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Madonna mit dem kranken Kinde.

» In doloribus pinxit.«

 

Es hat fast jeder der gepriesenen Meister der alten Schule uns irgend ein Werk hinterlassen, an welches er seine besten Kräfte gesetzt zu haben scheint, und das gleichsam in seiner Schönheit und Vollendung die Quintessenz seines ganzen Genius darstellt. Oft fällt die Entstehung solchen Bildes schon in die erste Zeit des aufsteigenden Ruhmes, und alle nachfolgenden Werke erscheinen trotz größerer technischer Vollendung matt, oft aber ziehen sich erst am Ende der Künstlerlaufbahn alle Strahlen zu einem blendenden Brennpunkt zusammen. Es ist unendlich interessant, jenen äußern Ereignissen und Anlässen nachzuspüren, die, indem sie unmittelbar das Herz des Meisters berührten, in solcher Weise schöpferisch wirkten. Denn mit dem Herzen haben sie doch alle gemalt, die lieben großen Meister; wer wollte das läugnen? Alle schufen erst wahrhaft Großes, Herrliches, nachdem sie eine jener Feuertaufen empfangen, ohne die nun einmal keine Künstlerseele aufgenommen wird in den Bund der Geweihten; die Feuertaufe der Liebe oder – des Schmerzes, meist aber beide in eins verschmolzen.

In der wundervollen Dresdner Gemäldegallerie wird wohl keiner ohne Rührung die ächt deutsche blonde Madonna des Hans Holbein betrachten. Die schöne Gestalt der mater amata in dem schwarzen Gewande, die goldene Fülle des herrlichen Haars, der leise Wehmuthszug um den süßen Mund, die ernste Hoheit auf der lichten Stirn fesselt Auge und Herz. Ergreifend aber und über alle Beschreibung hinreißend ist der ächt jungfräuliche keusche Ausdruck des Marienantlitzes, es ist die eigentliche holdselige Jungfrau Maria, nicht die erhabene Gottmutter. Das Christuskind auf ihrem Schoße ist dagegen von auffallender Häßlichkeit, mit großem Kopf, dürftigen Gliedern und starrem Blicke. Zu den Stufen des Thrones der Maria knien ehrwürdige und fromme Gestalten, Männer, Frauen und Kinder. Dies Bild ist das Meisterwerk des Hans Holbein, und seine Entstehung fällt, wie man sagt, in die Jugendzeit des hochberühmten Malers.

*

Den jungen Hans Holbein mußte man unbedingt im Jahre 1516 den tollsten Burschen in ganz Basel nennen. Jeder würde mit dieser Meinung einverstanden gewesen sein, hätte man sie öffentlich ausrufen lassen wollen. Vom Morgen bis zum Abend hatte er nichts als Possen und ausnehmend lose Streiche im Sinn, und während sein Vater, der vor einem Jahrzehnt etwa mit Weib und Kindern von Augsburg herüber gezogen war nach der Schweiz, sich's noch immer gewaltig sauer werden ließ, trieb der Hans sich müßig herum, nahm den Pinsel nur in die Hand, wenn er eben Lust hatte, und genoß sein junges Leben, so viel es irgend möglich war. Freilich malte er in einer Stunde mehr, als sein guter Vater in einem ganzen Tage zuwege brachte, es hatte auch alles, was von seiner Hand kam, ein ganz absonderlich frisches und keckes Ansehen, Menschen und Thiere schienen sich wirklich zu regen; aber eben diese Leichtigkeit der Arbeit und das Lob, das man ihm spendete, machte ihn nur noch übermüthiger; er wußte, daß er eine versäumte Woche in wenigen Stunden nachzuholen vermochte. Fast täglich liefen bei dem Alten Klagen über ihn ein, des Trinkens und Raufens war kein Ende, und kein hübsches Mädchen blieb ungeküßt, das ihm von ungefähr in den Weg kam. Wenn ihn der bekümmerte Alte nun wirklich einmal tüchtig ausschelten wollte und ihm dabei so recht ins Gesicht schaute, war immer sein Zorn verflogen, ehe er sich dessen recht versah. Die eigene tolle Jugendzeit lag auf einmal im hellen Sonnenlicht vor seiner Seele, und es war ihm, als schelte er sich selber aus, wenn er dem »Hans« ein einziges böses Wort sagte. Dazu kam freilich auch, daß man sich kein gutherzigeres und schalkhafteres Angesicht denken konnte, als das des Wildfangs war, und mit den prächtigen dunkeln Augen verstand er nicht nur den Frauen das Herz weich zu machen wie kein anderer, sondern auch den Männern. Nur bei seinem Oheim Sigismund Holbein half ihm kein Blicken und kein Lächeln, kein Drehen und kein Wenden; der überaus geschickte Goldschmied und Zeichner ließ sich von seinem losen Neffen nicht gefangen nehmen. Wohl erkannte er das gewaltige Talent des jungen Burschen, aber eben deshalb verdroß ihn dessen Leichtsinn um so mehr.

