Wilhelm von Polenz
Das Land der Zukunft
Wilhelm von Polenz

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Die Sklavenfrage

Man wird die amerikanische Zivilisation niemals richtig würdigen, ebenso wenig wie man die Politik der Vereinigten Staaten im neunzehnten Jahrhundert wird gerecht zu beurteilen vermögen, wenn man eine Frage nicht versteht, die drüben Jahrzehnte hindurch im Mittelpunkte des öffentlichen Lebens gestanden hat: die Sklavenfrage. Sie hat zugleich eine politische wie eine kulturelle Seite, ein wirtschaftliches wie ein ethisches Gesicht.

Die Sklavenfrage ist nicht zu verwechseln mit der Rassenfrage. Das Vorhandensein von vielen Millionen Schwarzer lastet noch heute schwer auf der ganzen westlichen Hemisphäre, bleibt für die Vereinigten Staaten das Problem der Probleme. Die Frage der Sklavenhalterei jedoch ist für Nordamerika gelöst durch den Sieg des Abolitionsgedankens.

Es gibt diesseits und jenseits des atlantischen Ozeans Geschichtsforscher und Politiker, die den amerikanischen Bürgerkrieg allein auf innerpolitische Gründe zurückführen möchten, die der Sklavereifrage eine nur sekundäre Bedeutung für diesen großen weltgeschichtlichen Kampf beimessen wollen. Ja, ein namhafter deutscher Volkswirt vertritt die Ansicht, daß der Norden das Schwert gezogen habe, lediglich um sich die wirtschaftliche 358 Suprematie über den Süden zu erringen. Das ist ein Überschätzen mechanischer Ursachen und ein Unterschätzen der sittlichen Triebkräfte in der Weltgeschichte. Wer dem Volke von Nordamerika nicht die Fähigkeit zutraut, sich für eine Idee zu schlagen, der hat sich durch manche unschöne Züge des Yankeecharakters verführen lassen, das impulsive Temperament dieser Nation, die mehr als einmal bewiesen hat, daß sie enthusiastischen Opfermuts fähig ist, zu verkennen.

Sicherlich ist die Sklavenfrage nicht der einzige Anlaß gewesen zum Krieg von 1861/65. Seine Gründe sind viel zusammengesetzter und schwieriger zu übersehn, als etwa die des letzten deutsch-französischen Feldzuges, die sich in drei Zeilen zusammendrängen lassen. Der Hauptgrund ist in einer schweren Unterlassungssünde zu suchen, die beim Entwurf der amerikanischen Verfassung begangen worden wurde. Auch die Sklavenfrage ist wie so vieles Unerquickliche und Schadhafte im öffentlichen Leben der Neuen Welt begünstigt worden durch die bedenkliche Neigung der Amerikaner für Kompromisse. Um den Süden nicht vor den Kopf zu stoßen, um die sklavenhaltenden Kolonien bei der Union zu halten, hatten es die Väter der Konstitution nicht gewagt, die theoretisch längst verdammte, mit der Unabhängigkeitserklärung und den Menschenrechten schlecht zusammenstimmende Menschenknechtung zu verbieten. Man überließ vielmehr diese wichtige Frage, zu der unbedingt schon damals Stellung hätte genommen werden müssen, der 359 Gesetzgebung der Einzelstaaten zur Entscheidung. Damit wurde, ohne daß sich jene Zeiten dessen bewußt geworden wären, der verhängnisvolle Keim zur Zwietracht schon in das Grundgesetz gesenkt.

Wir wissen aus der Ostmarkenfrage Preußens und aus der Geschichte Irlands, daß ein politischer und kultureller Rassengegensatz erst dann brennend wird, wenn ihn wirtschaftliche Momente verschärfen helfen. Die Pflanzer des Südens bauten Stapelartikel für den Export, der Norden hatte neben Ackerbau auch Handelsniederlassungen und Fabriken. Daher waren die Pflanzerstaaten freihändlerisch, die Neuenglandstaaten aber und ihr Anhang schon früh Anhänger des Schutzzolls. Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts begannen die Vereinigten Staaten Baumwolle zu exportieren; aber erst die Erfindung der Cotton Gin 1793 machte die Massenerzeugung von Baumwolle für den Weltmarkt ertragreich. Nichts hat den südlichen Plantagenbau so revolutioniert wie diese Erfindung; zur nächsten Folge hatte sie ein wachsendes Bedürfnis nach Arbeitern und damit wieder eine systematisch betriebne Sklavenzüchtung.

