetnen Haube prangte, und ein funkelneues Geldtäschchen am Gürtel hängen hatte; darin steckte ein blanker Gulden, den ihr die Schwiegertochter verehrt. Und wie ein Kind machte sie das Täschlein auf und zu, und freute sich des seltenen Schatzes. – Ach! wenige Tage nach der Hochzeit schlich der junge Eheherr in der Abenddämmerung hin zum Elternhause (denn er wohnte jetzt in dem stattlichen Hause am Thiergärtnerthor), stellte sich von außen scheu und behutsam an das niedere Fensterlein, und sah in die kleine Stube hinein mit traurigen Augen. Wie er sie aber wohlversorgt sitzen sah, beide, den Vater mit der kahlen Stirn, und die behaubte Mutter, beim Schein der Lampe traulich zusammen redend und den Glanz des Hochzeitsfestes noch in ihren Mienen leuchtend, da wurden auch seine Augen allmählich hell und heller, und endlich athmete er tief auf, wie von schwerer Last befreit, legte die Hand fest, recht fest auf sein Herz und ging wieder heim zu seinem Weibe.

*

Der allerschönste Trost, den der liebe Gott einem wackern, schwer bedrängten Künstlerherzen auf den Weg zu senden vermag, sind die Strahlen aus schönen Frauenaugen. Ihr Schein giebt erst das echte und rechte Licht zum Schaffen; dem Meister Albrecht Dürer mußte wohl solcher Trost fehlen; seine Lippen verriethen es nicht – wohl aber seine Bilder; ihnen fehlte jener heilige Sonnenglanz, den nichts anderes über eine Schöpfung auszugießen vermag, als die Liebe. – Denn je inbrünstiger ein Malerherz liebt, desto herrlicher werden ja die Gestalten, die sein Pinsel schafft; je wärmer die Seele, desto wärmer die Farben. – Das ist zu allen Zeiten so gewesen und wird zu allen Zeiten so sein, so lange es noch echte und rechte Maler giebt auf Erden und – edle liebende Frauen.

Albrecht Dürer's Trost wurden einzig und allein die frohen Kinderaugen der kleinen Charitas, und wie er an jenem Maitage zu ihr schlich, fortgetrieben durch sein hühnerrupfendes Weib, so schlich er noch oft, oft in die Pirkheimersche Kinderstube. Dort spielte er mit seinem Liebling und vergaß in diesem Spiel sein heimlich Herzeleid, das unablässige Schelten seines bösen Weibes; dort fühlte er den Schmerz gelinder, den der Tod seines Vaters über ihn brachte und das Kränkeln der Mutter, die sich doch eigentlich nur um seinetwillen härmte. Aber ehe er sich dessen versah, wurden die Gespräche mit dem Kinde ernsthafter, das tolle Klettern hörte auf, auch zauste sie ihm nicht mehr die schönen Locken; sie wuchs schlank und lieblich heran und war ein großes Mädchen geworden, daß er sich oft wunderte, wenn er sie ansah, wie die Zeit so schnell dahinflog. – Die Besuche in der Kinderstube hörten langsam von selbst auf, dafür kam aber Charitas wohl täglich herüber in das Haus des Meisters, saß bei ihm in seinem Malerstübchen, lachte, redete allerlei kindische Dinge, sang wunderbar ansprechende Weisen, und trieb tausend Possen dabei. – Und er konnte ihr niemals zürnen, wenn sie auch noch so übermüthig war; sah sie denn nicht gar zu lieb aus, wenn sie neben seiner Staffelei auf dem niedren Schemel saß in ihrem zierlichen, goldgesäumten Kleide und dem rothen Sammethäubchen? Aus den gepufften Aermeln schauten die weißen Hände hervor, und ihr goldnes Haar fiel in langen Ringeln über die Schultern und an den runden rosigen Wangen vorbei. Oft, wenn sie so sang, mußte der Meister den Pinsel weglegen, er schlug dann die beiden Hände vor sein Angesicht und hörte zu. Da war ihm denn immer, als läge er in einem schönen, grünen Walde voll Sonnenschein und Blumen, und über ihm sänge ein Waldvögelein und lockte: »Komm mit!« Und seine Seele flog wirklich auf ein Weilchen mit von dannen.

