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Der arme Illuminist.

Zu jener glorreichen Zeit, als die Strahlen des Dreigestirns der Geschwister van Eyk, des Hans Hemmling, des Jan Mabuse und anderer das erste goldene Licht über die Niederlande geworfen, welches gar bald zum vollen Sonnenschein wurde, dessen Glanz Pilger aus weitester Ferne herbeilockte, lebte in der Stadt Antwerpen, auch Antorf genannt, ein armer Illuminist mit Namen Gerhards. Aus dem schmalen Erkerfenster seines niederen Hauses sah man just die weiße Fingerspitze des Domes, und in seinem Stüblein hörte man deutlicher als anderswo das kunstvolle Glockenspiel der großen Uhr, die den geschäftigen Menschenkindern da unten immer so hart und unerbittlich zurief: » hora ruit!« – Der Schatten der mächtigen Kirche legte sich auch gar zeitig wie eine graue Wolke über Gerhards Dach, weshalb er seinen hölzernen Schemel und Tisch allezeit dicht ans Fenster rücken mußte, um die Umrisse der kleinen Heiligenbilder, die er für das Mönchskloster des heiligen Sebaldus illuminirte, scharf zu erkennen. Die Augen gingen ihm dabei oft über, und die Farben tanzten mitunter vor ihm auf und nieder wie Mücken im Sonnenlicht.

Es war keine sonderliche Abwechslung in den Bildern, die er malte, aber ein Illuminist muß coloriren, was man ihm zuschiebt, und hat keine Wahl. In der einen Woche mußte Gerhards lauter heiligen Katharinen blaue Kleider anziehen und rothe Mäntel umhängen, in der andern wollten heilige Theresen blaue Mäntel und rothe Kleider von ihm haben. Sehr selten gabs einmal eine gebenedeite Jungfrau mit goldenen Gewändern zu schmücken und ihr ein blitzendes Krönlein aufs Haupt zu setzen. Dutzendweise traf dagegen der heilige Sebastian ein, der um eine braune Kutte bat, und der heilige Hubertus, der einen grünen Rock brauchte. Ohne Seufzen und Klagen theilte der Illuminist jedem das Seine aus vom Morgen bis zur Dämmerung; und so ging es Jahr aus Jahr ein unverdrossen fort. Wer ihn so gebückt sitzen sah, einen Tag wie den andern, die schmale Gestalt über den Tisch geneigt, die Wangen geröthet von der Arbeit, der mußte sich über solchen unermüdlichen Fleiß wohl verwundern. Nur in den Abendstunden nahm er sein schlankes blondes Töchterlein an die Hand, und wanderte mit ihr ein wenig ins Freie, wenn das Wetter mild war.

Das Illuminiren war freilich die selbsteigen gewählte Beschäftigung Gerhards gewesen, zu der er erst nach mancherlei Kämpfen und Mühen gelangt war in den reiferen Jahren seines Lebens; deshalb mochte er wohl so geduldig bleiben. Von seiner frühsten Jünglingszeit an nämlich hatte Veit Gerhards ein Maler werden wollen. Als vater- und mutterlose Waise lebte der Knabe im Hause seines Großvaters in Nürnberg, den man einen gar geschickten Waffenschmied nannte und der auf sein funkelndes Gewerbe nicht wenig stolz war. Die Stadt Nürnberg aber blitzte und leuchtete dazumal recht wie ein seltener Edelstein unter allen Städten des deutschen Landes hervor. In allen Zweigen der Kunst regte es sich gar wundersam dort, und wer offene Augen und ein offenes Herz hatte, für den gab es genugsam zu schauen und zu bewundern. Der Rothgießer Peter Vischer rührte seine fleißigen Hände zu den köstlichen Meisterwerken, der Bildner Adam Krafft zeichnete die kühnsten Pläne zu Wunderbauten, Holzschnitzer und Bildner thaten sich hervor, und in der Malerwerkstatt des Meisters Wohlgemuth arbeitete unausgesetzt eine große Zahl lernbegieriger Schüler.

In eben diese Malerstube hatte der alte Waffenschmied Gerhards seinen Enkel einstmals mit einer Bestellung gesandt. Der junge Veit hatte noch nie eine Staffelei geschaut, noch nie ein Bild von Farben in der Nähe betrachtet. Als er bei dem Meister eintrat, war dieser nicht daheim, und die Werkstatt leer bis auf einen ganz jungen Schüler, der in der Nähe des großen Erkerfensters malte. Gerhards richtete zuerst mit abgezogenem Käpplein seine Botschaft aus, dann aber schaute er sich doch mit bescheidener Neugierde in der Malerstube um. Seine Fragen lockten den jungen Schüler von der Staffelei hinweg zu ihm hin. Ein Wort gab das andere: die beiden gefielen sich in ihren Reden und Gegenreden. Der Schüler wies ihm alles, von den langen Malerstöcken und verschiedenen Pinseln an bis zu den grob untermalten Holztafeln und den bunt umhergestreuten Farbenmassen. Auf die wunderlichsten Fragen des Unkundigen gab er langmüthig die sanfteste, sinnigste Antwort.

So war Veit denn endlich fragend und hörend bis an die Staffelei des Schülers vorgedrungen; kaum hatte er aber einen Blick auf die Tafel geworfen, als er die Hände in einander schlug mit dem Ausdruck des tiefsten Staunens und wie gefesselt davor stehen blieb. Ein eben vollendeter Madonnenkopf trat leuchtend aus mattem Grunde hervor, die thränenfeuchte Wimper tief gesenkt. Veit Gerhards konnte die Augen nicht loslösen von diesem Bilde des Schmerzes, und je länger er hinsah, desto seltsamer fühlte er sich bewegt; die hellen Thränen liefen ihm unbewußt über die rothen Wangen. Eine neue Welt ging ihm auf, von der seine Seele noch nichts geahnt, die Welt der Farben, und wem sie ihre Thore erschließt, der verfällt ihr mit Leib und Seele.

