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Die Schattenriß-Schneiderin.

»Zu Augsburg steht ein schmales Haus
Hart an dem hohen Dom.«

J. Kerner

 

In dem ernsten Augsburg mit seinem so prächtigen Dom, den vielen Kirchen und wunderlichen Dächern und Chörlein lebte einstmals, am Ende des 16. Jahrhunderts, ein gar fleißiger und geschickter Maler, Johannes Fischer mit Namen. Große zeitliche Güter hatte er sich nicht erworben trotz aller Arbeit, aber das kümmerte ihn nicht: herzlich zufrieden wohnte er mit seinem Weibe Gertraud in seinem schmalen niedern Hause unweit des Doms. Hart neben der Hausthür stand eine schöne Ulme, die warf ihren tiefen Schatten weit hin, und eine Holzbank stand darunter, die hatte sich der Maler eigenhändig gezimmert, weshalb er auch an den Feierabenden mit ganz besonderem Stolze darauf Platz zu nehmen pflegte. Seine Ehefrau war früher das schönste Mägdlein in Nürnberg gewesen; dort hatte der Maler sie sich gewonnen, als er auf der Wanderschaft daselbst ein Jahr verweilt, um in dieser berühmten Vaterstadt Albrecht Dürers und seines Lehrers Wohlgemuth zu lernen. Da aber Gertraud eben so arm als schön war, und Johannes Fischer, nachdem er sich an den Herrlichkeiten Nürnbergs in Bildern und Kunstwerken satt gesehen, auch ohne einen Batzen in dem Säckel nach Augsburg zurückpilgern mußte, so gab es großes Herzeleid, weil er die Erwählte doch nun unmöglich als sein Eheweib gleich mit heimführen konnte. Aber treu blieben sie sich doch; das war dazumal Sitte und Brauch unter den Liebesleuten, und nach zehn Jahren geduldigen Hoffens und Harrens hielt Gertraud als Hausfrau des Johannes Fischer ihren Einzug in das schmale Haus nahe am Dom.

Ueppige Tage waren es zwar nicht, die nun über ihre Häupter dahinzogen, sondern Tage der Arbeit und Mühe, des tapfern Kämpfens und Ringen um des Lebens und Leibes Nahrung und Nothdurft, allein die Sonne der Liebe vergoldete sie doch. Die einstige Schönheit Gertrauds, von der die Thränen der bräutlichen Sehnsucht ohnehin schon den feinsten Schmelz weggebeizt, schwand freilich dahin, Runzeln kamen und allerlei scharfe Linien, der Glanz des Auges erlosch und von den Perlenzähnen blieben nur noch spärliche Reste übrig; auch das einst so volle braune Haar wurde dünn und durchzog sich mit Silberfäden. Das wunderliche Weib bekümmerte sich bitterlich darüber und vergoß vor ihrem Spiegelscherben gar viele Thränen. Es war umsonst, daß ihr Eheherr ihr tagtäglich die Versicherung gab, daß sie ihm jetzt, als sein getreues Weib und sorgliche Schaffnerin viel tausend Mal werther sei, als ehedem: sie betrauerte den Verlust ihrer Schönheit unablässig mit Klagen und Seufzen.

Die Frauen haben doch, seltsamer Weise, zu allen Zeiten gar viel auf ein glattes Gesicht gehalten; und wo sie heutzutage ein Fältchen und Fleckchen mit allerlei theuren Elixiren und Pulvern weg zu waschen und zu reiben versuchen, da versuchten sie es damals mit Zaubersprüchlein und Thränensalz. Aber beides hilft leider nichts, und auch der Frau Gertraud schwand keine einzige Runzel trotz stundenlangem Schluchzen und Weinen.