Frau Agnes und das schlanke Kind aber liebten sich nicht allzusehr: eines ging dem andern sorgsam, so viel es sich thun ließ, aus dem Wege. Und doch hatte die Hausfrau allerlei zu klagen, wenn Charitas fortgegangen, sie hätte gar zu gern ihrem Eheherrn haarklein bewiesen, daß dies Mädchen mit den blauen Augen eine wirkliche Teufelin sei. Erlosch nicht das Feuer auf dem Herde, wenn Charitas an der offnen Küchenthür vorbei ging? floh nicht die Katze vor ihr? standen nicht die Schuhe der Hausfrau, just wenn sie eben hineinfahren wollte, oben auf dem höchsten Schranke? fiel nicht oft der gewaltige Schlüsselbund abgeschnitten vom Gürtel herab, oder war nicht sogar das Geldtäschchen zuweilen spurlos verschwunden und fand sich erst am Abend in der Schlafkammer unter dem Kopfkissen der Frau Agnes wieder? Oder der Waschzuber lief aus und Susanna, die Magd, fand sich eingeschlossen in ihrem Gemach, gerade wenn ihre Herrin am lautesten nach ihr schrie. – Waren das nicht wunderliche und abscheuliche Begebenheiten? Sie war recht böse, wenn der Meister kein Wort hierzu sagte, und ihr Schelten kehrte sich dann desto ärger gegen ihn. – Besonders seufzte und jammerte sie aber doch, daß er viel zu langsam male, und so wenig Geld verdiene; sie hätte allezeit hinter ihm stehen mögen, um ihn zu rascherer Arbeit zu treiben. – Auch konnte sie nimmer begreifen, warum er an einer Stelle oft so viele Striche machte mit dem Pinsel, und sah doch niemals, daß sie deshalb viel anders wurde als zuvor. Auch über die theuren Farben schmälte sie unablässig; sie meinte, er könne doch wohl mit billigern malen, denn niemand, der die Bilder kaufe, bezahle die Farben mit. Da hatte er denn einstmals, es war eben an dem Tage, wo er vor 13 Jahren sein Weib gefreit, ein gar kostbares Bild auf der Staffelei stehen: eine Himmelskönigin, auf Leinwand gemalt, für das Katharinenkloster seiner lieben Vaterstadt bestimmt. Es war ein herrlich erhabenes Frauenbild. Golden flossen die langen Haare zu beiden Seiten des heiligen Angesichts nieder, die schmalen Hände lagen demüthig gekreuzt auf der Brust, – das Gewand leuchtete purpurn, aber in schweren Falten fiel der dunkelblaue Mantel darüber her. Der Meister malte an dem Saume des Gewandes, Frau Agnes stand hinter ihm, sie sah nicht auf das Bild, sie schaute auf die bunten Farben. Mit dem braunen Finger auf die Palette deutend fragte sie plötzlich: »Hast Du nur dies noch von dem Blau?« – »Noch ein wenig Ultramarin ist dort in meinem Farbenkasten,« war seine Antwort. – Sie ging hin, um nachzusehen. Es war noch ein kleines Säcklein voll da. – Lautkreischend warf sie es auf den Boden und stürzte auf den Meister zu. »O ich unselig Weib!« schrie sie mit aufgehobenen Händen, »ich unselig Weib, das einen solchen Verschwender zum Ehgemahl hat! Verhungern muß ich elendiglich! Vor 6 Monaten kaum hat er um 18 Ducaten blaue Farbe gekauft, und nun hat er sie schon verbraucht!! Seinen Marien hängt er dicke blaue Mäntel um, mag sein armes Eheweib erfrieren und verderben! – Aber wie sündhaft hat er sie auch aufgestrichen, die theure Farbe, wie das Fett auf eine Schnitte Brod!« – Und ehe der Meister sich dessen versah, stürzte sie, glühend vor Zorn, auf das Bild los, zog ihr Küchenmesser hervor – und kratzte die feuchte Farbe vom Mantel der Maria!

