Wilhelm von Polenz
Das Land der Zukunft
Wilhelm von Polenz

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Die Stände des Volks von Nordamerika

Wenn wir die Tüchtigkeit eines Volks erforschen wollen, so fragen wir zuerst nach den Individuen, die es bilden. Da man diese aber unmöglich alle kennen kann, so frägt man nach den Klassen und Berufsständen, aus denen es sich zusammensetzt, und ob diese gesund sind.

Wollte man eine solche Untersuchung an dem Volke von Nordamerika anstellen, so würde sich sofort der Unterschied zwischen Alter und Neuer Welt auf das allerdeutlichste zeigen. In Deutschland zum Beispiel müßten wir als die wichtigsten Stände, als die, auf denen Gegenwart und Zukunft des Volksganzen ruht, anführen: den Stand der Bauern und des grundbesitzenden Adels, den Lehr- und Wehrstand, die Beamten, die Industriellen, die Kaufleute und die Arbeiterschaft. Für Amerika scheiden einige dieser Stände so gut wie ganz aus. Einen eingesessenen Bauernstand in unserem Sinne gibt es nicht. Ebenso fällt der grundbesitzende Adel weg. Der Wehrstand spielt kaum eine Rolle. Der Lehrstand ist erst in der Entwicklung begriffen. Und an Stelle unserer Staatsdiener tritt drüben der freie Politiker. Es fehlen also gerade jene Stände, die wir als die ältesten und eigentlich staatserhaltenden anzusehen gewohnt sind.

87 Ich würde für Amerika als die wichtigsten, die Vollkraft der Nation darstellenden Berufsstände, folgende nennen: den Arbeiter, den Farmer, den Unternehmer und den professionellen Politiker.

Man sieht, daß dies keine Stände im alten Sinne sind, zum mindesten keine Kasten. Es sind Klassen, wie sie der modernen Gesellschaftsentwicklung ihre Entstehung verdanken. Bei uns sind die Stände, den Säulen des Basalts gleich, aus unergründlicher Tiefe emporgewachsen, sie berühren sich, stützen sich gegenseitig, aber gehen nicht ineinander über. In Amerika haben wir nicht eine vertikale, sondern eine horizontale Schichtung der Gesellschaft. Die Schichten der Berufsklassen liegen breit über dem ganzen Volke, sind ganz unabgeschlossen nach allen Seiten und locker gefügt. Bei uns erwählt man einen Beruf, falls man nicht in einen hineingeboren ist, und bleibt ihm meist treu bis ans Lebensende. Ja, es gibt Stände, wie der des Offiziers und des höheren Staatsbeamten, die nur Bevorzugten zugänglich sind; verlieren ihre Mitglieder den Standescharakter, so sind sie deklassiert. In der Demokratie jenseits des großen Wassers ergreift man einen Beruf und verläßt ihn, je nach Laune, Glück und Begabung. Wie viele sinken dort jährlich aus Reichtum und Stellung durch plötzlichen Geschickswechsel in die ärmeren Klassen zurück, um sich unverdrossen auf der sozialen Leiter wieder emporzuarbeiten. Leute, die zwei, drei Vermögen gemacht und wieder eingebüßt haben, sind nichts seltenes. Der unverwüstliche Optimismus des Yankees erkennt völliges 88 Zugrundegehen nicht an. Selbst die Krüppel sehen drüben vergnügt aus.

Die Möglichkeit sich vorwärts zu bringen ist es auch, die dem Arbeiterstande von Amerika das besondere Gepräge aufgedrückt hat. Leute, die aus ihrer Mitte Präsidenten, Erfinder, Multimillionäre, Bankdirektoren haben hervorgehen sehn, kennen keine Grenzen für ihre Hoffnungen und Forderungen.

Der amerikanische Arbeiter – unter dem ich immer den industriellen verstehe, denn der ländliche fehlt als besonderer Stand – ist beherzt und strebsam, von dem Drange erfüllt, sich vorwärts zu bringen; aber er ist auch anspruchsvoll und unstät. Die Leute verlassen nicht bloß ihre Stellung häufig, sie wechseln auch gern ihren Beruf und ziehen in dem großen Lande von einem Staate zum andern. Die Versuchung, es mit etwas Neuem anzufangen, die Neuerungssucht und Abenteuerlust bilden die Schattenseite der Ungebundenheit.

Daß es der Arbeiterklasse an Abschluß nach oben fehlt, daß ein Aufsteigen möglich und häufig ist, kommt aber auch im guten zum Ausdruck. Hoffnung macht selbstbewußt. Der Arbeiter fühlt sich drüben nicht als Sklave der Arbeit. Seine Stellung zum Arbeitgeber ist eine freiere; Unternehmer und Arbeiter stehen sich als gleichberechtigte Kontrahenten gegenüber. Ihr Klassenbewußtsein ist minder vergiftet als bei uns. Das Axiom des Sozialismus von der Verelendung der Massen, die Behauptung, daß der vierte Stand entrechtet und enterbt sei, kann drüben 89 niemals die Gemüter in dem Maße aufregen, wie in dem Geburtslande von Marx und Engels. Der Ärmere kennt in Amerika nicht jenen Haß gegen den besser Situierten, der bei uns so oft am Herzen der Armut frißt. Man gönnt den oberen Hunderttausend ihre Landsitze und Equipagen, glaubt man doch, daß man Ähnliches einstmals vielleicht selbst besitzen wird, oder daß doch wenigstens die Kinder Anwartschaft darauf haben.

Sozialismus und Arbeiterschaft fallen in Nordamerika lange nicht in dem Maße zusammen wie bei uns. Zu einer mächtigen, den ganzen vierten Stand beherrschenden Organisation wie in der sozialdemokratischen Partei Deutschlands ist der Sozialismus drüben gar nicht gelangt. Er hat so gut wie gar keine Vertretung in den gesetzgebenden Körperschaften, darum konnte er bisher auch noch keinen einzigen hervorragenden Parlamentarier ausbilden. Es fehlt dem Sozialismus in den Vereinigten Staaten an einigen der zündendsten Wahlparolen und heftigsten Agitationsmittel, die er in Europa hat. Es gibt drüben keine Krone zu bekämpfen und keinen grundbesitzenden Adel. Man kann die Beamten nicht als Handlanger und Büttel des Nachtwächterstaats verhöhnen, denn Regierung und Beamtenschaft gehen aus Volkswahlen hervor. Man kann nicht gegen Gewissenszwang und Kirchengewalt wüten, denn Religion ist Privatsache. Es bleibt eigentlich von allen wichtigsten Programmpunkten des Marxismus nur Bekämpfung der bestehenden Gesellschaftsordnung im allgemeinen, 90 Vergesellschaftung der Arbeitsmittel und als Hauptfeind: das kapitalistische Unternehmertum, übrig.

Gegen die Unternehmer haben sich denn auch die Arbeiter in mächtigen Koalitionen zusammengeschlossen; doch die »Unions« verfolgen mehr als gesellschaftlichen Umsturz das praktische Ziel, die Arbeitsbedingungen zu bessern. Im Kampfe gegen Übermacht der Trusts finden sich Labor Party und Peoples Party, überhaupt die ganze Arbeiterbewegung, mit billig denkenden Leuten aus allen Parteien, in gewissen staatssozialistischen Ideen und Bestrebungen zusammen. International gefärbt ist nur der revolutionäre mit den Anarchisten verschwägerte Sozialismus, der hauptsächlich von Fremden: Deutschen, Slaven, Italienern, Irländern, getragen wird. Den echt amerikanischen Arbeiter hält sein Common Sense davon ab, an Bewegungen teilzunehmen, deren Ziele offenkundige Utopien sind.

Die Hauptursache, warum die Sozialdemokratie so wenig Boden findet in einem Lande, das sich mehr und mehr zum Industriestaat großen Stils entwickelt, ist, daß zwischen Proletarier und Bourgeois keine tiefe und unüberbrückbare Kluft besteht. Auch der Unterschied in der Lebensführung ist zwischen dem Manne von Geld und Rang und dem schlichten Arbeiter gar nicht so groß. Beide haben eine ähnliche Schulbildung genossen, lesen dieselben Zeitungen, fahren in der nämlichen Eisenbahnklasse. Sie haben die nämlichen Sports, sie kleiden sich, wenigstens Feiertags, fast gleich. Nicht wenige aus der Arbeiterklasse sind Hausbesitzer. Wie oft sieht man am Sonntagnachmittag junge Arbeiter, 91 nett angezogen, mit einer jungen Dame neben sich, im Einspänner kutschieren. Sie gehen, wenn sie Zeit dazu haben, auf die Jagd, die drüben frei ist. Sie haben ihre Bäder, ihre Turnhallen. Sie spielen Baseball, der für die Arbeiterklasse den Football der akademischen Jugend vertritt. Kurz, sie stellen Ansprüche an das Leben, die bei uns höchstens die Herrenklasse kennt.

Die Löhne sind bekanntlich drüben wesentlich höher als bei uns; dabei sind die Dinge, die man zum körperlichen Leben braucht, Essen, Kleider (soweit sie fertig gekauft) und Wohnung (im Verhältnis zu dem, was sie bietet) nicht sehr viel kostspieliger. Bei allem was zum Luxus gehört erst steigen die Preise ins Ungemessene. Entsprechend der besseren Bezahlung ist der Standard of life des amerikanischen Arbeiters auch ein viel höherer als der des europäischen, mit Ausnahme vielleicht des englischen Arbeiters. Der kleine Mann stellt drüben an Ausstattung und Komfort der Wohnung hohe Anforderungen. In dem Luncheonbasket eines Maurers kann man Gerichte finden wie: Braten, Pastete, Tomaten, Pudding, Melone; Gerichte, die bei uns kaum auf den Tisch des Mittelstandes kommen. Im Trinken sind sie enthaltsamer als der Durchschnitt unserer Leute. Viel Tee wird in jenen Kreisen konsumiert. Der Branntwein spielt drüben lange nicht die verderbliche Rolle, die er leider bei unseren ländlichen und industriellen Arbeitern vielerorts noch immer spielt.

Der höhere Standard of life zusammen mit der Enthaltsamkeit der Leute üben die günstigste Wirkung 92 auf auf Gesundheit und Kraft des Menschenschlags. Man sieht wundervolle Erscheinungen von wahrhaft athletischem Wuchse unter ihnen. Die höheren Löhne allein sind es nicht, die solche Wunder wirken. Es ist in erster Linie doch angeborene Männlichkeit und dadurch bedingte Selbstachtung, die diese Klasse drüben wie eine freiere, gesundere Atmosphäre umgibt. Gewiß trägt die bessere materielle Lage dazu bei, das Selbstbewußtsein zu heben, die Leute lebensfroher und hoffnungsvoller zu machen; aber sie halten auch mehr auf sich, sind stolzer von Natur und haben edlere Instinkte und Bedürfnisse als ein großer Teil unseres Proletariats.

Man wäre fast versucht zu glauben, daß es in Amerika Proletarier überhaupt nicht gibt. In den »Slums« der großen Städte vegetiert allerdings eine durch und durch proletarische Klasse. Dort hat sich ein Bodensatz aus allen Bevölkerungsschichten des Riesenlandes abgelagert: Arbeitslose, aber noch mehr Arbeitsunwillige, Eingewanderte aus aller Herren Länder, die keinen Beruf gefunden, Eingeborene, die ihren Beruf verfehlt haben, verbrecherische Existenzen, welche die Gesellschaft von sich gestoßen hat. Doch kann man diesen Abschaum kaum der Arbeiterschaft zurechnen; es sind morsche, unbrauchbare Teile, die von allen Berufsklassen und Ständen abbröckeln und von der Strömung des reißenden amerikanischen Lebens den großen Zentren zugeführt und dort fallen gelassen werden.

