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Der Bildernarr.

O, sähst Du, lieber Mondenschein,
Zum letzten Mal auf meine Pein!

 


Es war eine ganz ausgezeichnete Sammlung alter Bilder der westfälischen Malerschule, die der liebenswürdige R. in W. uns so bereitwillig zeigte. Mit hohem Genuß durchwanderten wir, von ihm geleitet, die Säle seines einfachen Landhauses, wo die Gemälde mit bewunderungswürdigster Sorgfalt aufgestellt waren. Keines hatte über Vernachlässigung zu klagen, jedes Bild empfing vermittelst verschiedenartiger, bald runder, bald eckiger, bald hoch, bald niedrig angebrachter Fenster gerade soviel Licht, als nöthig war, um seine vorzügliche Schönheit hervortreten zu lassen. Die Fenster waren alle äußerst vorsichtig verhangen; der Besitzer der kleinen Gallerie ließ selbst für jedes Gemälde, das eben besichtigt wurde, die nöthigen Lichtstrahlen ein, indem er hier und da an langen dunkelgrünen Schnüren zog, die an den Wänden niederhingen. Da trat denn plötzlich eine einzelne Gruppe wunderbar harmonisch zu Tage, deren Reiz dem Auge vielleicht verborgen geblieben im Gewirr vieler Nebenfiguren und unschönen Beiwerks, oder ein besonders kräftig gemalter Kopf tauchte auf, auch bisweilen nur eine in den Fleischtinten frappirend lebenswahre Hand, ein tadelloses Bein, eine graziöse weiche Gewandung. Wir konnten nicht aufhören zu bewundern und uns zu freuen. Wie ein glücklicher Vater, der seine Freunde in das Schlafzimmer seiner Kinder führt, so wanderte der alte Herr zwischen seinen stillen, auch gleichsam schlummernden Lieblingen umher, jedem einen Blick voll Zärtlichkeit schenkend, leise gehend, leise redend, als fürchte er irgend einen zu wecken, aber mit strahlenden Augen und stolz erhobener Stirn.

Der schöne freundliche Mann stand einsam im Leben, – so hatte man uns erzählt, – war nie verheirathet gewesen und hatte keine Verwandten, ja kaum einige Freunde am Orte. Die Menschen, die so schnell bereit sind über jede Erscheinung, an die sich nicht der Allerweltsmaßstab legen läßt, eine Art von Bann zu verhängen, hatten dies auch dem alten Herrn gegenüber gethan durch die Bezeichnung »Bildernarr«. Unter diesem Namen wurde er allen Fremden zuerst bekannt. Die Leute in der kleinen Stadt mieden ihn einzig aus dem Grunde, weil er anders war oder vielmehr anders lebte als sie; denn mehr als sein äußeres Sein kannte ja niemand, obgleich er sich schon vor fünfzehn Jahren in W. angekauft und niedergelassen. Umgang schien für ihn kein Bedürfniß zu sein; seine Bilder waren ihm Lebensfreude und Lebenszweck zugleich und ersetzten ihm also Welt und Menschen.

Nach langem Hin- und Wiedergehen zwischen alle den verschiedenen interessanten Heiligengestalten, Märtyrern, Pharisäern, Sündern, auch schönen Sünderinnen von meistens ungekannten Meistern des dreizehnten bis sechzehnten Jahrhunderts, traten wir in ein Cabinet, dessen Wände mit der sogenannten Caput-mortuum-Farbe bedeckt und mit feinen Goldleisten eingefaßt waren, und das sein Licht nur von oben empfing. Dieser Raum enthielt blos zwei Bilder. Rechts, an der langen Seitenwand hing ein großes Gemälde, Scenen aus dem Leben der heiligen Helena und die Auffindung des Kreuzes darstellend. Dem Eingang gegenüber, übergossen von Lichtströmen, erblickten wir eine himmlisch-schöne Madonna mit dem Kinde, das mit Seifenblasen spielt. Vor diesem zauberischen Bilde war eine Art Altar errichtet, auf welchem eine kostbare antike Vase mit frischen Blumen stand. Das unbeschreiblich süße, jungfräulich demüthige und doch erhabene Angesicht der Mater amata, die prachtvolle Fülle des sanft niederrieselnden braunen Haares, der strenge züchtige Faltenwurf des rothen Gewandes, und die wahrhaft strahlende Anmuth des göttlichen Kindes fesselten uns mit unsagbarer Gewalt, und wie es mir immer geschieht, wenn etwas wirklich Schönes plötzlich mir in den Weg tritt und vor mir aufgeht, so füllten sich auch diesmal meine Augen mit Thränen. Da schob ein Diener, der auf einen Wink unseres Führers irgendwo auftauchte, – ich hatte ihn wenigstens vorher nicht bemerkt, – einige Sessel herbei; wir ließen uns der Madonna gegenüber nieder, und Herr R. sagte zu mir mit weicher Stimme und anmuthigem Lächeln:

