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Das Damastkleid.

Zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts gab es in Rom, der Wunderstadt auf sieben Hügeln, noch nicht so viele aus dem fernen Deutschland eingewanderte Maler wie heut zu Tage, wo man fast bei jedem Schritt auf einen » Tedesco« stößt mit langem blonden Barte und noch längeren Haaren. Die goldenen Locken waren noch eine vielbewunderte Seltenheit und die schönen Römerinnen fanden das sanfte Mondlicht blauer Augen viel süßer und reizender, als die brennenden Sonnenstrahlen der schwarzen. Die gebräunten dunkellockigen Italiener konnten das freilich nicht begreifen und lachten und spotteten über die deutschen Milchgesichter, sie ballten aber doch gar grimmig die Fäuste, wenn einer oder der andere es wagte, mit verliebten Blicken ihren Schönen zu nahen. Das Herz der Frauen ist ja alle Zeit ein seltsam Ding gewesen, das wußten und wissen alle Männer, und ihre Liebe ein wunderlich Räthsel. Geht nicht eine Frau oft genug achtlos an einem frischblühenden Rosenbaume vorüber, um sich eine häßliche Distelblume an die Brust zu heften? Und die männlichen Bewohner Roms fanden die deutschen blauäugigen Maler mindestens eben so häßlich wie die Disteln.

Wer freilich den Jan Mabuse, aus Hennegau gebürtig, mit solch einem Gewächs hätte vergleichen wollen, der würde deutlich kund gethan haben, daß er ein abscheulicher Griesgram oder gar ein Blinder war. Niemand konnte sich eigentlich darüber verwundern, daß alle Frauen ihn anlächelten, und daß er, nach kaum zweimonatlichem Aufenthalte in Rom, sich die heiße Liebe einer der schönsten Frauen, der viel bewunderten Francesca da Monte, erworben. Wer hätte ihm nicht mit Wohlgefallen nachgeschaut, wenn er vorüber ging? Wie keck schritt er daher, wie wehte die weiße Feder von seinem dunkelblauen Barette und die dicken Locken, die auf die stolzen Schultern niederfielen, glänzten wie eitel Gold. Und wie schön war die Gestalt in der Fülle von Kraft und Gesundheit! Das Angesicht war nicht eben fein geschnitten oder sonderlich regelmäßig, auch gar nicht weiß und roth, sondern recht bräunlich angehaucht, und ein keckes schwarzes Stutzbärtlein stand über den vollen Lippen. Diese Lippen lachten so oft und zeigten die prächtigsten Zähne, und die Augen lachten immer. Diese Augen waren es wohl ganz besonders, die den Frauen so den Sinn ganz gefangen nahmen; wenn Jan Mabuse – oder Maboggio, wie man ihn in Italien nannte, – ein Weib so recht herzinnig anschaute, da widerstand ihm wohl keine. Es war, als ob er sich ein Stücklein von dem dunkelblauen Himmel herabgeholt, der über der ewigen Stadt hing, so leuchtete die Farbe seiner Augen, und in ihrem feuchten Glanze und wunderbaren Aufschlage stand gar deutlich jenes magische Zeichen, das der liebe Gott selbst jeder ächten Künstlerseele mit auf den Weg giebt, damit sie allezeit zu erkennen sei unter den andern Menschenkindern. Wenn Jan Mabuse aufblickte, da vergaß jeder nur allzuschnell, daß er eigentlich der tollste aller Burschen sei, dessen Lieblingsplatz die Bank vor der Osteria, und der lieber hübschen Frauen nachlief, als bei seiner Staffelei saß. Bei alledem war er aber so über die Maßen gutherzig, daß er das Kleid vom Leibe verschenkte und die Schuhe von den Füßen, wenn ein Armer ihn ansprach, und ein bleiches betrübtes Gesicht konnte ihn gleich zu Thränen bringen. Seit die reizende Francesca da Monte, das einzige Töchterlein eines reichen Nobile, ihm ihr Herz geschenkt, war er vollends wild und unbändig geworden; es schien, als sei die Welt zu eng für seine volle liebeselige Brust. Die halben Nächte verbrachte er mit seiner Laute unter den Fenstern der Schönen, und seinem meisterlichen Spiele und Gesange lauschte die ganze Nachbarschaft mit Entzücken. Dann ging er aber in die nächstgelegene Osteria, um beim vollen Weinkruge den Zauber und die Anmuth seiner Vielgeliebten laut zu preisen. Und doch saß er auch wieder nach durchschwärmten Nächten und tollen Tagen wochenlang still und fleißig vor seiner Staffelei und verschloß seine Thüre vor jedermann, nur vor der schönen Francesca nicht, die so manches Mal, als zierlicher Page verkleidet, zu ihm schlüpfte.