Der Meister stand zu Stein erstarrt, – der Athem stockte in seiner Brust, – mit einem schneidenden Weheruf fiel er dem wüthenden Weibe in den Arm, sie stieß ihn zurück, rang sich los – und dabei drang plötzlich die Spitze des Messers tief und zerstörend in das Malertuch.

Frau Agnes erschrak; sie ließ das Messer fallen – »nun kauft ihm niemand das Bild ab!« dachte sie und stierte auf die zerschnittene Leinwand. Albrecht Dürer aber riß seine verstümmelte Maria von der Staffelei, schleuderte sie in die Ecke der Malerstube mit wildem Lachen – und stürzte fort aus dem Hause – wohin? das wußte er selbst nicht. Sein Angesicht war bleich wie das eines Gestorbenen, seine Locken wehten im Winde, erschreckt schauten die Begegnenden auf ihn, kaum erkannten sie den sonst so sanften ruhigen Meister. Seine Füße trugen ihn in das Haus seines treuesten Freundes, aber er trat nicht ein in das Gemach des Rathsherrn, eine dunkle Erinnerung, ein unklares seltsames Gefühl trieb ihn, – wie vordem so tausendmal – die Stiege hinauf in die Kinderstube. Aber nicht die kleine Charitas war es, die ihm dort jubelnd die Händchen entgegenstreckte: ein schlankes rosiges Mägdlein von 16 Jahren saß einsam am Fenster, und jubelte auf vor heller Freude, als sie ihn erkannte. Mühsam wankte er bis zu ihrem Sitze, brach zu ihren Füßen zusammen und legte sein todmüdes Haupt auf ihre Knie. Charitas sagte kein Wörtlein, sie faltete nur ihre Hände, beugte sich über ihn – er öffnete nach einer Weile langsam die Augen, und da sahen sich diese beiden an – lange, lange und stumm. – Was da ihre Seelen mit einander redeten, ist niemandem offenbar geworden, als Gott allein, aber es ging eine wundersame heilige Wandelung über die kindlichen Züge der jungen Charitas, eine holde Jungfrau schaute auf den bleichen Mann nieder, der da in seinem Weh zusammengebrochen lag. Aus ihren Augen strahlte ein Trost, vor dem der Schmerz auf dem Antlitz des Meisters zerrann, ein göttlicher Friede breitete sich allgemach über die Stirn des Tiefgebeugten. Und als er endlich sich erhob, – da leuchtete eine selige Freude in seinen Blicken; aber nur Charitas verstand diesen Jubel und die Engel im Himmel.

*

Am nächsten Tage schon befand sich der Meister Albrecht Dürer auf dem Wege nach Venedig; der treue Willibald Pirkheimer hatte ihm das Reisegeld dazu auf den Tisch gelegt mit den Worten: »Was mein ist, das ist dein!« – Alle wackern Freunde, die sich auf die Kunde der Zerstörung des Marienbildes im Hause des Rathsherrn eingefunden, hatten ihn zu der großen Reise gedrängt; sie wollten ihn eine Weile trennen von dem bösen Weibe, das ihm sein Dasein verkümmerte. – Denn an eine völlige Scheidung des Weibes vom Manne, die des Priesters Segen einmal verbunden, war in jener Zeit nicht zu denken, und darum nahm ein frommer Christ sein unglücklich Ehebündniß geduldig als Prüfung Gottes auf seine Schultern, und trug es bis an sein Lebensende. Und so vor allen der gottesfürchtige, sanftmüthige Albrecht Dürer. – Aber er sollte in dem schönen Italien, in dem Mutterlande der Kunst, sich neuen Muth holen zum Leben, neue Kraft zum Tragen, in Venedig sollte er wohnen, den jungen Tizian von Angesicht zu Angesicht kennen lernen und Michel Angelo's Wunderwerke schauen. Für Frau Agnes wollte Pirkheimer sorgen; die Obhut für die arme Mutter hatte Albrecht Dürer der jungen Charitas übertragen, und so zog er von dannen im Herbstmond des Jahres 1506.