Der amerikanische Arbeiter ist auch durchweg 93 geweckter als sein Klassengenosse in Europa; seine Interessen gehen nicht so einseitig in der Parteipolitik auf wie die des deutschen es tun. Die Idee des Zukunftsstaates hypnotisiert ihn nicht, er hat praktischere und näher liegende Ziele. Er weiß, daß Bildung Macht ist. Darum nimmt er jede Gelegenheit wahr, seine Kenntnisse zu vermehren und sich geistig zu fördern. Und die höheren Stände sind so vernünftig, einzusehen, daß ein gebildeter Arbeiterstand einem ungebildeten in jeder Beziehung vorzuziehen ist.

Bekannt sind die großen Stiftungen, die drüben in liberalster Weise für Bildungszwecke gemacht werden; sie kommen in erster Linie den unbemittelten Klassen zugute. Die Bibliotheken stehen jedermann aus dem Volke offen und werden reichlich benutzt. In den Abendschulen haben Leute, die tagsüber durch ihren Beruf festgehalten sind, Gelegenheit, sich geistig zu erfrischen. Die University Extension fängt an, sich nach englischem Muster auch in Amerika zu entwickeln, und setzt ihre Settlements mitten hinein in die Quartiere der Armen. Die große sozial versöhnende Wirkung dieser Klubs liegt darin, daß hier Männer und Frauen jeden Alters aus allen Ständen zu edler Geselligkeit vereinigt sich auf Gebieten finden, wo das Geld keinerlei Rolle spielt. Viel Segen stiften auch die Vereine christlicher junger Männer, die in ihren vortrefflich ausgestatteten Vereinshäusern den ledigen jungen Leuten des Arbeiterstandes die Möglichkeit des Heimgefühls bieten. Es ist nichts seltenes, daß Fabrikanten und Großkaufleute für ihre Angestellten neben Bädern und 94 Turnhallen auch Lesezimmer halten. In all den Heimen, Vereinshäusern, Settlements, welche die Arbeiter selbst unterhalten oder die für sie von den Unternehmern geschaffen worden sind, ist eine Bibliothek selbstverständlich. Dem Bildungstriebe des amerikanischen Arbeiters entspricht sein Lesebedürfnis. Schwächer ist in diesen Kreisen der Kunsthunger entwickelt, der sich in unserer Arbeiterschaft doch hier und da in erfreulicher Weise zu melden beginnt. Der Yankee will vor allem vorwärts kommen im Leben, dazu sieht er in der Bildung des Verstandes das wichtigste Mittel. Die Erkenntnis, daß zur harmonischen Ausbildung des ganzen Menschen auch Verständnis für Kunst gehört, hat in jenen Kreisen weder Apostel noch Jünger gefunden.

Mit einem Arbeiterstande von so hoher Qualität kann die Industrie selbstverständlich Großes erreichen. Trotz der hohen Löhne sehen wir die amerikanische Industrie nicht nur konkurrenzfähig bleiben, sondern der unsrigen allmählich zur gefährlichsten Rivalin heranwachsen. Leistungsfähigkeit einer Industrie und hohe Löhne gehen Hand in Hand. Die Tüchtigkeit des einzelnen Arbeiters fördert das Unternehmen, und eine blühende Industrie wiederum kann ihre Leute besser bezahlen als eine blutarme. Der amerikanische Arbeiter ist intelligent genug, um sich das zu sagen. Er weiß, daß sein Interesse übereinstimmt mit dem des Unternehmers. Darum arbeitet er nicht, wie bei uns leider so oft, mit geheimem Widerwillen und mit dem Stachel des Klassenhasses im Gemüt, nur das Notwendigste verrichtend, sondern mit Lust und Liebe, ja mit einer 95 gewissen Begeisterung für die Sache, die ihn nährt. Dazu kommt der empfängliche Sinn des Amerikaners für das Praktische. Alles Zweckmäßige macht ihm Freude. Ich werde nie vergessen, mit welchem Eifer ein Arbeiter, der mir zur Führung in einer großen Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen in Chicago als Begleiter mitgegeben war, mir die Großartigkeit der ganzen Anlage und die Leistungsfähigkeit der einzelnen Maschinen erläuterte. Ein Künstler hätte nicht stolzer sein können auf sein Werk, als dieser einfache Mann es war auf das sinnreiche Zusammenwirken des Riesenunternehmens, von dem er nur ein winziger Handlanger war.

Es ist nichts seltenes, daß drüben die Arbeiter auf eigene Faust Verbesserungen vornehmen an den Maschinen, die sie bedienen; ja es wird behauptet, daß die wichtigsten technischen Erfindungen im Fabrikwesen fast immer von seiten der Angestellten ausgingen. Hier bezahlt sich jene Selbständigkeit, die der Arbeitgeber seinen Leuten läßt, aufs beste für ihn selbst. Aber der Unternehmer ist dort auch viel eher geneigt, neue Erfindungen einzuführen und jede Einrichtung zu treffen, die seinen Angestellten die Arbeit erleichtern kann.

Welcher Gegensatz zu unseren Verhältnissen, wo die Fabrikanten so oft klagen, daß die Arbeiter sich in eine neue Einrichtung nicht hineinfinden können, und wo aus altem Schlendrian oder Geiz oftmals an einer ganz veralteten Produktionsweise festgehalten wird.

Es ist natürlich, daß auch dieser Stand die Fehler seiner Vorzüge hat. Das hochsympathische 96 Selbstbewußtsein der amerikanischen Arbeiterschaft artet nicht selten in Ungenügsamkeit und Überhebung aus. Die Arbeiter haben sich drüben, wie das in einem Industriestaat selbstverständlich ist, aller Orten zur Wahrung wirthschaftlicher Interessen, zu Vereinigungen und Genossenschaften zusammengethan. Solche Verbindungen wirken fraglos segensreich, soweit sie, von kooperativer Grundlage ausgehend, gegenseitigen Schutz und gegenseitige Hilfe zum idealen Zwecke haben. Unzählig ist in Nordamerika die Menge der Versicherungsgesellschaften, Konsumvereine, Sterbekassen, Produktionsgenossenschaften, Logen, Kreditvereine, Friendly Societies. Sie werden hauptsächlich von den arbeitenden Klassen getragen. Die Einlagen der kleinen Leute in die Sparkassen, die Summen, die von ihnen in Polizen angelegt werden, machen der sorgenden Voraussicht und der Sparsamkeit dieser Kreise alle Ehre.

Aber die Arbeiter haben sich nicht zu friedlichen Zwecken allein vereinigt, sie haben sich auch für den Kriegsfall, zu Abwehr und Angriff, in mächtigen Organisationen zusammengetan. Den Trusts der Unternehmer stehen die Unions der Arbeiter kampflustig gegenüber. Die Trusts sind gewiß keine sympathische Erscheinung, aber die Tyrannei der Unions ist mindestens ebenso unleidlich wie Übermut und Frivolität jener Ringe es sind. Auch die Unions streben nach einem Monopol: das über die menschliche Arbeitskraft. Auch sie wollen ausschließen, boykottieren. In den Streiks, die von ihnen nicht selten leichtfertig vom Zaune gebrochen 97 werden, gilt es nicht immer bloß Lohnforderungen durchzusetzen, sondern oft ist die Triebfeder zu so zweischneidigem Vorgehen das ehrgeizige Verlangen, den Unternehmern die Macht der Arbeiterorganisation zu zeigen.

Wer in dem großen Kampfe zwischen dem Großkapital und der vereinigten Arbeiterschaft, der in Nordamerika heftiger tobt als irgendwo anders in der Welt, endlich siegen wird, kann heute niemand voraussagen. Vielleicht hat der in den Vereinigten Staaten mehr und mehr an Popularität gewinnende Gedanke der schiedsrichterlichen Entscheidung Zukunft. Denkbar wäre es auch, daß die beiden Faktoren: die Unternehmerringe und die Unions, sich über den Kopf des Publikums weg einigten, welches dann die Zeche zu zahlen hätte.

Es fehlt im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer drüben etwas, das bei uns von den echten Volksfreunden angestrebt wird: die Milde. Genau wie Zeit, Raum, Natur, wird auch die Menschenkraft rücksichtslos ausgenutzt. Man hält so wenig Leute wie möglich, bezahlt sie gut, nimmt aber auch alles aus ihnen heraus, was sie hergeben können. Wenn sie altern, schwächer werden, aus irgend einem Grunde in ihren Leistungen nachlassen, entläßt man sie ohne Gnade und Barmherzigkeit.

Nicht ganz ohne Schuld daran ist der Umstand, daß viele Unternehmer sich aus dem Arbeiterstande erst selbst emporgearbeitet haben. Der Parvenu aber ist erfahrungsgemäß gegen den früheren Genossen 98 überall härter als der von Geburt ans Herr-Sein gewöhnte. Viele Arbeitgeber nehmen auch mit vollem Bewußtsein den Standpunkt ein, daß Milde nicht ins Geschäft gehöre. Solche Leute vereinigen in ihrem Verhalten die scheinbar größten Gegensätze; sie halten die Löhne so niedrig wie möglich und stellen dabei die höchsten Anforderungen an die Angestellten. Von dem Gelde aber, das sie auf diesem Wege gewinnen, machen sie vielleicht die großartigsten Stiftungen, die ihre Menschenfreundlichkeit weithin verkünden sollen.

Unsere soziale Gesetzgebung hat keine Parallele in den Vereinigten Staaten. Einmal fehlt in der Republik die hochherzige Initiative, die unser soziales Königtum mit dieser Großtat bekundet hat. Aber es fehlt auch beim Volk von Nordamerika das Verlangen nach solcher Hilfe. Die soziale Gesetzgebung war für Leute erlassen, die für sich selbst nicht sorgen wollten oder konnten, die dazu angehalten werden mußten, für die Fälle von Alter, Krankheit, Unfall zurückzulegen. Der amerikanische Arbeiter sorgt für sich selbst. Gesetzliche Regelung dieser Materie, die ihm durchaus ins Gebiet der Privatangelegenheiten zu gehören scheint, würde er als Bevormundung ansehen. Wie alle Yankees, wacht auch der Arbeiter eifersüchtig darüber, daß das nationale Idol der Gleichheit nicht verletzt werde. Nichts würde er unerträglicher empfinden, als patriarchalische Gebahrung von Seiten des Staates oder Privater. Selbst die Stiftungen, die von Arbeiterfreunden zu Gunsten der unbemittelten Klassen gemacht werden, 99 suchen daher den Schein patronisierender Wohltätigkeit nach Möglichkeit zu vermeiden.

Es ist kein Zweifel, daß es dem Industriearbeiter gegenwärtig in Nordamerika gut geht; der Stand ist im Aufsteigen begriffen. Das liegt allerdings nicht allein an der Tüchtigkeit und Strebsamkeit seiner Mitglieder; die günstige Konjunktur, unter der das Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten seit dem Bürgerkriege – mit Ausnahme einiger vorübergehender Krisen – gestanden, hat niemand solche Vorteile gebracht wie der Arbeiterklasse.

Aber es drohen diesem Stande auch Gefahren; einmal die aus dem eigenen Innern, daß er allzu begehrlich und übermütig wird, und Forderungen stellt, die antisozial sind, weil sie, wenn sie erfüllt würden, die Unternehmungen, von denen der Arbeiter so gut wie der Unternehmer lebt, lahm legen und schließlich zu Grunde richten müssen. Sodann eine äußere Gefahr, die allerdings das ganze Volk treffen würde: wirtschaftliche Krisen.

Daß eine solche für Nordamerika früher oder später einmal kommen muß, gibt man selbst drüben zu. Eine einzige Mißernte kann sie heraufführen. Sie würde den Industriearbeiter am schwersten treffen. Seine Ansprüche sind durch das Glück der letzten Zeit übermäßig gesteigert worden; von seinem hohen Standard of life würde er nur unter Schmerzen zu einer einfacheren Lebensführung herabgehen. Wird er durch eine Krisis brotlos, so weiß er nichts mit sich anzufangen. Denn er ist bis zu einem gewissen Grade Sklave der 100 Maschine geworden. Seine Kenntnisse sind Spezialkenntnisse; er ist gewöhnt, einige wenige Handgriffe zu machen an der Maschine, die ihm alle gröbere Arbeit abgenommen hat. Das ist die Schattenseite der modernen Produktionsweise, daß sie die Vielseitigkeit der Menschen herabmindert. Amerika aber, das in der Maschinentechnik am weitesten vorgeschrittene Land, hat auch diese nachteilige Wirkung auf den Arbeiter am stärksten entwickelt.