Der Lehrling des Waffenschmieds stammelte endlich aus tiefster Brust: »O könnte ich solches schaffen wie Ihr!« Und wie ein Blitzstrahl fiel in sein Herz urplötzlich der heiße Wunsch ein Maler zu werden. »Ich möchte ein Maler werden!« rief er in heller Begeisterung, – »und Ihr müßt mir helfen!« Dabei umfaßte er den jungen Schüler mit beiden Armen und sah in sein sanftes Antlitz mit zärtlicher Bitte. Und sein neuerworbener Freund drückte ihn fest an sich und schürte die aufschlagenden Flammen durch feurige Reden und rieth ihm dringend sich der lieben herrlichen Kunst der Malerei hinzugeben, und er wollte ihn unterweisen in den Anfangsgründen, so viel er es vermöchte, und dann wollten sie mitsammen bei dem Meister Wohlgemuth arbeiten. Es war dem Veit, als träume er einen seligen Traum; da kamen aber lärmend und lachend die andern Schüler und scheuchten die beiden auseinander. Veit Gerhards stand schon zum Weggehen bereit in der Thür, als es ihm erst einfiel nach dem Namen des jungen Schülers zu fragen. »Ich heiße Albrecht Dürer,« lautete die Antwort – und der Lehrling des Waffenschmieds ging. Er sah seinen neuerworbenen Freund aber nicht wieder. Als er nämlich, voll des Erlebnisses und voll von allerlei glühenden Wünschen und kühnen Entwürfen zu seinem Großvater kam und ihm sein junges Herz ausschüttete, erschrak der alte Mann über solch tollen Gedanken eines wirklichen Gerhards – die ja von Urzeiten her immer nur Waffenschmiede gewesen – dermaßen, daß er, ohne zur Stelle ein Wort auf Veits Geständnisse zu erwidern, seines Enkels Bündel schnüren ließ. Am andern Morgen schon gab er ihn einem seiner Vettern mit, der wieder zurück nach den Niederlanden wanderte, wo er ansässig war, und Veit ging ohne Widerrede, weil dazumal Kinder ihren Eltern und Vorgesetzten blindlings zu gehorchen pflegten.

Der Vetter wohnte in Antwerpen und war dort wohl angesehen. An den Fenstern seiner Werkstatt funkelte und blitzte es gewaltig von allerlei kunstvollen Wehrgehenken, Schwertknäufen und Waffenstücken aller Art. Unter seiner strengen Zucht vergingen dem jungen Veit auch gar bald die schönen Träume von Staffelei und Holztäflein, aber die geheime Liebe zu den Farben blieb, und die zärtliche Erinnerung an den edlen Kopf des jungen Schülers auch. Wohl zu hundert Malen versuchte er es ihn aus dem Gedächtniß zu zeichnen, aber ob er sich auch Linie nach Linie vorzusagen vermochte, und das Blau seiner Augen, das Roth seiner Lippen, das goldige Braun seiner langen Locken ihm ordentlich ins Herz hineinleuchtete, die Hand vermochte dennoch keinen Zug festzuhalten. Er wäre sicherlich darüber verzweifelt, wenn er die Zeit dazu gehabt; allein die Liebe zu seines Lehrherrn hübscher Base ließ ihn zum Glück nicht dazu kommen und kettete ihn obendrein noch fester an sein Gewerbe. Als er aber das schmucke Mägdlein endlich errungen und seines kränklichen Lehrherrn Werkstatt dazu übernommen, trat doch sein wunderlicher Hang zu Farben und Schildereien wiederum so stark zu Tage, daß er mehr in den Kirchen sich umhertrieb, um Altarbilder anzuschauen, und Stunden lang die Lichterspiele der bunten Glasfenster auf den Steinplatten betrachtete, statt sein Geschäft zu versehen. Dabei zeigte er auch die Seltsamkeit, jedem Malermeister nachzulaufen, der just vorüberging. Dem Quentin Messis war er zum Beispiel einmal einen halben Tag lang überall hin gefolgt, bis dieser sich endlich unwirsch umgedreht und ihn nach seinem Begehren gefragt. – Sein Weib fing natürlicher Weise auch gar bald nach den Honigwochen an mit ihm zu schelten, und als der Vetter, der ihm die Werkstatt in aller Form Rechtens übergeben, endlich die müden Augen für immer geschlossen und Gerhards noch nachlässiger wurde, da fand sie kein Ende mit finstern Blicken und spitzigen Reden. Sie begriff nun einmal seine tolle Liebe zu den Farben und Pinseln nicht, und sagte ihm unaufhörlich, daß doch das Blinken eines gut gearbeiteten Schwertes ungleich schöner sei als alle Farben der Welt, und ein zierliches Wehrkettlein viel kunstvoller als eine ausgepinselte Holztafel.