Vor allem aber wurde der Unterschied zwischen Nord und Süd dadurch unerträglich, daß die Sklavenstaaten anfingen in Kultur und Sitte, wie im wirtschaftlichen Leben hinter dem energischeren, intelligenteren und kapitalkräftigeren Norden zurückzubleiben. Ganz natürlich! Reine Plantagenwirtschaft weist auf extensiven Betrieb und führt schließlich zum Raubbau, und Sklavenarbeit demoralisiert den Arbeiter 360 wie den Arbeitgeber. Asiatische Verhältnisse rissen ein mitten im zivilisierten Nordamerika. Der Reichtum eines Mannes wurde nach der Zahl seiner Sklaven berechnet. Es fehlte in jenen mit Sklaverei gestraften Strichen auch die feinere soziale Gliederung; neben dem »Baron« stand ohne Vermittlung der Beamte, dann kam die große Masse der unfreien farbigen Arbeiter.

Damit ward die demokratische Verfassung zur Lüge; und trotzdem wurde merkwürdiger Weise gerade der Süden zur Hochburg der demokratischen Partei, deren erster durch alle Wandlungen bis auf den heutigen Tag gewahrter Grundsatz die Vertretung einzelstaatlicher Rechte gegen allzu straffe Zentralisation in der Union, der Volksfreiheiten gegen Regierungsautorität, geblieben ist.

Durch die ganze Jugendgeschichte der Vereinigten Staaten bis zum Bürgerkriege geht der Kampf von zentrifugalen und zentripetalen Kräften, von Partikularismus und imperialistischen Strömungen. Es wurde in den heftigsten Parteikämpfen, die die neuere Geschichte vielleicht gesehen hat, wiederholt va banque gespielt, und lange vor der Sezession der Bestand der Vereinigten Staaten als Großmacht auf die gefährlichste Weise in Frage gestellt. Anfangs standen sich Föderalisten und Antiföderalisten unter ihren großen Führern: Hamilton und Jefferson, unversöhnlich gegenüber. In einer Zeit, wo die englisch-französische Feindschaft die ganze Welt in Spannung erhielt, war auch Nordamerika durch diesen Gegensatz in zwei Lager geteilt; die 361 Förderalisten mit ihrer neuenglischen Herkunft hegten mehr Sympathie für das Mutterland, die Jeffersonianer mit ihrem ungebundnen, vom Virginiertum stark beeinflußten Freiheitssinn, liebäugelten mit dem Lande der Revolution. Bei der stürmischen Präsidenten-Wahl von 1801 trafen diese Gegensätze noch einmal hart aufeinander. Jefferson ging als Sieger hervor, während der edle Hamilton bald darauf, viel zu früh für sein Land, vollendet wurde, ohne die ihm wie keinem andern gebührende Würde des Staatsoberhaupts erlangt zu haben.

Die Partei der Förderalisten verfiel von dem Augenblicke ab, wo der Sieg des Unionsgedankens fest stand, weil sie nichts mehr zu erkämpfen hatte; ihre Arbeit war getan. Die Antiföderalisten aber, für eine ganze Reihe von Jahren nunmehr Regierungspartei, gaben ganz von selbst ihren Partikularismus auf und häuteten sich zu Republikanern. Die Parteien haben in Amerika ihr Programm scheinbar getauscht, allmählich wechselten sie auch die Namen. In der Sklavenfrage, die von 1820 an immer drohender und ausschließlicher alle politischen Kräfte der Nation zu verbrauchen begann, standen sich die Parteien unter den Namen Demokraten und Whigs gegenüber. Bis endlich jene Bezeichnungen aufkamen: Republikaner und Demokraten, unter denen heute noch zwei große, nach Weltanschauungen mehr als nach Prinzipien geteilte Parteien, beide gleich lüstern nach Macht und Beute, um die Regierung ringen.

Bekanntlich sind wirtschaftliche Kämpfe in politischer 362 Gewandung immer die erbittertsten; hier bei dem Kampf zwischen Süd und Nord kam noch der Gegensatz des Klimas und der Agrarverfassung verschärfend hinzu.