*

Charitas weinte nicht, als sie ihren Freund scheiden sah; sie war eine andere geworden seit jener stillen Stunde, in der ihr das tiefe, tiefe Leid des Vielgeliebten kund geworden. Wie ein stiller Engel wandelte sie jetzt durch das Haus, mit unhörbaren Schritten, willig und sanft zeigte sie sich gegen Vater, Mutter und Schwester. Sie öffnete Augen und Herz allem Leid; wer litt, der wurde geliebt von ihr. Kein Bettler zeigte sich vor den Thüren, dem ihre Hand nicht eine Gabe reichte, kein bleiches Antlitz ging an ihr vorüber, für das sie nicht einen Blick hatte voll zärtlichen Mitleids; kein Kranker, von dessen Schmerzen man ihr erzählte, blieb ungepflegt; bald kannten alle Armen und Gebeugten dies junge holdselige Angesicht, in dessen Zügen gar deutlich geschrieben stand: » ich kenne das Leid!« Es war, als ob der liebe Gott selbst den Namen für sie ausgewählt, den sie trug, sie war in Wahrheit eine Charitas, ein Engel der Barmherzigkeit für jedes betrübte Herz. Wenn sie an der Seite ihrer Mutter und schönen Schwester zur Messe ging, drängten sich Greise und Kinder um sie her, jeder wollte sie sehen oder ihre weiche Hand fühlen, die sie auch jedem sanft lächelnd hinreichte, und viele meinten, sie brauche diese Hand nur auf Wunden zu legen und auf kranke Herzen, dann müßten sie gesunden. Gesundete nicht selbst die alte kranke Mutter Albrecht Dürer's unter ihrer Berührung?