All ihr Schelten half natürlich nichts. Gerhards war sogar toll genug, als sein Weib ihm nach mehrjähriger kinderloser Ehe endlich ein Töchterlein geboren, mit dem kaum eintägigen Kinde in das Haus des berühmten Meisters Messis zu laufen, ihn bittend der Kleinen einen Namen auszuwählen. Es war der stolzeste Tag seines Lebens, als der Meister die rosige Kleine zwar verwundert, aber doch freundlich in seine Arme nahm, lächelnd und kopfschüttelnd den wunderlichen Kauz, ihren Vater, anschauend, und dem Kinde endlich den Namen Susanna ertheilend. Seit jener glorreichen Stunde wurde es in der That besser mit Gerhards: er versuchte in der Freude seines Herzens wieder in seiner Werkstatt zu arbeiten; aber trotz aller Mühe und sauern Schweißes brachte er doch nimmermehr eine untadelige Klinge oder einen sauberen Dolchgriff zu Wege. Er war nun einmal durchaus nicht zum Waffenschmied geboren. – Es ist mit den Seelen der Menschen wie mit dem verschiedenen Erdreich. Der eine Boden eignet sich trefflich zum Kartoffelbau; wollte man aber Rosen und Lilien darauf pflanzen, so würden sie kaum ihr Leben fristen und elende Knospen tragen, die sich nimmermehr zur vollen Blüte zu entfalten vermöchten. Der andere Boden ist von der Natur bestimmt köstliche Ananas zu zeitigen, und eine plumpe Hand pflanzt Rüben darauf, die als Krüppel ans Licht gezogen werden. So erscheinen aller Orten die seltsamsten Gewächse, an denen kein gesundes Auge noch gesundes Herz sich zu erlaben vermögen, und das Schlimmste ist, daß bei solchen Experimenten der Boden auch mit zu Grunde geht. Da heißt es ein geschickter Gärtner sein, wenn man Vater, Mutter oder Lehrer ist, um dem rechten Boden die rechten Pflanzen zu geben.

Gerhards Freude in seinem verkümmerten Leben wurde sein Kind, die kleine blonde Susanna. In ihr sah er alle die unklaren geheimen Wünsche seiner Seele Gestalt annehmen; die Kleine erschien wie ein echtes und rechtes Malerkind. Stunden lang saß sie am Boden und legte von verschiedenfarbigen Blumenblättern zierliche Figuren zusammen oder formte von bunten Steinen Mosaikmuster. Schon früh machte er sie zur Vertrauten seiner stillen Sehnsucht; ihr allein erzählte er zu tausend Malen jene Begegnung mit dem jungen Schüler des Meisters Wohlgemuth, ihr allein beschrieb er haarklein das Angesicht und die Gestalt Albrecht Dürers, mit dem er geredet, und der nun schon von sich reden machte in den Niederlanden als von einem werdenden Meister. Allmählich nahm auch dieser schöne Kopf mit den langen Locken und wundertiefen Augen einen festen Platz ein in dem Herzen der kleinen Susanna. In all ihren Kinderträumen erschien dies Angesicht, und die Gestalt dieser liebsten Erinnerung ihres Vaters wurde für sie zu einer Heiligenerscheinung. Sie rief ihn nicht selten sogar zum Fürbitter auf bei ihren kindlichen Abendgebeten, besonders wenn irgend ein im Laufe des Tages begangenes vermeintliches Unrecht ihr kleines Herz belastete. Als sie größer wurde, entschlüpfte sie, unter Beihülfe des Vaters, gar oft der scheltenden Mutter und lief die Gasse hinab in das Haus des Meister Messis, und seine Malerwerkstatt wurde ihr liebster Aufenthalt. Unermüdlich konnte sie dort zuschauen, wenn Quentin Messis malte und mischte, und ihm Farbenreiberdienste zu thun war ihre höchste Freude. Freilich durfte davon die Mutter nichts merken, sie hielt daher mit größter Sorge Gewand und Hände rein. Der Meister hatte sie gern um sich, war sie doch so sanft und lieblich und stellte sich so wunderbar geschickt an zu allerlei Handreichungen. Auch Jan, der älteste Sohn des Messis, sah mit dem heitersten Gesicht von seinen Farben auf, wenn die schwere Holzthür sich langsam bewegte und die zierliche Gestalt Susannens sich hereindrängte. Wußte er doch ganz genau, daß sie ihn abzulösen kam in seiner ihm so lästigen Beschäftigung, Farbenreiber zu spielen. Nun durfte er ja hinaus huschen, ohne vermißt zu werden, und sich draußen mit seinesgleichen ein Stündchen raufen und schlagen. Das war allezeit eine Herzenslabung. Jan hatte zwar nichts dagegen, ein so berühmter Maler zu werden, wie sein Vater war, aber daß es so gewaltig viel Mühe kostete, das hatte er doch nicht geglaubt und das verdroß ihn nicht wenig. Die gebornen Malersöhne hätten es doch nothwendiger Weise leichter haben müssen, Meister zu werden, als die anderen, so meinte er, und die lustigen Kameraden bestärkten ihn in dieser Meinung. Um die Mittagsstunde traf Jan aber regelmäßig in der Werkstatt wieder ein und schlich erhitzt, aber mit lachenden Augen und verwirrten Locken zu seinem Schemel, drängte die niedliche Stellvertreterin hinweg, gab ihr wohl im Uebermaß von Dankbarkeit, besonders wenn er in der Rauferei Sieger geblieben, einen herzhaften Kuß, und Susanna lief eiligst nach Hause, um sich von der Mutter schelten und vom Vater beloben zu lassen.

Als aber das Mägdelein fast das dreizehnte Jahr erreicht, starb ihre Mutter und nun veränderte sich Gerhards Leben gar wundersam. Zunächst gab er seine Beschäftigung auf, verkaufte seine Werkstatt mit allen Vorräthen um einen Spottpreis, und erhandelte sich ein kleines Haus dicht an des Quentin Messis Haus gelegen. Die alte Buche, die im Hofe des Malers stand, reichte just bis über die Fenster von Susannens Kämmerlein, und die Vögel, die darin nisteten, sangen die Kleine in den Schlaf am Abend und weckten sie am Morgen wieder. Als Vater und Tochter sich kaum nothdürftig in dem neuen Quartier eingerichtet, ging Gerhards eines Tages mit wichtiger Miene, und ganz bleich vor Erregung in die Malerwerkstatt des Messis und bot sich ihm allen Ernstes als Schüler an. Der Meister aber stemmte seine Arme in die Seiten und konnte kein Ende finden mit gewaltigem Lachen. »Seid Ihr toll, alter Bursche?« rief er einmal über das andere, »daß Ihr in Euren Jahren noch daran denkt mit der Kunst der Malerei zu beginnen? Als ob es nur ein Kinderspiel sei, das sich lernen lasse während einer Handvoll Jahre! Daran muß man ein frisches junges Leben setzen! Gebt mir Euer Töchterlein in die Lehre, ich will eine tüchtige Malerin aus ihr machen, nehmt meine Hand darauf! Ihr aber, guter Freund, besinnt Euch eines besseren. Wenn der Gaul steif ist, spannt man ihn nicht mehr vor einen Königswagen!«