Es wurde zunächst der Versuch gemacht, die Frage auf gesetzlichem Boden auszutragen. Die Dehnbarkeit der Verfassung erlaubte beiden Parteien, sich auf sie zu berufen. Der Süden, dessen Bevölkerungszunahme infolge der allen gesunden Fortschritt hemmenden Sklaverei immer mehr hinter dem rasch wachsenden Norden zurückzubleiben begann, konnte nicht hoffen, auf die Dauer im Repräsentantenhause die Majorität zu wahren, er suchte sich darum sein Bollwerk, in dem, alle Staaten, ob groß ob klein, gleichmäßig durch zwei Abgeordnete repräsentierenden Senat. So entstand der staatenrechtlerische Partikularismus der vom Süden getragnen demokratischen Partei recht eigentlich aus der Sklavenfrage heraus. Auf nichts mußten diese despotischen Demokraten daher eifriger bedacht sein, als daß möglichst viele Staaten und Territorien die Sklaverei bei sich einführten, oder wo sie schon existierte, weiterhin gestatteten. Das Eintreten dieser Partei für Staatssouveränität bedeutete in jener Zeit vor allen Dingen Kampf um ein durch den Gebrauch geheiligtes Sonderrecht: eben die Sklaverei.

Das kam in krasser Weise zum Ausdruck bei der Regelung der Missourifrage. Das Territorium Missouri wurde nach schwerem Kampf im Kongreß unter der Bedingung als Staat aufgenommen, daß keine weitern Sklaven eingeführt und daß die dort gebornen Sklavenkinder emanzipiert würden. Aber auch hier 363 durfte das Kompromiß nicht fehlen; die Missourilinie wurde festgelegt, das hieß: nördlich von einem bestimmten Breitengrade sollte die Sklaverei verboten, südlich davon sollte sie erlaubt sein. Dadurch wurde der praktisch längst bestehende Gegensatz zwischen sklavenhaltenden und freien Gebieten nun auch gesetzlich anerkannt; die Union war in einer Frage von tiefer, sittlicher und kultureller Bedeutung in zwei Hälften geteilt. H. von Holst sagt in seiner »Verfassungsgeschichte« der Vereinigten Staaten »Von der Nacht vom 2. auf 3. März 1820 treibt die Parteigeschichte unaufhaltsam und ununterbrochen auf die Bildung geographischer Parteien hin.«

Nun endlich erwuchs der Sklaverei, wie es in einem zivilisierten, christlichen Volke ja nicht anders sein konnte und durfte, ein ethischer Gegner in den Abolitionisten. Die Väter dieser großen Bewegung, der Quäker Lundy und William Lloyd Garrison begannen durch die Presse und in Versammlungen die Gewissen zu wecken. Ihr oberster Grundsatz war: »Sklaverei ist Verbrechen!« Dem gegenüber steht das berüchtigte Wort Calhouns, dieses Südstaatlers von irischer Abkunft: »Die Sklaverei ist ein positives Gut.« Das schlechte Gewissen, das die Sklavenhalter im Grunde hatten, äußerte sich in Tumulten, Grausamkeiten und Lynchgerichten gegen die Abolitionisten. Aber auch der Norden wollte von dieser Bewegung nicht viel wissen. Die Sklaverei war für einen großen Teil des amerikanischen Volks zur süßen Gewohnheit geworden, sie wurde als gutes Recht, als verfassungsmäßige Institution 364 angesehn. Man bewies angelsächsische Zähigkeit im Festhalten an der »gottgewollten« Tradition, bewies auch angelsächsische Heuchelei im glatten Vorbeisehen an der Tatsache, daß Sklaverei und Demokratie sich nicht vertragen.

Im Jahre 1836 wurde eine Resolution vom Repräsentantenhause angenommen, wonach keine Petition, die sich auf die Sklaverei bezöge, fortan mehr beachtet werden solle. Dies war ein offenbarer Schlag ins Gesicht der Verfassung. Doch hatte diese »Knebelresolution« eine von der Kurzsichtigkeit ihrer Urheber nicht erwartete, heilsame Folge, die Sache der Abolitonisten wurde dadurch mit einem heiligen Volksrecht, dem der »Petition«, verknüpft. Alle rechtlich denkenden, politisch reifen Männer waren fortan gezwungen, sich mit der Sklavereifrage auseinander zu setzen.