Die Arbeitslosen der Industrie werden schwerlich, wie einige Optimisten glauben, in der Landwirtschaft Unterkunft suchen, sondern sie werden genau so, wie sie es bei uns in Fällen wirtschaftlichen Rückgangs tun, das Heer der Straßenbummler und das Proletariat in den großen Städten vermehren. Und es wird bei der Riesenhaftigkeit aller Verhältnisse drüben auch diese Not dann eine gigantische sein.

Die amerikanische Produktion ruht auf den Schultern zweier großer Stände: auf den Industriellen und auf den Farmern.

Wenn man den Farmer Nordamerikas verstehen will, muß man vor allen Dingen jeden Gedanken an unsern deutschen Bauern bei Seite lassen. Der Yankee-Farmer ist Unternehmer, beweglich und spekulativ; er lebt und stirbt nicht mit seinem Gute. Nicht von Generation zu Generation hat sich der Bauernhof auf ihn vererbt, die Farm wurde bestenfalls von seinem Vater erstanden. Er sucht unter geschickter Ausnutzung der Konjunktur möglichst viel aus ihr herauszunehmen.

In neun von zehn Fällen trägt er sich mit 101 Verkaufsgedanken. Oft ist der Farmer bei dem Kauf übervorteilt worden von den Eisenbahngesellschaften, von Agenten und Landspekulanten, und er schaut nach einem aus, dem er antun möchte, was ihm widerfahren ist. Ein Gemütsverhältnis des Eigentümers zur Scholle, wie es bei uns doch noch die Regel ist, findet man charakteristischer Weise drüben fast nur beim Farmer teutonischer Abstammung, nicht aber beim Anglo-Kelten.

Ein anderer tief einschneidender Unterschied zwischen amerikanischer Landbevölkerung und deutscher ist, daß drüben das Dorf vollständig fehlt; das Dorf, jenes Wahrzeichen germanischen Landlebens von Alters her. Bekanntlich ist das ganze riesige Terrain der Vereinigten Staaten durch rechtwinklig sich schneidende, von Nord nach Süd und von Ost nach West laufende Linien in Quadrate eingeteilt. So sind die Townships entstanden mit ihren sechsunddreißig Sektionen, die wiederum in Viertelsektionen zerfallen. Eine derartige Einteilung hat den Vorzug der Übersichtlichkeit, aber den großen Nachteil der Widernatürlichkeit. Willkürlich durchschneiden die erdachten Grenzen die natürliche Bodengestaltung. Wohl sitzt der Farmer auf einem gut arondierten Stück Land, das sich bequem bewirtschaften läßt, aber die Mannigfaltigkeit verschiedener Böden, von Gelände und Ackerland, von Wiese und Wald, die dem deutschen Bauern von der Zeit der Markgenossenschaften her, mit ihrer Nutzung der verstreut in der gemeinen Flur gelegenen Stücke, lieb und gewohnt war, ist hier ausgeschlossen. Das 102 Bundes-Heimstättengesetz, unter dem die Ansiedler das Land so gut wie umsonst bekamen, verstärkte die Tendenz zum Anbau in Einzelhöfen, denn es machte zur ersten Bedingung, daß der Erwerber das Grundstück bewohnen und ausschließlich zu eignem Gebrauch nutzen solle.

So sitzt der Farmer, ähnlich wie ein niedersächsischer Bauer, einsam auf seiner Farm, umgeben von einer Anzahl auf Stücken von gleicher Größe und Beschaffenheit lebenden Nachbarn, mit denen er durch keinerlei Gemeindeverband vereint ist. Diese völlige Ungebundenheit nach der sozialen Seite hin hat dazu beigetragen, den Farmer kühn und selbständig zu machen; sie hat aber auch jenes Heimgefühl unterbunden, mit dem der deutsche Bauersmann am eigenen Herd, an der heimatlichen Flur, den Dorfgemarkungen, den Gemeindeeinrichtungen, kurz, an der alt gewohnten Nachbarschaft hängt.

Während der Farmer in Nordamerika auf der einen Seite dem spekulativen Unternehmertum nahe steht, ist er auf der anderen auch verwandt mit dem Industriearbeiter. In der amerikanischen Landwirtschaft hat die Maschine von jeher eine große Rolle gespielt, und je größer der Arbeitermangel wird, desto mehr sucht man naturgemäß durch Maschinenkraft Zeit zu sparen und Menschenkraft zu ersetzen.

Die Landwirtschaft hat drüben überhaupt engste Fühlung mit der Technik. Die Herstellung von landwirtschaftlichen Maschinen ist ein wichtiger Industriezweig geworden. Hierzu hilft die günstige 103 Produktionsmittel-Verteilung, die in Nordamerika immer nebeneinander hat wachsen lassen, was zusammen gehört. Neben den fruchtbaren Tälern des Mississippi und Ohio liegen die Kohlenfelder und Ölregionen Pennsylvaniens und hinter dem Präriegürtel die Erzfunde der Rocky-Mountains. Von vornherein besaß das platte Land die trefflichsten Verbindungen in seinem verbreiteten Netz von Flüssen und Seen, das die mangelnde Gliederung dieses massiven Kontinents reichlich ausglich. Und schließlich schufen die großen Eisenbahngesellschaften, von der Regierung durch überreiche Landschenkungen begünstigt, jene großartigen Verkehrswege, die recht eigentlich die Blutadern geworden sind für den Landbau. Nirgends haben sich die Eisenbahnen so den Bedürfnissen des Landes angepaßt wie drüben. Sie leben vom Farmer und seinen Frachten, und der Farmer wäre ohne sie ein Krüppel. Überall, während man durch die endlosen Weizenregionen des Nordens oder durch die Maisfelder der Mitte fliegt, sieht man längs der Strecke die Elevatoren am Bahnkörper stehen, diese nüchternen, leicht gezimmerten Elevatoren, die doch herrliche Denkmäler sind für den Unternehmungsgeist dieses praktischen Volkes.

Von der Aussaat bis zur Ernte und zum Verladen in die Elevatoren wird mit Hilfe von Maschinenkraft dasselbe gemacht, was unsere kleinen Landwirte mit einer Menge zeitraubender Handgriffe besorgen. Der Boden wird mit dem Dampfpflug gepflügt, oder auch mit dem spezifisch amerikanischen Reitpflug. Drill- und Sämaschinen besorgen die Aussaat. Der Kultivator 104 wird an Stelle der veralteten Hacke angewendet. Grasmähmaschinen, Wender und Heupressen behandeln das Heu. Der Harvester besorgt die Getreideernte, nebenbei auch das Binden der Garben durch Selbstbinder. Den Triumph landwirtschaftlicher Ingenieurkunst aber stellt die kombinierte Mäh- und Dreschmaschine dar, die auf dem Felde in kürzester Zeit erledigt, was früher die Arbeit für lange Herbst- und Wintermonate bedeutete.

Wie weit entfernt von unserem Ackersmann, der noch heute mit Säsack, Handhacke, Sense und Dreschflegel wirtschaftet, ist dieser ländliche Unternehmer. Ähnlich dem Industriearbeiter bedient er nur noch die Maschine, die für ihn arbeitet. So sitzt der junge Farmer, gekleidet wie ein Gentleman, auf seinem Reitpfluge, bequem und leicht, und reguliert mittelst eines Handhebels die Schar. Sein Vater ist vielleicht in der deutschen oder russischen Heimat noch hinter dem schwerfälligen, von Ochsen gezogenen altmodischen Pfluge einhergeschritten, die eine Hand am Sterz, in der anderen die Hotteleine. Der amerikanische Farmer ist ein durch und durch moderner Mensch; unser Landmann erscheint, mit ihm verglichen, wie ein Fossil.

Die Wandlung aus der alten Form in die neuzeitliche vollzieht sich erstaunlich schnell. Das Selbstbewußtsein und der Unternehmungsgeist scheinen den Leuten drüben aus der Luft anzufliegen. Man muß nur gesehen haben, was im Laufe einer Generation aus den Söhnen unserer demütigen, unbeholfenen, unselbständigen Bauern wird 105 in jenem Lande, wo jeder rettungslos unter die Räder kommt, der sich nicht selbst zu helfen weiß.

Der Farmer muß vielseitiger sein als irgend ein anderer Stand. Mit dem Feldbau allein ist es nicht getan. In den Strichen, wo der Acker erst dem Urwald abzugewinnen ist, muß er Bäume fällen und roden, er muß den Baumeister und Zimmermann spielen, er hat einen großen Vorteil, wenn er sich sein Vieh selbst heranzieht, oder gar, wenn er sich auf Butter- und Käseproduktion werfen kann. Er muß die Maschinen verstehen, mit denen er arbeitet, also Techniker sein, und zu alledem möchte er auch noch kaufmännische Anlagen besitzen.

Auch das ländliche Kreditwesen beeinflußt die Lage des amerikanischen Landwirts günstig. Überschuldung ländlicher Grundstücke kommt vor, aber sie ist nicht, wie in manchen Gegenden bei uns, eine Kalamität. Bei dem häufigen Besitzwechsel werden Hypotheken von den vorsichtigen Geldleuten nur bis zu beschränkter Höhe gewährt. Um so stärker ist der Mobiliarkredit ausgebildet. Der Farmer bekommt seine Produkte schnell und leicht in der nächsten Stadt lombardiert. Seine Ersparnisse legt er in der Bank an und kann durch den in Amerika so beliebten Chekverkehr seinen Kredit ausnutzen. Oder er tauscht Ware gegen Ware um. Eine Naturalwirtschaft, wie man sie im Osten Europas noch vielfach findet, wo das Gut die meisten Verbrauchsartikel selbst hervorbringt, gibt es drüben nirgends mehr. Der Farmer ist Exporteur; aus diesem Grunde hat er sich auf den 106 Anbau eines einzigen oder einiger besonders lohnender Artikel geworfen. Sein Hauptkreditmittel jedoch ist der Lagerschein, den er vom Elevator der Eisenbahn erhält. Die Banken beleihen den Lagerschein bis zur vollen Höhe, im Verkehr ist der Schein so gut wie Bargeld.

Durch diese einfachen, sinnreichen Einrichtungen fällt der Zwischenhandel fort, und der Wucher wird erschwert. Um zwei furchtbare Feinde also, die manchen braven deutschen Landwirt von Haus und Hof getrieben haben, ist sein amerikanischer Berufsgenosse ärmer.

Besitzt der Yankee-Farmer nur ein wenig Geschäftssinn und hat er kein Ernteunglück, so muß er eigentlich prosperieren. Es ist auch nichts Seltenes, daß mit der Landwirtschaft drüben Geld gemacht wird. Aber das Haus des Farmers ist ein leicht gezimmertes und sein Sinn veränderungslustig. Da er sein Herz nicht in der Scholle vergraben hat, die ihm selten Geliebte ist wie dem deutschen Landmann, so denkt er auch nicht an Meliorationen, sondern viel eher an Veräußerung des Grund und Bodens und gewinnreichen Kauf eines neuen Spekulationsobjekts.