Mehr als ein Jahr war hingegangen, als Meister Albrecht wieder heimkehrte in seine liebe Vaterstadt Nürnberg. Die heilige Frühmesse war eben vorüber in der St. Lorenzkirche, viel Volks drängte sich durch das Portal. Den Meister aber zog es mit Macht hinein in das liebe, herrliche Bethaus, um hier vor allem erst den Heiligen zu danken für die glückliche Wiederkehr. Seine ganze Seele ging auf in hellster Freude, als er wieder, an dem wunderschönen Portal in die Höhe schauend, jenen kunstvoll gearbeiteten Stern gleichsam über sich leuchten sah. Langsam wandelte er durch das Vorder- und Mittelschiff, und seine Hände falteten sich unwillkürlich vor der Erhabenheit des Baues. Einzelne Beter knieten noch hier und da, und der Weihrauchduft hing über ihren Häuptern wie ein grauer Schleier. Andachtsvoll schaute der Meister auf die prächtige, von Imhoff im Jahre 1449 gestiftete Empore mit dem Altarwerke: die Krönung Maria's durch ihren göttlichen Sohn. Der Sonnenschein drang durch die gemalten Fenster des Chors; wie überaus reich und farbenglühend war das von Volkammer geschenkte anzuschauen, mit dem Stammbaum Christi von Hirschvogel, und das Fenster neben der Sacristei, von dem reichen Kaufherrn Tucher gestiftet! Auch hinter dem Altar leuchteten wunderherrliche Glasmalereien hervor, und warfen bunten zitternden Schein auf das sammetne Altartuch und den vergoldeten Christus am Kreuze, von Veit Stoß aus Holz geschnitzt. – Aber – dort an der Säule an der Nordseite des Altars, – was erhob sich da vor den staunenden Augen des Meisters? – Es war das nun vollendete, 64 Fuß hohe, schon seit 10 Jahren von allen Bürgern Nürnbergs mit Sehnsucht erwartete Sacramentshäuslein des Adam Krafft. – Getragen von den Figuren des Meisters und seiner Gesellen, stieg der steinerne Bau, an die Säule gelehnt, wunderbar schlank wie eine Lilie in die Höhe, und zeigte Bilder und Figuren aus dem Leben des Heilandes in reichsten Verzierungen von kleinen Säulen, Blumen und Laubwerk von so zarter kunstvoller Ausführung, daß man die Arbeit eines geschickten Goldschmiedes, nicht aber das Werk eines Bildhauers vor sich zu sehen glaubte. Das Ganze endigte in einem frei sich herabneigenden, gewundenen Blumenstengel. Es war das versteinerte Gebet, der zum Himmel steigende Seufzer einer gottgefälligen Seele, das Dankopfer eines frommen, starken Herzens. – In dieser Schöpfung von Menschenhand war etwas so Hocherhabenes, unaussprechlich Heiliges, daß es den Meister Albrecht niederzog auf seine Knie, und er vor diesem Werke seine Andacht so inbrünstig verrichtete, wie vor den Stufen des Altars. – In seinem tiefen frommen Beten hatte er nicht acht, daß er sich dicht neben einer Frauengestalt niedergeworfen; als er sich aber erheben wollte, da hörte er an seiner Seite ein leises Weinen, wandte das Haupt und sah nun gerade hinein in die blauen thränenvollen Augen der blonden Charitas. – Da war's dem Meister, als könne er nun erst das echte und rechte Amen sprechen, und als er es voll und laut gesagt, erhoben sich beide und schritten schweigend nebeneinander her zur Kirche hinaus. Und wie sie draußen standen im hellen Sonnenschein, da meinte Albrecht Dürer, ein Engel wandle an seiner Seite, so wunderbar schön däuchte ihm das junge zarte Angesicht, so leuchtend war die Stirn des Mägdleins. – Die Augen aber hatte Charitas tief gesenkt; hätte er die gesehen, so würde er gar wohl erkannt haben, daß sie einer irdischen Jungfrau angehörten: sie standen voll Schmerz und heißer, heißer Liebe.

*

Als der edle Meister nun wieder in seinem hellen Erkerstübchen, im Hause am Thiergärtnerthore saß, und die alte kränkelnde Mutter, die seine Heimkehr nur wenige Wochen überlebte, ihn froh anlächelte, und Frau Agnes mit den Schlüsseln rasselte und die Thüren schlug wie vorher, da meinte er geträumt zu haben von der seltsamen Wasserstadt, in der er so lange geweilt. Und er konnte nicht müde werden seinen Freunden zu erzählen von ihrem Reiz, und wie ihm dort eine neue Welt aufgegangen. Hatte er nicht all sein Herzeleid vergessen bei den Riesenschöpfungen des Michel Angelo, waren ihm nicht Tizian und dessen würdiger Lehrer, Zan Bellini, Freunde geworden? Hatte man nicht die Kunst seiner Zeichnungen einstimmig bewundert, wenn man auch seine Farben nicht tief genug fand? Sah er nicht in Venedig den ersten Rafael, das Bildniß einer edlen Venezianerin, und war von Stund an nicht eine heiße Liebe eingezogen in sein Künstlerherz zu diesem jungen Malerkönig? O, wie gern wäre er barfuß und barhaupt hingepilgert nach Rom, einem frommen Beter gleich, der zum Gnadenbilde wallt, um die Hand zu drücken, die so Erhabenes geschaffen! Man ließ ihn nicht ziehen in Venedig, und da malte er denn wenigstens sein eigen Bildniß, äußerst kunstreich, ohne alles aufgesetzte Licht, aber von täuschender Wahrheit und Treue, und schickte es mit einem langen Briefe voll Liebe an Rafael Sanzio nach Rom. Von all diesen Dingen redete er zu seinen Freunden und sie lauschten ihm gern und wenn er ihnen dann zum Schlusse die Copien zeigte, die er mitgebracht, insbesondere die reizende Madonna mit dem Jesuskinde, das mit Kirschen und einem Schmetterling spielte, und die vielen Blätter voll Zeichnungen, da wären sie lieber gar nicht mehr fortgegangen von ihm, so lohnend däuchte ihnen das Hören und Schauen.