Als nun der liebe Gott der Malersfrau nach langem vergeblichen Harren und Wünschen die Hoffnung gab, eines Kindes zu genesen, und die Freude darüber bei beiden Eltern gewaltig groß war, da vermaß sie sich doch noch eines Tages zu sagen: »sie wolle durchaus ein schönes Kind haben, möge es dann auch lahm, taub oder stumm sein!«

Johannes Fischer bekreuzte sich erschrocken bei diesem frevelhaften Ausruf und bat alle Heiligen ihn zu verwehen. Als aber die kleine Elisabeth wirklich geboren war, da sagte die Mutter schluchzend: »Dank der heiligen Jungfrau, daß unser Töchterlein da ist! Mag es nun ausschauen wie ein Bär, es gilt mir gleich; hab' ich doch nun ein Kind! Wie gern will ich jetzt häßlich sein und bleiben mein Lebtage!«

Aber welche doppelte Seligkeit kam in ihr Herz, als das Kind sie mit den schönsten blauen Augen ansah, die man sich nur denken konnte, und in den weißen Laken lag, als sei es ein frischgepflücktes Rosenknöspchen. Als es wenige Wochen alt war, da wunderten sich schon alle Nachbarinnen über das kluge Gesichtchen und die runden schönen Glieder. Und wie früh lächelte es! Niemals hörte man es weinen! Wie zeitig griff es mit den Händen nach glänzenden Dingen, wie dreist trat es mit den Füßchen auf!

Aber nach Jahresfrist gab es wieder viel Thränen und Herzeleid im Hause des Malers. Wer durfte noch zu zweifeln wagen, daß ein unsägliches Unglück die beiden Eltern getroffen? – Elisabeth war stumm geboren.

Die Strafe jenes Frevelwortes war also gekommen, und das reuevolle Mutterherz wollte anfangs schier darüber brechen. Wie sich jedoch der Mensch allmählich sogar an das Traurigste gewöhnt und das Weinen gemeiniglich bald genug zu verlernen pflegt, so auch diesmal. Vater und Mutter ließen endlich ab, so gar tiefes Leid zu tragen um das Stummsein ihres einzigen Kindes, insbesondere als die Kleine sonst so fröhlich und kräftig heranwuchs und so lieblich zu spielen und zu lächeln wußte. Schön wurde das Kind, just wie Frau Gertraud es sich gewünscht, gar wunderschön, das sagte sich die Mutter täglich wohl tausend Mal zum Troste; und alle Engelein, die der Vater fortan malte, glichen seiner Tochter Elisabeth.

Wenn das Kind so sinnig mit Blumen oder bunten Steinen auf der Bank unter der Ulme spielte, da blieb gar mancher stehen und schaute voll himmlischer Freude zu, und vergaß das holdselige Antlitz nimmermehr. Auch an den Sonntagmorgen, wenn es schön und mild war und Vater und Mutter die Messe besuchten, pflegte Elisabeth unter dem Baume zu sitzen und andächtig hinzuschauen nach dem hohen Dome, aus dessen geöffnetem Portale Weihrauchduft und Orgelklänge hervordrangen. Das Kind konnte die Andächtigen knien sehen und das hohe Bogenfenster, hinter welchem das Licht der ewigen Ampel zitterte. Fromme Schauer machten dann ihre Wangen erblassen und ihre Hände sich falten. Kein Kirchgänger zog an dem Mädchenbilde vorüber ohne einen Gruß oder ein Lächeln, und gar manchem erschienen dann die gemalten Gestalten der heiligen Frauen, wie sie im Dome zu schauen waren, nicht halb so süß und holdselig als das schlanke Kind unter der Ulme. Braune Haarflechten lagen sanft an den feinen rosigen Wangen, schwere Locken hingen über den Nacken. Zierlich in ihrer schlichten Einfachheit war ihre Kleidung, zierlich die Hände und Füße, unsagbar anmuthsvoll das Lächeln ihres kleinen Mundes, und hell und keusch wie Mondlicht die Blicke ihrer blauen Augen.