Der Oheim schalt oft so nachdrücklich mit ihm, daß man's Häuser weit hörte, und daß nach solcher heftigen Strafrede nicht selten sogar die eine Backe des Hans eine auffallend höhere Farbe trug als die andere. Dergleichen hatte denn gewöhnlich die gute Folge, daß der Schwergetroffene sich einen oder zwei Tage lang einschloß, in den Farben wirthschaftete wie ein Toller, und vor seiner Staffelei saß, als ob er sein Lebtage an nichts anders gedacht, als an Pinsel und Palette. Von Bestand war freilich die Sache nie, zu des Oheims bitterstem Kummer.

»Der Hans könnte ein gar großer Maler werden, wenn er ruhig und fleißig sein wollte!« sagte er wohl tausendmal zu seinem Bruder Johannes. »So aber geht's nimmer gut. Es ist eine Sünde wie er's treibt. Gott hat ihm ein eitel golden Gefäß in die Hand gegeben, er füllt es aber mit faulem Wasser statt mit edlem Wein; er verdient nimmermehr, daß ihm solches Geschenk geworden! Wenn nicht ein Mittel hilft, das Mittel, das auch Dir geholfen, so bleibt der Hans ein schlechter Jünger sein Lebelang.«

Und da sein Bruder sich nicht alsogleich auf den Namen dieses Mittels besinnen konnte oder wollte, so fuhr er fort: »Der Junge muß in die Ehe treten, ein Weib freien, und wir müssen dafür sorgen, daß er ein Weib nehme, das ihm die Flügel festzubinden versteht und ihn fein im Hause hält, damit er schaffen lerne.«

»O mein armer Hans!« sagte der Vater schwermüthig. »Arbeiten wird er wohl lernen, wenn er für Weib und Kind zu sorgen hat, allein es arbeitet sich besser im hellen Lichte als bei trübem Himmel.« Aber er sah ein, der Oheim Sigismund hatte Recht, und nun suchten sie beide recht eifrig und achtsam nach einer Frau für den wilden Hans unter den derben rothwangigen Baselerinnen. Bald war denn auch eine gefunden, ein stattliches kraftvolles Frauenbild, die es allenfalls mit zweien solcher Wildfänge aufnehmen konnte, und doch auch ein weniges einbrachte in die junge Wirthschaft. Hans wurde freilich vorerst feierlich befragt, ob ihm irgend eine andere lieber sei als alle; da antwortete er aber nur in seinem gewöhnlichen Uebermuthe, daß er lieber alle heirathen möchte als eine. Hierauf führte man ihn der Mathilde zu, die ihn sehr verliebt anblinzelte, und da es in jenen Zeiten fast unerhört war, daß ein Kind in solchen Dingen sich dem Willen und der Einsicht der Eltern widersetzte, so heirathete Hans Holbein die kräftige Schweizerin, kaum vier Wochen nach diesem ersten Besuche, und im vollen Vertrauen auf die Weisheit seines Vaters und Oheims.