Mit diesem rein verstandesmäßigen Verhältnis des Eigentümers zum Gute, hängt die Wirtschaftsmethode eng zusammen, die oft nur ein raffinierter Raubbau ist. Nur in einem Lande, wo die Natur große Güte und Nachsicht an den Tag legt, ist eine so leichtfertige Wirtschaft durchführbar, wie der amerikanische Durchschnitts-Farmer sie noch heute zu treiben beliebt. Es ist ja ganz richtig, vom geschäftlichen Standpunkt 107 wäre der ein Tor, der einen Boden, welcher dreißigmal hintereinander Weizen hervorbringt, schonend behandeln, und der Scholle das, was sie gewährt hat, in Gestalt von Dünger wieder erstatten wollte. An Schonen und Pflegen der Humusschicht, an eine rotierende Fruchtfolge, an Brachen des Feldes, braucht der Farmer, wenigstens in den besten Distrikten Amerikas, noch nicht zu denken. Aber die Zeit ist vielleicht nicht allzu fern, wo auch er zu diesen Hilfsmitteln seines europäischen Genossen wird greifen müssen. Die weiten, ehemals fruchtbaren, jetzt unbebauten Striche im Süden, welche durch unvernünftige Plantagenwirtschaft ausgesogen und der Verwilderung anheim gefallen sind, reden eine beredte Sprache. An manchen Stellen des Nordens und Westens rächt sich auch die systematisch seit Jahrhundertfrist betriebene Waldverwüstung am Klima. Und andere Gefahren drohen, an denen das Landvolk selbst nicht schuldlos ist: Verunkrautung des Grund und Bodens, als Folge liederlicher Feldbestellung bei extensiver Wirtschaft, und Schädigung der Früchte durch allerhand Getier, das man in seiner Sorglosigkeit hat zur Plage werden lassen. Nützliche Tiere zu vertilgen und schädliche aufkommen zu lassen, ist eine jener für den schlechten Wirt charakteristischen Eigenschaften, die den anglokeltischen Farmer, nicht zu seinen Gunsten, abzeichnet von seinem Genossen teutonischen Ursprungs. Die Farmen der Deutschen, Deutsch-Russen und Schweizer wird man meist schon an ihren gut gehaltenen Ställen und an der größeren Ordnung in Feld und Garten erkennen. Stehen Blumen um das Haus, 108 so sitzt sicherlich einer unserer Landsleute darin; dafür hat seine Wohnung vielleicht weniger Komfort aufzuweisen.

Man fängt übrigens an in den Vereinigten Staaten, sich hie und da bewußt zu werden, daß es unverantwortlich ist, die Gabe Gottes dem augenblicklichen Gewinn zu Liebe, aber zum sicheren Schaden kommender Generationen, verwüsten zu lassen. Die einzelnen Staaten setzen den Hebel an der richtigen Stelle an, wenn sie durch Gründung und Erhaltung landwirtschaftlicher Schulen zunächst einmal Sorge tragen, daß gediegene Kenntnisse in den Farmerstand gelangen. An solchen Instituten herrscht, wie überall drüben in den Akademien, ein reger, praktischer, vorwärtsstrebender Geist. Es wird Sache dieser Schulen sein, neben Vertiefung der Fachkenntnisse, vor allem auch den Schüler darauf hinzuweisen, daß Landwirtschaft mehr ist als bloßes Geschäft, die Scholle etwas anderes als Ware, und so dem Volke allmählich das Gewissen zu schärfen der Natur gegenüber, die niemand, geschweige denn eine ganze Nation, ungestraft mißbrauchen darf.

Trotz mancher Unarten und schwachen Seiten ist jedoch der Stand der Farmer einer der tüchtigsten, ja vielleicht der wertvollste des ganzen Landes. Er vereinigt Körperkraft, Gesundheit, Beherztheit mit hoher Intelligenz. Er hat sich bei der großen Aufgabe, die dem Volke von Nordamerika im neunzehnten Jahrhundert gestellt war: der Aufschließung des Westens, als vorzüglicher Pionier bewährt. Eine seiner besten Gaben ist Liebe für das Tier. Er ist ein vorzüglicher 109 Züchter. Mit den Haustieren hat er auch das Verständnis für ihre Behandlung, ein Erbteil seiner angelsächsischen Vorfahren, aus den Mutterländern nach dem fernen Westen getragen.

Das ländliche Proletariat fehlt so gut wie ganz in Nordamerika. Es erklärt sich das einmal aus der Besiedelung des Landes mit Einzelhöfen, dann aus dem Fehlen des Großgrundbesitzes in unserem Sinne und schließlich auch aus den hohen Löhnen, welche die Industrie zahlt. Der Großgrundbesitz kommt nicht in Form des Rittergutes vor, sondern in einer Vereinigung verschiedener Grundstücke in Kapitalistenhand. Die Folge davon ist Verpachtung und zwar unter viel härteren Bedingungen als wir sie kennen, weil der Verpächter meist nicht Fachmann ist und den Grundbesitz lediglich als Geschäftsmann hält. Die Riesen-Weizenfarmen des Nordens sind in Auflösung begriffen, werden parzelliert. Die gewaltige Ausdehnung der Ranchen im Westen und Südwesten rechtfertigt sich durch Bodenbeschaffenheit und Wirtschaftsmethode. Im Süden, in den Baumwollstaaten, ist an Stelle der ehemaligen Plantagen der Sklavenbarone vielfach Parzellenwirtschaft getreten, die durch Schwarze betrieben wird.

Die Farmer sind ein freier Stand, sie haben keine Arbeitgeber über sich. Aber auch in Amerika ist der Landwirt abhängig von einem unpersönlichen Herrn: dem mobilen Kapital. In der Gestalt von Getreidepreisen, Frachtsätzen, Börsenkursen, Eisenbahnpolitik, Währung, Zinsfuß, Zoll, macht sich dieser Gewalthaber oft sehr empfindlich fühlbar.

110 Ein Kampf zwischen Landwirtschaft und Industrie, wie er bei uns tobt, ist drüben noch nicht entbrannt. Aber die Farmer sind nicht ohne Interessenvertretung. Zwei große über das platte Land verbreitete Vereinigungen: die Patrons of Husbandry und die Farmers Alliance bringen die Ansichten und Bedürfnisse dieses Standes zur öffentlichen Kenntnis. Das Interesse an der Politik ist rege; auf den Farmen werden viel Zeitungen gehalten. Nicht selten auch hat der Farmerstand bei den Wahlen seinen Willen zur Geltung zu bringen verstanden.

Die Lebenshaltung des amerikanischen Farmers steht verhältnismäßig hoch. Die Maschine nimmt ihm die gröbste Arbeit auf dem Felde ab. Er ist selbst am Werkeltage gut und zweckmäßig gekleidet. Die Badestube im Hause sowie das Parlour mißt er, falls er angelsächsischer Abkunft ist, ungern. Kleine Bibliotheken findet man auf jeder besseren Farm. Die Frauen überraschen durch feine Manieren und Bildung. Fast nur bei Ansiedlern slavischen Ursprungs sieht man die Frauen Feldarbeit verrichten. Die Farmerssöhne drängen sich in alle Berufe ein. Auch in diesem Stande ist, wenigstens bei der jungen Generation, jener Trieb vorhanden, auf dem soviel vom amerikanischen Fortschritt beruht, es weiter zu bringen als die Alten.

Freilich bedeutet dieser Trieb auch eine große Versuchung für den Farmerssohn. Die Gelegenheit, sich weiterzubilden, findet er am bequemsten und reichhaltigsten in der Stadt. Aber das einmal vom Zug nach der Großstadt ergriffene Landkind, – das wissen 111 wir aus der deutschen Erfahrung – ist für die Scholle verloren. Der Umstand, daß der Farmer früh mit der Maschine umzugehen gelernt hat, macht ihm den Übergang zur Industrie leicht. Die hohen Löhne aber der blühenden Industrie bilden ein ferneres zur Landflucht verführendes Lockmittel. Mangel an Händen ist eigentlich die einzige schwere Sorge, die den amerikanischen Farmer drückt, sie wirkt um so peinlicher, je größer der Erntesegen. Verkommen der Früchte in Feld und Obstgarten wegen mangelnder Erntearbeiter bleiben eine, an verschiedenen Stellen Nordamerikas beobachtete, traurige Erscheinung.

Der Farmerstand ist der Halt des Landes, er bildet das Gegengewicht zu den unruhigen, von Korruption angefressenen, von frivolen Politikern beherrschten Massen in den großen Städten. Genau wie bei uns bezieht die Gesamtheit des Volkes auch drüben aus diesem Urstande ihre besten, gesündesten Säfte und Kräfte. Die Ausdauer und Kühnheit rüstiger Landleute hat im Bürgerkriege die großen Entscheidungen herbeigeführt.

Wer von Nordamerika nur die Millionenstädte kennt, wird leicht zu der Ansicht kommen, daß dort, wo die himmelhohen Geschäftshäuser und Mietkasernen sich gegenseitig Luft und Licht wegnehmen, wo alle Fäden der das ganze Land umspannenden Monopole in wenigen Händen zusammenlaufen, Intelligenz, Kapital und politische Macht sich zur einer alles beherrschenden Dreiheit zusammenschließen. Unzweifelhaft ist das Geld in den großen Städten angehäuft, unzweifelhaft wird von dort aus die gesamte Kapitalbewegung 112 geleitet und das Wirtschaftsleben angeregt und befruchtet; aber das Geld wird doch nicht an den Börsen gemacht. Dort wird es höchstens gewertet und umgesetzt. Edle, wirklich bleibende, nützliche Werte werden an Stellen produziert, die ganz anders aussehen als Wallstreet. Im Grund und Boden liegen die Schätze verborgen, die ein Volk reich machen, aber nur auf die Dauer reich machen können, wenn menschliche Tüchtigkeit sie zu heben, anzuwenden und zu erhalten versteht. Das Rohmaterial, alle herrlichsten Schätze an Mineralien, Kohlen, Steinen, aller Raum und alle Naturkräfte wären nichts, wenn nicht menschlicher Unternehmungsgeist hinzuträte, die starre Masse zu erschließen und die ruhenden Kräfte zum Leben zu erwecken.

Neben den Arbeiter und den Farmer tritt als dritter produktiver Stand der Unternehmer.

Der Begriff »Unternehmer« umfaßt in Nordamerika eine weit größere Zahl von Klassen und Individuen, als bei uns. Der Yankee ist von Natur unternehmend. Schon die Kinder in der Schule sind es. Man hört nicht selten, daß junge Leute bereits ein Vermögen gemacht haben. Sogar Dienstboten spekulieren in Bankaktien und Eisenbahnpapieren. Ganze Stände, die bei uns zu schwerfällig sind, um sich mit Spekulation zu befassen, oder die, wenn sie es tun, meist mit Schaden dabei wegkommen, sind drüben aufs Wetten und Wagen erpicht. Bei uns hat das Börsenspiel einen üblen Beigeschmack; den ersten Klassen des Landes, dem Offiziersstand und dem Beamtentum ist es untersagt. Drüben erscheint der Mann, der nicht in irgend einer 113 Form sein Glück versucht, als Ausnahme von der Regel.

Selbst der Künstler ist in Amerika Unternehmer. Die ersten Bühnenkünstler reisen fortgesetzt mit ihren Truppen durch das ganze Land. Beliebte Autoren verstehen es, ihre Bücher zu Auflagen zu treiben, die in die Hunderttausende gehen. Von dem Präsidenten einer Universität verlangt man, daß er Geschäftsmann und Organisator sei und die materielle Seite des Instituts zu fördern wisse. Ärzte und Advokaten verstehen von ihrem eigentlichen Fache oft sehr wenig, aber um so mehr von der Kunst des Geldmachens. Ja, selbst einzelne Geistliche vollführen zu Ehren Gottes eine Art marktschreierischer Propaganda, die man bei uns höchstens einem Kleiderhändler nachsehen würde.