Unter den Frommen, die allsonntäglich zum Dome wallten, war auch ein größerer Knabe, der einzige Sohn und Erbe des reichen Kauf- und Handelsherrn Christian Mayr; der konnte niemals an dem Malertöchterlein vorüber wandeln, ohne ihr eine ganz sonderliche Aufmerksamkeit zu beweisen. Bald warf er ihr, mit Vorsicht ein gewaltiges Stück hinter dem steif und stattlich einherwandelnden Vater zurückbleibend, eine schöne Blume zu, bald legte er eine seltene Frucht auf die Bank, bald schüttete er eine Handvoll bunter Steine vor ihr auf den Boden. Er that alles anfangs recht ungeschickt und so scheu, als sei solches Thun eine große Sünde; erst nach und nach legte er seine Gaben auf die Knie des Mädchens, zuletzt gar in die kleine Hand, wenn auch heiß erröthend, und so kam es denn endlich, daß er stehen blieb und ein schüchternes Wort laut werden ließ, dem zur Antwort ein wundersam kluger Blick oder Lächeln wurde. Aus einem mitleidigen Wörtchen zu der Stummen wurden bald mehrere, und am Ende aller Enden gar eine Plauderstunde. Freilich mußte Georg allein plaudern, Elisabeth redete ja in ganz anderer Weise zu ihm; allein wie schnell lernte er ihre seltsame Sprache verstehen und wie lieblich dünkte sie ihm!

Bald brachte der Sohn des reichen Handelsherrn alle seine Feierstunden im Hause des armen Malers zu. Johannes Fischer versuchte dann die Kinder zeichnen zu lehren. Wunderbar verstand und erkannte das Mägdlein die Anfänge dieser Kunst, und ihre Fortschritte verwunderten und erfreuten das Vaterherz nicht wenig. Georg erwies sich dagegen ungeschickt; seine schiefen und absonderlichen Striche und Schnörkel ließen Elisabeth eines Tages heiter lachen. In gar neckischem Uebermuthe schüttelte sie ihr liebliches Haupt und schlug in die Hände vor kindischer Lust, mit dem Zeichenstift immer und immer wieder auf des Knaben mißrathenes Werk weisend. Da überkam den Gespielen der Zorn; hochroth und bebend riß er ihr den Stift aus den Händen und rief: »Du sollst aber auch nicht mehr zeichnen, wenn ich nichts lernen kann. Ich will nicht, daß Du mehr wissest als ich! Ist doch auch das Zeichnen keine Arbeit für ein ordentliches Mägdlein; das kommt ihr zu thun nicht zu; Nadel und Scheere gehören in ihre Hände. Ein Mägdlein, das den Zeichenstift führt, könnte ich nimmermehr lieb haben! – Und niemand, könnte es, weil es eben Ungehöriges thut!« –

O, wie schaute ihn Elisabeth an auf solche Worte! Wie war sie so blaß geworden, wie stiegen ganz allmählich helle Thränen in die großen Augen, wie faßte sie leise und scheu endlich seine Hand! Dann nahm sie den Zeichenstift sanft aus seiner Rechten, – er ließ es willig geschehen, – warf ihn auf den Boden und trat fest mit dem kleinen Fuße darauf. Wie sie dabei die Hände gegen ihn bewegte in allerlei seltsamen Stellungen, wie sie ihn anschaute und endlich so demüthig mit gekreuzten Armen und gesenktem Haupte vor ihm stand: da wußte er, was sie ihm hatte sagen wollen. Wie im Traume schaute er zu, wie sie eine Nadel und Scheere aus ihrem Kästchen nahm und fest an ihre Brust drückte. Ihre Augen sagten deutlicher als alle Worte der Welt: »Ich will getreulich thun, was Du mir geboten, damit Du mir gut bleibest immerdar!«