Jan Mabuse malte mit großer Schnelligkeit. Sein Pinsel hatte aus der Schule der van Eyks die Ruhe und Kraft der niederländischen Meister; das Schauen der Werke eines Michel Angelo und Leonardo da Vinci, der glühende Himmel des Südens, auch wohl das eigene flammende Herz des Malers hatten ihm aber eine Wärme verliehen, die jene der Niederländer bei weitem übertraf. Auch in der Schönheit der Linien, in der Idealität der Charaktere nahm Jan Mabuse sich die Italiener zum Muster, und die allegorische Art ihrer Darstellung riß ihn hin zur Nachahmung. Sein Auge, das an die strenge Keuschheit der niederländischen Vorbilder gewöhnt war, erschrak anfangs vor der Ueppigkeit der unverhüllten Schönheit; nur zu bald aber fand er lebhaftes Gefallen daran und versuchte sich gleichfalls in dieser Weise. Eine wundervolle Danaë, wie sie den goldenen Regen empfängt, war sein erstes Bild, in aller Glut erster Begeisterung gemalt; es erregte selbst in Rom Bewunderung. Man rühmte den köstlichen Fleischton und das über alle Beschreibung reizende Köpfchen, das freilich nur ein getreues Abbild der wunderschönen Francesca war. Der stolze Vater der Schönen hörte von diesem Bilde seiner Tochter und – von ihrer Liebe, und war mächtig genug zu bewirken, daß man dem allzukühnen Maboggio die Weisung gab, Rom zu verlassen.

Es flossen viele brennende Thränen aus strahlenden Augen, als an einem schönen Morgen der kecke, helläugige » Tedesco« zum Thore hinauszog auf seinem kleinen braunen Pferde, und bald unter diesem, bald unter jenem Fenster still hielt, um einen lächelnden Gruß hinauf zu werfen, auch wohl noch ein Wörtchen zu plaudern. Unter dem Balkone der lieblichen Francesca riß freilich ein Riemen an dem Sattelzeuge, und Jan Mabuse mußte gar absitzen und hatte lange Zeit an dem Lederwerke zu schaffen, und das war ihm sicher sehr lästig, denn er machte ein gar grimmiges Gesicht dazu. Als er just wieder das Bein erhob, um aufzusteigen, da fiel ein Strauß von Orangenblumen, mit feuerfarbnen Bändern zusammengebunden, vor ihm nieder; die Hand, die ihn herabwarf, konnte er nicht sehen. Drinnen im Strauße aber fand er einen Zettel und las darauf die Worten »Erwartet mich in der ersten Herberge vor dem Thore.«