Der Unternehmungsgeist wurde diesem Volke durch die Natur seines Landes anerzogen. Die ersten Ansiedler angelsächsischen Ursprungs waren durch ihre Wohnplätze am Rande eines großen, mit herrlichen Naturschätzen und wenig Bevölkerung bedachten Kontinents darauf angewiesen, Handel mit dem Mutterlande zu treiben. Im Norden entstanden die Handelsemporien, im Süden die Plantagen. Nicht Krieger und Ackerbauer, wie ihre Vorfahren, da sie die Länder der alten Welt besiedelten, waren diese Kolonisten, sondern Kaufleute und Sklavenhändler. Während des mehrhundertjährigen Zuges der Ansiedler nach dem Westen entwickelten sich neue Eigenschaften in diesem Völkergemisch, das durch gemeinsame Not und gemeinsames Glück 114 immermehr zu einer Einheit zusammengeschweißt ward. Die Freude am Wagen und kühnen Unternehmen wurde beim Einzelnen wie in der ganzen Nation stetig verstärkt.

Das Glücken aller seiner Unternehmungen, das Gedeihen seiner Saaten, das ungehinderte Vorwärtsdringen in ein Land, das, je weiter man kam, sich um so reicher an Schätzen aller Art erwies, dazu das schnelle Zusammenbrechen der wenigen schwachen Feinde, die sich ihm entgegenzustellen wagten, haben den Amerikaner zum Optimisten gemacht. Er vertraut auf seinen Stern, der ihn noch niemals betrogen hat. Es ist ganz natürlich, daß er, dem das Glück auf allen Wegen hold gewesen, Freude fand am Versuchen des Glücks.

Rastlosigkeit ist ein weiterer Charakterzug des Yankees. Er ist nicht imstande die Hände im Schoße ruhen zu lassen. Es wird berichtet, daß die Farmer des Nordens, wenn im Winter das Wetter die Arbeit im Freien unmöglich macht, am Feuer sitzend wenigstens Holzspähne schnitzen, um ihren arbeitsfrohen Händen Beschäftigung zu geben. Auffällig ist auch die Erscheinung, daß die Geschäftsleute sich erst ganz spät oder gar nicht aus ihrem Berufe zurückziehen. Der Yankee stirbt am liebsten in den Sielen. Dazu kommt der dem Amerikaner angeborene und durch die Erziehung verstärkte Sinn für das Reale, seine Lust am Zweckmäßigen, beides Gaben, die der Industrielle und Kaufmann ebensowenig entbehren kann, wie der Arbeiter und Farmer.

115 Zum Unternehmer großen Stiles aber wird der Yankee durch eine Eigenschaft, die ihn recht eigentlich zum modernen Menschen stempelt: durch die praktische Phantasie.

Die amerikanische Erfindungsgabe hat nichts mit vager Träumerei oder verschrobener Projektelmacherei zu tun. Sie war werktätig immer da zur Stelle, wo es galt, brennende Aufgaben zu lösen. Als es notwendig war, den Urwald zu lichten, schuf sie die berühmte amerikanische Axt. Als der Ackerbau in den Vordergrund trat, lieferte sie sinnreiche zweckvollendete Werkzeuge und Maschinen für dieses Gewerbe. Da es galt, Ozean mit Ozean auf dem Landwege zu verbinden, warf sie Brückenkonstruktionen von unerhörter Kühnheit über die Ströme, vervollkommnete die Lokomotive und das Dampfschiff. Als ein langwieriger Bürgerkrieg ausbrach, ersann sie Waffen und Panzer für Land- und Seegefecht. Auf diesen Krieg folgte ein wirtschaftlicher Aufschwung sondergleichen, ihm lieferte sie in ungezählten Maschinen die rechten Werkzeuge der Produktion. Gelehrte wetteiferten mit Politikern im Ersinnen neuer Mechanismen. Die Elektrizität wurde in keinem anderen Lande der Welt ähnlich zu Unternehmungen großen Stils ausgebeutet, wie in Nordamerika. Und als schließlich die Vereinigten Staaten mit den Produkten von Landbau und Industrie immer mächtiger auf den Weltmarkt hinaustraten, als es für sie galt, sich mit den Ländern des ganzen Erdballs in Verbindung zu setzen, da wurden jene Erfindungen, die den menschlichen Gedanken über weite Räume 116 verständlich machen, gerade von amerikanischer Seite am lebhaftesten gefördert.

Mangel an Kenntnissen und an praktischem Verstand kann man den Deutschen nicht vorwerfen; aber leider kommen diese Gaben bei uns selten vereinigt vor. Wir besitzen viele schwer gelehrte Leute, deren schwache Seite der gesunde Menschenverstand ist, und wir haben viele praktische Männer, die zeitlebens zur Einseitigkeit verdammt sind, weil ihnen tiefere Bildung und der Flug der Gedanken fehlt. Der Amerikaner, wenn er im einzelnen auch nicht so viel gelernt haben mag wie der deutsche Fachmann oder der deutsche Theoretiker, übertrifft doch beide durch eine Gabe, welche gleichsam ein Ergebnis ist aus Können und Erkennen, eben die praktische Phantasie.

Vielleicht ist diese seltene Gabe ein Erbteil der beiden Rassen, von denen der Yankee in der Erscheinung wie in der geistigen Struktur am meisten angenommen hat: von der angelsächsischen mit ihrem nüchternen Common Sense und von der keltischen mit ihrer phantasievollen Anpassungsfähigkeit. Nicht ohne Einfluß auf die Erfindungsgabe ist auch jedenfalls jene durch die Natur des Landes bewirkte Eigenschaft geblieben, die Friedrich Ratzel das »weiträumige Denken« getauft hat. Der großartige, oft phantastische Zug, der durch viele Unternehmungen der Yankees geht, der uns ängstlicheren Europäern leicht den Eindruck des Verrückten macht, führt auf diese Grundlagen des Volkscharakters zurück.

Der Amerikaner hat als Geschäftsmann eine 117 großartigere Auffassung als der Deutsche. Er denkt praktisch und handelt enthusiastisch, während der Deutsche oft theoretisch denkt und im kleinlichen Detail stecken bleibt. Der amerikanische Geschäftsmann klebt vor allem nicht am Gelde; geht ihm ein Unternehmen fehl, so findet er sich wohl oder übel darein. Der Deutsche springt in solchem Falle dem Gelde nach und geht darüber zu Grunde.

Der Unterschied zwischen amerikanischer Volkswirtschaft und europäischer ist der: wir konservieren, der Amerikaner entwickelt. Wir sind angewiesen auf ein kleines Land von beschränkten Hilfsquellen. Unser wertvollster Besitz ist der von den Vätern übernommene; ihn zu hüten und zu vervollkommnen streben wir an. Drüben gerade umgekehrt! Von der Vergangenheit hat man wenig übernommen, es gibt nicht viel altes, was des Erhaltens wert wäre. Der Reichtum aber und die Ausdehnung des Landes stellen vor immer neue Gewinn versprechende und die Unternehmungslust reizende Aufgaben. Der Yankee-Unternehmer, mag er nun Eisenbahnkönig, Captain of Industry, Weizenkönig, Bankier, Besitzer einer Riesenranch, Schiffsreeder oder Bierbrauer sein, wird sich in erster Linie als Pionier fühlen, der neue Wege des Handels und Verkehrs eröffnet, als »Promotor« neue Quellen des Wohlstandes erschließt.

Pietät für das Vergangene kann man bei einer Menschenklasse nicht suchen, die so ganz in der Gegenwart lebt, und deren Blick dabei durchaus in die Zukunft gerichtet ist. Ein Unternehmer, der in Europa 118 ein neues Institut, eine Fabrik, eine Eisenbahn, ein Haus gründet, legt es an, als ob es für alle Ewigkeit halten solle. Der Yankee baut für beschränkte Zeit. Er weiß, daß die rapide Entwicklung der Technik das, was er heute schafft, in zehn Jahren vielleicht veraltet erscheinen lassen wird. Darum will er sich das Wegreißen morgen durch allzu festes Bauen heute nicht erschweren.

Wenn schon beim Ackerbau und in der Manufaktur Zeitersparnis eines der Leitmotive gewesen war, so ist der Wunsch, Zeit durch Vereinfachung des Betriebes zu sparen bei Tag und bei Nacht Traum des Großunternehmers. Man sucht alle gleichartigen Unternehmungen über das ganze Land in möglichst wenige Hände zu vereinigen unter Ausscheidung der kleinen Mittelglieder. In Handel und Industrie geht die Tendenz auf Entwicklung des Großbetriebes, auf Zusammenballung von Interessen und Kapitalien.

Die Demokratie unterstützt diese Entwicklung. Ihre Grundlage ist die Gleichheit. Sie gewährt dem Einzelnen einen weiten Spielraum zur Betätigung seiner Kräfte. Sie kennt nicht den Grundsatz: Schutz dem schwächern Teil. Durch ihre Indifferenz unterstützt sie indirekt den Starken, der von der Freiheit einen ganz andern Gebrauch zu machen weiß als der Schwache.

Der Wille zur Macht beherrscht jeden normalen Yankee. Doch hat der Einzelne in dem großen Lande wenig Aussicht zu politischer Macht zu gelangen. Auch hat die Konstitution meisterhaft vorgesorgt, daß alle 119 Machtfaktoren sich gegenseitig balancieren, daß kein Bürger den andern beherrsche. Dem Ehrgeizigen winken in der bürgerlichen Gesellschaft weniger erstrebenswerte Ehren und Würden, als in einer aristokratischen. Darum sucht sich der strebsame Yankee das Feld, auf das ihn seine praktischen Fähigkeiten sowieso weisen: das Unternehmertum im weitesten Sinne.

Die höchste Summe von Intelligenz und Tatkraft wird in den Vereinigten Staaten nicht etwa in der Politik zur Entfaltung gebracht, sondern im praktischen Leben. Die großartigsten Organisationen, kühnsten Pläne, feinsten Schachzüge, würdig großer Diplomaten, gehen von Leuten ohne Rang, Titel und öffentliche Stellung aus, von jenen mit praktischer Phantasie begabten Persönlichkeiten, die fast unbemerkt im Hintergrunde auf irgend einem Feldherrnhügel halten und die Heere nach ihrem Winke schwenken und eingreifen lassen, mit Menschen operieren, als seien es Zahlen, und die Kapitalien hin- und herwerfen, verteilen und zusammenziehen, wie gut einexerzierte Bataillone.

Für unsere zahme europäische Anschauungsweise haben solche Erscheinungen etwas gigantisch-dämonisches. Sicherlich wird ihre Schädlichkeit von uns überschätzt. Das Großkapital hat auch drüben, wie in der ganzen Welt, befruchtend gewirkt auf Industrie, Handel, Erfindung, Verkehr. Gewisse Unternehmungen, und gerade die weitesttragenden, konnten überhaupt nur geleistet werden durch eine Vereinigung von Macht, Vermögen, Energie und Klugheit. In der Übertreibung 120 liegt schon die Korrektur. Menschen von napoleonischer Phantasie scheitern an der Beschränktheit menschlicher Natur und eilen, bei noch so großen augenblicklichen Erfolgen, einem sicheren Waterloo entgegen.

Amerikanischer Unternehmungsgeist hat sich nirgendwo gewaltiger auswirken können, hat auf keinem Gebiete in kürzerer Zeit Größeres und Nützlicheres leisten dürfen, als im Eisenbahnwesen. Es ist etwas Wahres in der Parodoxe, daß die Eisenbahnen England klein, die Vereinigten Staaten aber groß gemacht haben. Ohne die Eisenbahnen wäre das wichtige Kulturwerk der Aufschließung des Westens undenkbar gewesen.

Eine wesentliche Ursache für die Überlegenheit der amerikanischen Eisenbahnen über die europäischen ist in der unbeschränkten Freiheit zu suchen, die der Staat von Anfang an den Eisenbahnunternehmungen gelassen hat. Die Erbauer waren nur durch das gemeine Recht gebunden. Die durch diese Freiheit beförderte Konkurrenz führte zur Vermehrung der Schnelligkeit und Bequemlichkeit, zur Besserung des Materials, zu stetig zunehmender Verfeinerung des Systems. Die überreichen Landschenkungen, mit denen die Regierung einzelne bevorzugte Linien bedachte, halfen wirtschaften. Der wichtigste Förderer aber ist, wie bei allem was zur Größe strebt, der »Human Faktor« gewesen. Nur wahrhafter Mut konnte sich an die Aufgabe wagen, und nur wirkliche Genialität konnte sie lösen, Ozean und Ozean über alle Hindernisse von reißenden Strömen, himmelstrebenden Gebirgen 121 und von endloser Prärie hinweg miteinander durch den Schienenstrang zu verbinden.