Vier Wochen nach der Rückkehr des Meisters starb seine treue Mutter, und wenige Zeit nachher feierte man im Hause des Rathsherrn Pirkheimer das Verlobungsfest zweier Bräute, einer irdischen und einer himmlischen. Die dunkeläugige Felicitas wollte das Weib des wackern Handelsherrn Imhoff werden, und die blonde Charitas nahm den Schleier im Kloster der heiligen Katharina.

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Man schrieb die Jahreszahl 1520, Nürnberg hatte wieder neue herrliche Werke erstehen sehen: ein großes Schnitzwerk für die Lorenzkirche von Veit Stoß, der englische Gruß, ein Gehäuse über den Sarg des heiligen Sebald von Peter Vischer und seinen Söhnen, und viele Gemälde von Albrecht Dürer, besonders Bildnisse, unter ihnen auch das des Rathsherrn Pirkheimer, der Gemahlin des Imhoff, und der Nonne Charitas, alle in betender Stellung und für einen Seitenaltar der Sebalduskirche bestimmt. Den englischen Gruß des Veit Stoß hatte der Kaufherr Anton Tucher gestiftet, er war 13 Fuß hoch und 11 Fuß breit, hing frei vom Gewölbe herab, und stellte Maria und den Engel dar, beide Figuren umgab ein Rosenkranz. Da mußte man denn ganz besonders das reiche Haar der gebenedeieten Jungfrau bewundern, das über die Schultern herabfiel wie ein Mantel und so weich gelockt erschien, daß man die seidenen Locken zwischen den Fingern zu fühlen meinte, und ihren Duft athmete. Zu dem Meisterwerke Vischer's wallfahrteten Alt und Jung mit hohem Entzücken und betrachteten staunend das Wunder. Geschmückt mit allerlei Bildwerken, auf schlanken, reich verzierten Säulen ruhend, von herrlichen Statuen umgeben, erhob sich über dem Sarge ein Baldachin von Erz, von 15 Fuß Höhe, 8 Fuß 7 Zoll Länge und 4 Fuß 8 Zoll Breite. Auf den vorspringenden Säulenköpfen standen die 12 Apostel, über ihnen die 12 Kirchenväter, prächtige Gestalten, außer diesen sah man, sinnig vertheilt, wohl noch an 470 größere und kleinere Figuren. Oben schloß sich das Ganze durch 45 Thürmchen und Zinnen, auf deren höchster Spitze in unbeschreiblicher Hoheit das strahlenumglänzte Jesuskind thronte. Unter dem Sarge waren vier reiche Flachbilder angebracht, aus der Kirchensage des heiligen Sebaldus; an der Schmalseite konnte man die Figur des Meisters selber schauen, wie er täglich in seiner Gießstätte umhergegangen und gearbeitet. Viel Lob erhielt auch der geschickte Mechaniker Georg Heuß, der über dem Portale der Kirche zu unserer lieben Frauen ein Uhrwerk angebracht, das jedermann ergötzte, und das man das »Männleinlaufen« nannte. Acht Figuren, die sieben Churfürsten und hinter ihnen der Tod, wandelten um die zwölfte Mittagsstunde um den Kaiser Karl IV. herum, zu welchem Schauspiel sich immer viel Volks auf dem Platze versammelte.

