Wilhelm von Polenz
Das Land der Zukunft
Wilhelm von Polenz

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Die vereinigten Staaten als Großmacht

Den Rat George Washingtons, sein Volk möge sich niemals in die europäischen Händel einmischen, haben die Vereinigten Staaten nur so lange befolgt, als sie schwach waren. Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts und ganz besonders in allerneuester Zeit haben sie es für nötig gefunden, nicht bloss ihre und ihrer Bürger Rechte gegen Übergriffe fremder Mächte zu schützen, sie haben sich darüber hinaus auch berufen gefühlt, Europa auf angebliche Pflichten seinen eignen Bürgern gegenüber hinzuweisen. So erst kürzlich in der Frage der rumänischen und der russischen Juden. Ja, selbst während der Epoche, wo sie die Sklaverei auf ihrem Gebiet als »berechtigte Institution« hätschelten, gaben die Amerikaner dem nach ihrer Ansicht in Despotie verkommenden Europa allerhand gute Lehren, und unterstützten in platonischer Weise jede revolutionäre Erhebung jenseits des atlantischen Ozeans. Berühmte Revolutionäre wie Kosciusko konnten sicher sein, drüben einen weit über ihre Bedeutung hinausgehenden Empfang zu finden. Und noch heute steckt der Glaube tief im Yankee, daß sie das einzige Volk des Erdenrunds seien, welches freiheitliche Institutionen besitze, und daß neben vielen andern zivilisatorischen Missionen auch dies ihre Lebensaufgabe sei: die Welt zu demokratisieren.

389 Es kann im Grunde nicht befremden, wenn dieses Volk durch seine unerhörten Erfolge zu lächerlicher Großmannssucht verführt worden ist. Die amerikanische Geschichte ist, mit Ausnahme des Unabhängigkeitskampfes und des Bürgerkrieges, wo man ernsthaft um die Existenz des Staates ringen mußte, eine große Kette von Glücksfällen; von solchen Glücksfällen allerdings, wie sie nur den selbstbewußten, aufgeweckten und rüstigen Völkern zufallen.

Früh hatte diese Nation ihre Mission mit glücklichem Instinkt richtig erfaßt: den Kontinent, auf dem sie erwachsen war, zu amerikanisieren. Die Kindertage des werdenden Volkes waren bei aller Ärmlichkeit die denkbar glücklichsten; sie blieben ungestört von feindlichen Überfällen, von jenen Kriegen bis aufs Messer und von den nachbarlichen Schädigungen, die sich die viel zu eng im kleinen Europa bei einander sitzenden Völker das ganze Mittelalter hindurch angetan haben. Die ersten Indianerkämpfe, blutig wie sie waren, stählten höchstens die Kraft der jungen Kolonien, ließen nicht zu, daß die Männer das Waffenhandwerk und die Frauen das Beten verlernten. Amerikas Jugend war auch frei von Kreuzfahrer-Hirngespinsten, die unsre Vorfahren manche sehr viel näher liegende Kulturaufgaben haben übersehen lassen. Dieses junge Ansiedlervolk war zu seinem Glück durch die Fülle der Arbeit, die es vorfand, zunächst an seine Scholle gebunden. Kein Kaiser führte es über die Alpen, kein Priester lockte es nach dem Morgenlande. Es hatte aber auch nicht das Unglück, daß ihm, wie dem deutschen 390 Volke, fremde Stämme nachgerückt kamen, die sich ihm wie ein eherner Riegel vorlegten. Nirgends ward ihm der freie Zugang zum Meere versperrt, wie uns durch das Slaventum, das, ein mächtiger, starrer Wall, das Deutschtum für immer vom Unterlauf der Donau abschließt. Niemals freilich auch sind die Amerikaner so gedankenlos und sträflich unaufmerksam gewesen, wie unser Mittelalter, als es die Mündung unsres wichtigsten Stromes, des Rheins, in fremde Hände übergehen ließ. Nunmehr ist es das tragische Geschick unsres fruchtbaren Volkes, auf engem Gebiete zu sitzen und seinen Bevölkerungsüberschuß an andre abgeben zu müssen. Es ist nicht auszudenken, was Deutschland heute sein könnte, hielte es all die Gebiete, die es kolonisiert hat, wie dies bei den Völkern angelsächsischer Abkunft der Fall ist, in eignem Besitz.

Der moderne Yankee ward in den Glauben hineingeboren, daß ihm nicht allein Amerika, nein, daß ihm die ganze westliche Hemisphäre gebühre. Bestärkt wird er in diesem Glauben durch die Inferiorität der mittelamerikanischen und südamerikanischen Rassen und Nationen. Zwei Dinge vor allem haben ihn zum großen Volke, zur Herrenrasse gemacht: einmal Klima und Natur des Landes, das die Wiege seiner Nation war, also ein Glücksumstand; dann ein Verdienst: der glückliche Instinkt der Angelsachsen, sich nicht zu vermischen, ihr Blut rein zu erhalten von nicht arischen Bestandteilen. In gemäßigter Zone erwachsen, von den besten Stämmen der zivilisierten Welt gezeugt, mußte dieses nordische Geschlecht das Übergewicht erlangen über 391 die Mischlinge der Mitte, des Südens und der westindischen Inselwelt.