»Da Sie meinen Liebling mit so warmen Augen anschauen, so sollen Sie auch seine Geschichte erfahren. Für diese Maria des hochberühmten alten Münster'schen Meisters Ludgero Tomring habe ich einen seltsamen Preis gezahlt, und die Krieger der heiligen Helena dort,« – hier wies er auf das große Seitengemälde – »gingen mit in den wunderlichen Kauf. Hören Sie nur!

»Schon als junger Assessor fing ich an, alte Bilder zu sammeln. Ich weiß nicht, woher diese Leidenschaft in meine Seele kam; von Vater und Mutter sicher nicht, denn in meinem Elternhause gab es nur ein einziges Bild: das Porträt des alten Fritz, und das war schief eingerahmt und hing hinter dem Ofen. Eine wunderliche Empfindung kam immer über mich den alten Meisterwerken der Malerei gegenüber; es war mir, als sei ich bekannter in dieser ernsten Welt als in der heutigen, als sei ich eigentlich dort zu Hause. Ich verstand jeden Pinselstrich, die verworrensten Gruppen lösten sich vor meinen Augen, der Gedanke, die Idee dessen, der das Bild geschaffen, trat im Nu klar vor meine Seele, während mir für die neuern Erzeugnisse unserer Malerkunst seltsamerweise jedes Verständniß und aller Geschmack fehlte. Die Farben blendeten, die Compositionen verwirrten mich nur. – Wenn man behauptet, daß jedes menschliche Wesen eine gewisse Zahl von Jahren von einem Körper in den andern wandere, und in jede neue Gestalt die dunkle melancholische Erinnerung an sein erstes, liebstes Kleid hineintrage, so habe ich alle Ursache zu vermuthen, daß ich mich einstmals als Farbenreiber in dem Atelier irgend eines alten Meisters herumgetrieben; der befleckte Kittel war wohl meine erste Umhüllung.

»Meine Verhältnisse erlaubten mir zum Glück die Befriedigung meiner kostbaren Liebhaberei; ich war früh verwaist und Besitzer eines ziemlich bedeutenden Vermögens. Als geborner Westfale hatte ich eine natürliche Vorliebe für die gemalten Schätze meines Vaterlandes. Mein Beruf fesselte mich damals an die kleine Stadt P., doch dies verhinderte mich nicht, oft nach Münster zu reisen, um dort »Nachgrabungen« zu halten, wie ich es nannte.

»Münster, diese alte wunderliche Festung ohne Forts, Festungsmauern und Besatzung, diese abgeschlossene unzugängliche Stadt, war zu jener Zeit, im Jahre 18.., noch immer eine wahre Fundgrube der werthvollsten Antiquitäten aller Art. Die zahlreichen Mönchs- und Nonnenklöster waren überfüllt gewesen von Kostbarkeiten. Nicht nur Altarbilder und weltliche Gemälde großer deutscher Meister hatte man dort entdeckt, sondern auch Miniaturen von seltenster Schönheit, kunstvolle Gold- und Silbergeräthe und die prächtigsten Schnitzwerke. Nach Aufhebung dieser Klöster durch den »Mann mit dem kleinen Hütchen« waren eben diese unbezahlbaren Herrlichkeiten in alle Welt verstreut worden, vieles kam ins Ausland, die anbetungswürdigsten Dinge aber geriethen auch hier und da um einen Spottpreis in die derben Fäuste irgend eines westfälischen Hans oder Kunz, Jacob oder Peter. Wie viele wundervolle, auf Holz oder Malertuch gebannte Gestalten schmachteten nach Erlösung aus finstern Ecken und Rumpelkammern, nach Befreiung von Staub und Qualm!