Diese Rede nahm aber der Gerhards so gewaltig übel, daß er den Staub von seinen Schuhen schüttelte und laut schwur, diese Schwelle nicht mehr zu betreten. Und er hielt nicht nur Wort, sondern verbot sogar seinem Töchterlein auch strenge, hinüber zu gehen; und den Jan, der einmal herüberhuschte, um sich nach seiner getreuen Helferin umzuschauen, trieb er mit gröblichen Worten zum Hause hinaus. Susanne weinte zwar viel Thränen darob, aber vergebens.

Gerhards hatte mittlerweile, da er nun doch durchaus den Pinsel zu führen begehrte, eine Beschäftigung nach seinem Sinne gefunden: er illuminirte Heiligenbilder für die Klosterbrüder von St. Sebaldus. Sein Eifer dabei war so gewaltig, daß er Essen und Trinken darüber schier vergessen hätte, wenn ihm sein achtsames Kind nicht das Nöthige mit Bitten und zärtlichen Schmeichelworten aufgezwungen. Man bezahlte ihm freilich die Bildchen nur schlecht, aber bei dem umsichtigen Sinne Susannens und ihrem echt hausmütterlichen Schalten und Walten konnten sie leidlich leben, ohne daß Gerhards sich so gewaltig dabei anzustrengen nöthig gehabt hätte. Er mußte noch einen ganz geheimen Plan in seinem Herzen hegen bei diesem allzuheftigen Thun, den er aber selbst vor seinem Töchterlein verbarg. Susanna verwunderte sich oft im stillen, wenn sie ihn jedes ersparte Geldstück so ängstlich in eine kleine Truhe verschließen sah, als gälte es Schätze vor den Augen gieriger Räuber zu bergen.

Tief im Herzen der jungen Susanna klang aber ein süßer Lockton, und der wollte nicht schweigen weder bei Tag noch bei Nacht. Sie hörte nämlich unablässig jenes Wort des Meisters: »ich wollte eine tüchtige Malerin aus ihr machen!« Jan hatte ihr ja jenes verhängnißvolle Gespräch zwischen seinem und ihrem Vater haarklein erzählt auf einem Heimwege aus der Messe, woselbst er sich jetzt häufiger als sonst blicken ließ. Das hallte nun immer vor ihren Ohren wie ein fernes Glockengeläut. Und doch mußte sie dahin leben ohne Lehrmeister, ohne Rath, ohne Hülfe. Was nützte es, daß der Vater ihr wohl einmal ein Dutzend Heiligenbilder überließ, sie zu illuminiren. Was half es, daß Jan Farbenreste und Holztäflein ihr abends in den Flur stellte, die sie nothwendig finden mußte, wenn sie in die Unterstube hinabstieg, um das Nachtmahl zuzurichten. Sie konnte sich sogar nicht einmal von Herzen freuen, als der Jan ihr am Christtage eine eigenhändig gezimmerte Staffelei in die Thür schob, wenngleich sie sein Geschenk gar sorglich in ihrem Kämmerlein aufstellte. Niemand war ja da, der ihr zeigte, wie das alles recht zu gebrauchen sei. In stillem Kummer gingen die Tage hin, der Frühling löste den Winter ab, und der Sommer folgte dem Lenze auf dem Fuße. An einem Juni-Nachmittage stand Susanna allein an dem offenen Fenster ihres Kämmerleins. Die Sonne stand schon tief, und im Hofe drüben war's schon recht dämmerig. Gerhards arbeitete noch immer in seinem düsteren Gemach, ungeachtet Susanna ihn flehentlich gebeten, seine brennenden Augen zu schonen und aufzuhören. Recht traurig blickten die blauen Augen des Mägdleins in die grünen Zweige der Ulme. Sie bewegten sich eben recht seltsam und wieder und wieder; urplötzlich schaute, just ihrem Fensterlein gegenüber, das lachende bräunliche Angesicht Jan's aus den Blättern. Die dunklen Locken muthwillig schüttelnd, flüsterte er herüber: »Ich sah Dich da droben stehn, und kam, mit Dir ein Weilchen zu reden. Der Vater malt eben ein großes Conterfei und kann sich jetzt wohl Wochen lang nicht um mich kümmern. Da werde ich denn oft so zu Dir kommen, und das hat uns zum Glück auch niemand verboten. Wo steckt der närrische Kauz, Dein Vater?«

»Er arbeitet fleißiger als Du!«

»Aber es ist schon dunkel bei Euch!«

»Ach! er wird sich die Augen krank malen!«

»Ich könnte nicht immer so darauf los malen!«

»Du? Das glaube ich! Um Deine Augen ist mir nicht bange, Jan!« – Sie sah ihn an und lachte lieblich. Wo war ihr schweres Herz mit einem Mal hingeflogen?

»Wie zierlich ist's bei Dir!« sagte Jan bewundernd und reckte den Hals, um in das Kämmerlein zu blicken.