Seit jener Stunde berührte Elisabeth keinen Zeichenstift mehr, so sehr auch ihr Vater deshalb schalt. Allein ruhen konnten ihre kleinen Hände doch nimmer; es war ja die wunderbare Gabe der Gestaltung in ihr, und wo die in eines Menschen Seele gelegt wurde, da steigt sie ans Licht, wie der Sage nach versunkene Schätze aufsteigen aus den Fluten, um in den Sonnenstrahlen eine Weile zu flimmern und zu blitzen. Jedes Stück Pergament wußte das Mägdlein auf seltsame Weise zu beleben. Sie stach mit ihrer Nadel Sterne darin aus, oder Blumen, dann auch Menschen- und Thiergestalten, endlich sogar ganze Gruppen, und zuletzt fing sie an in solcher Art Bilder zu copiren, mit einer so wunderbaren Treue und Geschicklichkeit, daß ganz Augsburg herbeiströmte, die Schöpfungen des schönen stummen Kindes zu sehen. Georg hatte an diesen Arbeiten seine helle Freude und sah dem Kinde oft stundenlang zu, wenn sie so Pünktchen nach Pünktchen ansetzte mit unermüdlicher Geduld. Zu Zeiten schauten sie sich dann freundlich in die unschuldigen Augen, und wenn sie sich dann trennten, waren beider Herzen voll wundersüßer Märchen und Bilder.

*

Der Sohn des reichen Handelsherrn hatte keine Mutter mehr; das große Haus, worin er mit seinem allezeit rechnenden Vater und einem gestrengen geistlichen Hofmeister lebte, erschien ihm so öde; so schloß er sich auf wie eine Knospe im Sonnenschein in der Wärme von Elisabeths Augen. An dem Maler und seiner Ehefrau hing er bald wie an leiblichen Eltern. Darüber gingen die Tage hin, ungezählt, und wurden zu Monaten und Jahren. Elisabeth trug jetzt schon eine zierliche Sammethaube, unter welcher das junge Antlitz gar holdselig hervorschaute, und wohl mancher betete schon ihretwegen sein Ave minder andächtig, wenn er sie im Dome neben ihrer Mutter knien sah, und beneidete das Marienbildniß, woran ihre Augen so inbrünstig hafteten.

Aber eine Wolke kam plötzlich und verdunkelte das Sonnenlicht ihres stillen frohen Lebens. Eines Tages gebot nämlich der reiche Handelsherr seinem nun sechzehnjährigen Sohne, ihn auf einer großen Reise nach den Niederlanden zu begleiten, wohin ihn Geschäfte führten. Das Gebot kam so plötzlich, daß Georg kaum noch Zeit behielt in das kleine Haus gegenüber dem Dom zu schlüpfen und dort die wichtige Kunde mitzutheilen. Es war indes kein Leid in seinem hübschen Angesicht, als er den Leuten dort erzählte, was ihm bevorstand. Strahlend vor Freude vielmehr redete er zu ihnen von den neuen wunderbaren Dingen, die er schauen werde, und von der großen Stadt Amsterdam, von der man ihm gesagt, daß sie im Wasser schwimme wie ein Fisch. Auch nach Antwerpen wollten sie ziehen, und Georg verkündete, daß er dort große Kauffartei-Schiffe sehen werde, fast so groß wie der Augsburger Dom.

Der alte Maler trug ihm auf, sich angelegentlich nach den berühmten Meistern seiner Kunst zu erkundigen, und insbesondere sich die herrlichen Bilder der Gebrüder van Eyk wohl anzuschauen, so wie den Ursula-Schrein des Hans Hemmling und die Werke des Quentin Messis und anderer. Frau Gertraud stand verwundert dabei und hörte zu, von Zeit zu Zeit aber in echt mütterlicher Weise an Georgs verschobener Halskrause zupfend, oder ein Stäubchen wegwischend von seinem sammetnen Puffenwams. Sie flüsterte ihm auch gelegentlich zu, daß er ihr berichten möge, wie sich die Frauen in Antwerpen kleideten, und ob die Schneppen an ihren Sammethauben länger seien als die ihre, und ob die Täschchen an der rechten Seite niederhingen oder an der linken. In all dies Hin- und Wiederreden schien die Sonne gar lustig hinein, und durch die runden Scheiben sah man die alte Ulme im Winde schwanken. Als endlich der Knabe aufstand zu scheiden und seiner Gespielin die Hand hinreichte zum Abschied, da senkte sie den Kopf um ihn nicht anzusehen, aber helle Thränentropfen fielen auf seine Hand, die sie fester und fester hielt. Da überkam auch ihn plötzlich ein bitteres Weh, und er fiel ihr stürmisch um den Hals, küßte sie zu hundert Malen und sagte immer wieder: »Bleibe mit gut, Elisabeth! In zwei Jahren bin ich wiederum bei Dir!«