»Wenn man die nachlässigen Verzeichnisse aller dieser verkauften oder vielmehr verschleuderten Schätze durchflog, da hätte einem das Herz brechen mögen! So oft ich nun den Namen irgend eines bedeutenden Bildes in dieser Weise fand, fing ich an so lange nachzuspüren, bis ich es entdeckte und ankaufte. Das war aber unsäglich mühevoll, und jene Schatzgräber, von denen man in alten Märchen liest, hatten es viel tausendmal besser als solch armer Bildersucher. Sie brauchten sich ja, da die Wünschelruthe ihnen immer so äußerst gefällig den Platz zeigte, der den Schatz barg, nur auf ihre Hände zu verlassen; rührten sie die nur tüchtig, hielt der unvermeidliche »gute Freund« die Laterne ordentlich, so war doch in den meisten Fällen vor dem ersten Hahnenschrei das lohnende Ziel erreicht. Aber wie oft krähte bei mir der Hahn den hellen Morgen an, und immer noch seufzte ich unter der Last einer vergeblichen Arbeit, unter alten Briefen, Registern, Nachweisungen und dergleichen; wie oft redete ich wie weiland Doctor Faust den ewig lächelnden Mond an:

O, sähst Du, lieber Mondenschein,
Zum letzten Mal auf meine Pein!

Er war der einzige mitleidige Freund, der mir zuweilen bei meinen Nachforschungen leuchtete; die andern lachten mich alle aus wegen meiner tollen Leidenschaft für die »alten« Gesichter, und zogen frische Lippen und rothe Wangen allen gemalten Cäcilien, Magdalenen und Madonnen der Welt vor.

»Ich weiß nicht mehr genau, welcher Mund die erste Kunde von dem Dasein einer ganz entzückenden »Maria mit dem Kinde« des Ludgero Tomring an mein Ohr trug, aber er sei gesegnet! Man pries diese Madonna als eins der werthvollsten Gemälde der westfälischen Malerschule, und eben dieses Bild sollte sich noch in der Umgegend von Münster befinden. Oeffentliche Nachfragen waren schon mehrfach geschehen über den Verbleib des herrlichen Werkes, aber noch immer vergebens. Seit jener Nachricht schlief ich nicht mehr, und da es eben zur Zeit nicht thunlich für mich war Urlaub zu verlangen, wegen Erkrankung eines meiner Collegen, so verzehrte ich mich fast vor Unruhe und Ungeduld. Unerschütterlich fest stand in mir der Gedanke, dies Bild zu erwerben, es aufzufinden, es koste was es wolle! Die zahllosen Briefe, mit welchen ich in dieser Angelegenheit meine Freunde in Münster quälte, brachten mich der Sache um keinen Schritt näher; ich sah ein, daß ich um jeden Preis an Ort und Stelle suchen müsse. Mein College fing zwar an sich zu bessern; doch war noch lange keine Aussicht, daß er seine gewohnten Arbeiten zu übernehmen im Stande sein werde. Ich schlich herum wie ein mit Ketten belasteter Gefangener, wurde von Tag zu Tag blässer, verlor den Appetit, die Fröhlichkeit, und zeigte mich als der unerträglichste Gesellschafter. Wachend und träumend sah ich nur eine wunderschöne Maria mit aufgelöstem lichtbraunen Haar, in leuchtend rothem Gewande vor mir auf und nieder schweben und ihr feuchter Schmerzensblick schien zu bitten: »Befreie mich aus unwürdiger Gefangenschaft!«

»Mein zerstreutes, verschlossenes, gänzlich verändertes Wesen erweckte unter meinen Collegen den natürlichen Verdacht, ich sei endlich einmal in ein Weib von Fleisch und Bein verliebt. – Ach, wie sie sich täuschten! – Meine arme Angebetete hatte höchst wahrscheinlich zimmetbraune Wangen, trübe Augen, und ihr hohes Alter war eben ihre schönste Zier!