Sie trat zurück. »Sieh! da steht auch Deine hübsche Staffelei!« sagte sie stolz. Aber bei diesen Worten flog schon wieder ein Schatten über ihr rosiges Angesicht. »Ja, es ist alles da zum Malen,« seufzte sie, »und die Lust dazu ist erst recht da, aber – der Lehrmeister fehlt!«

»Susanna, er ist auch da, wenn Du willst. Nimm mich zum Lehrmeister! Ich habe tüchtig lernen müssen, seit Du nicht mehr zu uns kommen durftest. Und ich will Dich alles lehren, was ich selbst weiß.«

»Wie sollte das geschehen? Du darfst ja nicht in unser Haus und ich nicht in das Eure!«

»Nun! Ich steige jedweden Tag um dieselbe Stunde auf diesen Baum und Du rückst Deine Staffelei dicht ans Fenster, und da reden wir mit einander, und einen Pinsel an einem langen Stock zum Nachhelfen bringe ich schon mit, und die Palette dazu, und da lehre ich Dich die Farben mischen. Fein achtsam werde ich schon sein und strenge auch. Du sollst Dir keinen bessern Lehrmeister wünschen all Dein Leben lang.«

Halb zweifelnd, halb selig sah sie ihn an. »Du hast Recht, der Vater hat ja nicht verboten, daß wir miteinander reden sollen!« sagte sie endlich langsam.

»Das könnten auch alle Väter der Welt nicht verbieten!« antwortete er zuversichtlich aus seiner grünen Laube heraus. Sie rückte geschäftig die Staffelei ans Fenster. »Ist's so recht!« – »Noch näher! Du mußt sie noch ein wenig wenden, damit ich Dich selbst beim Malen besser sehen kann. Das verlangt jeder Lehrmeister von seinem Schüler.«

»Also so etwa! – Nicht wahr? – O Jan, wenn ich wirklich bei Dir malen lernte!«

»Du wirst's! Aber sei nur pünktlich tagtäglich hier um die dritte Nachmittagsstunde. Auch wenn's regnet. Hörst Du?«

»Ja sicherlich! Und wenn ich schöne Bilder malen lerne, so verkaufe ich sie, wie Dein Vater es thut, und werde reich!«

»Nun und dann?«

»Dann kaufe ich dem Vater ein neues Haus mit einer großen hellen Malerstube darin, daß er immer schönes Licht hat für seine armen Augen. Und ich sitze auch mit ihm darin und male nach Herzenslust.«

»Wo bleibe ich denn aber?«

»Du?« – Sie sann nach. Eine köstliche Röthe überströmte ihr Angesicht. Da rief die Stimme Gerhards ihren Namen. »Der Vater will hinauswandern!« flüsterte sie noch lieblich nickend, und der wunderliche Vogel in den Zweigen sah ihre Gestalt verschwinden.

Aber seit jener Zusammenkunft saß in der dritten Nachmittagsstunde eines jeden Tages der gewissenhafte Lehrmeister auf dem Baume vor dem Fenster seiner gelehrigen Schülerin. Zuweilen wünschte er von Herzen, sie wäre um ein weniges minder achtsam und eifrig, hatte sie doch kaum einen Blick für ihn, und ihre Wangen glühten vor Lust. Welche Farbenmischung entdeckte der junge Lehrmeister auf dem kleinen Raume der ihm zugewendeten Seite des Angesichts seiner Schülerin! Sah man selbst auf den vielgerühmten Bildern des Quentin Messis einen schöneren Fleischton als den, welchen der zurückgestreifte Aermel den Blicken Jans zeigte? Leuchtete das Gold, das der Pinsel des Meisters auf die Tafeln auftrug, wohl halb so hell, wie das reiche Haar Susannens? Und gar ein Blau wie die Farbe ihrer Augen gab es nun einmal in dem ganzen Reiche der Farben nicht, das wußte Jan ganz genau. Und wie rein und holdselig war die Linie des Profils, das der Lehrmeister allezeit so recht vor Augen hatte. Und wie lieb war die Stimme, mit der sie ihn allerlei fragte. Und wie reizend ihre Bewegungen, wenn sie hin und wieder ging, um Verschiedenes zusammen zu tragen, oder wenn sie mischte, oder sich zurückbog, um den Effect des Gemalten zu prüfen. Dann und wann fuhr freilich auch der Pinsel des Lehrmeisters dazwischen und setzte hie und da ein keckes Licht auf, oder sie mußte ihm die Palette hinausreichen, um sich eine Farbe mischen zu lassen, die sie noch nicht zu finden vermochte. Sie that das aber stets zögernd, denn der Jan war immer voll von tollen Streichen und packte mit der Palette auch schnell die runde Hand der Geberin und hielt sie trotz alles Sträubens, so lange es ihm gefiel, gefangen. Aber schön waren diese Lehrstunden doch, von denen Vater Gerhards bei seinen Heiligen und Quentin Messis bei der vornehmen Edelfrau, die er conterfeite, nichts ahneten. Schön waren sie, so flüchtig sie auch vorüber gingen, so klein auch das Stückchen Himmel war, das über ihnen hing, so wenig auch von der reinen köstlichen Sommerluft, die da draußen wehte, zu ihnen drang. Bienen und Schmetterlinge und Vögel waren doch da, die summten und erzählten von der Schönheit des Sommers, und so wurde der alte grüne Baum zur köstlichen Rosenlaube über zwei jungen Herzen, die das Blühen und Duften jener Rose, die ihre junge Liebe erstehen ließ, auch nicht eher empfanden, als bis auch die Dornen stachen.