Sie schenkte ihm noch eins ihrer kunstreichen Nadelbilder, das sie eben erst vollendet, – es zeigte den heiligen Georg, wie er den bösen Lindwurm ersticht, – und er schnitt sich dagegen mit ihrer Scheere eine Locke von seinem Haupte und gab sie ihr. Am nächsten Morgen lagen die Thürme von Augsburg im Nebel hinter ihm.

*

Zwei volle Jahre vergingen, der reiche Handelsherr Christian Mayr von Augsburg kehrte zurück, und man hörte bald darauf viel reden von großen Geschäften, die er unternommen, und gewaltigen Handelsverbindungen, die er angeknüpft mit verschiedenen reichen Mynheers. Sein einziger Sohn kam aber nicht wieder. Die Leute erzählten sich, sein Vater habe ein ungeheures Schiff gekauft und ausgerüstet; das solle in fernen fremden Ländern theures Elfenbein holen und seltene Specereien und allerlei andere kostbare Dinge, und Georg sei mit diesem Schiffe hinausgesegelt.

Auch ins stille Malerhaus drang diese Kunde; Elisabeth wurde todtenblaß, als man sie ihr erzählte, und die Rosen ihrer Wangen kränkelten seitdem. Sie arbeitete aber eifriger als je zuvor, that sogar bei ihrem Vater allerlei Handlangerdienste, und half der Mutter getreulich in jedem Geschäft. Selten sah man sie dagegen vor den Thoren lustwandeln oder an der Thüre stehen, auch auf der Bank unter der Ulme saß sie nur in den Abendstunden, wenn niemand mehr dort vorüber ging; wer also das wunderfeine Mädchengesicht so recht mit Muße zu betrachten begehrte, der mußte sich schon bequemen, in der Messe nach ihr auszuspähen. Mit dem Anschauen allein war's aber auch gethan; Freier kamen nicht ins Haus, die etwa um das stumme Kind geworben hätten. Bitter waren die Thränen, welche die Mutter über solche Zurücksetzung im stillen weinte. Wozu nützte nun des Mägdleins Schönheit, wenn sie nicht dazu diente, ihr ein Brautkrönlein zu erwerben? O, wie oft mußte Frau Gertraud ihres einstigen frevelhaften Wunsches mit tiefster Reue gedenken! Der alte Maler ließ sich dagegen das Gebrechen seines Kindes und den Mangel an Freiern wenig kümmern. »So behalten wir sie, und das ist ein Gottessegen!« entgegnete er auf alle Klagen seiner Ehefrau, und malte heiter seine steifen Heiligen und lachenden Engelsköpfe weiter.

Da, eines Tages, sechs Jahre nach dem Scheiden Georgs, just an ihrem achtzehnten Namenstage, saß die holdselige Jungfrau einsam in dem Malerstübchen ihres Vaters. Sie war eben aus der Messe zurückgekehrt, das Meßbuch lag noch auf ihren Knien, den Rosenkranz hielt sie wie im Traume zwischen den schlanken Fingern. – Ob sie wohl betete? – Recht verklärt schaute sie darein, aber es war doch mehr irdische Freude in ihren Augen als Andacht, und ein rosiger Schein wie von einem recht glückseligen Gedanken flog eben über ihre Wangen. Etwas Gutes und Liebes war es gewiß, was durch ihre reine Seele zog, und das ist dann vor dem lieben Gott so gut wie ein Gebet. Indem klopfte jemand an die Thür, aber recht ungeduldig, als ob er's nicht erwarten könnte, und gleich darauf that sie sich weit auf. Verwundert erhob sich das Mägdelein, und der, an den sie noch so recht herzinnig gedacht, stand leibhaftig vor ihr als schlanker, bildschöner Jüngling.