Es ist ganz natürlich, daß die auswärtige Politik dieses Landes tiefe Spuren jenes anmaßenden Selbstbewußtseins zeigt, welches man sich im Verkehr mit inferioren Rassen angewöhnt hatte. Eine zünftige Diplomatenschule hat es drüben niemals gegeben, und so ist in Washington jene »Hemdsärmel-Politik« groß geworden, die den Diplomaten der alten Art Gruseln erregt. Wie es das temperamentvolle Frankreich ehemals gewesen ist, so scheint heute die Union das Enfant terrible unter den Großmächten werden zu wollen.

Der Umfang des eignen Landes läßt Europa nur zu leicht in den Augen des jungen Riesen als Zwerg erscheinen; denn wie jedes Individuum, so nimmt sich auch jedes Volk schließlich das Maß der Dinge von sich selbst. Die imperialistischen Gelüste der Amerikaner sind selbstverständliche Folge des rapiden Wachstums der Union. Der Panamerikanismus bleibt eine nicht mehr zu ändernde Tatsache, mit der die Weltpolitik immerfort und überall zu rechnen hat.

Ohne ein großes stehendes Heer zu besitzen und bis vor kurzem auch ohne eine bedeutende Kriegsmarine, hat dieses glückliche, von keinem nahen Nachbar bedrohte Land doch im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts die größten und wertvollsten Territorial-Erwerbungen gemacht, die jemals der weißen Rasse geglückt sind. Louisiana, also die ganze Mitte des Kontinents, Florida, Alaska, Oregon erwarb es auf 392 friedlichem Wege. Texas, Neumexiko, Arizona, Kalifornien, die verschiednen Indianergebiete durch leichte Kriegs- und Beutezüge.

Wiederholt haben die Vereinigten Staaten, lediglich auf ihren unverwüstlichen Optimismus gestützt es darauf ankommen lassen, mit einer an Mannschaften und Schiffen weit stärkern Macht in Krieg zu geraten. Wiederholt haben sie europäische Großmächte durch ihr formloses und dreistes Verhalten herausgefordert. Vor allem waren es Spanien und Frankreich, so lange diese Länder in der westlichen Hemisphäre noch eine Vormachtstellung zu wahren sich bestrebten, die von dem jungen, auf seine Suprematie eifersüchtig bedachten Staatswesen unfreundlich ja herausfordernd behandelt wurden. Napoleon III., von der irrtümlichen Voraussetzung ausgehend, der Bürgerkrieg werde die Union spalten, holte sich mit dem mexikanischen Abenteuer die bitterste Lektion. Nicht minder unzweideutig wußten die Vereinigten Staaten Rußland entgegenzutreten, als es Gelüste zeigte, sich Oregons zu bemächtigen. Selbst dem seegewaltigen England gegenüber hat die ehemalige Kolonie durchweg ihren Willen durchzusetzen verstanden. Der Krieg von 1812 endete nicht ungünstig für die Amerikaner. Die unzähligen Grenzstreitigkeiten im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts wegen der kanadischen Grenze sind meist zu Gunsten der Union entschieden worden. In der Alabamafrage, dem Beeringssee-Streite, dem ersten Venezuela-Konflikte hat Nordamerika überall den größten Teil seiner Forderungen erfüllt gesehn.

393 Alle diese unblutigen Erfolge wurden nicht errungen durch Meisterzüge der Diplomatie, sondern lediglich durch das bei den Völkern Europas wachsende Bewußtsein, daß die Vereinigten Staaten nicht ein Land seien wie andre Länder, daß sie vielmehr einen ganzen Kontinent darstellen. Mit einem Erdteil Krieg führen aber hat nicht viel Wahrscheinlichkeit des Erfolgs für sich. England hätte den Kampf noch am ersten von allen Weltmächten aufnehmen können; es hat jedoch in der langen kanadischen Grenze immer den angreifbarsten Punkt seiner Kolonialmacht gehabt.

Am deutlichsten kommt das Bewußtsein von seiner Unbesieglichkeit beim amerikanischen Volke zum Ausdruck in der Monroedoktrin. Interessant ist es zu sehn, wie die Amerikaner, geraume Zeit vor der eigentlichen Formulierung der Theorie, das ihr zu Grunde liegende Prinzip bereits erfaßt und praktisch betätigt haben. Im Jahre 1800 hatte Spanien Louisiana an Frankreich abgetreten; hier protestieren die Vereinigten Staaten dagegen, daß europäische Mächte auf amerikanischem Boden Gebietsverschiebungen vornehmen. Henry Clay schwärmt schon als Jüngling von einem »menschlichen Freiheitsbund«, der von der Hudsonsbay bis zum Kap Horn reichen sollte; was hieß das andres, als die Idee des Panamerikanismus und der ganzen Monroelehre vorwegnehmen! Beim Panamakongreß von 1825, den die gegen das spanische Mutterland revolutionierenden südamerikanischen Republiken beschickten, kam der Gedanke zum Ausdruck, ein »Kontinentalsystem« für ganz Amerika zu 394 bilden, nach dem Muster der »Heiligen Allianz« in Europa.