Ein Jahr nachher sah es anders, ganz anders aus um den jungen Maler; der Wildfang schien gezähmt, der kluge Sigismund hatte Recht gehabt. Fleißig mußten ihn jetzt selbst seine Feinde nennen, er legte ja den ganzen Tag den Pinsel kaum aus der Hand; aber mit Lust schien er doch nicht zu schaffen; er sah bleich und ernsthaft aus, daß man Mitleid haben mußte mit ihm. Die tolle Lustigkeit, die ihm früher innegewohnt, schien jetzt in seinen Pinsel gefahren zu sein, denn alle seine Bilder zeigten nichts als Possen, Schwänke und vor allem Tänze jeder Art. Seine Malerstube hatte er sich schon in den ersten vier Wochen seiner Ehe in einem entlegenen Häuslein gemiethet, das vor dem südlichen Thore stand. Er meinte, die allzu laute Stimme seiner Herzliebsten störe ihn in der Arbeit, und als späterhin Frau Mechtild ihren Eheherrn mit einem derben Zwillingspaare beschenkte, da konnte wohl keiner es dem jungen Meister verargen, wenn er vom frühen Morgen bis zum späten Abend in dem kleinen Hause saß, allwo niemand wohnte als die Eigenthümerin, eine alte halbtaube Wittwe. Mit besonderem Fleiße widmete er sich der Bildnißmalerei, und erwarb sich so in kurzer Frist Ruhm und Geld; die Aehnlichkeit war ja immer so täuschend, die Zeichnung so sicher und fest, und die Färbung von ungemeiner Klarheit und Kraft. Am liebsten arbeitete er aber doch im Freien. Es war nämlich damals Brauch und Sitte unter den reichern Leuten, sich die Außenseite ihrer Häuser von Malerhand gar kunstvoll verzieren zu lassen. Die Schutzheiligen wurden auch dabei unter allerlei Laubwerk angebracht, und man verschwendete große Summen für solchen Schmuck, dem leider Regen und Wind keine Ehrerbietung bewiesen. Hans Holbein, der junge Meister, erhielt der Bestellungen so viele, daß er kaum wußte, wohin mit aller Arbeit. Und doch schlug er selten oder nie einen derartigen Auftrag aus, denn wenn er so oben auf seinem Gerüste stand und zu den fernen Bergen hinschaute, den blauen Himmel über sich, die grüne lachende Erde sich zu Füßen, da war's ihm so leicht zu Sinn, als gehöre beides, Himmel und Erde, eben ihm allein, ihm, dem »Hans Holbein«. Sein kecker Pinsel bemalte die verschiedenen Wände mit den wunderlichsten Gruppen, und meist in scherzhafter Weise; selbst an den ernsten Heiligen war fast immer irgend etwas Seltsames, Absonderliches angebracht, das zwar der großen Menge nicht auffiel, wohl aber dem aufmerksamen Auge, und dann ein heiteres heimliches Lächeln hervorrief. Besonders häufig fand man den heiligen Florian zwischen brennenden Häusern stehen und stets mit der naiven Umschrift:

Ich bitt' dich' heil'ger Florian,
Verschon' mein Haus, zünd' andre an.

Niemand hätte aber dem Hans Holbein auch über die tollsten Ausfälle und Scherze ein strenges Tadelwort zu sagen gewagt; jeder war nur allzufroh, wenn der Meister sein Gerüste vor dem Hause aufschlug, und ließ ihn ruhig gewähren.

Es war eben am Pfingstsonntage, als sich die Kunde verbreitete, der hochwürdige Bürgermeister der Stadt Basel begehre ein großes Altarblatt zu stiften für den prächtigen Dom zum Dank für die Genesung seines ältesten Sohnes, der fast ein Jahr lang hart darnieder gelegen. An demselben Tage noch wurde Haus Holbein zu dem edlen Herrn beschieden, der ihn freundlich fragte, ob er wohl eine Himmelskönigin malen wolle für ihn zum Schmuck des Münsters. »Ich habe gutes Vertrauen zu Eurer Kunst,« sagte er, »Ihr habt von meinem hochgelahrten Freunde Erasmus von Rotterdam ein gar köstlich Bildniß gefertigt und versteht den Pinsel wohl zu führen, wie keiner hier in Basel. Versucht nun Eure Kraft an der höchsten Aufgabe, junger Meister, und malt mir eine Mutter Gottes, unsere holdseligste Maria auf einem goldenen Throne, und mich und mein Weib und alle meine Söhne und Töchter im Gebet zu ihren Füßen. Ich will Euch die Arbeit reichlich lohnen, aber der Ruhm, der Euch werden wird, ist doch noch köstlicher als alles Gold der Welt.«

»Edler Herr,« antwortete der Meister bescheiden und traurig, »Ihr irrt Euch in mir; ich, Haus Holbein, kann keine Madonnen malen; gebt Euren Auftrag einem andern. Verlangt vom Schuster nicht, daß er eine goldene Krone fertige. Euer Haus kann ich verzieren, und besser als irgend ein anderer, aber den Münster von Basel – nimmermehr!«

»Nun, so mögt Ihr Euch noch drei Monden bedenken und Eure Kraft prüfen,« sagte der würdige Mann und entließ ihn.