Das war denn eine Wonne, an der die Engel im Himmel ihre Freude hatten und die man nicht beschreiben noch malen kann. Erst als die beiden Eltern hereintraten und Georg ihnen wie ein Sohn an die Brust stürzte, fand er die Sprache wieder, die ihm vor lauter Seligkeit schier vergangen war, und sagte immer und immer: »Wie schön ist sie geworden! Jetzt ist sie meine Braut, und bald meine Ehefrau, wenn es nur Euer und ihr Wille ist!«

Niemand sagte »nein«, und der Mutter schwindelte schon der Kopf bei dem Gedanken, was für ein Gewand sie anlegen solle an dem Ehrentage ihrer Tochter und daß die Frau des Georg Mayr doch fortan eine Haube tragen könne von echter Goldstickerei. Mit übervollem Herzen lief sie hinaus in die Küche, um einen Imbiß zu bereiten, und neigte sich dabei vor allen Töpfen, wie sie sich zu neigen gedachte vor dem reichen Handelsherrn Christian Mayr, wenn er in ihr niedres Haus Einlaß begehre.

Mittlerweile saß Georg im Zimmer und erzählte, oft unterbrochen von den Fragen des alten Malers, der nur von den köstlichen niederländischen Bildern und ihren Schöpfern wissen wollte, von alle den Wundern, die er geschaut, und vergaß Speise und Trank darüber und die andern mit ihm, so sehr auch Frau Gertraud zuredete. Erst spät, nach manchem süßen Blick und Kuß, riß er sich los. »Muß ich doch heute noch mit dem Vater reden!« sagte er. »Morgen führe ich ihn her, und mit ihm die Geschenke, die ich Euch mitgebracht!«

Damit ging er sorglos und glückselig heim. Am nächsten Tage kamen aber weder Vater noch Sohn, und in dem großen Hause am Markte und in dem kleinen Häuschen hart am Dome sah es bald so trübselig aus wie auf einem Ährenfeld, über das ein Hagelwetter hingezogen.

Der alte Handelsherr war nämlich nach dem Geständniß seines Sohnes in hellen Zorn ausgebrochen, und hatte weidlich getobt und gewüthet, nach heftigem Hin- und Widerreden ihm endlich auch verboten die Schwelle des Malerhauses wiederum zu betreten. Am Schlusse ließ er noch einige harte Worte von »bettelhaften, mit allerlei Gebrechen behafteten Dirnen« fallen, für welche sein Haus nicht hergerichtet sei. Das gab denn böses Blut, und Vater und Sohn kamen hart an einander, obwohl Georgs Toben nichts half, da er mit einem gar zu bösen Feind kämpfte. Der Stolz auf den Geldsack ist nämlich eine uralte schlimme Krankheit, die schon so manchen an Leib und Seele zu Grunde gerichtet, und wider sie ist noch kein heilendes Kraut entdeckt worden.

Wie schwer litt nun Georg! – Denn weil dazumal die Eltern noch von Gottes und Rechtes wegen die natürlichen Herren ihrer leiblichen Kinder waren, so fiel es ihm auch gar nicht bei, sich anders als mit Fasten und Kummer gegen das Gebot seines gestrengen Vaters zu wehren; er rührte wirklich keinen Fuß, die Geliebte seines Herzens zu sehen.

Das gab wohl bitteres Herzeleid auf beiden Seiten, und kein Trost war da; denn mit dem Briefschreiben, das den Liebesleuten heutzutage so wohl zu statten kommt, sah es dazumal nicht sonderlich aus. Ehe einer ein solches Briefchen mit fremder gelehrter Beihülfe abgefaßt, ging eine geraume Weile hin, und ehe der andere Theil zum Antworten kam, mochten wohl Monate verfließen. Aber die Liebe ließ darum nicht nach, sie wurde sogar nur um so heftiger. Zu lieben verstand man einmal in diesen Zeiten besser als heutzutage, wo man trotz bogenlanger Briefe voll Flammen doch gar zu häufig schon am Tage nach der Hochzeit – einfriert. Und das Treubleiben in alle Fernen und durch alle Zeiten ohne den zeitweiligen Gruß eines beschriebenen Blättchens, das machen jenen Liebenden in der Gegenwart wohl die Seltensten nach.