Da zog er weiter, das Herz war ihm aber doch schwer trotz der lockenden Bitte, er wußte Francesca kam, um Abschied zu nehmen, und Abschied war das traurigste Ding von der Welt. Als er zurückschaute auf die Riesenstadt, die er eben verlassen, da war er gar nicht der lustige Mabuse mehr. Er dachte daran, wie oft er an dem schönen Halse der Geliebten gehangen, wie oft er sich aus ihren dunkeln heißen Augen Begeisterung geholt! Das war nun alles vorüber für immer und wie er in der schlechten Osteria saß, allwo er sein Mädchen erwarten wollte, da stützte er die beiden Arme auf den Tisch, starrte vor sich hin und ließ – und das eben war das größte Wunder – den gefüllten Weinkrug unberührt, der vor ihm stand. Er wandte sich auch nicht, als jetzt die niedere Thür sich öffnete und sah also auch den zierlichen Pagen nicht, der eben hereintrat. Und der verdiente doch angeschaut zu werden, denn er war wirklich ganz besonders hübsch. Um die Gestalt schlug sich ein weiter brauner Mantel, dickes schwarzes Haar quoll unter einem braunen Sammethütlein hervor und eine schwarze Feder bog sich an den blühenden Wangen vorbei bis auf die Schultern herab. Das Gesicht war erhitzt, in den großen schwarzen Augen standen Thränen, aber die frischen Lippen lachten. Mit raschem Sprunge war er hinter dem Sitze des Malers, legte beide Arme um seinen Nacken und zog sein Haupt rückwärts. Mabuse hob die Augen auf, fuhr in die Höhe und riß den Pagen an sein Herz. »Francesca!« rief er immer und immer wieder, und küßte sie zu tausend Malen auf den Mund. – Dann aber ließ er sie los, sah sie schmerzlich an und seufzte: »Warum macht Ihr mir den Abschied so schwer? Wie grausam Ihr doch seid!« – »Kein Abschied, Maboggio,« antwortete sie mit strahlendem Lächeln. »Ich kann nicht mehr sein ohne Euch, mein Vater weiß es und will lieber sein Kind als das Weib eines armen Malers, als in der Erde sehen. Er verlangt nach seinem Sohne und ein Bote sollte Euch dies Verlangen kund und zu wissen thun und – der Bote bin ich! O kommt nur mit, Liebster!«

Das junge Weib blickte bebend in das ernst gewordene Angesicht ihres Geliebten. Da zog er sie auf seine Knie, legte den Arm um ihren schlanken Leib und sagte ganz langsam und schwermüthig: »Ich soll heimkehren mit Euch, um Euer Gatte zu werden? Francesca, was soll ich denn mit einer Frau anfangen? Eine Geliebte kann Jan Maboggio allezeit brauchen, das wißt Ihr am besten, aber eine wirkliche, ordentliche Frau? – Müßte es mir nicht immerdar zu Muthe sein, als stünde jemand hinter mir, der unablässig riefe: male rasch, sei fleißig, Du mußt Geld verdienen, mußt mich versorgen, da Du mein priesterlich Angetrauter bist! Auch möchte ich kein reicher Mann werden durch mein Weib, der Reichthum würde meinen Arm lähmen, ich könnte nichts Großes, nichts Rechtes schaffen. Ich muß nothwendig der arme Jan bleiben, der lustig lebt, so lange er Geld hat, der die Frauen liebt, so lange sie schön sind, und der malt, wenn ihn das Herz dazu treibt. Seht mich nur einmal an, Francesca, sehe ich wohl aus, als ob ein ordentlicher Ehemann werden könnte aus mir? Kind, ich muß Euch einen bessern wünschen, ich muß Euch bitten, versuchts nicht mit mir, und da ich Euch nimmermehr sagen darf: bleibt bei mir als meine Geliebte, so lange Ihr bei mir leben mögt, so möchte ich Euch mit schwerem Herzen den Rath geben: geht heim zu Eurem Vater und – vergeßt den tollen Jan!«

Francesca da Monte war aufgestanden, sie kämpfte schwer, wilder Schmerz zuckte um ihren Mund, die Hände preßten sich krampfhaft gegeneinander, ihr Busen wogte, ein ersticktes Schluchzen drang über ihre Lippen, halb wie Weinen. Plötzlich aber wandte sie sich gegen den vielgeliebten Mann, fiel ihm wie gebrochen an die Brust, umfaßte ihn fest mit beiden Armen: »Ich gehe nicht wieder heim! Nehmt mich nur mit, ohne Euch mag ich nicht mehr leben, nehmt mich mit – nach Deutschland – als Eure Geliebte!«

Eine Stunde später waren beide auf dem Wege – nach Rom, zum Vater Francesca's; Jan Mabuse wollte nicht weniger großmüthig sein, als ein Weib.