Seitdem ist die Monroetheorie längst durch wiederholte Anwendung zum Range eines allgemein anerkannten internationalen Gesetzes erhoben worden. Chamberlain hat sie neuerdings auch für die Kabinette öffentlich anerkannt, nachdem sich Europa wiederholt vor ihr gebeugt hatte. Heute ist sie in Fleisch und Blut eines jeden politisch denkenden Yankees übergegangen. Sie bedeutet nicht mehr bloß ein Einspruchsrecht der Vereinigten Staaten gegen Gebietserweiterungen Fremder auf ihrem Boden; was sie am letzten Ende bezweckt, wird vielmehr klar aus einem Worte Roosevelts, das im Jahre 1896 gesprochen worden ist: »Jeder rechtschaffene Patriot, jeder Politiker in unserm Lande sieht verlangend dem Tage entgegen, wo keine einzige europäische Macht mehr ein Stückchen amerikanischen Bodens in Besitz haben wird.«

Und diese Lehre wird nicht auf das reinpolitische Gebiet beschränkt bleiben. Es mehren sich die Anzeichen, daß man die Monroedoktrin auf das Wirtschaftliche auszudehnen sucht. Die Vereinigten Staaten machen offene und versteckte Versuche, sich der finanziellen Kontrolle und kommerziellen Ausnutzung des Grund und Bodens und der natürlichen Schätze von Ganz-Amerika durch Fremde zu widersetzen.

Die volle Möglichkeit, die westliche Hemisphäre politisch und militärisch, wie finanziell und kommerziell zu beherrschen und zu organisieren, wird für die Vereinigten Staaten jedoch erst nach Vollendung des 395 Panamakanals gegeben sein. Paul Dehn sagt mit Recht: »Es war eine Schande für Frankreich, daß das Lessepssche Kanalunternehmen Schiffbruch litt.«

Europa hat damit, daß es dieses Projekt zu Grunde gehen ließ, Nordamerika erst zur unangreifbaren Vormacht in der atlantischen sowohl wie in der pacifischen Welt gemacht. Der Stille Ozean, um tausende von Seemeilen der Ostküste von Amerika näher gerückt, wird von selbst zum amerikanischen Meere werden. Für einen Krieg der Union mit einer europäischen Macht aber bedeutet der interozeanische Kanal eine Verdopplung der amerikanischen Siegesaussichten.

So lange es nicht feststand, daß die Amerikaner dieses große Werk selbst in die Hand nehmen würden, mußte ihre Besitzergreifung der spanischen Kolonien im Stillen Ozean unvorsichtig erscheinen. Aus ihrer bisherigen kontinentalen Geschlossenheit heraustretend gaben sie einen großen Vorteil bei internationalen Konflikten auf, indem sie sich angreifbare, schwer zu schützende Punkte schufen. Aber mit dem Panamakanal unter sichrer Kontrolle erweitert die Union nicht nur ihr Gebiet bis tief nach Mittelamerika hinein, sie pflanzt das Sternenbanner weithin dominierend zwischen die beiden Landhälften der westlichen Hemisphäre und zeigt der Welt, daß Amerika gesonnen ist, alles, was es hier schon besitzt, zu halten und darüber hinaus alles, was ihm noch gefallen mag, an sich zu reißen.

Der Panamakanal, von Amerikanern gebaut und von der Union kontrolliert, macht den Panamerikanismus 396 aus einer dreisten Bedrohung der Welt zu einer nüchternen Tatsache der Geschichte.

Und dennoch, Amerika wird uns nicht verschlingen. Seine Gefährlichkeit als Gegner wie als Konkurrent wird oft überschätzt. Grade dort, wo seine Kraft am prahlerischsten zum Ausdruck kommt: im Wirtschaftlichen, steckt auch seine Achillesverse. Wohl besitzt es wunderbare Bodenschätze und Naturkräfte, wohl sind die Entwicklungsmöglichkeiten seines Handels und seiner Industrie unermeßlich, wohl ist die Kraft seines mobilen Kapitals enorm; durch alle diese glänzenden Erscheinungen dürfen wir uns aber nicht über die Tatsache wegtäuschen lassen, daß Amerika einen nur schwachen Mittelstand aufweist. Die Zahl der mittleren Vermögen, die in Deutschland im steten und schnellen Wachsen begriffen ist, bleibt drüben stationär. Die Kluft zwischen den Millionären und jenen, die bei gutem Verdienst aus der Hand in den Mund leben, zeigt nicht die Neigung, sich zu schließen, eher sich zu erweitern. Die imposantere Kapitalkraft liegt sicherlich jenseits des atlantischen Ozeans, aber die gesündere Entwicklung des Volkswohlstandes ebenso sicher bei uns.

Die drohende Amerikanisierung der Welt ist solange keine brennende Gefahr, als die Union auf eignem Gebiete eine Anzahl schwerer Aufgaben zu lösen hat, die sie in Atem halten. Zunächst hat England viel mehr von dem aus allen Proportionen gehenden jungen Riesen zu befürchten, als wir. Von verschiednen englischen und deutschen Volkswirten ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß Englands Reichtum 397 niemals seine heutige, ungewöhnliche Höhe erreicht hätte, wären seine Auswandrer, nachdem sie sich im Auslande bereichert hatten, nicht immer getreulich ins Mutterland zurückgekehrt. Es ist aber sehr leicht möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß sich dieses für England günstige Verhältnis im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts vollständig verschieben wird. Das von England nach Nordamerika strömende und dauernd dort bleibende Kapital ist in stetem Anwachsen begriffen; es befruchtet die amerikanische Volkswirtschaft, während es der heimischen entgeht. Im kleinen England gibt es längst nicht mehr, wie früher in so reichem Maße, Gelegenheit zu gewinnbringenden Unternehmungen großen Stils. Seine Landwirtschaft geht stetig zurück, seine Kohlen und Metallschätze sind in Ausbeutung begriffen, seine Eisenbahnen wohl sämtlich gebaut. Der englische Unternehmungsgeist ist deshalb nicht eingeschlafen; nicht einmal die eignen Kolonien, groß, reich und in allen Zonen gelegen wie sie sind, genügen dem spekulativen Trieb des Britten. Mit dem sichern Instinkte des Kaufmanns wendet sich der englische Kapitalist, der sein Geld vermehren will, nach dem Lande, das auf dem ganzen Erdenrund die größte Zukunft hat, nach Nordamerika. Die Verwandtschaft des Bluts, die nämliche Sprache, die Ähnlichkeit der Sitten und Gesetze machen dem geborenen Engländer die Übersiedlung in die ehemalige Kolonie besonders leicht. Die geistigen Beziehungen zwischen den beiden großen atlantischen Mächten helfen auch dazu, für Handel und Verkehr die Brücken zu schlagen. 398 Mag auch die amerikanische Kultur, zur Mündigkeit erwachsen, ihre eignen Bahnen beschreiten, der Sohn Albions wird sich in der Neuen Welt immer leicht heimisch fühlen, weil er dort die Muttersprache wiederfindet.