Albrecht Dürer hatte eben ein ganz großes Bild vollendet: eine Kreuzabnahme, als er sehr schwer erkrankte, so schwer, daß ihn manche Leute schon gestorben wähnten, und ein wunderbar geschickter Reimkünstler, der Schuster Hans Sachs, schon seine Feder spitzte zu einer rührenden Todtenklage. Als er nun doch langsam genas, redete man viel hin und her, was ihn wohl so krank gemacht. Einige sagten, daß der Tod des Italieners Rafael Sanzio ihn so tief betrübt, der dem deutschen Meister noch kurz zuvor allerlei Zeichnungen und einen liebevollen Brief gesandt durch seinen Schüler Thomas von Bologna. Andere meinten, das Hinscheiden der schönen Charitas Pirkheimer im Katharinenkloster, habe den Meister niedergeworfen, er hätte sie wohl ganz heimlich lieb gehabt, wenn er auch so viele Jahre älter als sie, die Meisten aber riefen laut, daß allein sein böses Weib die Schuld trage an seiner Krankheit. Niemand erfuhr, wer das Rechte getroffen, denn Albrecht Dürer reiste, als er kaum das Siechbett verlassen, in Begleitung seines Weibes nach den Niederlanden, wohin ihn schon längst heiße Sehnsucht zog. Frau Agnes ließ sich nicht zurückhalten: »er ist zu schwach,« sagte sie, »ich muß sein pflegen, er stirbt sonst! Wenn ich nicht mit ihm darf, so bleibt auch er daheim!« –

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In Antwerpen, im großen Rathhaussaale, war ein prachtvolles Banket hergerichtet für den fremden deutschen Maler aus Nürnberg. Es waren dazu von Brüssel, Mecheln, Gent und Brügge viele Maler zusammengekommen mit ihren Frauen, und die lange Tafel wollte fast brechen vor allerlei kostbarem Silbergeräth, und man konnte kaum das weiße Tuch erkennen, das über den Tisch hergebreitet lag, so dicht war es bestreut mit Rosenblättern. Auf niedern Sitzen mit hohen Lehnen saßen rings umher wunderholde Frauen, in Sammet und Seide gekleidet und mit reichem Geschmeide geschmückt. Die niederländischen Meister verstanden, wie die Italiener, auch gar wohl ihr Leben froh zu genießen, das zeigte die wohlbesetzte Tafel und die herrlichen Frauenbilder. – Und alle waren in ungeduldiger Erwartung den hochberühmten Fremden zu schauen, am meisten ungeduldig zeigte sich aber die Schönste von allen: das junge Weib des Lucas von Leyden, eines unansehnlichen Mannes mit klaren ernsten Augen. Die holdselige Maria blickte immer nach der Thür, spielte mit ihren feingekräuselten braunen Locken, die auf den üppigsten Hals hernieder fielen, und beugte sich dann und wann herab, um den Faltenwurf des weißen Atlasgewandes mit der Hand zierlich zu ordnen. Auf ihren Knieen lag ein gelbseidnes Kissen, worauf ein voller Lorbeerkranz und ein frischer Rosenkranz ruhte. Die Aermel ihres purpurnen Sammetüberwurfs, der mit weißem Pelz verbrämt war, fielen weit zurück, wie hätte er auch diese herrlichen Arme bedecken dürfen, die aus ihm hervorleuchteten. Der heitre Bernhard von Orlay und der feurige Thomas Polonier saßen zu ihren Füßen, sie achtete auf keinerlei Rede, immer und immer wendeten sich ihre großen braunen Augen zur Thüre hin. Und wie sie sich endlich aufthat und die hohe Gestalt Albrecht Dürer's hereinschritt in seinen langen Locken, und er mit den weichen blauen Augen staunend umherblickte und freundlich grüßte, da waren alle unwillkürlich aufgestanden von ihren Sitzen, als ob ein königlicher Herr unter sie getreten wäre, und alle staunten über seine ernste Schönheit und seine majestätische Gestalt. Niemand beachtete das hagere, finsterblickende Weib, das hinter ihm drein schritt in einem braunen langen Kleide und schwarzsammetner Haube, die in tiefer Spitze niederging auf die runzelvolle Stirn. Eine klappernde Geldtasche hing an langer Kette vom Gürtel nieder. Eben trat Maria mit hochgerötheten Wangen vor den Meister hin und verneigte sich tief, das goldgelbe Kissen hielt sie in den Händen: »Wir heißen euch willkommen, edler Meister,« sagte sie und sah ihn heiß an, »nehmet hier den wohlverdienten Kranz!« – Albrecht Dürer's Blick weilte staunend auf dem wunderschönen Weibe, ritterlich beugte er das Knie vor der herrlichen Gestalt, und Maria legte ihm den Lorbeer um die Schläfen. –