»Mein Chef war zum Glück ein freundlicher jovialer Mann. Kaum hatte er von meiner Stimmung, meinem Kränkeln und dem muthmaßlichen Grunde aller dieser Erscheinungen gehört, als er in seiner heitern Gutmüthigkeit mir freiwillig einen dreimonatlichen Urlaub anbot, um mich »gründlich auszucuriren«, wie er sagte. Meine Bilderliebhaberei war ihm höchst verdrießlich, er faßte solchen »Wahnsinn« gar nicht, und sorgte sich fast väterlich um meine einstige Zukunft bei dergleichen »unbesonnenen« Ausgaben. In der Liebe sah er das einzige Rettungsmittel für mich und freute sich deshalb herzlich, mich endlich »laut Berichten« auf dem gewünschten Wege zu sehen. »Nun wird noch ein ordentlicher Mensch aus dem R.!« hatte er geäußert; »eine hübsche Frau wird den Bilderdiener schon zum Feueranbeter bekehren! Gewiß hat's ihm die hübsche Majorstochter aus Münster, die im vergangenen Winter hier war, angethan! Nun Glück zu!«

»In der Abschiedsaudienz ließ er gegen mich ebenfalls ähnliche Neckereien los; ich ging auf den Ton ein, sprach von himmlischen Erscheinungen, die vorübergeschwebt wären und nun den armen Sterblichen unwiderstehlich nach sich zögen, nahm heiter Abschied, flog wie ein befiederter Vogel auf die Post, und fuhr voll fieberischer Freude und Erwartung nach Münster. Kein Bräutigam kann seiner Braut eine tiefere, glühendere Sehnsucht entgegen tragen, als ich sie meiner nie gesehenen Himmelskönigin entgegen trug.

»In Münster lief ich vom Morgen bis zum Abend bei allen Antiquitätenhändlern, alten Magistern und geistlichen Herren umher, durchstöberte die ehemaligen Klosterräume, saß Nächte durch über Verkaufslisten, Einwohnerverzeichnissen, alten gerichtlichen Acten über damalige Versteigerungen, opferte Zeit, Geld, gute Worte, besuchte kleine und größere Dörfer in der Nähe der Stadt, um nur irgend eine Spur aufzufinden über den jetzigen Aufenthalt der vielgenannten Madonna: – vergebens! Endlich, endlich, nach fast dreiwöchentlichen unausgesetzten Bemühungen fand ich den leitenden Faden. Die berühmte Tomring'sche Maria hatte damals, nebst einigen andern, nicht genauer bezeichneten Bildern, ein reicher Bäcker in S. gekauft. Der Mann war aber, dies erfuhr ich sofort, längst gestorben, seine Nachkommen von dem Orte weggezogen, der Nachlaß verstreut, und nur erst nach langem Fragen und Forschen wurde mir die Kunde, daß ein ziemlich naher Verwandter von ihm, der muthmaßlich der Haupterbe des Todten geworden, in F., einem sechs Meilen entlegenen großen Dorfe, die Bäckerei betreibe.

»Das war doch ein leiser Hoffnungsschimmer nach so langer trostloser Dunkelheit! Fast unfahrbare Wege führten nach F.; was fragte ich danach? Für mich war jede Straße, die mich zum ersehnten Ziel gelangen ließ, ein blumenbestreuter ebener Pfad! Am schönsten Sommermorgen fuhr ich ab, im leichtesten Fuhrwerk, das sich je auftreiben ließ, und mit dem geschicktesten Fuhrknecht Münsters. Die Vögel sangen, der Himmel hing blau über mir, die Sonne strahlte, in meinem Herzen aber sang und klang es noch lauter als da draußen, der Himmel drinnen trug eine noch leuchtendere Farbe, denn die Sonne, die mich erwärmte und belebte, hieß Maria, und ich fuhr ja geraden Wegs auf diesen glänzenden Sonnenball zu, jeder Augenblick brachte mich meiner Madonna näher. Nachdem ich dreimal umgeworfen und nur zweimal irre gefahren, langte ich abends in F. an. Der dicke Wirth zu den drei Peitschen wollte mich anfangs nicht bei sich aufnehmen, weil ich gar so vornehm angefahren kam; er ließ sich aber bald erweichen und brachte Menschen und Vieh leidlich genug unter. Ich nahm mir kaum Zeit etwas zu genießen, sondern zog den dicken Alten in eine Ecke, nannte ihm den Namen des Bäckers und den Zweck meiner Reise, und fragte ihn endlich geradezu nach der Maria mit dem Kinde.