Ebenso nahe wie den stammverwandten Völkern die Freundschaft liegt, droht aber den beiden Ländern auch die Gefahr der Feindschaft. Sie haben nicht nur an der kanadischen Grenze und in der Westindischen Inselwelt zahlreiche politische Reibungsflächen, auch im wirtschaftlichen Leben sind sie die schärfsten Konkurrenten. Die früher allmächtige, englische Industrie ist durch die Yankees längst aufs schwerste geschädigt, und wenn erst der Panamakanal gebaut sein wird, liegt es in dem Willen der Union, den englischen Handel stark zu unterbinden.

Die größte Gefahr aber für England ist die Amerikanisierung im eignen Lande. Der Amerikanismus hat jenseits des Kanals in den letzen Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht. Diese Beeinflussung durch die Fremde stößt bei dem sonst so nationalstolzen Britten auf keinen starken Widerstand, weil er sich dem Amerikaner nahe verwandt fühlt, noch mehr, weil er ihn als sein eignes Produkt ansieht.

Dabei übersehen die Engländer den großen Unterschied zwischen einem alten Kulturvolk, das seine Mission im großen und ganzen erfüllt hat, und einer jungen, im Wachsen begriffnen Nationalität, der noch alle Entwicklungsmöglichkeiten offen stehn. Das amerikanische Wesen hat eine so fortreißende Kraft, 399 daß ihm selbst das englische Nationalbewußtsein auf die Dauer nicht stand halten wird.

Und so mag vielleicht das zwanzigste Jahrhundert die erstaunliche Tatsache erleben, daß der Schwerpunkt der angelsächsischen Welt mehr und mehr von dem kleinen, dem europäischen Festlande vorgelagerten Eiland über den Ozean nach der von einem einzigen Volke regierten westlichen Hemisphäre sich verschieben wird. Ob diese Verschiebung auf friedlichem Wege, nur einem langsamen Sinken der Wage nach der einen Seite ähnlich, sich vollziehen wird, oder ob die Kanonen das entscheidende Wort werden sprechen müssen, wer wollte das heute sagen, ohne befürchten zu müssen, daß die Tatsachen seine Prophetie lächerlich machen. Beides aber: ein Krieg sowohl zwischen Mutter und Tochter, wie eine friedliche Überwindung Albions durch die ehemalige Kolonie, wären Ereignisse von unberechenbarer Tragweite für die Kulturwelt, für die Weltlage überhaupt.

Für uns Deutsche ist die Gefahr der Amerikanisierung darum nicht so groß, weil unsre Beziehungen zur Neuen Welt, verglichen mit den amerikanisch englischen, immer noch lose sind. Deutschland ist die einzige europäische Großmacht, die bisher keine Reibungen schwererer Natur mit der transatlantischen Demokratie gehabt hat. Der Grund ist einfach der, daß wir, anders als England, Frankreich, Spanien, und Rußland keinerlei Kolonialland drüben besitzen oder besessen haben.

Mißverständnisse sind trotzdem zwischen den 400 beiden Völkern vorgekommen und sie werden weiter vorkommen, so lange man sich hüben und drüben gegenseitig noch so wenig in seinem innersten besten Kern erkannt hat, wie es trotz vielfachen offiziellen Höflichkeitsaustausches bisher der Fall gewesen ist. Amerika hat uns für unendlich viel dankbar zu sein; aber es ist nun einmal menschlich, dort zu grollen, wo man sich im geheimen verpflichtet fühlt.