Der Sommer flog dahin wie ein Tag, der Herbst kam und rüstete sich zum Scheiden, die Blätter der Ulme fielen langsam ab, und vier junge Augen sahen sie mit Thränen fallen. Endlich schlug die Abschiedsstunde für den Lehrmeister und seine Schülerin, die kahlen Zweige vermochten den großen Vogel da oben nicht mehr zu verstecken. Gemalt wurde in dieser letzten Stunde freilich nicht viel, dagegen wanderte die kleine Hand oft ohne Palette hinaus, und ließ sich gefangen nehmen. Endlich bog sich auch ein holdseliges junges Angesicht aus dem Fensterlein und zwei verlangende Arme streckten sich aus, das Köpfchen zu umfassen und näher zu ziehen! Es war ja das letzte Mal. Beide gewahrten in ihrem Kummer und ihren bittern Abschiedsthränen auch nicht, daß die Hofthür des Malers sich geöffnet und der Meister Messis selbst herausgetreten. Er stand ganz still und schaute zu dem Baume auf. Seinen langen Malerstab hielt er in der Hand und stampfte damit von Zeit zu Zeit wie ungeduldig auf. Auch räusperte er sich einige Male nicht allzuleise: – die da oben hörten und sahen aber nichts als sich selber. Da trat der Meister endlich dicht an den Baum heran, gab dem Stamme einen gewaltigen Stoß mit dem Fuße und rief mit seiner kräftigen Stimme hinauf: »Dacht' ich doch nimmer, daß auf diesem alten Baum noch Früchte wachsen könnten, es sind freilich auch nur wurmstichige. Hinab mit ihnen!« Und dabei bearbeitete er mit seinem Malerstocke die lang herabhängenden Beine des Jan recht tüchtig. Mit einem Schrei verschwand die Mädchenrose da oben am Fensterlein und Jan rutschte hinab mit Windeseile. Drei Tage später war er schon auf dem Wege nach Leyden zu dem berühmten Meister Lucas, wohin ihn sein Vater bis zu überstandener Lehrzeit schickte. Den zugedachten Kuß von den Lippen Susannens holte er sich aber mit großer List doch noch am Abend vor seinem Scheiden von Antwerpen am Brunnen, und bei dieser Gelegenheit mußte er wohl Zeit gefunden haben, ihr allerlei Tröstliches zuzuraunen, denn das Mägdlein trug zwar am andern Tage verweinte Augen zur Schau, war aber doch sonst guten Muthes und ließ das Köpfchen nicht hängen.

Nun aber kamen Wolken über Wolken. Gerhards Augen fingen an zu kränkeln, und seine Gestalt verfiel. Desto unaufhaltsamer aber arbeitete er weiter. Es war eine Hast und Unruhe in seinem Wesen, die sein armes Kind gar sehr ängstigten. Vergebens waren ihre rührenden Bitten sich zu schonen. Er wurde gereizt und bitter, wenn sie von seinen trüb aussehenden Augen redete. »Laß mich! Ich weiß warum ichs thue!« gab er meist zur Antwort und illuminirte mit rasendem Eifer weiter. Der Frühling brachte freilich wieder seine Heilmittel: das sanfte Grün; die kranken Augen stärkten sich bei seinem Anblick, der heiße Sommer aber und die scharfen Lichter des Herbstes brachten neue Schmerzen. Allein Gerhards klagte nimmer. Geduldig ging er von einem Tag in den andern, vom Herbst in den Winter und vom Winter wieder in den Frühling und so fort. Immer näher rückten aber Tisch und Schemel ans Fensterlein, immer tiefer beugte sich sein bleiches Gesicht über seine Arbeit, immer sorgsamer verbarg er die Bildchen vor den Blicken seines Kindes, – bis er endlich eines Tages nichts mehr zu verbergen hatte, bis die Mönche von St. Sebaldus ihm seine illuminirten Heiligen mit scharfer Rüge wieder heimsendeten und ihm drohten, niemals an ihn neue Arbeit zu geben, wenn er wiederum in solcher »Trunkenheit« illuminire.

Da brach Gerhards zusammen. Mit zitternden Händen schob er die Blätter sprachlos seinem Kinde zu. Ach! da sah Susanna, was sie nicht zu sehen erwartete. Der Pinsel des armen Illuministen hatte keinen Contour mehr festzuhalten vermocht, und die Farben flossen wirr durcheinander. Die Heiligen trugen sonder Scheu grüne und violette Bärte zur Schau, und die Magdalenen und Katharinen hatten sich blau geschminkt. Susanna weinte heiße Thränen. »Weine nicht!« sagte da der Vater verzweiflungsvoll und riß ihr die Bilder aus den Händen, »hilf mir lieber! hilf mir nur einen Monat lang, sieh, dann sind meine Augen wieder gesund, ich weiß, ich fühle das. Dann arbeite ich mit doppeltem Fleiße weiter. O nur noch ein Jahr, dann haben wir genug!« Und als sie ihn umfaßte und fragend zu ihm aufschaute, da sagte er hastig und geheimnißvoll, seine Lippen zu ihrem Ohr geneigt: »Nun will ich Dir auch sagen, warum ich arbeiten will! Wir müssen ja nach Nürnberg und die Reise dahin ist so weit! Aber er nimmt mich als Schüler an, das glaube mir, und dann hat alles Herzeleid ein Ende. Sieh, das ist's, was mich am Leben und bei der Arbeit hält! Und Du gehst mit! denn Du mußt ihn ja auch mit leiblichen Augen schauen!«

Nach langer Pause fragte sie leise: »Geht der Weg dahin über Leyden, Vater?« Wie im Traume nickte er. Da fiel sie ihm mit einem Freudenruf an die Brust, und seit jener Stunde legte sich ein Schimmer von Glück über ihr Angesicht, der nimmer wieder wich. Und sie half ihm redlich, während er still im Winkel saß, die kranken Augen mit der Hand beschattend, sie war so fleißig, daß Gerhards oft abmahnen mußte, und die Klosterbrüder rühmten ihre Bilder sehr. Aber sie half ihm nicht nur einen Monat lang: Monat an Monat reihte sich zum Jahr, und dem geschiedenen Jahre folgte wieder ein neues; die Zeit stand nicht still. Gerhards schien es kaum zu bemerken. Mit der Gier eines Geizigen überzählte er von Zeit zu Zeit seine geringen Schätze und jubelte, wenn er sie wieder um ein weniges vermehrt fand. Mit glühenden Wangen und überströmenden Augen rief er eines Tages: »Wer doch jetzt ein Bild malen könnte wie der Quentin Messis und einen Käufer dazu finden! Dann könnten wir ja im nächsten Frühling schon fortziehen in die Stadt der Verheißung.« – »Im nächsten Frühling schon nach Leyden – – nach Nürnberg, wollte ich sagen!« fiel Susanna ein und legte hochaufathmend den Pinsel nieder.