»Ach! da mußte ich entmuthigende Dinge hören! ›Setzt Euch nur gleich wieder auf und fahrt heim,‹ sagte der Mann mit echt westfälischem Phlegma und mit einem schwer verständlichen Patois, – ›mit dem ist nichts! Der hat schon viele Bildersucher fortgeschickt, ja ganz ordentlich aus dem Hause geworfen, und viel ansehnlichere, als Euch! Geld braucht der nicht, und das ist eben das schlimmste; er ist der reichste Mann im Dorfe, und verschenkt hat er in seinem ganzen Leben noch keine alte Semmel. Ich weiß auch, daß er einmal mit allerlei altem Gerüll – es war auch Gemaltes darunter, das er von seinem Vetter in S. geerbt – den Backofen geheizt hat, blos um die lästigen Nachfragen und Quälereien der Stadtleute loszuwerden. Wer kann sagen, ob das Bild, das Ihr sucht, nicht mitgeholfen hat sein schlechtes Brod zu backen! Laßt ihn in Ruhe, rathe ich Euch; es verbrennt sich ein jeder bei ihm die Finger, niemand mag ihn leiden, er ist ein erzgrober Bursche; hat er doch nicht einmal eine Frau gekriegt! Schon seit Monaten sucht er einen zweiten Gesellen, aber es meldet sich keiner; jeder ordentliche Mensch fürchtet sich vor ihm und mehr noch vor der Urschel, seiner Schwester, die keinem das Essen gönnt und, so lange sie die Augen offen hat, keift. Wenn Ihr nicht durch ganz besondere List ihm etwas abzwackt, ist alles umsonst!‹

»Während der Wirth ungefähr in dieser Weise redete, schoß mir ein Gedanke wie ein Blitzstrahl durch den Kopf; es wurde wieder hell in meiner Seele, und in rosigem Licht erschien mir meine Himmelskönigin und grüßte lächelnd. Eine lange geheimnißvolle Zwiesprache mit dem freundlichen Alten folgte nun, dann eine unruhige Nacht, und am nächsten Morgen fuhr mein geschickter Fuhrknecht mit dem beschädigten Wagen allein nach Münster zurück. Ich selbst meldete mich – unterstützt von der gewichtigen Fürsprache des Wirthes zu den drei Peitschen – als Bäckergesell in entsprechendem Costüm bei dem muthmaßlichen Besitzer meiner Madonna. Nach einigem Hin- und Herreden wurde ich angenommen und sofort einquartiert. Der erste Blick in den kleinen Dachverschlag, den ich mit dem ersten Gesellen theilte, zeigte mir, daß hier sicherlich gemalte Schätze verborgen gehalten worden waren; die Fensterluke war zur Hälfte von Glas, zur andern Hälfte aber vernagelt mit einem Bret, auf dessen geschwärztem Grunde sich der blutende Fuß irgend eines gemarterten Heiligen abhob, sowie der Arm und die drohende Faust eines zum vierten Theile etwa sichtbaren Geharnischten. Mit Jubel und Andacht küßte ich diesen stummen Wegweiser und ich hoffte wieder lebhafter als je. Ich schwur mir selbst im stillen, alle nur erdenklichen Quälereien standhaft zu ertragen um der strahlenden Maria willen, die ich aus unwürdigen Banden zu befreien gekommen war. Es hatte dieser Gedanke und meine gegenwärtige abenteuerliche Lage einen Reiz für mich, der sich mit Worten nicht beschreiben läßt; ich gab mir den Namen »Marienritter« und meinte in der That ganz ernstlich, ein siedender Oelkessel könne nur höchstens ein warmes Fußbad sein für mich, sobald es gälte, die Madonna aus solcher Flut herauszufischen. – Ich bin glühender Katholik, und habe von all den erhabenen Lehren unserer gesegneten Kirche keine so tief in mich aufgenommen, keine so innig und freudig erfaßt als die Lehre von der Anbetung des »Ewig Weiblichen«. Der Mariencultus ist für mich eine der holdesten Blüten des Christenthums. In dem Gedanken nun an das Bild und an die, welche es darstellte, flossen die beiden heiligsten und stärksten Neigungen meines Herzens in eins zusammen.