Uns aber könnte ein wenig Amerikanisierung gar nichts schaden, wenn sie sich auf das rechte Gebiet beschränkte. Wir können vor allen Dingen im Praktischen viel vom Amerikaner lernen; und zwar nicht etwa bloß durch Nachahmen jener zeitersparenden Einrichtungen, in denen die Yankees groß sind, mehr noch in der ganzen, einfachen, großzügigen Arbeitsmethode, deren geheimnisvolle Kraft auf Konzentration und Organisation beruht. Wir Deutschen müssen den gesunden, von keiner Wissenschaft angekränkelten Menschenverstand anzuwenden wagen, sonst können wir wirtschaftlich mit diesem Volke, dem wir kulturell so unendlich überlegen sind, nicht gleichen Schritt halten. Vor allem darf unsre Jugend dem wirklichen Leben nicht so fern gehalten werden, wie es auf unsern Gymnasien und Hochschulen, allen Reformbestrebungen zum Trotze, noch immer geschieht. Wir müssen dafür sorgen, daß der junge Mensch, der ins Leben tritt, nicht nur mit philologischem Gedächtniskram und mit blassen Abstraktionen gefüttert ist, sondern daß er die Augen aufmachen lernt, um etwas zu sehen, und vor allen Dingen, daß er zugreifen will 401 und kann. Unsrer akademischen Jugend muß die Blasiertheit ausgetrieben, in unserm öffentlichen Leben muß mit dem Büreaukratismus gebrochen werden. Je länger wir den krausen Zopf büreaukratischen Wesens tragen, desto mehr wird er für die Entfaltung unsrer aufstrebenden Kraft zum Bleigewicht. Wir brauchen Zufluß frischen Blutes in die oberen Schichten; die niederen sind regsam genug, wie das bewundernswerte Aufsteigen unsers Arbeiterstandes beweist. Der deutsche Beamte bleibt der bestunterrichtetste der Welt, aber was nutzt ihm alle Weisheit, ja selbst aller gute Wille, da er in wirklich verantwortliche Stellungen meist erst dann kommt, wenn seine Spannkraft längst in der Tretmühle des instanzmäßigen Geschäftsgangs aufgebraucht ist. Unser Mittelstand aber, obgleich er glücklicherweise nicht in amerikanischer Weise politisch korrumpiert ist, könnte doch in manchem von den Yankees eine gute Lektion annehmen. Der kleinliche Neid, die Zerfahrenheit, der Eigensinn, die Nörgelsucht, der Pessimismus des deutschen Bierbank-Politikers und Kannegießers steht in wenig schmeichelhaftem Gegensatz zu dem zielbewußten, stolzen, auf's Ganze gehenden, sachlichen Geist des amerikanischen Bürgers. Glänzend aber hebt sich von der dunkeln Folie der Vaterlandslosigkeit, des fanatischen Parteiinteresses, des Liebäugelns mit der internationalen Phrase, des mangelnden Deutschbewußtseins großer verführter und verhetzter Volksmassen bei uns der Patriotismus des Amerikaners ab, dem es selbstverständlich ist, sein Land allerwege über Klasse, Partei und turmhoch über das Weltbürgertum zu stellen.

402 Nur darin könnte von Amerika her für die deutsche Zivilisation eine ernste Gefahr drohen, wenn wir amerikanisches Wesen gedankenlos nachahmen wollten. Das würde für die Alte Welt und ganz besonders für Deutschland ein Zurücksinken bedeuten von höherer Kulturstufe auf eine niedere. Amerikanisierung der Kultur hieße Veräußerlichung, Mechanisierung, Entgeistigung.

Ganz sicher sind uns die Amerikaner, die Angelsachsen überhaupt, überlegen in der äußern Gestaltung des Lebens. Sie haben in der Selbstverwaltung, im Parlamentarismus, im Parteiwesen, kurz in allem das öffentliche Leben betreffenden Dingen allgemeingültige Formen geschaffen, denen wir wenig gleichwertiges an die Seite setzen können. Und auch in der Ausbeutung der Naturkräfte zu Lande und zu Wasser, in der Kolonialpolitik, in der Unterwerfung fremder Völker unter ihren Willen, übertreffen sie uns. Ihr Glück, ihre Kühnheit, ihre Herrschergabe haben ihnen den halben Erdball untertan gemacht. Was können wir Armen dem entgegensetzen? –

Einmal die Mannigfaltigkeit des deutschen Wesens, den Reichtum und die Verinnerlichung unsrer Naturen. Amerika strebt nach Uniformität, Deutschland soll seine Kraft immerdar in der Individualität suchen. Professor Kuno Francke von Harvard College sagte bei einer zum Deutschen Tage im November 1902 zu New York über die »deutsche Persönlichkeit« gehaltnen Ansprache: »Trotz des Druckes durch historische Überlieferung und durch ein stark entwickeltes Klassenwesen auf den einzelnen gibt es in Deutschland unendlich viel mehr 403 eigenartige, individuell ausgeprägte, auf sich selbst ruhende Menschen als in andern Ländern.«

Unsre Bedeutung als Kulturvolk, die uns niemand nehmen kann, hat von jeher auf treuer, rastloser, tiefbohrender Arbeit beruht; eine Arbeit, die, von der positiven Grundlage eng umgrenzter Aufgaben ausgehend, sich doch die Welt der Gedanken erobert hat. Das ist vielleicht der einzige Vorteil, den uns unsre beengte Lage zwischen andern Nationen gebracht hat, daß wir zum Idealismus gezwungen wurden, daß wir, darauf angewiesen, mit geringem Haus zu halten, lernten, das Wenige, was wir besaßen, zu hegen, zu pflegen und nach besten Kräften zu entfalten.

Diese Kleinarbeit hat aus dem winzigen Brandenburg die deutsche Vormacht Preußen gestaltet, hat Deutschland nach tiefem Fall von Jena über Königgrätz nach Sedan geführt. Das heutige Deutschland mit seinen die ganze Welt umspannenden Handelsbeziehungen ist freilich ein ganz andres Gebilde als der Friedricianische Staat. Mit dem materiellen Aufschwung sind nicht allein die Interessen, es sind auch die Pflichten und Aufgaben der Regierenden wie der Regierten gewachsen. Eines aber werden wir niemals aufgeben dürfen, was der Leitstern aller großen Deutschen gewesen ist: Gewissenhaftigkeit, Maßhalten bei aller Genialität, Treue im Kleinen und dadurch Erfolg im Großen. Mag sich unser Reichtum vermehrt haben, mag unser Ansehen gewachsen sein überall, geblieben ist unsre ungünstige Lage, unsre Raumbeengung. Verglichen mit andern Großmächten: England, Amerika, 404 Rußland sind wir, legt man nur das Raumverhältnis zu Grunde, zwergenhaft. Die Erde ist aufgeteilt unter die Mächtigen der Welt, darein werden wir uns wohl oder übel finden müssen. Wiedereinmal wird der Deutsche durch sein Schicksal, das schon so viel Entsagung von ihm verlangt hat, auf sich selbst zurückgewiesen. Wer kann sagen, ob das Schicksal deshalb gescholten oder gepriesen werden soll. Während andre mit Kolonialland reich gesegnete Länder ihre Kraft in der Expansion finden, müssen wir sie suchen: in der Konzentration, in höchster Anstrengung, in Verfeinerung der Arbeitsleistung, in Vertiefung dessen, was wir besitzen.