Die schöne zärtliche Francesca starb zum Glück noch ehe sie eingesehen, daß es wohl unmöglich war, mit solchem »Marito« fertig zu werden, und zeitig genug, um noch von ihm betrauert, tief und herzinnig betrauert zu werden. Als sie ihre glänzenden Augen geschlossen, riß er sich gewaltsam aus der trägen Ruhe, in die ihn ihre Liebe und ihr Reichthum versenkt, und alle seine Kräfte erwachten plötzlich zu neuer frischer Thätigkeit. Es trieb ihn fort in die Heimat, und sein stolzer Schwiegervater sagte kein Wort ihn zurückzuhalten. Nur sträubte er sich sein Enkelkind dem Vater mitzugeben, und ohne sein Töchterlein, das ihm Francesca geboren, wollte Jan Mabuse nicht von dannen ziehen. Sie stritten sich hin und her eine lange Zeit, endlich verlor der deutsche Maler die Geduld, raubte sich sein eigenes Kind und entfloh mit der süßen Beute, glücklich wie ein Vogel, der dem Käfig entwischt.

Middelburg in Flandern war es, wo Jan Mabuse sich niederließ, nach einem kurzen Aufenthalte in Utrecht. Er lebte fortan nur für sein Kind. Aber er nahm keine Wärterin für die kleine Laura, er hegte und pflegte sie selbst und der sonst so ruhelose Mann verkehrte mit dem kaum zwölfmonatlichen hilflosen Wesen wunderbar sanft und geschickt wie eine Mutter. Es finden sich zu allen Zeiten solche rührende Beispiele der Vaterliebe, die sich müht einem verwaisten Kinde die todte ungekannte Mutter zu ersetzen, und so, voll tiefen innigen Mitleids, dem armen Wesen, dem der liebe Gott das Süßeste versagte, das auf Erden zu genießen, das Lächeln und die Zärtlichkeit einer Mutter, doppelte Liebe giebt. Wohl den mutterlosen Kindern, auf deren Weg solch mildes Mondlicht fällt; sie werden sich nimmer schmerzlich sehnen nach jenem Sonnenschein, den einzig und allein Mutteraugen zu geben vermögen!

Jan Mabuse duldete kaum, daß die Magd, die sein kleines Haus besorgte, sein Töchterlein wusch und ankleidete; alle Nahrung reichte er ihr selbst, und wenn er malte, stand der Korb mit dem lachenden zappelnden Geschöpfchen in seinem Atelier. Er half ihr bei den possirlichen Versuchen die Füßchen zum Gehen zu gebrauchen, das gab denn ein wunderbar farbenfrisches lebendiges Bild. Der stattliche Mann mit dem gebräunten Angesicht, der prächtigen Stirn und den hellen schönen Augen zitterte vor Angst beim Festhalten des beweglichen kleinen Kinderkörpers, und die Locken fielen ihm beim Bücken schwer über die heißen Wangen. Das rosige Kind hatte davon freilich keine Ahnung, es jauchzte vor Lust, wenn es ihm gelang den väterlichen Händen zu entwischen. Hob Jan Mabuse die liebe leichte Last endlich vom Boden auf, sie in den Armen haltend, so gelobte er sich und dem verstorbenen Weibe wohl tausend Mal, dem Kinde ein sanftes Leben zu bereiten, damit es ihn dereinst nicht anklage, daß er es der Ueppigkeit des großväterlichen Hauses entrissen. Er fing an zu arbeiten, um seiner Tochter willen, blieb fein zu Hause wie ein ordentlicher Mann, und kam er auf dem Wege nach der Messe oder auf einem Spaziergange einmal an einer Schenke vorüber, so wendete er immer ganz standhaft den Kopf weg und rannte vorbei, als ob's ihm unter den Sohlen brenne. Als er seine aus Italien mitgebrachten Bilder ausstellte, da lief ganz Middelburg zusammen und staunte. Lauter nackte Gestalten waren darauf zu sehen, und das hatte in dieser Weise doch noch keiner vor ihm gewagt. Anfangs wußten die Männer und Frauen nicht, was sie dazu für Gesichter machen sollten, und manche zogen die Mäulchen ein wenig schief; den meisten aber gefiel es doch, und als das erst einer einmal laut sagte, da stimmten alle die andern, wie das immer so geht, bei. Und nun fand man auf einmal die steifen Gewänder abscheulich, die man bisher immer auf den Gemälden zu sehen gewohnt war, und meinte dergleichen Falten zu conterfeien sei doch wahrlich keine Kunst, das warme lebendige Fleisch zu malen sei das einzig Kunstvolle und Nachahmungswerthe. Maler kamen von allen Seiten herbei, sogar von Brüssel und Antwerpen, beguckten die Bilder des Jan Mabuse von oben bis unten, sagten nicht viel, gingen aber hin und thaten desselbigen gleichen. Seit dieser Zeit verloren alle die Männer- und Frauengestalten in den Bildern ihre langen schleppenden Kleider und Mäntel, und schlechte wie gute Pinsel versuchten sich an den warmen Fleischtönen des Jan Mabuse.