»Der Bäcker unterwies mich selbst in meinem Dienst. Der Wirth zu den drei Peitschen hatte vollkommen recht; der Meister war ein Erzgrobian, ein echt westfälischer Starrkopf, dessen Hartnäckigkeit noch vermehrt wurde durch das erhebende Bewußtsein, der reichste Mann im Dorfe zu sein. Ich gab indessen nach Kräften acht, stellte mich höchst erfahren und zugleich demüthig, da mir ja alles daran lag, wenigstens in den ersten acht Tagen nicht hinausgeworfen zu werden. Und doch hätte dies unfehlbar geschehen müssen, wäre nicht der erste Gesell zum Glück die gutherzigste Seele von der Welt gewesen. Ich zog ihn in mein Geheimniß, erkaufte sein Schweigen, und er half mir nun nach Kräften, so daß der Bäcker wirklich nichts merkte von dem Kuckucksei in seinem Neste. Allein wie sehr ich nun auch herumsuchte, wie eifrig ich alle Winkel und Kammern durchkroch, alles umwendete, was sich nur umwenden ließ: nirgends fand sich eine Spur von gemalten Alterthümern. Da sagte mir eines Tages der Gesell, daß er wohl glaube, die Jungfer Urschel habe allerlei Schildereien in ihrer Kammer versteckt, sie lasse aber niemanden hinein, nicht einmal eine Weibsperson, und fege und putze immer selber. In dem dunkeln Verschlag neben ihrer Kammer habe er einmal Mehl aus der Vorrathskiste geholt, und da sei die Thür von der Jungfer Schlafgemach ein klein wenig offen gewesen: lauter bunte Schildereien hätten an den Wänden gehangen!

»Also die Ursula! Gewiß, dieser Drache bewachte meinen Schatz, hütete mein Heiligthum! Häßlich und grimmig genug war sie dazu, die fünfundvierzigjährige holde Jungfrau. Mit Gewalt war bei ihr noch weniger auszurichten als bei ihrem Bruder; es galt andere Mittel zu ersinnen! Um jeden Preis mußte vor allen Dingen das Vorhandensein des Bildes festgestellt werden; war es einmal aufgefunden, dann gedachte ich meine Verkleidung abzuwerfen und geraden Weges durch Bitten und Geldopfer mein Ziel zu erreichen.

»Ich begann nun unverweilt schmachtende Blicke auf die Jungfrau zu werfen, ich stellte mich ihr in den Weg, wenn sie das Haus durchschlürfte; ich grüßte sie mit dem Ausdruck tiefster Ehrfurcht, ich stieß herzbrechende Seufzer aus in ihrer Nähe, aß nichts, was mir übrigens an diesem Tische sehr leicht wurde, ging unter ihrem Kammerfenster hin und wieder mit kläglichem Gestöhn, legte Blumen auf ihre Kammerschwelle; kurz, geberdete mich mit vielem Geschick wie ein Verliebter. Da ich damals ein ganz leidlicher Bursche war, so blieb die holde Jungfrau nicht lange ungerührt und fing an, meine Blicke mit einem Lächeln zu erwidern, daß mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Dann trat sie in das zweite Stadium ihrer veränderten Gefühle; sie begann sich zu putzen; im dritten wurde das Essen besser, im vierten redeten wir mit einander, im fünften wandelten wir selbander im Gärtchen zwischen Rosmarin und Gelbveiglein, im sechsten endlich drückte ich mit Todesverachtung den ersten Kuß auf ihre Knochenhand, die schon so manchem armen Lehrbuben auf den Wangen gebrannt.

Aber alle Anspielungen, die nun folgten, auf die besonders schöne Aussicht von ihrem Kammerfenster, alle Bitten, mir nur einen Blick zu gestatten in das stille Heiligthum ihres jungfräulichen Gemaches, waren vergeblich. ›Der Bruder ist so strenge!‹ flüsterte sie, verschämt die grünen schielenden Augen niederschlagend.