Als der einzige Sohn und Erbe des Christian Mayr von Augsburg nun aber in so tiefen Kummer versank, daß er allmählich zum Schatten dahinschwand, und auch kein sanftes noch heftiges Zureden seines Vaters bei ihm half, sondern er unabänderlich bei seinem Ausspruch blieb, daß die stumme Malerstochter um ihrer Sittsamkeit und Kunstfertigkeit willen seiner nicht minder werth sei als jede andere, da beschied nach langem Sinnen der Handelsherr den alten Maler Johannes Fischer zu sich und hielt eine Zwiesprache mit ihm.

Er gab ihm zu verstehen, daß für seinen Sohn eigentlich nur eine Jungfrau aus den vornehmsten Ständen, und mit allen Gaben der Schönheit, Bildung und des Reichthums geschmückt, sich als Ehegenossin gebühre. Weil aber der wunderliche Geselle nun einmal aus purer Liebe zu einer stummen Malerstochter fast dahin zu sterben Miene mache, so wolle er, als Vater, ein Uebriges thun und noch eine Gnadenfrist gewähren. Wenn es nämlich des Johannes Fischer kunstfertiger Tochter gelänge ein Kunstwerk zu schaffen, von welchem sämmtliche Rathsherrn von Augsburg erklären müßten, daß ein solches noch niemals geschaffen worden sei, ein Wunderwerk, nicht etwa mit Pinsel und Palette, sondern nur allein mit Mägdleins Werkzeugen, Nadeln und Scheere: so wolle er sie als Schwiegertochter annehmen und an sein Herz drücken. Eine Frist von drei Monaten sei ihr gesetzt; sei diese abgelaufen, so müsse sein Sohn eine Braut heiraten, die er ihm auswählen werde.

Mit solchem Bescheid kam Johannes Fischer ganz traurig heim, und Frau Gertraud wollte sich fast die Augen ausweinen über seinen Bericht.

Elisabeth allein verzagte nicht. Das Schleiertüchlein tiefster Blässe legte sich zwar über ihr Angesicht, aber in den wunderschönen Augen schimmerte ein Strahl froher Hoffnung. Seitdem lächelte sie nicht mehr, nahm keinerlei Theil an den Hausgeschäften, die sie sonst versehen, und schloß sich oft viele Stunden in ihr Kämmerlein ein. Sie verließ es endlich nur, um alltäglich in die Frühmesse in den Dom zu schlüpfen und dort vor dem Marienbilde ein brünstiges Gebet zu sprechen. Die Eltern ließen sie ruhig gewähren, und der Vater tröstete oft die verzagende Mutter mit dem leisen Worte: »die gnadenreiche Jungfrau wird unserm Kinde beistehen!«

So waren drei Monate bis auf den letzten Tag abgelaufen. Am folgenden Tage sollte im Hause des reichen Handelsherrn ein großes Fest gefeiert werden; was für eins, das erfuhr niemand. Die meisten munkelten von einer Verlobung des Erben des Christian Mayr mit einer pockennarbigen, aber steinreichen Rathsherrntochter, die so böse war, wie sieben böse Sieben zusammengenommen. Es war heute schon ein reges Leben zu bemerken in dem stattlichen Hause am Markte. Geschäftige Diener liefen hin und her, Blumen wurden in großen Körben herbeigeschleppt, und Fässer edeln Weines wurden aus den Kellern ans Licht gewälzt.

Da erschien in den Nachmittagsstunden desselbigen Tages eine züchtige Mädchengestalt in all diesem Wirrwarr, ein Kästchen in den Händen tragend. Ruhig und sicher schritt sie, ohne daß ihr jemand den Weg wies, geradezu in das Gemach des Hausherrn, als sei sie selbst hier zu Hause, und niemand wagte es sie aufzuhalten; ihr Wesen und Angesicht war dem einer Königstochter gleich: ehrerbietig trat jeder zur Seite.