Der aber lebte ruhig weiter, malte fleißig und erfreute sich seines Töchterleins, das denn unter seinen Augen lieblich und holdselig heranwuchs. Er hatte ihr ein Gemach herrichten lassen wie einer Prinzessin, und sie speiste von silbernen Schüsseln. Unter Menschen brachte er aber das Mägdlein gar nicht, führte ihr auch keine Gespielen zu, er selbst wollte ihr alles sein, und sie begehrte es auch nicht anders. War der Vater bei ihr nicht immer so fröhlich, trieb er nicht tausend Possen, erzählte er nicht die schönsten Geschichten, unterwies er sie nicht in der anmuthigen Kunst des Lautenspiels, durfte sie nicht zuschauen, wie er malte?

In dieser süßen Zeit entstand in dem Atelier des Mabuse eine Madonna von so wunderbarer Schönheit, von so hinreißender Farbenpracht, daß man die Schöpfung eines Michel Angelo oder Leonardo da Vinci vor sich zu sehen glaubte: sie erinnerte an die herrlichsten Blüten der italienischen Kunst. Auch den Erzengel Michael, den Überwinder Lucifers, malte er in so prächtig goldner Rüstung, daß die Leute, die vor das Bild traten, unwillkürlich die Hand vor die Augen legten, wie man wohl zu thun pflegt, wenn die Sonnenstrahlen allzu hell blitzen. Später stand ein verklärt blickender Christus auf seiner Staffelei. Er wußte selbst nicht wie er in die Heiligenbilder gerathen, es war ihm aber, im Gedanken an sein reines unschuldiges Kind, als könne er jene üppigen Gestalten nicht mehr malen, die er in Rom geschaffen.

Die kleine Laura sah auch gern Falten und Gewänder; sie liebte helle Farben und schmückte sich gern. Als Kind flocht sie sich immer bunte Bänder ins Haar, oder Perlen, und der Vater sorgte, daß sie deren immer genug hatte. Als sie aber heranwuchs, brachte er ihr reiche Stoffe und nahm eine geschickte Frau ins Haus, die mußte sein Kind lehren die kostbaren Seidenzeuge zu verschneiden und dem schönen Körper anzupassen. Er kannte keine höhere Lust, als sie so vor sich stehen zu sehen in schwerem faltigen Atlaskleide, das bis auf den Boden niederfloß, die zierlichen Füße bedeckend und den jungen Nacken und die köstlichsten Schultern der Welt, leuchtender als der Atlas. Und wie sie dann immer halb stolz, halb schalkhaft den Kopf hinwandte zu ihm und wie ihr reizendes Angesicht strahlte und lachte, das zwischen den dunklen Flechten lag wie eine Rose auf schwarzem Sammet, man konnte nichts Lieblicheres sehen! – Alle Leute wußten auch, daß die Tochter des Jan Mabuse ein ganz besonders schönes Frauenbild sei, denn wenn sie verschleiert neben ihm zur Messe ging, glühten und blitzten Wangen und Augen durch den Schleier hindurch und die Gestalt war prächtiger als alle Frauengestalten in der ganzen Stadt, und Middelburg war eben nicht arm an herrlichen Gestalten.