 

Aber ein zündender Funke war doch in die Seele des Meisters gefallen durch die Worte: »Versucht Eure Kraft an der höchsten Aufgabe!« Sie wichen ihm nicht aus Sinn und Gedanken, er trug sie überall mit sich herum, und ehe er es selbst wußte, fing er an, wie im Traume, allerlei Striche und Gruppen, Madonnenköpfe, Engelsgestalten aufzuzeichnen. Allein die Linien wurden steif, die Marienbilder ohne Hoheit, die Engel plump, und unwillig warf er die Stifte von sich. – Wie konnte es denn gelingen? Mußte nicht der Maler, der das Urbild der Liebe im Himmel auf Erden darzustellen trachtete, ein liebeerfülltes helles Herz haben? Und des armen Holbein Herz, wie war es leer und dunkel! Er ermüdete bald genug in seinen Versuchen und fing wieder an, nach wie vor – Häuser zu bemalen. Mit besonderem Fleiße arbeitete er eben an einem großen Eckhause am Fischmarkt; ein Bauerntanz entstand unter seinem schnellen Pinsel. Den Leuten, die vorüber kamen, fuhr es ordentlich in die Füße, so über die Maßen lustig und natürlich schwenkten die Bursche sich mit den derben Dirnen herum.

So stand er denn einmal an einem recht herrlichen Morgen oben auf seinem Gerüste und malte ohne sich umzusehen, als er auf dem Markte lautes Lachen hörte und Reden. Er trat an den Rand und sah hinab. Auf dem Ecksteine, gerade an der andern Seite des Hauses, das er verzierte, saß ein blutjunges Weib in schwarzen Trauerkleidern, ein schlafendes Kind auf dem Schoße. Ein leichtes Bündel lag neben ihr auf der Erde. Sie mochte weit hergekommen sein, ihre Schuhe waren so bestäubt, der Zuschnitt ihrer Kleider so fremd, und doch kam dem Meister eine Erinnerung, als ob er solche Tracht schon oft gesehen. Ein großes grobes Tuch, ein Schutz gegen die Sonne, war herabgefallen vom Halse und lag auf den züchtig verhüllten Schultern des jungen Weibes. Hans Holbein konnte nun das schwarzsammetne Häubchen sehen, dessen Spitze niederging bis tief in die Stirn und die köstlichen blonden Haare scharf durchschnitt, die an beiden Seiten in dicken Flechten lagen. Er bog sich noch weiter vor, um die wunderfeine Linie des Profils zu verfolgen und die weichen Umrisse der schlanken Gestalt. Aber allerlei rohe Gesellen standen um das Frauenbild her, lachten und scherzten und schienen lose Reden zu führen. Hans Holbein sah, wie die Fremde geängstigt und rathlos aufstand, und das im Schlafe doppelt schwere Kind mühsam emporhob, und zufällig blickte sie auf und gerade zu ihm hin. Da war es ihm, als rissen tausend Ketten an seinen Gliedern, und im nächsten Augenblicke nahm er einen kurzen Anlauf und sprang mit einem verwegenen Satze mitten unter die erschreckten Männer hinein. Hoch aufgerichtet stand seine hohe Gestalt da, die dunklen Augen sprühten Zorn, aber kein Wort kam über seine Lippen, und doch schlich einer nach dem andern sich still und beschämt auf die Seite. Als er eben mit den drohenden Augen dem letzten folgte, fühlte er seine Hand sanft gefaßt, und eine liebe Stimme sagte in Augsburger Mundart: »Nicht wahr, Ihr seid der wilde Hans von Augsburg?« – Und als er hierauf halb erstaunt, halb entzückt (denn der Mund, der da eben gesprochen, war gar zu süß) nur zur Antwort nickte, fragte die blonde Frau lächelnd: »Kennt Ihr denn Eure Nachbarin nicht mehr, die Margarete, mit der Ihr so oft gespielt? Wißt Ihr nicht mehr, wie ich so bitter geweint, als Ihr damals mit Eurem Vater nach Basel gezogen? Ihr wart zu der Zeit schon ein stattlicher Bursche von zehn Jahren, ich aber ein schwächliches Kind von kaum sieben, und doch vergaß ich Euch nicht und hätte Euch wohl überall wieder erkannt. Habt Ihr denn mein Ringlein noch an Eurem kleinen Finger der linken Hand? Wißt, er war Euch viel zu groß damals?«