»Da geschah es eines Abends, – vier Marterwochen waren schon vergangen, – daß mich der Bäcker in die dunkle Mehlkammer schickte, um noch etwas Mehl in die Butte zu füllen; der Lehrbube trug die mächtige Laterne. Der Vorrath in der Kiste war schon bedeutend geschmolzen, ich versuchte mit der breiten Holzschaufel das aufgehäufte Mehl von den Seitenwänden in die Mitte zu schieben, da – ich fühle heute noch den warmen Freudenstrom, der mir damals durchs Herz schoß, – da sah ich etwas leuchten, blitzen – Goldgrund war's, den ich frei gemacht. Zitternd und behutsam schob ich das Mehl noch weiter zurück; der Kopf eines Kriegsknechts trat heraus, und noch einer und wieder einer. Mit einem Worte, die sämmtlichen Burschen da,« – der Erzähler zeigte auf das Seitenbild, – »saßen wahrscheinlich schon Jahre lang als Mehlwürmer in der riesenhaften Kiste, deren Rückwand eben dies Gemälde bildete. Diese völlig unerwartete Entdeckung machte mich schwindlig; es brauste mir vor den Ohren, ein Freudenschrei kam über meine Lippen. Alles vergessend riß ich dem Buben, der mich entsetzt anstarrte, die Laterne aus der Hand und rief ihm zu: »Hole auf der Stelle den Meister!« Der Junge polterte die Treppe hinab. In demselben Augenblick erschien Ursula auf ihrer Kammerschwelle mit dem Oellämpchen in der Hand, wie eine ausgepreßte Citrone anzuschauen. Was sie sagte oder fragte, weiß ich nicht; ich weiß nur noch, daß ich in einem Satze bei ihr war, sie bei Seite schleuderte und mitten in ihrer Kammer stand. Ich mochte in diesem Augenblick wohl etwas vom Löwen in mir haben, der Blut geleckt. Ein flüchtiger Blick nach den Schildereien, von denen der Geselle gefabelt, belehrte mich, daß ich unter ihnen meine Madonna nicht zu suchen habe; es waren grobe Klecksereien, haarsträubende Martyrien verschiedener Heiligen. In der Bitterkeit abermaliger Täuschung riß ich die Vorhänge des gewaltigen Himmelbettes auseinander und leuchtete an die Hinterwand: ein schön geschnitztes altes Crucifix hing da. Als ich aber, um besser die treffliche Arbeit beleuchten zu können, heftig die Vorhänge zurückwarf, löste sich der eine von der Bekrönung und stürzte herab, unter dem hellen Geschrei der verzweifelnden Jungfrau, die noch immer wie festgebannt auf der Schwelle stand. Unwillkürlich hob ich die Laterne und sah in die Höhe. Heiliger Vater! Heller Goldgrund blendete meine Augen, da oben in der Bekrönung war ein Bild eingefügt! Schneller als ein Gedanke war ich auf das Bett gesprungen, klammerte mich mit dem einen Arm um eine der dicken Säulen, hielt mit der andern Hand die Laterne krampfhaft fest und kletterte in die Höhe. Es war wie ich gedacht; man hatte ein großes viereckiges Bret in die offene Krone gefügt, die bemalte Seite nach unten gekehrt. Ich lasse einige Lichtstrahlen auf das Bild fallen – und – der Herzschlag stockt mir – meine verlorengeglaubte Himmelskönigin lächelt mir entgegen! Eine Erschütterung, wie ich sie nie vorher und nie nachher wieder empfunden, kam über mich. Wie ein Mondwandler, den man plötzlich beim Namen ruft, erwachte ich aus meinem Paroxismus, ließ die Säule fahren, die Laterne fallen, und stürzte bewußtlos tief in die Kissen des keuschen Lagers der hell aufkreischenden Jungfrau.« –

Die Stimme des Erzählers bebte hier, seine Augen schimmerten feucht, die lebhafte Erinnerung an diesen glänzendsten Moment seines Lebens schien ihn zu überwältigen; er hielt einen Augenblick inne. Nach einem Blick voll Anbetung auf das Marienbild fuhr er dann fort:

»Als ich wieder zu mir kam, hatten sie mich in meine Kammer getragen. Vor mir stand der Bäcker mit finsterer Stirn und geballter Faust, und hinter ihm der bleiche Geselle, der alles gebeichtet. Das Kuckucksei sollte aus dem Neste geworfen werden. ›Ihr habt meine tugendhafte Schwester beschimpft, junger Herr,‹ sagte er wüthend, ›ich werde klagen!‹

»Ich verstand ihn nicht und rief wie im Traume nach meiner wunderholden Maria. Da brach er los und schwur bei allen Heiligen, Engeln und Teufeln, daß er eher das Bild in tausend Stücke zerhacken, als mir ausliefern werde.