Laura hielt ihren Vater für den reichsten Mann der Welt, und Jan Mabuse sorgte mit Aengstlichkeit, daß sie erhalten werde in diesem Glauben. Mittlerweile schlug er sich tapfer mit seinen Gläubigern herum, mußte auch dann und wann einmal ins Schuldgefängniß wandern, was er denn stets mit dem größten Anstande that, feierlichen Abschied nahm von seinem Kinde und ihr erzählte, daß er eine nothwendige »Kunstreise« zu machen genöthigt sei. Das schöne Mägdlein weinte manche Thränen über diese abscheulichen Reisen. – Die Zeiten wurden aber immer bedrängter, denn die reizende Laura brauchte immer mehr und Jan Mabuse mußte allerlei wunderliche Dinge treiben, um sich nur Geld zu schaffen; der Verkauf seiner Bilder reichte längst nicht mehr aus; er häufte Schulden auf Schulden. Um sich vor den wüthendsten Verfolgern zu retten, trat er als Maler in den Dienst eines gar vornehmen reichen Herrn, der seinen eigenen Hofstaat hatte; es gab damals viele derartige Große, die wie Könige lebten. Der Marquis de Vere hatte einen kostbaren Palast in Brüssel und einen kaum minder schönen in Middelburg, hielt sich einen Dichter, und nahm nun auch einen Maler in sein Gefolge auf und lohnte ihnen reichlich; freilich mußten sie ihm dafür auch allezeit zu Willen sein. Jan Mabuse brauchte zwar nicht unter einem Dache zu wohnen mit seinem Gebieter, mußte aber an seiner Tafel speisen und für ihn malen, wie und wann er es begehrte. Knirschte er darüber auch wohl einmal mit den Zähnen und ballte die Fäuste, so war ein einziger Gedanke an sein Kind genügend, ihn wieder sanft und willig zu machen. Wie flog sie ihm so selig an die Brust, wenn er heim kam und von der großen »Malerschule« sprach, die, er »eingerichtet« und die ihm so viele Zeit nehme, wie plauderte sie so süß und sah ihn so warm dazu an mit den Augen der todten Mutter! Für solchen Lohn meinte er Leichenbestatter oder Fährknecht werden zu können, wenn's nur Geld einbrächte.

Da kam er denn einmal eines Abends nach Hause und ein Diener trug ein Bündel hinter ihm her, das die Magd in das Gemach seines Töchterleins schaffen mußte. »Was bringt Ihr da?« fragte Laura voll Neubegier. »Weißen Seidendamast zu einem Gewande für mich. Der Kaiser kommt nach Middelburg und da soll ich ihn mit empfangen helfen.« Das war theilweise ganz wahr: der Kaiser Karl V. wollte wirklich auf seiner Reise nach Middelburg kommen, aber der Marquis de Vere sollte ihn in seinem Palast empfangen und hatte nun zur Feier dieses großen Tages für sein ganzes Gefolge neue prächtige Gewänder bestellt, dem Hofmaler und dem Hofdichter aber weißen Damast geschenkt mit der Weisung, den Stoff sich schleunigst und zierlichst anfertigen zu lassen. Wie nun Jan Mabuse den Damast auseinanderrollte, da jubelte sein schönes Kind laut, kniete neben den herabfallenden schweren Falten nieder, griff mit den weißen Händen in die Seide, zog sie an sich heran, wickelte sich hinein, und rief endlich mit glühenden Wangen: »o Vater bitte, bitte, schenkt mir dies Prachtkleid, so etwas sah ich noch nie in meinem Leben! Ihr seid ja so reich, kauft Euch ein anderes Gewand!« – Und wie sie so vor ihm lag und der weiße Damast hinfiel an ihrem schlanken Leibe und die schwarzen Flechten ihres Haares losgelöst darüber hinrollten, da sah sie aus wie eine Königin, – und wer dürfte wohl einer Königin eine Bitte abschlagen? – Und dann kämpfte Jan Mabuse einen kurzen, aber schweren Kampf, der mit dem Gedanken anfing, daß kein Gulden mehr zu finden sei in seiner Tasche, und auch noch lange keiner zu erwarten; er schob aber doch seinem Kinde die Seide zu und sagte hastig: »Nimm's nur, mein Liebling, ich will mich nach einem andern Kleide umschauen!«

 