Deutschland hat in zwölfter Stunde erkannt, daß das Vaterland kein Traum, keine Phrase sein darf, sondern eine reale, nüchterne, sogar harte Tatsache sein muß, hat endlich erkannt, daß die Nation verachtet wird, die sich nicht ihrer Haut zu wehren weiß, und gerechte Ansprüche nicht mit Nachdruck geltend zu machen versteht.

Aber das deutsche Ideal ist nicht Welteroberung. Wie der Typus des deutschen Mannes nicht der des amerikanischen Smartman ist, so strebt auch das Volk im Ganzen nicht nach der Erfolgs- und Geschäftsseite hin. Die besten Deutschen sind immer Faust-Naturen gewesen. Die Innenwelt gestalten, eine einmal erkannte Wahrheit mit Eigensinn, oft zum eignen Schaden durchsetzen, auf daß das Gewissen befriedigt werde, jede Sache um ihrer selbst willen, nicht um des Erfolges willen tun, sich niemals an dem Erreichten genügen lassen, zeitlebens das Ideal höher und höher stecken, 405 der eignen Person kritisch gegenüberstehn, mit der Außenwelt in Hader leben, dabei heiss nach innerem Frieden suchen, sich sein eigner Himmel und seine eigne Hölle sein, nichts mehr fürchten als den Abfall von sich selbst, das heißt deutsch sein.

Solche Naturen und ein Volk von solchen Menschen sind nicht dazu gemacht, mit den Yankees in Konkurrenz zu treten um den Besitz der äußern Welt. Und doch brauchen die beiden scheinbar schroff entgegengesetzten Völker einander sehr, haben sich nötig wie Mann und Weib. Aus gegenseitiger Ergänzung ihres Wesens könnte für beide und für die ganze Welt die edelste Kulturblüte geboren werden.

Mag unser höheres Alter als Volk immerhin ein Nachteil sein der Neuen Welt gegenüber, mag unsre tausendjährige Kultur mit allem, was sie angehäuft hat an Steifem, Barockem, längst Überwundnem ein Hindernis sein der Bewegungsfreiheit, so liegt im historisch Gewordnen doch auch wieder eine Quelle sittlicher Stärkung, ästhetischer Schönheit, aristokratischer Würde und gesellschaftlicher Sicherheit einem jungen Volke gegenüber, dem noch auf lange hinaus das Parvenuhafte ankleben wird.

Wahrlich, die Neue Welt hat noch immer viel von uns zu lernen. Eine Durchdringung mit teutonischem Geiste könnte ihrer Zivilisation gerade zu dem verhelfen, was ihr am empfindlichsten fehlt: Tiefe, Harmonie, Verinnerlichung, Sättigung mit geistigen Werten.

Das Volk von Amerika braucht vor allen Dingen Selbstbesinnung. Es hat den ersten Teil seiner historischen 406 Aufgabe erfüllt, einen ganzen Kontinent der Alleinherrschaft der Arier, dem Christentum und der demokratischen Regierungsform zu unterwerfen. Jetzt muß es daran gehn, den schnell errichteten, vielfach unproportionierten und rohen Bau zu verschönern und von manchem Unrat zu säubern. Die große Frage der Zukunft ist für Amerika: wird dieses vom Glücke so sehr verwöhnte Volk imstande und gewillt sein, den ihm zur zweiten Natur gewordnen schrankenlosen Individualismus zu zähmen? Wird es Selbstbeschränkung lernen, sich zur Selbstzucht emporläutern? Eine außerordentliche Forderung allerdings einem Volke gegenüber, das bisher immer durch rücksichtsloses Draufgängertum seine größten Erfolge erzielt hat. Aber die Gefahr liegt für die Vereinigten Staaten ebenso nahe wie für jedes andre Weltreich, bei noch so großer äußerer Macht an der im Innern fressenden Korruption zugrunde zu gehn. Und auch für die Neue Welt gilt das an Rom offenbar gewordene Grundgesetz, daß nur männliche Rüstigkeit und sittliche Gesundheit das Blühen und Gedeihen großer Staatengebilde auf die Dauer zuläßt.

Über eines sind sich alle ernsten Politiker drüben klar, daß die Union innerer Reformen bedarf. Mit dem bisherigen Laissez faire ist nicht in alle Ewigkeit weiter zu wirtschaften. Über die Mittel und Wege der Reform gehen auch in Amerika die Ansichten und Vorschläge nach allen Himmelsrichtungen auseinander. Ob das Heil in einer Stärkung der Staatsautorität zu suchen sei, ob der Verstaatlichungsgedanke Aussichten habe, ob 407 die Kooperation vieler das Einzelmonopol ablösen werde – das sind Fragen, die allein die Zukunft beantworten kann.