Hier zeigt sich der Unterschied wieder deutlich zwischen Alter und Neuer Welt, zwischen erhaltender und entwickelnder Wirtschaftsmethode. In Europa baut man Eisenbahnen, um bereits bestehenden Handel und Verkehr zu unterstützen, in Amerika, um Verkehr hervorzurufen und ruhende Schätze und Kräfte zu erschließen. Die Eisenbahn gründet Städte, schafft neue Kolonien. Jede große Linie ist wie ein lebendes Wesen mit der Blutzirkulation des Verkehrs, mit Gliedmaßen, mit einem lebendigen Gehirn: der Administration. Die Eisenbahnen sind aristokratisch, oft sogar monarchisch regiert. In wenigen Händen laufen die Fäden der Verwaltung zusammen. Ein gekrönter König mag mehr legitimen Prunk entfalten, aber schwerlich wird er autokratischer gebieten, mehr reale Macht ausüben, als in jener großen Demokratie ein Eisenbahnmagnat über die Anwohner, über ganze Städte und Distrikte besitzt. Hängen doch von seinem Gutdünken die Frachtsätze, die Regelung von Handel und Verkehr, die Anschlüsse, die Preise der wichtigsten Produkte und viele in das Wirtschafts- und Privatleben tiefeinschneidende Bedingungen ab.

Die Unternehmer, voran die Präsidenten der großen Eisenbahn- und Transportgesellschaften, die Großkaufleute, Bankiers, Minenbesitzer und Fabrikanten, mit einem Worte, die Kapitalisten, sind die mächtigsten Leute im freien Amerika. Wie kein anderer Stand beeinflussen sie die Politik nicht nur 122 der einzelnen Staaten und Gemeinden, sondern auch die des Bundes.

Es fehlt in den Vereinigten Staaten eine Geburtsaristokratie, wie England sie besitzt, die durch Jahrhunderte die Geschicke des Landes regiert hat, es fehlt der absolute Herrscher Rußlands, es fehlt der Beamtenstand Deutschlands und seine Bundesfürsten. Dafür konnte drüben eine andere Herrscherkaste aufkommen, eine wirtschaftliche Tyrannis, die darum besonders gefährlich ist, weil sie hinter den Kulissen arbeitet. Bekannt ist, wie die großen Eisenbahngesellschaften es meisterhaft verstanden haben, Gesetze, die gegen ihre Tarifmanipulationen erlassen wurden, praktisch unwirksam zu machen; neuerdings folgen ihnen die Trusts darin nach. Diese Unternehmergruppen stehen außerhalb der Gesetze, weil sie die Gesetzgebungsmaschinerie sowohl wie die Exekutive regieren. Der Senat ist bereits eine Gesellschaft von Millionären. Überall, in Stadt und Land, in der Presse und in der Selbstverwaltung, in der Justiz sogar, hat die mächtige Klasse der Großkapitalisten ihre Vertreter und Helfer.

Die Demokratie könnte, wenn man den Dingen ihren Lauf läßt, schließlich in Plutokratie ausarten. Doch wird es wohl hier kommen, wie schon wiederholt in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, man läßt offenkundige Schäden lange Zeit bestehen, bis dem Volk schließlich die Geduld reißt, es den Zwang temperamentvoll bricht und das Übel abschüttelt.

Wo ein Stand aufhört und der andere anfängt, ist 123 schon bei uns in Europa, mit seinen Resten mittelalterlicher Stände, schwer zu sagen, wievielmehr in einer jungen Gesellschaft wie der amerikanischen mit stets fließenden Grenzen. Ebenso wie drüben fast jedermann in irgend einer Form Unternehmer ist, so steht auch jeder Bürger irgendwie mit der Politik in Fühlung. In keinem Lande der Welt wird mehr gewählt, als in den Vereinigten Staaten. Jeder erwachsene Mann, in manchen Fällen auch jede Frau, ist in der Lage, durch Abgabe des Stimmzettels an der Gemeinde- wie an der Staats- und Bundespolitik teilzunehmen.

Wenn man das Interesse sieht, mit dem in Amerika Jung und Alt, Reich und Arm die öffentlichen Ereignisse verfolgt, wie die Zeitungen verschlungen werden, wie stark die Äußerungen der Freude oder des Unwillens sind, die irgend ein politisches Ereignis hervorruft, wenn man sieht, wie die Wahlen das Volk in immerwährender Aufregung erhalten, so könnte man leicht zu der Ansicht kommen, drüben stehe die Politik allen andern Fragen voran und jeder Amerikaner sei von Natur und mit Freude ein Politikus. Das ist nicht in dem Maße der Fall, wie die Erscheinungen der Straße und der aufdringliche Lärm der Parteiorgane es erscheinen lassen. Vielen und nicht den schlechtesten Bürgern der Vereinigten Staaten erscheint die Politik notwendiges Übel. Der Berufspolitiker ist durchaus nicht ein allgemein geachteter Mann. Die eigentlich produktiven Stände haben gar nicht die Zeit, sich aktiv an der Wahlpropaganda zu beteiligen; sie geben ihre Stimme ab, das ist alles. Im Kongreß sitzen fast 124 ausschließlich Advokaten und Journalisten; die Arbeiter und Farmer sind dort so gut wie ohne Vertretung. Dadurch aber, daß sich die tüchtigen Leute und die feiner organisierten Naturen, wie Gelehrte und Künstler, von der Wahlagitation mit ihren widerwärtigen Erscheinungen fern halten, ist jene Trennung entstanden, die einzig in ihrer Art dasteht, jene Scheidung der Bürgerschaft in produktive Stände und in professionelle Politiker.

In einem Lande, wo von Anfang an gewaltige wirtschaftliche Probleme zu lösen waren, haben sich die Tüchtigsten naturgemäß jenen Berufen zugewandt, wo nicht mit Phrasen leeres Stroh gedroschen wird, sondern in harter Arbeit dauernde Werke zu Tage gefördert werden. Die Kunst der Wahlgeometrie aber überließen diese Arbeitsbienen der Klasse der Parteiagenten, den Stumprednern, den Ringen und Bossen. Der Politik wandten sich alle jene Naturen zu, die eine bewegliche Zunge, eine blühende Phantasie, ein leichtes Geblüt und ein weites Gewissen haben. Darum wird man in Amerika den soliden, schwerfälligen, biederen und gewissenhaften Deutschen vergeblich in der Politik suchen; hingegen ist bekannt, welche Rolle der Irländer unter den Einpeitschern der Partei spielt, unter den lokalen Drahtziehern und dementsprechend auch – da die Beute dem Sieger gehört – unter den Beamten, welche die siegreiche Partei aus ihren Freunden ernennt.

Mit den Politikern fallen in Amerika die Journalisten nicht gerade zusammen, aber sie stehen einander immerhin sehr nahe. Fast sämtliche größere Tageszeitungen 125 sind drüben Parteiblätter. Unpolitische Organe findet man nur in Form von Fachzeitschriften und Magazinen. Selbst jene scheinbar harmlosen Blätter und Blättchen, die eine besondere Frage zu ihrer Spezialität erhoben haben, etwa: Landwirtschaft, Währung. Prohibition, Religion, stehen doch in Fühlung mit irgend einer politischen Partei.

Der Redakteur ist in der Großstadt meist Puppe oder Strohmann einer mächtigen Finanzgruppe, in der kleinen Stadt ist er auch ohne solche Rückendeckung ein einflußreicher, oft gefürchteter Mann. Wenn er sein Geschäft versteht, kann es ihm an einem einträglichen Amt in Staat oder Kommune gar nicht fehlen. Je bissiger er schreibt, desto höher steigen die Aktien seines Unternehmens; denn das Ankaufen unbequemer Zeitungen von Seiten der Angegriffenen ist drüben nichts Seltenes.

Je weiter man nach dem Westen kommt, desto minderwertiger wird die Presse, aber auch desto einflußreicher. Das westliche Publikum zeigt auch darin seinen Parvenucharakter, daß es leichtgläubig ist, grob sinnlich und sensationsbedürftig. Der Osten mit den hochkultivierten Neuenglandstaaten hat sich schon mehr zu Selbstkritik, Feingefühl und eigener Meinung erzogen, als es dem jungen Westen bisher möglich gewesen.

Der Zug zum Praktisch-Materiellen, der das ganze amerikanische Volksleben beherrscht, geht auch durch die Presse. Hauptzweck der Zeitungen ist das Geschäft. Geld wollen sie machen; direkt durch starken Absatz und viele und gut bezahlte Annoncen, indirekt durch Beeinflussung der öffentlichen Meinung, Lancieren der 126 eigenen Leute im Parteileben, Poussieren von allerhand verwandten Unternehmungen, von Papieren, Aktiengesellschaften, Trusts. Die Zeitung will nicht, was unsere besseren Blätter doch wenigstens anstreben, die öffentliche Meinung leiten, gewissen ethischen, wirtschaftlichen, politischen Prinzipien zum Siege verhelfen, sie will nur ganz bestimmte, meist sehr egoistische Zwecke ihrer Partei oder der lokalen Clique, der sie dient, voranbringen.

Die Presse hat drüben wiederholt hohe, ihr oder ihren Hintermännern mißliebige Beamte zu Fall gebracht. Sie schwebt argusäugig über den Stadthäusern und Staatskapitolen. Die Richter schielen nach dieser obersten Instanz der öffentlichen Meinung mehr, als für eine unparteiische Rechtsprechung gut ist. Sie hat in Kriegszeiten verstanden Heerführer zu stürzen und ihre Lieblinge auf wichtige Posten zu bringen. Sie hat, vom Yingotum beherrscht, in allen internationalen Verwickelungen der letzten Zeit eine aufhetzende und vergiftende Wirkung geübt.

Die Politik greift drüben viel tiefer in alle Verhältnisse des Lebens ein, als bei uns. Von der Politik leben die Zeitungen, sie liefert ihnen stets willkommnen Stoff für ihre Auflagen. Durch Klatsch und Sensation sucht man die Leser anzulocken, und von hinten herum suggeriert man den Harmlosen die von der Partei oder der wirtschaftlichen Gruppe des Blattes begünstigte Anschauung.

Die Blätter sind der Ausdruck der öffentlichen Meinung; das heißt, sie bringen im großen und ganzen 127 das, was der Durchschnittsleser denkt, was ihm sympathisch ist, und was er darum gern in der Zeitung wiederfindet. Darum kann es nicht wundernehmen, daß die Zeitungen, mögen sie nun einer Parteirichtung angehören, welche sie sei, vor allem bürgerlich demokratisches Wesen mit einem gewissen Nachdruck zur Schau tragen. Das hindert sie nicht, der neuesten Modeneigung der Yankees zu aristokratischen Liebhabereien Rechnung zu tragen. In den »Society News« wird mit einer Peinlichkeit, die in nichts hinter den Hofberichten unserer klatschsüchtigsten Residenzblätter zurücksteht, von dem Treiben der internationalen Aristokratie und Hautefinance berichtet. Die Toiletten und Diamanten der zum ersten Rang der großen Oper Zugelassenen werden genau beschrieben, ihre Genealogie und Familienangelegenheiten mit einer für der Unbefangenen lächerlichen Breite und Wichtigkeit dargelegt. Auch das fade Treiben der Exklusiven von New Port und Atlantic City muß dem Durchschnittsamerikaner doch gewaltig interessant sein, sonst würden die Blätter nicht soviel darüber zu tuscheln haben. Kommt aber gar eine von den »amerikanischen Herzoginnen« von Europa auf Besuch ins Land zurück, dann erfährt jedermann schon beim Frühstück, wo sich »Her Grace« am Abend vorher zu amüsieren geruht hat, durch dasselbe Blatt, das im politischen Teil sich vielleicht über die Lächerlichkeit monarchischer Traditionen im feudalen Europa und die unerreichten Vorzüge amerikanischer Gleichheit großsprecherisch ergeht.