Wenige Wochen nachher zog der Kaiser in der That eilt, und der stolze Marquis empfing ihn in seinem prächtig geschmückten Hause. Der hohe Herr war sehr gnädiger Laune, lobte die verschwenderische Verzierung der Gemächer und gestattete mit huldvollem Lächeln, daß der ganze Hofhalt des reichen Mannes ihm vorgeführt werde. Das war nun in der That ein glänzender Zug, über den sich sogar die kaiserliche Majestät insgeheim verwunderte. Die neuen Kleider der Leute starrten von goldnen Stickereien. Und in all dieser bunten Pracht, wie einfach und kostbar zugleich erschienen der Maler und der Dichter in ihren schleppenden weißen Damastgewändern. Als nun die beiden in gemessener Entfernung vor dem Kaiser sich ehrerbietig verneigten, da sagte dieser halblaut in scherzhaftem Tone zu dem Marquis: »Aber warum seid Ihr gegen den Maler da freigebiger gewesen, mein freundlicher Wirth, als gegen den Dichter? hat der Euch etwa nicht genugsam gepriesen in seinen Gesängen? Sein Damastkleid ist nicht halb so schön, wie das seines Nachbarn! Wo habt Ihr nur den herrlichen Stoff verschrieben, den der Maler trägt?«

Der Marquis winkte den beiden näher zu treten und antwortete etwas verwirrt: »Mein hoher Herr, ich gab beiden von demselben Stoffe und weiß mir selber nicht zu erklären, woher der Maler dies Prachtgewand genommen, insbesondere da es ihm immer an Geld fehlt!«

Indem waren die beiden dicht vor den Baldachin getreten, unter welchem der Kaiser saß, und je näher sie kamen, je mehr staunte der hohe Herr über die Schönheit des Seidenzeuges, so wie über die seltene geschmackvolle Zeichnung der Blumen, Blätter und Ranken, die den Atlasglanz des Grundes so herrlich hoben. Bewundernd streckte er die Hand aus, die Schwere des Stoffes zu prüfen, fuhr zurück, prüfte noch einmal, begegnete einem schalkhaften Blick des Jan Mabuse, und brach dann in ein unmäßiges Lachen aus. Der Kaiser krümmte sich ordentlich wie ein Wurm, hielt sich den Bauch, und die hellen Thränen liefen ihm die Backen hinunter. Sprechen konnte er gar nicht vor Lachen, aber er wies immer auf den Maler und schüttelte sich dann noch ärger als zuvor. Der Marquis starrte entsetzt von einem zum andern, meinte nicht anders, als daß sein hoher Herr plötzlich verrückt geworden sei und malte sich schon alle die schlimmen Folgen aus, die ein solches Ereigniß für sein Haus haben könnte. Die Hofleute aber drängten sich um den Maler, beguckten und berührten ihn wie ihr hoher Herr es gethan und – einer nach dem andern wurde von der nämlichen tollen Lachlust ergriffen und geberdete sich als wollte er ersticken: der Saal war erfüllt von Prusten, Kichern und Schnauben, und den ganzen Lärm übertönte noch immer das herzhafte Lachen des Kaisers.

Da wollte der geängstigte Marquis schier verzweifeln; in heftigem Zorne wandte er sich zu dem regungslos dastehenden Jan Mabuse, den er ja für einen heimlichen Zauberkünstler halten mußte, und gebot ihm den Saal und seinen Dienst sogleich zu verlassen. Es erhob sich aber der Kaiser bei diesen Worten, wischte die Lachthränen ab und rief: »Nein, der da muß bleiben! Marquis, diese Perle dürft Ihr nicht von Euch schleudern. Ihm danke ich die lustigste Stunde meines Lebens. Aber Ihr müßt ihm noch eine neue Würde geben, ernennt ihn zu Eurem Hofschneider, laßt von ihm fortan die Kleider für Euer Gefolge fertigen und Ihr werdet staunen, wie viel er Euch erspart!« Nach diesen Worten beugte er sich herab zu Jan Mabuse, riß ihm einen Aermel ab und reichte ihn dem Marquis. Der Aermel aber war, wie das ganze Gewand, wunderbar künstlich bemaltes weißes – Papier. Der Marquis de Vere hätte nun selbst am liebsten recht herzlich gelacht, aber er begehrte doch zu wissen, wohin nun eigentlich sein theurer weißer Damast gekommen; auch grollte er dem Mabuse noch wegen der Angst, die er ausgestanden; er fragte ihn daher strengen Tones: »Bekennt die Wahrheit, wohin habt Ihr meinen weißen Seidenstoff getragen, dann soll Euch meine Verzeihung gewiß sein!«