Die innere Politik schreit nach einer neuen Partei. Die alten Parteischablonen sind durchaus verbraucht. Weder Demokraten noch Republikaner haben, trotz ihrer, Freiheit und Gleichheit atmenden Namen, zu verhindern gewußt, daß sich in Staat und Gesellschaft eine Anzahl Männer und Gruppen zu einer die Prinzipien der Verfassung arg gefährdenden Übermacht, zu einer inneren Tyrannis, herausgebildet haben. Eine Partei, die rücksichtslos gegen diese Gefahren und Mißbräuche vorgehen wollte, müßte mit allen Lieblingssünden der Yankees aufräumen, müßte auch mit dem Spoilsystem, dem Hauptgrunde der amtlich sanktionierten Korruption, brechen. Zu solcher Herkulesarbeit jedoch sind Männer notwendig mit Prinzipien nicht bloß routinierte Parteipolitiker. In keinem Lande der Welt aber haben es die Charaktere von Gehalt so schwer, in maßgebende Stellungen zu gelangen, wie in dem Lande angeblich freier Bahn für alle: in Amerika.

Moral und große Gedanken müssen in der amerikanischen Politik wieder zu ihrem Rechte kommen. An der sittlichen Erstarkung der Union haben wir, hat die ganze Welt, ein hohes Interesse. Amerika hat längst begonnen, die Nationen Europas kraft seines Schwergewichts nicht nur in wirtschaftlicher, nein auch in moralischer Beziehung zu beeinflussen. Es ist kindisch, wie es viele Zeitungsgläubige tun, sich an den sensationellen Nachrichten über amerikanische Zustände zu 408 weiden und aufzuregen; es ist verwerflich, sich durch die Auffassung, daß es jenseits des atlantischen Ozeans noch schlimmer zugehe als bei uns, das gerechte Urteil über heimische Zustände umnebeln zu lassen. Amerika ist ein Teil der zivilisierten Welt, und es liegt im gleichmäßigen Interesse aller Kulturnationen, daß das Gute überall gefördert werde, daß Recht, Sitte, Ordnung, mehr und mehr die dunklen Schatten des Egoismus, der Anarchie, der Sittenlosigkeit aus dem öffentlichen Leben der einzelnen Länder und aus den internationalen Beziehungen aller Nationen verdrängen.

Amerika hat für seinen eignen Nutzen und Vorteil großes erreicht und geschaffen, seine Mission für die Menschheit dagegen hat es kaum in Angriff genommen. Ohne es selbst zu wissen und zu wollen, ist dieses Land die wichtigste Etappe geworden auf dem Wege zur Welteinheit. Es zeigt bereits jetzt eine neue, größere Form des Staats, als wir sie bisher gekannt haben: den kontinentalen Staat. Während Großbritannien ein Kolonialreich ist, das im Mutterlande auf zu schmaler Basis ruht, während Rußland in eine europäische und in eine asiatische Hälfte auseinanderklafft, hat die Union alle ihre Glieder um sich versammelt. Für ein Land, das in sich den Keim zum kontinentalen Staat trug, war die Demokratie die gegebene Verfassung. Despotien sind für große Völker längst zur Unmöglichkeit geworden, Diktaturen und Absolutismus werden es immer mehr werden. Amerika hat die Aufgabe, der Welt den Beweis zu liefern, daß mündige Völker sich selbst zu regieren vermögen, einen 409 Beweis, den uns Frankreich schuldig geblieben ist und den uns England nur zum Teil erbracht hat.

Die andre große, von ihm selbst kaum geahnte Aufgabe Amerikas ist es, den Weltfrieden herbeizuführen. Ein Land, das jetzt bereits an die 80 Millionen Einwohner hat, das am Schluß des zwanzigsten Jahrhunderts, wenn es wie zu erwarten, inzwischen Kanada und Mittelamerika an sich genommen haben wird, mit 300 vielleicht 400 Millionen Seelen dastehen mag, muß die denkbar größte Garantie für den Weltfrieden bedeuten, weil es unbesieglich ist. Es würde keinen Grund haben, Eroberungskriege zu führen, weil es gesättigt wäre, würde hingegen die europäischen Staaten ganz von selbst zum Zusammenschluß zwingen. Auch England, von seinem jetztigen unnatürlichen Umfange zurückgeführt, wird alsdann Anschluß an die Festlandsmächte suchen müssen.

Dann würde die Führung in den Vereinigten Staaten Europas mit Naturnotwendigkeit dem Lande zufallen, das die besten Reserven an Kraft, Volksgesundheit, Selbstzucht, Mut und Energie besäße. Ob Deutschland dieses Land sein wird, ist in die Hände der Deutschen dieser und der kommenden Generationen gelegt. Daß selbst alte, scheinbar dem Tode geweihte Völker sich noch regenerieren können, hat unser Vaterland schon einmal nach dem dreißigjährigen Kriege bewiesen. Es wird seine kulturelle Stellung einem noch so großen Amerika gegenüber immer behaupten können als Land der Mannigfaltigkeit, als Wiege originellster Persönlichkeiten.

Diesseits und jenseits des atlantischen Ozeans 410 gehört der germanischen Rasse die Zukunft. Eine wichtige Arteigentümlichkeit der Germanen den Romanen gegenüber ist immer das Maßhalten gewesen. Hoffentlich behält der starke germanische Blutzusatz im Amerikaner die Oberhand, läßt sich nicht von keltischen oder romanischen, vielleicht gar polnischen oder jüdischen Beimischungen nach der Seite der Abenteuerlust fortreißen.