Da schaute der junge Meister erbleichend auf seine linke Hand, und siehe – am kleinen Finger war wirklich ein tiefer Einschnitt, das volle Fleisch deckte ein ganz schmales silbernes Reiflein zu, das der Hans Holbein wohl schon Jahre lang nicht mehr angeschaut, dessen Dasein er überhaupt wohl längst vergessen. Jetzt hob sich mit einem Male der Vorhang, den sein tolles Leben über die Bilder seiner friedlichen Kindheit geworfen, und helle Thränen traten in seine Augen. Volles tiefes Glockengeläute schlug an sein Herz, es summte und klang ernst und mahnend von Augsburgs hohem Dome herab; die Straßen der vergessenen Vaterstadt stiegen vor ihm auf; Menschengewühl füllte die breiten Plätze, liebe theure Gestalten erkannte er darunter, fromme Kirchgänger wandelten vorüber und grüßten ihn mit sanften Augen. An den Erkerfenstern der hohen grauen Häuser lächelten und nickten wunderliebliche Frauenbilder in schwarzen Häubchen und festgeschlossenen Miedern, an denen Ketten und Spangen blitzten. Vor allem aber sah er ein Haus, ein kleines zierlich bearbeitetes Gärtchen schmückte es, und alte Bäume standen wie zur Bewachung davor. Das war das Elternhaus. Und gegenüber in der engen Straße wohnte ein gar geschickter Goldschmied, und wenn der Wind in den Blättern der Bäume spielte, flogen wechselnde wunderbare Schatten auf die Fenster der Werkstatt, wo die goldenen kunstvollen Geräthe aufgestellt waren und die prächtigen Waffen blitzten. Und zwischen den goldenen Kelchen und Geschmeiden war die kleine Margarete aufgewachsen, die er so oft auf seinen Armen getragen, die er so warm geliebt, die ihn, den »wilden Hans«, so oft gezähmt mit einem bittenden Blicke der großen blauen Augen. Und diese Augen hatte er so lange vergessen! Wie war es nur möglich? Und jetzt schaute sie ihn an, und die Gespielin stand vor ihm, das holdselige Töchterlein des Goldschmieds von Augsburg. Er konnte noch nicht reden, aber die Thränen liefen ihm über die Wangen, als er sich jetzt zu ihr wandte und ihr das Kind sanft aus den Armen nahm.

»Es ist mein jüngstes Brüderchen,« sagte sie mit traurigem Blicke auf das Kind; »ich bin allein mit dem kranken Knaben; Vater und Mutter sind in einer Woche am bösen Fieber gestorben. Ich will zu meiner Muhme, der Vogtnerin, die ein kleines Haus haben soll vor dem Südthore.« – Hans hätte beinahe aufgeschrieen vor Freude, sie hatte ja den Namen seiner alten Wirthin genannt. »Ich wohne dort,« antwortete er mit erstickter Stimme, »kommt, laßt Euch hingeleiten!« – Sie legte ihren Arm in den seinen, er raffte das Bündel auf, und so wanderten sie wie ein junges Ehepaar mit einander fort. Geredet haben sie aber nicht zusammen, sich nur stumm dann und wann in die Augen geschaut; dem Hans Holbein war aber noch niemals der Weg zu dem Häuslein der Alten so kurz erschienen.