»Ich fiel in ein heftiges Fieber. Ursula, – ich muß es ihr zum Ruhme nachsagen, – pflegte mich wie eine Mutter. Als ich zum ersten Male wieder aufstand und in die Unterstube hinabschlich, da wäre ich fast in die Knie gesunken vor freudigem Schreck; sie hatten die Madonna herabgenommen vom Himmelbette und hier aufgestellt! Aber über ihr süßes Angesicht hatte der Staub einen dichten Schleier gelegt, die Farben der Gewandungen waren matt und das Kind saß wie in einer Rauchwolke. Der Goldgrund selbst war an mehreren Stellen beschädigt. Wie mir bei diesem Anblicke das Herz blutete! Dem Meister Tomring selber hätte es nicht weher zu Muth sein können.

»Nach langem Schweigen fragte ich zum letzten Male in bitterster Traurigkeit, leidenschaftlich drängend den Bäcker, mit dem ich mich allein befand: ›In des Himmels Namen, giebt es denn kein Mittel, Euch dies Bild abzugewinnen?‹ – ›Ja, aber bei meiner Seelen Seligkeit auch nur dies eine!‹ antwortete mein Peiniger. ›Heiratet meine Schwester Ursula! Das Marienbild soll die Brautgabe sein und die Mehlkiste gehört mit zur Aussteuer.‹

»Und nach acht Tagen, nach heftigen Martern und Kämpfen, ließ ich mich – mit Ursula trauen. Das Opfer war gebracht, das Kleinod errungen. Eine Stunde nach der Copulation fuhr ich mit meiner Madonna und der Mehlkiste nach Münster, um zunächst den Glanz ihrer Schönheit wieder herstellen zu lassen. Meine Frau blieb bei ihrem Bruder; diese Bedingung hatte ich klugerweise noch vor der Hochzeit gemacht. Ich hatte ihr ein anständiges Jahrgeld ausgesetzt, und so verweilte die junge »Frau Assessorin«, Mehl abwiegend, Brot verkaufend, klatschend und keifend in gewohnter Weise im Bäckerhause. Zwanzig Jahre lang trug sie meinen Namen, in meinem fünfundvierzigsten Jahre befreite mich der Tod von ihr. Ich habe sie nie wieder gesehen, sie hat aber auch begreiflicherweise nie nach mir verlangt, und niemand, außer meinem damaligen Chef, der sofort meine Versetzung nach D. bewerkstelligte, ahnete etwas von dieser selten friedlichen Ehe.

»Gesellschaften besuchte ich seit dieser wunderbaren Lebenswendung noch weniger als früher, besonders aber vermied ich die Frauen. Geschah es aber doch im Laufe der Zeit, daß hin und wieder ein reizendes Gesicht, eine süße Stimme, ein leuchtendes Augenpaar mir Herz und Kopf ein wenig warm zu machen versuchte, so trat ich vor meine nun in ungetrübter Herrlichkeit prangende Königin hin und sagte zu ihr: »Du, die mich meine süße Freiheit gekostet, Du bist doch schöner, entzückender als alle Frauen der Welt. Wie mag der Glückliche, der Dich besitzt, nach anderen Gestalten schauen!«

»Und die gefährlichen Träume und Wünsche meines Herzens zerflatterten dann, den Seifenblasen gleich, die das holde Jesuskind vom Schoße der Mutter in lieblich kindlichem Spiel aufsteigen läßt, wie zum Zeichen der Nichtigkeit aller weltlichen Freuden.«

»Und so ist es auch geblieben. Bis zum heutigen Tage hat sich keine irdische Gestalt länger als einige wenige Augenblicke zwischen mich und mein schwer erkauftes Bild zu drängen vermocht, und so wird es bleiben bis an mein Ende. – Nach Ursula's Tode trat ich aus dem Staatsdienst und kaufte mich in W. an. Mein Leben ist einsam; allein bis zu dieser Stunde habe ich noch keinen Athemzug lang das Opfer bereut, das ich dieser himmlischen Maria gebracht.«

Und seine schönen dunklen Augen gossen eine wahrhaft hinreißende Fülle von Liebe über das Bild. Ein Sonnenstrahl fiel eben von oben herab und vergoldete das reiche Haar der Maria, die erhabene Stirn, die blumengleichen jungfräulichen Lippen und das göttliche Kindlein auf ihrem Schoße. Der Goldgrund schien zitternd sich zu bewegen, wie sanfte Wellen, und die herrliche Gestalt dem ernsten einsamen Manne entgegenzutragen, der um ihretwillen auf allen Schmuck des Lebens verzichtete. – Ist das nicht ein Mariencultus von unendlich rührender Art?


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