»Aber wo ist Euer lieblich Weib? – die beglückte und beglückende Gefährtin Eurer Tage?« fragte das junge Weib des Lucas von Leyden weiter, und hielt den Rosenkranz empor, »Ihr gebührt ja solcher Schmuck!«

Da trat Frau Agnes in den Kreis und sprach mit häßlich verzognem Munde: »Behaltet Euer Gewinde, ich mags nicht haben. Ich passe nicht für Eure wunderlichen Kinderspiele, daheim treiben wir nicht solche Possen. Mir behagts hier schlecht! Laßt mich heimgehen in unsere Herberge zu Jobst Plankenfeld am Thore, ich will nicht unter solchen zierlich geschmückten Frauen sitzen in meiner schlichten Haube. – Aber die Speisen mögt Ihr mir hinschicken, wo wir wohnen, auch etwas von den Weinen dazu, hört Ihr?« Und damit wandte sie sich und ging hinaus, und es war niemand, der die Hand ausstreckte sie zu halten.

Die schöne Maria aber schaute den Meister an mit zärtlichen mitleidsvollen Augen, trat ihm näher, sagte leise: » armer, armer Albrecht Dürer!« und drückte seine beiden Hände fest an ihr Herz. Da leuchtete das Antlitz Dürer's plötzlich auf: »nennt mich nicht mehr arm!« rief er, ergriff den frischen Rosenkranz und drückte ihn auf das Haupt des strahlenden Weibes.

Und sie war es, die ihm zur Seite saß während des fröhlichen Bankets, und allerlei glänzende Augen und lächelnde Lippen sah er sich gegenüber, überall schimmerte ein wundermilder rosiger Fleischton, überall sah er köstliche Nacken und Schultern, prächtige Arme und Hände. Er saß wie von süßem Traum befangen, und als endlich, in tiefer Nacht, die Trennungsstunde schlug, und Maria ihm die frischen Lippen reichte zum Kuß, als die jüngsten der Kunstgenossen ihn nach Hause geleiteten mit Fackeln und fröhlichem Gesang, da seufzte er recht aus tiefster Brust: »jetzo erst weiß ich, was leben heißt!«

Lucas van Leyden verließ aber doch am nächsten Tage schleunigst mit seinem schönen Weibe die Stadt Antwerpen.

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Hätten öfter solche Glutaugen wie die der schönen Maria das Herz des deutschen Künstlers erwärmt, seine Bilder wären wohl alles überstrahlende Meisterwerke geworden. So aber fehlt ihnen, – wer wollte es nicht gestehen, – bei aller Wahrheit des Colorits, bei aller Festigkeit der Zeichnung und der Gewandung, ein gar köstlich Ding: Jugendfrische, Farbenheiterkeit, der Strahl jenes echten warmen Herzenslebens, der uns aus den Bildern der Niederländer und Italiener so überwältigend entgegenleuchtet. – Die schöne Maria hatte Recht, als sie sagte: » armer, armer Meister!«

Der allbarmherzige Gott nahm dem Dulder gnädig die schwere Lebensbürde ab, am 8. April des Jahres 1528. Just acht Jahre nach dem Tode seines geliebten und betrauerten Rafael und seiner sanften Charitas ging Albrecht Dürer in den Himmel ein, und die heilige Jungfrau selber reichte ihm droben in strahlender Herrlichkeit die Krone der Märtyrer.


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