Von jenem Tage an malte der junge Meister wieder fleißig in seinem freundlichen Malerstübchen, oder war doch wenigstens tagtäglich dort zu finden. Seinen Bauerntanz an dem Eckhause des Fischmarktes vollendete er mit auffallender Schnelligkeit und nahm nun keine Arbeit im Freien mehr an für diesen Sommer. Mittags speiste Hans Holbein heitern Gesichts mit seinem verdrießlichen Weibe, das ihm eben den dritten Jungen geschenkt, ging gleich nach dem Essen mit freundlichem Gruße wieder fort, und jeden Abend Punkt neun Uhr stieg er, eine lustige Melodie auf den Lippen, hinauf in seine Schlafkammer. Die übrige Zeit verlebte er in dem stillen Hause vor dem Thore. Viel brachte sein Pinsel in diesen Stunden nicht zu Wege, das konnte niemand behaupten, und doch war es dem Maler zu Muthe als sei er in seinem ganzen Leben noch nie so beschäftigt gewesen als eben jetzt. Was gab es aber auch zu fragen, und was zu erzählen zwischen den beiden Nachbarskindern! Und erstaunlich erwies sich jetzt Hans Holbeins Gedächtniß. Nicht nur, daß er sich vieler zertretener Blumen und geraubter Aepfel in den Gärten seiner Nachbarn erinnerte, auch noch jeden Schlag wußte er, der gefallen im Kampfe zwischen ihm und den Brüdern der Margarete, die schon längst tief in der Erde schliefen; er fragte sogar nach mancher alten Muhme und Base und ahmte ihre Geberden nach. Wie viel lachten sie zusammen, wie viel weinte aber auch das Goldschmiedstöchterlein aus Augsburg vor ihrem Landsmann, wenn sie von den todten Eltern redete und vom kranken Brüderchen, das sie nie zu verlassen und mit ihm zur Muhme nach Basel zu gehen in die erkaltende Hand gelobt. Das Kind war schon fast sechs Jahr alt und konnte noch nicht gehen, war häßlich, bleich und abgezehrt, und doch, wie liebte das blonde Mägdlein ihren Pflegling! Hans Holbein konnte nicht müde werden zuzuschauen, wenn sie mit dem zarten schwachen Knaben hin und wieder ging, wie sie seiner wartete und pflegte wie die zärtlichste Mutter, wie sie ihn nie aus den Armen ließ und nimmer ermüdete in ihrer Sorge und lieblichen Freundlichkeit. Und wie lächelte sie so selig, wenn das Kind seine Aermchen matt um ihren Nacken schlug und ihr ein zärtlich Wörtchen sagte. Seliger konnte keine Braut lächeln, wenn ihr der Liebste von seiner Liebe redet.

Als er sie zum ersten Male in sein Malerstübchen führte und das Kind die Hände ausstreckte nach den bunt bemalten Tafeln, da sah das Goldschmiedstöchterlein aus Augsburg den Maler gar ernst und verwundert an und fragte: »Ist das alles, was Ihr geschaffen?« Er wollte sagen: »Ich habe noch viele Häuser lustig verziert mit tanzenden Männern und Frauen!« aber er konnte es nicht über die Lippen bringen, es war ihm, als müsse er sich tief schämen vor den wunderklaren Augen, die ihn so forschend anschauten. »O!« sagte die blonde Margarete traurig, »warum habt Ihr kein Heiligenbild gemalt, wie sie daheim in unsern Kirchen hängen, und wie sie der fromme Albrecht Dürer malte in Nürnberg, und sein Lehrherr Wohlgemuth? Und warum keine göttliche Jungfrau mit dem Jesuskindlein? Die Bildnisse da sind zwar so klar, als ob sie reden möchten, wem aber der liebe Herrgott so die Leiter in die Hand legte, um gerade hinauf in seinen Himmel zu steigen, wie mag der nur hier unten auf dem Boden bleiben? Wie könnt Ihr Menschengesichter malen mit so großem Fleiße, lieber Hans, da Euch doch die Engel im Himmel sitzen wollen, wenn Ihr es nur recht verlangt?«

Von dieser Stunde fing zwar Hans Holbein wieder an Marien und Engelsköpfe zu zeichnen, und gedachte des Altarblattes für die Münsterkirche, die Gedanken blieben ihm aber nicht ordentlich bei der Arbeit, sondern liefen immer die Treppe hinunter in ein kleines schmales Stübchen, allwo das Bett eines kleinen Kindes stand, vor dem ein blonder Engel Wache hielt, alle Blumen im Fenster blühten und ein altes freundliches Mütterchen hinter dem Ofen im Lehnstuhle nickte. Dort hingen sie sich an ein Paar wunderliebe blaue Augen und waren nimmer loszulösen, bis der junge Meister selbst nachlief, um sie wiederzuholen.