Dieses Wort des Vaters fiel auf einen warmen Boden, eine schöne Blume sollte daraus erwachsen. Ein sauberes Pergamentblättlein lag nun allezeit zwischen den Heiligenbildchen, die ihre Hand illuminirte, und darauf begann sie ihre Arbeit mit großem Fleiß. Zu tausend Malen mußte sie das Blatt überdecken, wenn Gerhards aufstand, ihr in gewohnter Weise zuzuschauen. Tagelang mußte sie es zuweilen bei Seite schieben, weil die Mönche von St. Sebaldus drängten, oder die frommen Ursulinerinnen neue Bestellungen machten, denn der Ruf ihrer Bilder drang durch ganz Antwerpen. Unverdrossen arbeitete sie Tag bei Tag, und die Rosen ihrer Wangen erbleichten darüber. Und just am ersten Mai war das Liebeswerk vollbracht, und das Bild, das dem Vater Glückseligkeit bringen sollte, war fertig. – Mit dem Lächeln hoher Freude trat sie schon am frühen Morgen vor den Vater hin, und mit zärtlichem Kusse sich zu ihm niederbeugend, fragte sie: »Glaubt Ihr, daß dies Bild einen Käufer finden wird?« Damit legte sie das feine Blatt in seine Hände. Das volle Licht des Tages fiel auf das Bild – es war ein wunderschöner, äußerst zierlich ausgeführter Salvatorkopf. Welch ein Strahl flog da über das eingefallene Angesicht des Illuministen! Was trieb ihm die Thränen in die kranken Augen und machte seine Lippen beben? Warum hoben die abgemagerten Hände das Blättlein so hoch ans Licht? – – Lange, lange fand die Zunge Gerhards keine Worte; erst als sein Kind vor ihm niederkniete in seltsamer Beklommenheit, sagte er leise mit trunkenem Lächeln: »Du hast sein Angesicht auf dieses Pergament gebannt! Ich habe also nicht umsonst von ihm zu Dir gesprochen. Er ist es, den Du als Salvator gemalt und der auch mein Salvator werden wird. Geh – geh, trage nur das Bild zu Quentin Messis – er wird Dir einen Käufer zuweisen. Zeige es ihm, damit er sehe, wie Du auch ohne ihn eine Malerin geworden! – Eile, mein Kind, und dann fort nach Nürnberg! Nimm mir das Bild weg, sonst lasse ich es nicht!«

Eine seltsame Bewegung zeigte sich gerade in diesen Tagen in Antwerpen. Leute aus allen Ständen standen lebhaft mit einander redend hie und da auf den Straßen. Die Mägdlein am Brunnen konnten kein Ende finden mit ihrem Geschwätz, in den Malerwerkstätten der verschiedenen Meister ging es hoch her; es war nämlich die Kunde von Gent gekommen, daß der hochberühmte Meister Albrecht Dürer von Nürnberg auf seiner Reise nach den Niederlanden besonders Antorf (Antwerpen) aufzusuchen gedenke, und gar vielleicht schon heute oder morgen daselbst eintreffen könne. Einige wollten sogar kecklich behaupten, er sei schon da, und mit ihm der große Meister Lucas von Leyden mit seiner wunderschönen Frau. Das alles machte einen gar tiefen Eindruck auf alt und jung. Denn damals war noch die herrliche Kunst der Malerei ein Schatz, den das Volk hütete, und den Schatzmeistern, den Malern, wurde gelohnt mit reichster Liebe und Verehrung. Um jeden bedeutenden Meister kümmerte man sich, und nicht allein um die einheimischen; die Fremden wurden just eben so hoch gehalten und geehrt, wie des Landes eigene Kinder; Neid und Mißgunst hatte man dazumal noch nicht zu Wächtern jenes heiligen Schatzes bestellt.

Susanne Gerhards, die sonst einem Plauderstündchen mit ihren Gefährtinnen am Brunnen niemals geflissentlich aus dem Wege ging, lief aber heute unbekümmert um das fremdartige Getümmel auf den Straßen, das Blättlein sorgsam in den Händen tragend, in das Haus des Meisters Messis, das sie ja nun schon Jahre lang nicht betreten. Ihr junges Herz klopfte so heftig, daß es ihr den Athem fast wegnahm, und ihre Wangen glühten, als sie jetzt mit schüchternem Finger an die schwere Thür klopfte. Quentin Messis selber öffnete ihr, breitete ihr auch gleich herzhaft die Arme entgegen und nahm sie an die Brust. »Ich wußte, daß Ihr einstmals wieder kommen würdet,« sagte er warm und zog das Mägdlein hinein. »Was führt Euch denn endlich zu Eurem alten Freunde? denn den sucht Ihr doch heute, dieweil der junge über alle Berge. Hat sich der Vater, der närrische Kauz, besonnen?«

»Ach, laßt das!« sagte sie traurig, und ihre Augen standen in Thränen, »davon erzähle ich Euch nachher. Schaut Euch das Bild nur an, das ich gemalt, und verschafft mir einen Käufer dazu, denn verkaufen muß ichs, je eher je lieber, Meister.«

»Kind, habt Ihr das in Wahrheit gemalt? Ihr – ganz allein?« fragte Messis erstaunt das Blatt betrachtend. »Da ist doch der Jan ein besserer Lehrmeister gewesen, als ich gedacht.«