Da bat der Maler um ein halbes Stündlein Verzug, eilte hinweg und kam bald darauf zurück, ein verschleiertes, in weißen Damast gekleidetes Weib an der Hand führend. Als er sie vor den Kaiser und vor seinen Gebieter hinstellte, ihr den Schleier abnahm und einfach sagte: »Sie ist mein einzig Kind, sie bat mich um das Kleid!« und das wunderschöne Mägdlein halb erschreckt, halb lächelnd aufschaute, da sagten sich alle, daß sie es eben so gemacht an Jan Mabusens Stelle. Mancher der jungen Edelleute meinte sogar, er hätte noch mehr thun mögen: Leben und Seligkeit dahingeben, wann sie bäte.

 

Die Strafe für solchen Raub blieb aber nicht aus; nur erschien sie in anderer Gestalt als Jan Mabuse sie erwartet, ne traf aber den allzu zärtlichen Vater schwer. Das Erscheinen seines schönen Kindes hatte die natürliche Folge, daß des Malers Haus nicht mehr leer wurde von allerlei männlichen Besuchern, die sich alle malen lassen wollten. Sein Töchterlein hatte ihre kindliche Freude an all' den artigen Cavalieren, die nach jeder Sitzung um die Erlaubniß baten, ihr die Hand küssen zu dürfen, und nach kurzer Frist folgte sie gar einem der schönsten und reichsten unter ihnen nach Brüssel als liebreizende Hausfrau.

Als sie sich aus den Armen ihres bitter-traurigen Vaters losgerissen und der harte Abschied vorüber war, trocknete Jan Mabuse seine Thränen und sagte: »Nun bleibt mir nichts mehr übrig, als für den Rest meines Lebens der tolle Maboggio zu werden, der ich in Rom gewesen bin. – Wir wollen versuchen, ob's noch geht!«

Es ging leider noch allzu gut. Jan Mabuse begann ein tolles Leben. Er sagte seinem ehemaligen Gebieter Valet und fing an hin und her zu reisen, malte hier und dort, erschien immer in den reichsten Gewändern und machte allenthalben viel von sich reden. Seine Bildnisse, wie überhaupt alle Werke seines Pinsels, wurden gut bezahlt, unter ihnen leuchtete vorzüglich das Portrait des Marquis de Vere und seiner Gemahlin hervor, das mit einer Sauberkeit und Zartheit gearbeitet worden war, die ihresgleichen nicht fand. Auch nach England ließ er sich treiben von seiner Ruhelosigkeit, und hätte da ein reicher Mann werden können, wenn er nur ein leidlicher Haushalter gewesen, denn für seine Bilder gaben die Großen des Landes hohe Summen. Er malte dort eine Anbetung der Könige, ein reiches Bild mit dreißig und mehr Figuren, etwa 6 Fuß hoch und 5 Fuß breit. Es war ein sehr bewunderungswürdiges Werk. Die Verhältnisse der Gestalten waren schlank und edel, das Fleisch von warmem und gelblichem Ton, die Ausführung von höchster Strenge und Gediegenheit, die Zusammenstellung der Farben äußerst harmonisch. Wer dies Prachtbild sah, mußte wohl den Maler für einen gar frommen ernsten Mann halten, – und wie unzählige Mal hatte Jan Mabuse während des Malens den Pinsel weggeworfen, um in die Schenke zu stürmen und da zu zechen, bis ihm fast die Besinnung geschwunden!

Arm und krank kehrte er endlich voll Sehnsucht nach seinem bessern Selbst, nach seiner Tochter gen Brüssel zurück, um – in ihren Armen, an ihrer Brust zu sterben.

»Tragt mich nicht in eine dumpfe Kirche, begrabt mich in Eurem heitern Garten,« sagte er lächelnd in seiner Todesstunde zu den Seinen, »und zieht mir im Sarge mein papiernes Kleid an. Ihr habt es ja aufbewahrt! Ich will's bei der Auferstehung tragen.«

Und sie legten ihn in die kühle Erde unter einen Baum, aber weder von dem heitern Garten der schönen Edelfrau noch von dem Grabe des Malers ist heute noch eine Spur zu finden, nur seine lebensvollen Bilder und die lustige Geschichte vom papiernen Kleide sind übrig geblieben von dem milden Jan Mabuse.


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