Und es kam, wie es kommen mußte: die beiden hatten sich lieb, unsagbar lieb, aber sie wußten es selber kaum. Desto besser wußte es die alte Muhme, denn die heiße Liebe zweier frischer junger Herzen wird auch den blödesten Augen kund und offenbar. Margarete verstand nicht ihr Erglühen zu verstecken und die Freude in ihren Augen zu verhüllen, wenn der »wilde Hans«, wie sie ihn heimlich noch immer nannte, hereintrat. Und er? Nun, wenn ein ächtes tiefes Künstlerherz einmal liebt, so spiegelt sich der ganze lichte Himmel der Seele im Angesicht wieder, und so war es auch bei dem Meister Holbein. Seine Stirn leuchtete und seine Rede klang wie lauter Musik. Wenn man diese beiden schönen Menschen neben einander sah, wie sie mit dem Kinde spielten, und sich über das kleine sanfte Geschöpf neigten, daß sich oft beider Haare, das dunkle und das blonde, miteinander zu mischen schienen, da mußte nicht blos die alte Muhme meinen, daß Gott diese Frau und diesen Mann für einander bestimmt. Aber noch war kein Wort von Liebe zwischen ihnen geredet worden, sie lebten glücklich und unbekümmert von einem Tag in den andern. Hans Holbein hatte sein Weib und seine Kinder vergessen, wenigstens so lange er bei Margareten war, und sie ahnete ja nichts von seinem geheimen häuslichen Leid. Anfangs hatte er wohl zuweilen sein schweres Herz in ihre Hände legen wollen, aber Scham und Trauer schlossen ihm immer wieder die Lippen, und je länger er das holdselige Goldschmiedstöchterlein sah, desto weniger konnte er reden.

Einstmals, es war kaum zwei Monden nach ihrem Wiederfinden, als er sie so mit dem Kinde tändeln sah und wie sie sich mühte, es gehen zu lehren, sagte er traurig: »Ihr denkt den ganzen Tag nur an den Knaben!«

»Das habe ich auch einer Sterbenden gelobt!«

»Euer künftiger Ehegemahl muß mit dem Kinde theilen!«

»Ich verlasse dies Kind nicht um eines Mannes willen, nicht mit den Gedanken, nicht mit den Augen.«

»Dann wißt Ihr noch nicht, was es sagen will, einen Mann lieben!«

»O, ich glaube, ich könnte sterben um solcher Liebe willen, aber nimmermehr ein Wort brechen, nicht einer Lebenden, nicht einer Todten, denn die größte aller Sünden ist – nicht treu sein

»Sprecht nicht so, Margarete! Ich sage Euch, daß man lieben kann und um solche Liebe selbst die ewige Seligkeit verscherzen.«

»Die heilige Jungfrau bewahre Euer Herz und das meine vor solcher Liebe!« –

Da klopfte es eben heftig an das niedre Fenster; ein fremder Mann stand draußen, und als die Muhme öffnete und zu ihm trat, rief er laut und hastig in das Stübchen hinein: »Meister Holbein, seid Ihr hier? Kommt doch um aller Heiligen willen schnell in Euer Haus, Euer Weib hat mich hergesandt: der kleine Hans, Euer jüngstes Kind, liegt im Sterben!«