Für den Süden begann nun das Wort zu gelten: »Quos deus perdere vult, dementat!« Er verfocht durch Calhouns sophistischen, von Christenliebe überfließenden Mund die Ansicht, daß die Sklaverei die »sicherste Grundlage freiheitlicher Institutionen« sei. Auf eine Auflösung der Union um der Sklavenfrage willen kam es dem Süden garnicht an; seine Politiker stellten den Bestand des Staats um ihres Geschäftsinteresses willen auf des Messers Schneide. Durch ihre Erklärung, daß die Regelung der Sklaverei lediglich Sache der Einzelstaaten sei, wozu ihnen die Unklarheit der Verfassungsurkunde in diesem Punkte allerdings ein scheinbares Recht gab, zeigten die südstaatlerischen Demokraten deutlich ihre partikularistische, im letzten Grunde zuchtlos egoistische, autokratische Gesinnung.

365 Auf Betreiben des Südens, der sein Gebiet auf jede Weise erweitern wollte, wurde Texas annektiert. Tatsächlich bekam die Sklavokratie durch diesen Coup auch die Majorität im Senat. Die Annexion von Texas hatte einen vom Präsidenten Polk in frivolster Weise angezettelten Krieg mit Mexiko im Gefolge. Dabei wurden Neu-Mexiko und Californien Beute der Union. Auch in diese Territorialerwerbung mischte sich die Sklavenfrage wie in jede wichtige Angelegenheit gebieterisch ein. Wem sollten die eroberten Gebiete zufallen? Sollte in ihnen Sklaverei erlaubt sein? Fortführung der Missourilinie bis zum Stillen Ozean durch die neuen Territorien war der Sklavenhalter schlauer Plan. Inzwischen waren die ersten Goldfunde in Californien gemacht worden; dieses Land trat damit in den Vordergrund des Interesses. Es gab sich selbst eine Verfassung und schloß die Sklaverei ausdrücklich aus seinem Gebiete aus. Ein schwerer Schlag für den Süden.

Es konnte nicht fehlen, daß man im Lande der Kompromisse den Versuch machte, auch die Sklavenfrage durch ein solches zu lösen. Der greise Henry Clay versuchte im Jahre 1850 die Sklavenhalterpartei dafür, daß sie Californien aufgeben mußte, mit dem Fugitive Slave Law zu entschädigen. Ein Danaergeschenk! Diese Frage, die eine geographische, eine politische und ethische zugleich war, konnte nicht mehr durch Kompromisse, nur noch durch Bürgerblut gelöst werden. Das »Sklavenjagdgesetz« öffnete vielen erst die Augen über die Gräuel der Sklavenhalterei. Die 366 Einwandrung intelligenter Elemente aus Europa nach dem Jahre 1848, die lediglich dem Norden der Union zugute kam, half auch die Sache der Abolition mächtig stärken. Gegen das Wachstum der Industrie und des Handels in den Neuenglandstaaten, sowie des Ackerbaus im neuen Westen kam »King Cotton« nicht mehr auf. Der Süden schmorte mehr und mehr im eignen Fett, und wenn er scheinbar noch immer die politische Führung der Nation in Händen behielt, so lag das daran, daß der Norden sich vorläufig fürchtete, durch ein allzu energisches Auftreten die Union zu Grunde zu richten.

Die Whig-Partei wurde schließlich durch das letzte Kompromiß in der Sklavenfrage gesprengt; aus ihr erwuchs 1854 die Republikanische Partei. Der Roman von Mrs. Beecher-Stowe »Onkel Toms Hütte« bewies durch seine fabelhafte Wirkung, daß die Tage der Sklaverei gezählt seien. Ein weitrer indirekter Beweis dafür war ein Protest von 3000 Geistlichen Neuenglands gegen das durch die Kansas-Nebraska-Bill in den Territorien aufgehobene Sklavereiverbot. Die Kirche machte dadurch ihre frühere Lauheit in einer Frage gut, die wie keine andre die Stellungnahme des Christen herausforderte. Die Kansas-Nebraska-Bill, die das Missouri-Kompromiß aufhob zu gunsten unbeschränkter Ausdehnung der Sklaverei, war ein solcher Rechts- und Verfassungsbruch, daß er selbst die loyalen und friedliebenden Deutschen in Harnisch brachte, sie den angeblichen Demokraten abwendig machte, und sie in Scharen der Sache der wirklichen Freiheit, der jungen republikanischen Partei, zufallen ließ.