Dieser eine Name von diesen Lippen hob urplötzlich eine Last von dem Herzen des Mägdleins. Heiß weinend schlang sie ihre Arme um den Vater des Heimlichgeliebten und beichtete ihm alles, den Kummer und die Hoffnung ihrer jungen Seele, sie beichtete ihm wie einem Priester; auch das Verlangen des Erblindenden, nach Nürnberg zu pilgern, verschwieg sie ihm nicht – ach! es war ja eine Wohlthat, einmal ihr Herz ausschütten zu dürfen. »Seine Füße wollen nun auch dahin, wo allezeit seine Gedanken weilen,« schloß sie, »und ich will ihn dahin geleiten. Seine armen Augen erkennen nur Eines noch: die Gestalt dessen, der ihm einstmals in goldigem Lichte in der Werkstatt des Meisters Wohlgemuth erschienen: jenen jungen Schüler Albrecht Dürer, der ja selbst nun ein großer Meister geworden sein soll. Selbst als ich ihm mein Bildlein da auf die Knie legte, erblickte er in dem Antlitz des Salvators nur sein Angesicht. Ach! glaubt mir, er findet nur Frieden, wenn dies Angesicht erst über ihm leuchtet. Schafft mir einen Käufer, Meister!«

»Laßt mir das Bild, ich verschaffe Euch einen Käufer, in dessen Händen Ihr es gern sehen werdet. Und nun seid getrost, verweint Eure hübschen Augen nicht; wie würde Jan schelten!« Und damit zog er das Mägdlein näher zu seinem Sitze und redete noch lange und geheimnißvoll mit ihr.

Als Susanna die Malerwerkstatt verließ, hüpfte sie wie ein Vöglein über die Steine der Gasse und ihre Augen leuchteten und ihre Stimme klang zärtlicher und lieblicher als sonst, als sie dem Vater erzählte, wo sie gewesen und welche Hoffnung sie heimgebracht.

Schon am Nachmittage kam Messis herüber und brachte dem jubelnden Mägdlein einen blanken Gulden Kaufgeld für das Blättlein, das ein kunstverständiger Nürnberger, der es bei ihm gesehen, an sich gebracht, wie er erzählte. Der Illuminist bot ihm guten Tag, als ob er ihn erst gestern verlassen, der Meister aber schüttelte den Kopf beim Anblick der verfallenen Gestalt, und betrachtete mit Rührung die welke Hand, die so heiß in der seinen lag. Dann fragte er freundlich, ob man ihm gestatten wolle den Nürnberger herüber zu bringen, der wisse gar viel von der wundersamen Stadt und von dem Albrecht Dürer zu erzählen. Wie da die Augen Gerhards leuchteten! Wie da seine Brust sich hob und dehnte, wie er mit den Händen wiederholt über die Augen fuhr, als wolle er einen Schleier hinwegreißen. »Bringt ihn!« sagte er dann hastig, »wer von Nürnberg kommt, ist mir hoch willkommen und sei es ein Bettler. – Oder soll ich zu ihm gehen? – O ich finde den Weg durch die Straßen – meine Augen sind heller als je; ich glaube, ich könnte fast wieder malen!«

Es dämmerte leise. – Susanne kniete neben dem Sessel Gerhards auf ihrem Schemel. Ihr Herz war so leicht und froh, noch nie hatte sie ja den Vater so heiter und freundlich gesehen, noch nie auf seinen Wangen ein so sanftes Roth. Er, der sonst so schweigsam war, redete unablässig. Er war wieder in seinem Geiste in Nürnberg, er schilderte seinem Töchterlein die wunderlichen Straßen und spitzen Giebelhäuser, und die vielen schlanken Brücken, redete von der Lorenzkirche und St. Sebaldus, und von dem schönen Brunnen am Markte. Er sah sich wieder in der Werkstatt seines Großvaters, und ließ die ehrwürdige Gestalt des alten Waffenschmiedes, wie sie leibte und lebte, vor seinem Kinde vorübergehen. So heiter war sein Lachen, so laut seine Rede, daß beide, Vater und Tochter, die Schritte auf der Treppe nicht hörten, auch nicht, daß jemand den Drücker der Thür hob und leise eintrat.

»Da Ihr nicht zu mir gekommen, muß ich wohl zu Euch kommen!« sagte da eine unendlich milde Stimme, und eine hohe Männergestalt streckte grüßend die Hand nach dem Illuministen aus. Ein Schrei – und Gerhards lag an der Brust Albrecht Dürers.

Als Susanne an diesem Abend sich zur »guten Nacht« über ihren Vater neigte, der ermattet aber selig lächelnd auf seinem Lager ruhte, flüsterte sie ihm erregt zu: »Jetzt erst begreife ich recht Euer Sehnen nach diesem Angesicht, Vater. Ich glaube, ich könnte um einen Blick aus diesen Augen auch nach Nürnberg wandern und weiter – – und ich habe doch den Jan Messis lieb – wie Ihr nun wißt!«

»Er hat Deinen Salvator gekauft, Kind,« murmelte Gerhards, »und nach Deinem Lehrmeister gefragt. Ich war Dein Lehrmeister, ich allein, und nun werde ich – sein Schüler.« Mit diesen Worten schloß er tiefaufathmend sanft die Augen. Sie blieben geschlossen am nächsten Morgen für immer. Der arme Illuminist war zu den Engeln gegangen; die gaben ihm seine hellen Augen wieder und bei ihnen wartete er auf seinen Lehrmeister Albrecht Dürer.

Die kleine Susanne, die gar bald das glückliche Weib des Jan Messis wurde und eine tüchtige Malerin dazu, haben ein paar Zeilen unsterblich gemacht. Sie stehen in dem Reisetagebuch des Meisters Dürer (1521), das zum Glück der Nachwelt aufbewahrt worden, und lauten: »Meister Gerhards, Illuminist in Antwerpen, hat ein Töchterlein, bei 19 Jahre alt, die heißt Susanna, die hat ein Blättlein illuminirt, einen Salvator, dafür habe ich gegeben einen Gulden. Ist ein groß Wunder, daß ein Weibsbild also viel machen soll!«


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