*

Am Pfingsttage des nächsten Jahres wurde in dem prächtigen Münster von Basel das Altarblatt des frommen Bürgermeisters Meyer aufgestellt: eine Maria auf dem Throne, gemalt von Hans Holbein. Die ganze Stadt war im Dome versammelt bei der Enthüllung, und in aller Augen stand Bewunderung und tiefe Rührung. Das Bild war über alle Beschreibung herrlich. Auf goldenem Throne saß eine wunderbar schöne blonde Madonna in schwarzen faltigen Gewändern. Auf ihrem Schoße ruhte das Jesuskind, aber ein krankblickendes Kind mit magern Gliedern und großem Kopfe. Allein das vergaß wohl jeder beim Anblicke der holdseligsten Jungfrau, bei dieser Himmelsgestalt voll Keuschheit, Hoheit und Schönheit, umflossen von einer goldenen Fülle sanft gewellten Haares. Zu den Füßen der göttlichen Jungfrau knieten die schön gemalten Gestalten des frommen Stifters und seiner Familie. Das ganze Bild zeigte eine vollendete Sicherheit in den Umrissen, hinreißende Wahrheit in der Zeichnung, und eine wundervolle Klarheit und Harmonie in der Färbung. Der Name des jungen Meisters wurde laut gepriesen. Man erzählte sich, daß sein Vater, der ehrwürdige Johannes Holbein, sich habe in den Dom tragen lassen und beim Anblick dieses Bildes in die Worte ausgebrochen sei: »Nun will ich gern sterben.« Und in der Nacht darauf sei er wirklich heimgegangen. Am Tage nach seinem stillen Begräbniß verließ sein Sohn, Hans Holbein, die Stadt Basel, um in die weite Welt zu gehen, zunächst nach England; es litt ihn keine Stunde länger in diesen Mauern, bei Weib und Kindern, nachdem er die »höchste Aufgabe« erfüllt. Erasmus von Rotterdam hatte ihm einen Brief mitgegeben an seinen Freund Morus in Chelsea, worin er diesem aber geschrieben, daß der junge Meister ein noch werth- und glanzvolleres Empfehlungsschreiben überreichen werde, das nimmer seine Wirkung verfehlen könne. Und es war in der That so. Hans Holbein überbrachte dem Kanzler Heinrichs VIII. das von ihm in Basel gemalte Bildniß des Erasmus.

Als der junge Meister, die Stadt verlassend, an dem stillen Häuslein vor dem Thore vorüberkam, verhüllte er sein Haupt. Und doch wußte er, daß längst schon niemand mehr darin wohnte. Das bleiche Brüderlein hatte die Mutter gar bald nach jenem Tage der schmerzlichsten Entdeckung zu sich in den Himmel geholt; Margarete weinte ja so viel, und ein Kind braucht den Himmel eines frohen Angesichts, helle Augen und ein sanftes Lächeln über sich, wenn es gedeihen soll, wie die Blume den Sonnenschein braucht um groß zu werden. Das Goldschmiedstöchterlein ging dann nach Augsburg zurück und wurde dort eine fromme Nonne unter dem Namen Benedicta. Die Aebtissin rühmte ihre strenge Frömmigkeit, die Mitschwestern liebten sie um ihrer schönen trauervollen Augen willen. Ach, sie wußte es jetzt, was es heißt »einen Mann lieben«, und alle Kasteiungen und alle Gebete vermochte die Erinnerung an jenen kurzen Sommertag nicht zu tödten, an den Sommertag ihrer Liebe zu dem »wilden Hans.«

Hans Holbein wurde Hofmaler des Königs Heinrich und der Liebling der englischen Großen. Seine Augen allein durften ungestraft die strahlenden Schönheiten des damaligen Hofes stundenlang anschauen, aber kein Reiz, keine Grazie, kein Jugendzauber vermochte je wieder sein Herz zu bewegen. Ungerührt blieb er sogar von den holden Zügen einer Johanna Seymour, Katharina Howard, Anna Boleyn, die er alle durch seinen Pinsel in vollem Glanze ihrer Schönheit verewigte. Seine Seele und Gedanken gehörten einzig und allein für immer dem Urbilde seiner blonden Madonna, der lieblichen Goldschmiedstochter aus Augsburg. Gar oft schaute er unter schweren Seufzern jenes silberne Reiflein an, das ihm so kurzes Glück und langes Leid gebracht, und diesen unscheinbaren Talisman haben sie ihm wohl auch gelassen, als sie im Jahre 1554, in der fürchterlichen Pestzeit Londons, den todten Körper des hochberühmten Meisters hinabwarfen in die gemeinsame ungeheure Todtengruft. Vielleicht wird der silberne Ring der anmuthigen Gespielin das Erkenntnißzeichen für den Stand dessen, der einst »Hans Holbein« war. – Als das letzte Werk seiner Hände bezeichnet man eine reizvolle farbenfrische Wiederholung jenes wunderschönen Madonnenbildes, das er einst unter so glühenden Schmerzen gemalt, ein Beweis, daß der bittersüße Traum seiner einzigen Liebe ihn erfüllte bis ans Ende seines Lebens.


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