Christian Mayr selbst erstaunte nicht wenig, als nach schüchternem Klopfen die Jungfrau bei ihm eintrat, sich sittig und stolz verneigte und, ein Kästchen vor ihm auf den Tisch stellend, ihn mit einer lieblichen Geberde bedeutete es zu öffnen. Der alte Herr vergaß es fast ganz, so starrte er in das holdselige Angesicht vor ihm; als er aber endlich hineinblickte, da schrie er laut auf vor Ueberraschung und Bewunderung. Ein Bild, kaum eine Hand groß, in Pergament geschnitten lag vor ihm, ein Kunstwerk, wie sein Auge noch nie ein ähnliches geschaut. Es war der Tanz der Israeliten um das goldene Kalb.

»Ihr seid wohl die Elisabeth Fischer?« fragte er endlich.

Sie nickte.

»Habt Ihr das wirklich mit der Scheere geschnitten und ganz allein?«

Sie blickte ihn stolz an, zog ein neues Stück Pergament aus der Tasche und ihr Scheerlein dazu, und begann vor seinen Augen ein neues Bild zu schneiden.

Eine Weile sah er mit verhaltenem Athem zu, dann sprang er mit einem male auf und rief halb unwillig, halb zärtlich: »Ich glaube, Ihr seid es wahrhaftig werth, mein Töchterlein zu heißen! – So nehmt ihn nur hin, in aller Heiligen Namen, der da drinnen doch aus purem Liebesgram um Euch verscheiden will!«

Und damit schob er sie durch eine Seitenthüre. Sie stand in dem Gemache Georgs, dessen bleiches todestrauriges Angesicht sich eben langsam zu ihr hinwendete. Wie im Traume schaute er auf sie und auf die Gestalt des Vaters, der hinter ihr auftauchte, und immer heller wurde seine Stirn. Da löste die übergroße Herzensseligkeit des liebenden Mägdeleins und die Gnade der erbarmungsreichen Mutter die starren Bande des Schweigens; die holden Lippen zuckten: »Ich darf ja Dein Weib sein!« sprach Elisabeth deutlich und klar.

*

Von diesem merkwürdigen Kunstwerk der Elisabeth Fischer in Augsburg, dem bald noch mehrere ähnliche folgten, sagt die berühmte Kunstgeschichte Sandrart's wörtlich: »Sie hat mit der Scheere auf Pergament ein so köst- und künstliches Meisterstück gemacht, daß man schriftlich dasselbe nicht so hoch loben kann, als seine Würdigkeit verdient. Es besteht aber in unterschiedlichen zierlichen Jagden, Landschaften und dem Kälbertanz der Israeliten, den diese rare Künstlerin mit der Scheere auf weißes Pergament, einer flachen Hand groß, geschnitten. Viele wohlgezeichnete Bäumlein waren darunter, und an jedem derselben viel hundert genugsam erkenntliche Blättlein und Reislein. Auch andre artliche wohlproportionirte Bildlein hat sie gefertigt in dieser Weise, deren größte wie kleine Fliegen. Und was noch mehr zu bewundern ist, daß sie auch den Ausschnitt ganz behalten, so daß sie allezeit zwei Stück auf einmal gefertigt, dergleichen Arbeit noch nicht nachgethan worden, auch schwerlich von andern nachgethan und zuwege gebracht wird, sie also das Lob behält, daß diese Kunst durch sie geboren und mit ihr gestorben.

»Nachher hat sie ihren Geliebten geheiratet, den wohlangesehenen Handelsherrn Georg Mayr, und hat mit ihm in Freuden gelebt, auch in ihrem Ehestand allerhand vernünftige und zierliche Gemälde gefertiget. Nachher in ihrem Wittibstande hatte sie ihre Kunst ihre einzige Ergetzlichkeit sein lassen, trotz Krankheit und Schwäche, und ist dann endlich im 74. Jahre malend im Bette sanft und selig verschieden, Anno 1674.«


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