Das Schwören auf ein bestimmtes Blatt als 128 unfehlbaren Berater, wie es bei uns noch vielfach üblich ist, kommt drüben nicht oft vor. Dazu ist der Yankee doch zu sehr an politisches Denken von Jugend auf gewöhnt. Er liest viele Zeitungen und liebt es, die einzelnen Meinungen miteinander zu vergleichen. Meist gibt er der den Vorzug, die ihm am schnellsten mitteilt, was er wissen muß, um au fait zu sein. Auf Gediegenheit und Zuverlässigkeit des Gebotenen legt er wenig Wert. Sein Neuigkeitshunger ist groß. Dadurch hilft er jene Konkurrenz großziehen, die zwischen den vielen Zeitungen der Vereinigten Staaten, ihre Schreibweise keineswegs günstig beeinflussend, tobt.

Ihren geldschneiderischen Zwecken entspricht die ganze äußere Gestalt der Tageszeitungen. Den inhaltsreichen Leitartikel der großen englischen, deutschen, französischen Blätter kennen sie nicht. Sie bringen lieber eine gemischte Schüssel aus Politik, Lokalnotizen, gesellschaftlichen Skandalen, Interviews, Kriminalfällen, Geschäftsnachrichten. Die kurzen Artikel sind meist humorvoll, geschickt, ja geistreich geschrieben. Aber die eine Tendenz geht durch: Sensation um jeden Preis!

Wirklich bewundernswert ist die Schnelligkeit des Nachrichtendienstes. Mit seiner Hilfe erfahren die Leser allerorten gleichzeitig, was sich an den entferntesten Stellen des Riesenlandes ereignet, oder was es an wichtigen Dingen in der übrigen Welt gibt. Allerdings zeichnen sich die Nachrichten aus Europa nicht immer durch Wahrheitstreue aus. Was nicht sein 129 eignes Land betrifft ist dem Yankee ziemlich gleichgültig. Die Zeitungen können dem Publikum über Deutschland jede offensichtliche Lüge aufbinden, sie werden immer Gläubige dazu finden. Die gelbe Presse macht von der Geneigtheit des Publikums, sich belügen zu lassen, reichlichen Gebrauch.

Gewiß gibt es auch in Amerika eine Anzahl Zeitungen, die einen vornehmeren Ton anstreben, als das Gros der Jingo-Organe. Und sicherlich besitzt der amerikanische Journalismus feingebildete Leute, die mit dem Reporter oder gar dem Revolverjournalisten des Westens nicht an einem Tage genannt werden dürfen, aber sie sind vorläufig noch in der Minderzahl.

Das Publikum greift nach den Blättern, die ihm möglichst viel Neuigkeiten in gepfeffertem Stil und pikanter Form bringen; es will gar keine ernste und gediegene Kost. Schließlich hat jedes Land die Presse, die es verdient.

Zur Politik werden drüben gar nicht etwa besondre Tugenden oder Kenntnisse verlangt; im Gegenteil, Mittelmäßigkeit ist eine gute Empfehlung. Weder schicken die einzelnen Staaten ihre hervorragendsten Leute in den Senat, noch das Volk als Ganzes seine besten Köpfe in das Repräsentantenhaus. Im Kongreß zu Washington findet man durchaus nicht die Elite der Nation. Nicht einmal zu Präsidenten werden immer erstklassige Leute gewählt. In der Reihe der Männer, die im Weißen Hause residiert haben, überwiegen die Nullen. Man bevorzugt bei der Wahl einen braven 130 aber farblosen Mann vor einem genialen mit ausgesprochenem Charakter.

Von Begründung der Konstitution an hat jene allen Republikanern eigne Sorge vor cäsarischen Gelüsten die Amerikaner beherrscht. Ein Ausfluß dieser Ängstlichkeit ist das sogenannte: »unwritten law of the country«, wonach, weil Washington die dritte Kandidatur abgelehnt hat, als ewiges Gesetz gelten soll, daß niemand mehr als zwei Präsidentschaften erstrebe. Die kurze Amtsdauer aber ist der Entwicklung großer Eigenschaften nicht günstig. Ein Präsident, der wiedergewählt sein will, wird der öffentlichen Meinung naturgemäß Konzessionen machen müssen.

Noch schlimmer tritt das Buhlen um die Gunst der Wähler in den niederen Ämtern zu Tage, wo die Wahlperioden kürzere sind. Die Ausbildung von Standesbewußtsein und Tradition – Vorzüge unsrer Staatsbeamten – ist nicht möglich bei Leuten, die immer nach dem Augenzwinkern des süßen Pöbels schielen, den sie ja um des Wiedergewältwerdens willen bei guter Laune erhalten müssen.

Kein Wunder, daß es den Vereinigten Staaten bisher an Politikern großen Stils gefehlt hat, wie sie England in Überfluß, Frankreich, Preußen, Deutschland und Italien in beträchtlicher Zahl hervorgebracht haben. Sie waren dort allerdings auch nicht so bitter notwendig, wie in diesen Ländern, da es der Union bisher an äußeren Verwicklungen fast ganz gefehlt hat. Wenn aber große, das ganze Staatswesen in Frage stellende Krisen eintraten, wie im Unabhängigkeitskriege und im 131 Bürgerkriege, dann waren auch mit einem Male die großen Männer da; sie stiegen auf aus den Tiefen des Volks und gelangten mit Naturgewalt auf jene Plätze, an die sie kraft ihrer Gaben gehörten, durch keine Geburtsaristokratie gehindert, die in den Monarchien Europas die Staatsämter und Offiziersstellen besetzt hält.

Daß die Atmosphäre, in der drüben Politik gemacht wird, sich allmählich zu einer Brutstätte der Korruption ausgebildet hat, leugnet kein billigdenkender Amerikaner. Korruption ist da, aber sie beherrscht nicht, wie man für den ersten Anblick zu glauben geneigt ist, das ganze Land und alle Verhältnisse; sie ist lokalisiert. Es besteht die merkwürdige Erscheinung, daß in ein und demselben Volke das Privatleben gesund ist und das öffentliche Leben von Fäulnis angefressen. Hier hat die Absonderung der Berufspolitiker von den produktiven Ständen segensreich gewirkt, denn nur durch das Fürsichstehen dieser Menschenklasse wurde es möglich, daß das Bürgertum sich im Kern intakt, ehrlich und tüchtig hat erhalten können.

Die Yankee-Politiker haben sich mit der Zeit eine eigene Moral ausgebildet, die nach europäischen Begriffen Unmoral ist. Über alles, was Politik betrifft, urteilt man drüben äußerst lax. Während man Unehrlichkeit und Unlauterkeit im Geschäftsleben heftig verdammt, ist man geneigt, dem Politiker durch die Finger zu sehen. Jedermann weiß zum Beispiel, daß der Mayor einer großen Stadt seine Amtszeit dazu benutzt, sich ein Vermögen zu machen, weiß, daß bei Vergebung öffentlicher Arbeiten Schacher getrieben 132 wird, bei welchem Millionen-Trinkgelder abfallen für die Parteifreunde. Diese Dinge pfeifen die Spatzen von den Dächern. Die Zeitungen und Witzblätter sprechen mit erstaunlicher Offenheit darüber. Ab und zu fährt einmal der Staatsanwalt dazwischen, oder eine Anzahl ehrlicher Leute tut sich zusammen; der Ring wird gesprengt, der Boß gestürzt, vielleicht wandern sogar ein paar Hauptbetrüger ins Gefängnis. Aber damit ist nur ein Symptom beseitigt, die Krankheit selbst frißt ruhig weiter.

Dem Yankee sitzt eben das »Laissez faire« tief im Blute, ja es ist bei ihm gewissermaßen zum Lebensprinzip geworden. Er ist, wie James Bryce das in seinem »American Commonwealth« geistreich nachgewiesen hat, einerseits Fatalist, ist geneigt, der Majorität recht zu geben, sich dem Massenvotum wie einem Gottesurteil zu unterwerfen. Amerika ist ihm die beste aller Welten, und zu Amerika gehört eben auch Korruption. Andrerseits ist der Yankee auch Humorist. Der politische Rummel mit allem, was daran hängt: Zeitungslügen, Prozessionen, Wahlgeometrie etc. amüsiert ihn, regt ihn angenehm auf. Man betrachtet den Kampf der Parteien wie eine Art Wettrennen oder Stiergefecht. Treten schlimme Erscheinungen dabei zu Tage, so meint man in angeborenem Optimismus, daß die Zeit das alles schon korrigieren werde. Denn jeder Yankee ist davon erfüllt, daß sein Volk Zeit vor sich hat; im innersten Herzen glaubt er, daß seine Rasse die der Zukunft sei. Und dieser Glaube läßt ihn leicht über alle Mängel der Gegenwart hinwegkommen.

133 In einer Beziehung ist der Grund zu jener Korruption, die jetzt so üppig in der amerikanischen Demokratie wuchert, schon mit der Konstitution gelegt worden. Die Väter der Verfassung konnten die moderne Entwicklung nicht voraussehen, sie ahnten nichts von Trusts und Ringen, sie, die selbst arm waren, vermuteten wohl nicht, welche Rolle das Geld noch einmal in der Parteipolitik zu spielen berufen sei. Was wußten diese in puritanischer Sittlichkeit aufgewachsenen, in der Auffassung, daß »Tugend« der erste Grundpfeiler der Gesellschaft sei, erzogenen Nachkommen der Pilgerväter von Ämterschacher und Wahlbestechung, auf die sich ihre Enkel so vortrefflich verstehen! Sie legten große Macht in die Hände des Volkes, ihr Vertrauen in seine Güte und Weisheit war ganz unbegrenzt. Ihre große Sorge bildete die Einmischung fremder Tyrannen; von dem Emporkommen einer viel gefährlicheren Tyrannei, der des konzentrierten Kapitals, ließen sie sich nichts träumen, auch nichts davon, daß eine Geldaristokratie für das Gleichgewicht der Gesellschaft und des Staates bedenklicher werden kann, als eine Aristokratie der Geburt und alle auswärtigen Fürsten zusammen.

Die Konstitution, die sie nach schwerem Kopfzerbrechen aufgestellt hatten, legte die Regierung, wie keine andre je zuvor, in die Hand des Volkes allein. Das Volk wählt sich seine Beamten für Bund, Einzelstaaten, Gemeinden, für Verwaltung sowohl wie Justiz; solche Beamte aber, die nicht aus direkten Wahlen hervorgehen, werden doch wenigstens durch vom Volk erwählte 134 Männer ernannt. Und um den Massen nur ja recht oft Gelegenheit zu geben, ihren Willen kund zu tun, wurden die meisten Ämter an ganz kurze Fristen geknüpft.

Als die Konstitution entstand, waren die politischen Parteien nur im Keime vorhanden; von einer raffinierten Parteimaschinerie, wie sie jetzt besteht, war noch keine Rede. Das berüchtigte Wort: »To the victor belong the spoils« sollte erst einige Jahrzehnte später gesprochen werden. Wenn man dem Präsidenten der Republik weitgehende Befugnis zum Ernennen von Bundesbeamten, Gesandten, Post- und Zollbeamten, ja von Richtern in die Hand legte, so hatte einem dabei die makellose Gestalt George Washingtons vor den Augen gestanden. Welche Blüten das Patronagewesen später zu spielen bestimmt sei, wie selbst das Bundesoberhaupt, wenn es sich halten wollte, gezwungen sein würde, die Parteimaschine zu ölen, um seine Wähler bei guter Laune zu erhalten, war in jenen harmloseren Zeiten, die noch nichts von Tammany Hall und von den allmächtigen Eisenbahngesellschaften wußten, nicht vorauszusehen gewesen.