Wenn das Volk von Amerika sich selbst beherrschen lernt, gehört ihm die Weltherrschaft im höchsten Sinne. Dann wird es der Menschheit den Frieden geben und die Brüderlichkeit, nicht durch schablonenhafte Gleichmacherei, wie es der Traum ist gedankenloser Revolutionäre, sondern durch die Verbreitung edelster Gesittung über die ganze Welt. Diese Gesittung hat zum innersten Kern jene von der Vorherrschaft der arischen Rasse untrennbaren Güter, sie heißen: Einehe, Familie, Christentum.

Das neunzehnte Jahrhundert hat, wie kein andres zuvor, die bewohnte Erde erforscht und ihre Glieder einander nahe geführt. Es hat wie kein andres Aufschlüsse gebracht über das, was unter uns im Erdinnern und in der Tiefsee lebt an mannigfaltigen Organismen. Es hat mit dem Mikroskop und Fernrohr Welten von nie geahnter Bedeutung und Pracht erobert. Die Astronomie hat damit, daß sie Räume und Weltensysteme von unausdenkbarer Zahl und Größe im Kosmos nachwies, unsre Erde zum Atom im Weltall verkleinert. Vermehrt ist unser Wissen um eine Unzahl erstaunlicher Tatsachen; dem 411 eigentlichen Zusammenhange der Dinge, der Erkenntnis vom Grunde alles Seins, dem Geheimnis, wie Leben entsteht, sind wir nicht um eine Linie näher gekommen.

Ähnlich ist es uns auf ökonomischem Gebiete ergangen. Wir haben die wirksamsten Fabrikationsmethoden ersonnen, zeitersparende, tadellos arbeitende Mechanismen und Maschinen erfunden, früher unbekannte Naturkräfte in unsern Dienst gestellt, Schätze angehäuft, Rohprodukte erzeugt und Ware daraus gefertigt, genug um damit den ganzen Erdball zu überschwemmen. Diese Vermehrung der Sachen ins Ungemessene aber hat uns nur äußerlich reicher gemacht. Wir sind recht eigentlich zu Sklaven der Sachen, die wir fortgesetzt erzeugen, geworden. Ganze Stände hängen von der Maschine und ihrem Produkte ab. Ähnlich wie in patriarchalischer Zeit die Macht eines Mannes nach der Stückzahl seiner Herden und der Menge seiner Knechte berechnet wurde, so ist heute der der Mächtigste, der über die zahlreichsten und wirksamsten Mittel und Wege kommandiert, um Kapital in irgend einer Form zu erzeugen, vielleicht auch nur es an sich zu ziehn.

Amerika hat diese Entwicklung auf die Spitze getrieben. Es ist heute der Staat, wo der moderne Industrialismus, die privatkapitalistische Wirtschaftsweise, alle Typen der Weltwirtschaft, gute wie schlechte, solide wie unsolide Erscheinungen, Symptome der Krankheit sowohl wie der Gesundung, sich häufen. Wo Reichtum und Armut, Monopole, Selbsthilfe der Arbeiter, Streiks, Aufschwung und Niedergang, 412 Spekulationsfieber und Unternehmergenie die am höchsten entwickelten Formen zeigen.

Das amerikanische Leben mit all seiner Unrast, seiner seelischen Monotonie, seiner tiefen Unbefriedigung ist nur ein Beweis dafür, daß diese Entwicklung im Widerspruch steht zur Menschenwürde, daß der unsterbliche Teil des Menschen nie und nimmer darin Befriedigung finden kann. Die vielen Weltverbesserungspläne, die gerade in Amerika ausgeheckt werden und zahllose Anhänger finden, sind dafür charakteristisch; die Experimente der Kommunisten, alle jene ethisch religiösen Reformversuche, die Bestrebungen der Heilsarmee, der ethischen Kultur, der Christian Science zeigen durch ihr heißes, unruhiges Suchen nach Wahrheit und Glückseligkeit, daß auch in der Neuen Welt bei aller Vermehrung der Bewegungsfreiheit, bei aller Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten sich der Mensch nicht genügen lassen will »am Brot allein«. Daher auch der sonst geradezu rätselhafte Widerspruch im amerikanischen Charakter: das Wüsten eines ganzen Volks in den Gaben Gottes, daneben die leidenschaftliche Naturvergötterung einzelner, das Flüchten ihrer Edelsten und Empfindlichsten, ihrer Dichter und Seher in die Natur, der Zug zum Primitiven mitten in der raffiniertesten Moderne. Die von der Kompliziertheit, den mannigfachen Disharmonien neuzeitlicher Entwicklung gequälte Seele sucht eben Ausgleich in der Einfachheit, der Unschuld, der Ursprünglichkeit des Naturzustandes.

Jede Übertreibung muß an sich selbst zugrunde 413 gehn; der Satz ruft überall den Gegensatz hervor. Vielleicht ist es gerade dem amerikanischen Volke vorbehalten, da es die Brutalitäten des modernen Lebens bis zum Extrem entwickelt hat, auch die ersehnte Heilung zu bringen. Vielleicht wird Amerika die Menschheit wieder leben lehren, das heißt, ihrer Zivilisation endlich froh zu werden, auf daß sie Güter und Werte nicht nur schaffe und ansammle, vielmehr die sauer erworbenen Schätze auch genieße.

Das würde heißen, die Harmonie des Daseins herstellen, die uns Neueren hüben wie drüben verloren gegangen ist.

 


 


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