367 Die Stellung der Bundesregierung, die sich nach den neuesten Gesetzen überhaupt nicht mehr in die Sklavenfrage einmischen durfte, außer wo es galt, entsprungene Sklaven einzufangen und ihren Herren zurückzuführen, war so ominös und unhaltbar geworden, daß eine Anzahl nördlicher Staaten auf eigne Faust Personal-Liberty-Laws erließen gegen die Auslieferung von Sklaven, die doch bundesgesetzliches Recht war. Die Entscheidung des obersten Gerichtshofs in dem berühmten Fall des Sklaven Dred Scott, durch die die Ansicht der Sklavenhalter, daß sie ihre farbigen Untertanen wie Sachen hierhin und dorthin verschleppen dürften, nur bestätigt wurde, beleuchtete die verzweifelte Lage der schwarzen Bevölkerung wie mit Blitzlicht. Bei den Kansas Wirren floß das erste Bürgerblut. Das Geschwür der Sklaverei hatte von allen Seiten her die faulen Säfte an sich gezogen, es war reif, geöffnet zu werden.

Die republikanische Partei war recht eigentlich auf dem heißen Boden der Sklavenfrage entstanden; ihr unsterbliches Verdienst um die Union ist es, daß sie damals den Mut fand, mit der Kompromißpolitik zu brechen und Unrecht Unrecht zu nennen. Im Jahre 1856 bei der Präsidentenwahl zwar erfochten die Demokraten noch einmal einen Pyrrhussieg. Die Sklavenhalter waren in dieser Session so verblendet und so verliebt in ihre »gottgewollte« Institution, daß sie sogar die Wiedereinführung des afrikanischen Sklavenhandels zu fordern wagten. Aber schon waren die Füße derer vor der Tür, die ihre Herrlichkeit zu Grabe tragen sollten.

368 Lincoln kann insofern mit Bismarck verglichen werden, als er auf höchst ungewöhnlichem Wege in die große Politik gekommen ist. Gerade dadurch, daß sie nicht zünftig waren, haben sich diese beiden: der Holzfäller und Flößer aus Kentucky und der Krautjunker aus Pommern, jene unbefangene Ursprünglichkeit gewahrt, die nötig war, um den wirr verschlungenen Knoten: hier der Sklavenfrage, dort der Bundestagspolitik, resolut mit dem Schwert zu durchhauen. Manche Aussprüche Lincolns erinnern direkt an Bismarcks geflügeltes Wort vom »Eisen und Blut«, mit dem die großen Fragen der Zeit allein entschieden werden könnten. So erkannte Lincoln schon im Jahre 1855 ganz klar, daß, mit der Skavenfrage als Dorn im Fleisch, die Union ein Unding sei. »Unser politisches Problem ist jetzt: können wir als eine Nation dauernd, halb Sklaven, halb frei, zusammen bleiben!« lautete sein, den ganzen Konflikt klar umschreibender Ausspruch.

Von Bismarck unterscheidet ihn das demokratische Blut. Er war und blieb, wie alle großen Amerikaner, doch immer nur ein primus inter pares. Er hat selbst als Präsident in jener großen Zeit die Politik nicht gemacht, er setzt nicht einen von der Gottheit in der eignen Brust empfangnen Gedanken selbstherrlich durch, er führt nur eine durch lange Jahre vorbereitete Idee, deren hervorragendster Träger er durch seinen unantastbaren Charakter geworden ist, im Namen des Volkes und gleichsam in seinem Auftrage aus. Diese edle bürgerliche Tugend, die das eigne Temperament dem Volkswillen entsagungsvoll anpaßt, ohne sich 369 doch dem Masseninstinkt blindlings zu unterwerfen, stellt Lincoln genau auf die Linie, wo sich welthistorischer Genius und bloßer Nationalheld von einander scheiden.

Abraham Lincoln vollendete das Werk der Washington, Franklin, Hamilton. Unter seinem Präsidium löschte das Volk von Nordamerika den, die Demokratie schändenden Fleck der Sklaverei endgültig aus. Erst durch den Sezessionskrieg wurden die Schwarzen zu Bürgern der Vereinigten Staaten gemacht, und zur Menschenwürde erhoben. Damit erst ward die Unabhängigkeitserklärung von 1776 mit ihrer Behauptung, daß alle Menschen von Geburt aus gleich wären und daß sie vom Schöpfer mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Glück bedacht seien, auch für diesen Teil der Bevölkerung aus bloßer Theorie zum verfassungsmäßigen Recht erhoben.

Spätern Generationen blieb es vorbehalten, die schwer erkämpfte Sklavenbefreiung durch die unwürdigste Behandlung der befreiten Schwarzen von neuem in Frage zu stellen. 370

 


 


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