Die Entwicklung, die die Parteipolitik genommen, hat eben die guten Intentionen der Konstitution in ihr Gegenteil verkehrt. Es sollte, das war der ideale Gedanke der Verfassungsgeber, alles durch das Volk für das Volk geschehen. Aber durch das Spoil-System kommen Leute ins Regiment, die, wenn das Volk ohne Mittelspersonen befragt werden könnte, jedenfalls verworfen werden würden. Das Parteiwesen fälscht den 135 Willen des Volks; es schiebt die besseren, vornehmeren Elemente in den Hintergrund und bringt die skrupellosen, frivolen nach vorn. Es legt alle Macht in die Hände einer kleinen Clique. Die Ämter werden schon vor der Wahlkampagne versprochen, und wenn der Sieg erfochten ist, verteilt. Gegen die Parteigenossen ist man ehrlich, denn hier würde Betrug sich rächen; das Volk zu belügen und die Öffentlichkeit zu bestehlen gilt nicht als unfair.

Daß es im wesentlichen nur zwei Parteien gibt im ganzen Lande, vereinfacht die Lage. Auf diese Weise hat man zwei Sorten von Politikern: solche, die an der Bundes-, Staats- oder Gemeinde-Krippe sitzen, und die andern, welche darauf warten, jene abzulösen.

Es gehört nicht allzuviel Tugend dazu, um sich von solcher Korruption günstig abzuheben. Von dem gesamten Beamtentum der Vereinigten Staaten hat sich der Richterstand verhältnismäßig am unversehrtesten erhalten. Man unterscheidet zwischen Bundesgerichten und Einzelstaatsgerichten. Der Supreme Court legt die Verfassung aus, er wird darum auch die »lebendige Stimme des Volksgewissens« genannt. Er kontrolliert den Kongreß wie den Präsidenten. Seine Mitglieder sind auf Lebenszeit ernannt; deshalb ist er die einzige Behörde in Amerika, die nicht nach Popularität zu haschen braucht. Der Präsident ernennt zwar die Mitglieder, dennoch sind sie von ihm unabhängig; denn er geht nach vier Jahren, sie bleiben.

Die Richter der Bundesgerichte erfreuen sich im allgemeinen einer angesehenen Stellung. Viel weniger 136 werden die Richter der niederen Gerichte geehrt; sie gehen aus Wahlen hervor und stehen schon aus diesem Grunde der politischen Korruption näher als die Richter der Bundesgerichte, die von Senat und Präsident in ihr Amt berufen werden. Am meisten hat das Ansehen der früher außerordentlich angesehenen Juristen durch den Einbruch der Geldleute in die amerikanische Gesellschaft gelitten. Es fehlt dem Richter drüben jene äußere Würde, die seinen englischen oder deutschen Kollegen umgibt. Die Gleichheitssucht der Demokratie will es nun einmal so, daß alles möglichst formlos zugehe, auch in den Rechtsverhandlungen. In vielen Staaten liegt das Kriminalrecht noch sehr im argen; es wird lax geübt. Die Geschworenen sind selten unbefangen. Höchst unangenehm für den gewöhnlichen Bürger, vorteilhaft nur für die Advokaten, wirkt die Verschiedenheit und Unklarheit im Familienrecht. Durch die ganzen Vereinigten Staaten, mit Ausnahme von Louisiana, herrscht das alte englische Common law, modificiert allerdings durch Staats-Konstitutionen und Statuten.

Als Verwaltungsbereich nimmt die Justiz im Staatskörper eine bevorzugte Stellung ein. Sie steht nicht unter der Legislative sondern ist ihr koordiniert, sie kann sogar Gesetze, welche die Legislative erlassen hat, für inkonstitutionell erklären. Die Bundesgerichte haben die Verfassung auszulegen und können Gesetze, die sie gegen die Konstitution befinden, annullieren. Der Supreme Court hat die Streitigkeiten zwischen Bundesregierung und Staaten zu entscheiden.

137 Diese bevorzugte Stellung der Justiz entspringt der Auffassung der Amerikaner von der Volkssouveränität; die einzelnen Zweige der Regierung: Legislative, Exekutive, Justiz, sollen einander nebengeordnet und nur der höchsten Instanz des Volkswillens unterworfen sein.

Die Ämter sind das wichtigste Lockmittel der Partei. Der Beamte, welcher von Parteiwegen sein Amt empfangen hat als Belohnung für geleistete Dienste, kümmert sich natürlich herzlich wenig um die öffentliche Wohlfahrt; sein Interesse gilt nach wie vor der Partei, oder dem Patron, dem Boß, der ihm die Sinekure verschafft hat.

Dazu kommt noch ein andrer Mißbrauch, der auch erst im Laufe der Parteientwicklung eingerissen ist: die »Rotation in office«. Danach wird jedes Amt möglichst oft mit neuen Leuten besetzt. Zu Grunde liegt der Gedanke der Gleichheit; jedermann ist geeignet für jedes Amt! Möglichst vielen Parteigenossen soll die Chance geboten werden, Macht und Gewinn, die dem Amte entspringen, auszunutzen. Und schließlich spielt wohl auch hierbei die geheime Furcht des Republikaners eine Rolle, es könne einer durch zu langes Verweilen im Amt der Allgemeinheit gefährlich werden. Den Parteihäuptern aber ist die Rotation in office eine bequeme Handhabe, möglichst vielen ihrer Genossen Nutzen zuzuwenden, sich ihre Freunde warm zu erhalten und durch immerwährende Wahlmanöver ihre Truppen in Übung zu halten.

Der Europäer und vor allem der an geordnete 138 Verhältnisse gewohnte Deutsche kann sich meist nicht genug wundern, daß ein Staat unter so korrupter Verwaltung nicht längst zu Grunde gegangen ist. Darauf ist zu erwidern, daß die Dinge schlimmer aussehen, als sie sind. Amerika ist jung; ein junger Körper hat mehr und frischere Säfte und Kräfte als ein alter, kann daher Krankheiten leichter überwinden. Während in Frankreich die Korruption Zeichen ist von Altersschwäche, kann man sie bei der großen Republik jenseits des Atlantischen Ozeans auffassen, als das, was die Physiologen beim jungen Menschen »Wachstumsschmerzen« nennen. Und dann: Amerika ist reich. Materielle Verluste kann es eher wett machen, als zum Beispiel Spanien. Natürlich bleibt der moralische Schaden, der unberechenbar schwerer wiegt, als jene Millionen, die dem Volke von Nordamerika alljährlich von einer kleinen Clique gestohlen werden.

Wir wollen in Deutschland zufrieden sein, daß wir ohne Selbstüberhebung sagen dürfen: diese Art Korruption haben wir nicht, weder in der Staatsregierung, noch bei den Kommunen, noch im Parteiwesen. Dafür weist unser öffentliches Leben eine üble Erscheinung auf, die die amerikanische Demokratie nicht kennt: den Büreaukratismus. Und es ist die Frage, welches von den beiden Übeln in der Wirkung das schlimmere ist. Die Korruption muß, wie alles Böse, an ihrer eigenen Verderbnis zu Grunde gehen. Der Büreaukratismus aber ist ein alter, im Charakter unsres Volkes und unsrer geschichtlichen Entwicklung begründeter, mit unsren Einrichtungen fest verknüpfter Schaden. 1392 Büreaukratisches Wesen mit allem was daran hängt: Pedanterie, Weitschweifigkeit, Verbohrtheit, Chinesentum, gehört zu den eingerosteten Angewohnheiten, ist uns wie so mancher alte Zopf als eine Art Heiligtum von den Vätern vererbt. Solche durch Bequemlichkeit mehr als durch Übelwollen zur schlechten Tradition gewordene Institutionen aber sind am schwersten auszurotten, schwerer als ein politisches Treiben, dessen dreister Cynismus mit dem Mantel des Ehrwürdigen unmöglich zugedeckt werden kann.

Man darf nicht übersehen, daß sich in den Seelen der besten Söhne Nordamerikas heftiger Widerwille ansammelt gegen die Korruption und tiefe Sehnsucht nach Erlösung von ihrem Terrorismus. Aber die Yankees sind bei aller ihrer Modernität doch auch Sklaven des Herkommens. Man möchte wohl die Politiker bekämpfen, das Wahlrecht korrigieren, den Civil Service reformieren, aber man zagt, fest zuzugreifen, weil man nicht an dem Heiligtum der Verfassung rütteln will. Das Wahlrecht aber und die Selbstverwaltung sind nur Ausflüsse des in der Verfassung niedergelegten Grundgedankens: Regierung des Volkes durch das Volk.

Die Partei der Independenten, deren Losung innere Reformen lautete, hat nur schwache Fortschritte gemacht. Die Pläne der Sozialisten und Anarchisten können hier nicht in Betracht kommen, da sie mehr auf Negierung und Umsturz als auf organischen Ausbau und schonende Änderung des Grundgesetzes gerichtet sind. Reformgedanken auf Spezialgebieten finden 140 viel mehr Anklang; so die Bewegung der Prohibitionisten, des Womens Suffrage, der Single Tax. Die Idee einer Reform an Haupt und Gliedern besitzt drüben wohl einzelne Pioniere, aber weder eine Partei, die sie tragen wollte, noch einen Staatsmann, der sie leiten möchte.

Man ist während der letzten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts im aristokratischen Europa viel kühner im Umgestalten von Verfassungen gewesen als im demokratischen Nordamerika. Deutschland, Italien, Österreich-Ungarn, Frankreich haben ihre Grundgesetze geändert, und das englische Staatswesen ist durch die verschiedenen Reformbills von Grund aus revolutioniert worden. Die Vereinigten Staaten sind an die Konstitution von 1787 geschmiedet wie an einen Block; die Verfassung umzugestalten würde entweder einen Staatsstreich voraussetzen, oder als Beschluß eine dreiviertel Mehrheit aller Staaten erfordern.

Man täte dem Volk von Nordamerika großes Unrecht, wollte man es nach seiner Politik und nach denen, die sie machen, beurteilen. Die professionellen Politiker sind derjenige Stand, der am meisten Lärm schlägt, die größte Rührigkeit entfaltet und der in den Zeitungen immerfort von sich reden macht. Diese Demagogen mit ihren widerwärtigen Allüren treten weit mehr in den Vordergrund der Öffentlichkeit, als für die Beurteilung der ganzen Nation günstig ist.

Das Volk ist auch in den Vereinigten Staaten geduldig. Die Wähler lassen sich von den Parteipolitikern an die Wahlurne schleppen, sie erlauben, daß um die 141 Mandate gehandelt, mit den wichtigsten Ämtern und Rechten Schacher getrieben wird. Aber doch nur am Alltag. Es kommen große Zeiten, wo irgend ein Ereignis, eine Not, eine Gefahr, eine neue Idee dem Volke ans Herz greift. Dann besinnt es sich auf sich selbst. In großen Fragen, wie der der Sklavenbefreiung, gibt schließlich das Volksgewissen den Ausschlag.

Logisches Urteil kann man nirgends von den Massen verlangen, kein Tüfteln und feines Abwägen; aber starke Impulse sind dem Volke eigen. Sein gutes Recht ist, Urteile in Fraktur zu schreiben

Man darf für die Zukunft der Vereinigten Staaten von Amerika hoffen, daß die vielen tüchtigen Männer und Frauen aus allen Ständen und Berufen, wie sie bereits an den Stätten herrschen, wo produktiv geschaffen wird, auch im öffentlichen Leben die Stellen einnehmen und die Macht ausüben möchten, die ihnen kraft ihres Wertes zukommen. Erst wenn die unschöne Kulisse der politischen Korruption gefallen sein wird, die sich jetzt noch allzu auffällig und dreist, der Kritik eine breite Zielscheibe bietend, vor die amerikanische Gesellschaft hinpflanzt, wird man auch bei uns die Dauerbarkeit dieses jungen Staatswesens und die Tüchtigkeit seiner Bürger in vollem Maße würdigen lernen. 142

 


 


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