Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

 

1

Nach Verlauf einiger Zeit kam Kitty eines Abends auf den Hof und setzte sich in der Küche hin. – Kitty mit dem schwarzen Haar, den blauen Augen und den kleinen Händen, mit den Brüsten, die zart, doch jetzt noch klarer abgesetzt waren, mit dem Mund, dessen nun volle Reife die jungen Männer die Luft hastig durch die Nase ziehen ließ, wie junge Hengste es tun. Ihre Bewegungen, die von der linkischen Anmut eines jungen Tiers gewesen waren – der Himmel mochte wissen, was für eines Tiers – hatten nun etwas Unsicheres und Kraftloses bekommen. Und ihre Rede, die nur anscheinend wie die andrer Mädchen und doch im Grunde ganz anders gewesen war, weil sie einen Goldglanz an sich und Feuer, eine schwelende Glut in sich gehabt hatte – diese Rede klang nun hohl, und als ihr Maggie Tee anbot, lehnte sie dies in einer Weise ab, die an Unhöflichkeit grenzte.

So saßen sie und starrten vor sich hin – Maggie ins Feuer und Kitty durch die offne Tür südwärts gegen den Fluß, dahin wo der Steinbruch lag, der «die Teufelsschmiede» genannt wird.

«Warum sieht man keinen Menschen mehr hier oben?» fragte das Mädchen. «Früher ging es doch aus und ein wie in einem Taubenschlag?»

Maggies Seelenleben glich einer Gefängniszelle, die sich nur von außen aufschließen läßt. Ihre Seele saß da und starrte durch die Gitterstäbe und verlangte danach, daß einer sie hinauslasse. Aber Kittys Anwesenheit übte die entgegengesetzte Wirkung. «Eine einsame Frau ist keine Gesellschaft, die die Leute suchen!» sagte Maggie.

«Frau O'Hegarty ist doch immer recht gern gekommen!» lag Kitty ihr weiter an. «Und Patty – wo ist denn Patty?»

«Patty kommt regelmäßig jeden Tag. – Aber was soll das alles? Was willst du mit all deinen Fragen?»

Statt einer Antwort starrte Kitty die alte Frau durchdringend an und – brach dann in ein lautes hysterisches Lachen aus. Maggie fuhr auf und packte sie beim Arm. «Raus mit dir aus dem Haus!» schrie sie unbeherrscht.

Und als Kitty fort war, sank sie dumpf stöhnend auf die Bank.

 

2

Als nachher Patty kam, setzte sie ihm Whisky vor. Aber obwohl das nur selten geschah, schien es ihm heute keine Freude zu machen. Und sie sprach fieberhaft und unaufhörlich. Aber je mehr sie schwatzte, desto schweigsamer wurde er. Das war wie ein Kampf zwischen ihnen – oder von ihrer Seite wie ein Schrei um Gnade.

Bisher hatten sie immer etwa gleichaltrig ausgesehen, aber jetzt war es nicht mehr so. Ihre Gesichtshaut saß gleichsam lockerer als zuvor auf den Knochen, und die Brauen hingen tiefer über die Augenhöhlen hinunter. Und dabei sprach sie, sprach und sprach, während es aussah, als atmete das Feuer nur mit Mühe, und als kröche die Asche nur mit Anstrengung über die Glut.

Patty saß ungefähr auf dem gleichen Platz, wo kurz vorher Kitty gesessen hatte, und seine Augen hefteten sich auf den Streifen des Flusses, dessen Blinken man hier kilometerweit westwärts verfolgen kann. Bisweilen flocht er eine kurze Bemerkung ein, und einmal ging er leise hinaus unter das überhängende Strohdach am Südgiebel des Hauses und kam kurz darauf wieder herein. Da verlor Maggie für einen Augenblick ihre Selbstbeherrschung und schrie fast: «Was tuscheln sie da über mich? Was ist das für ein Geschwätz, das im Dorf umgeht? Du mußt es mir sagen, daß ich mich verteidigen kann!»

Patty zögerte mit der Antwort. «Was sollen sie denn über dich tuscheln?» fragte er.

«Herrgott, das sind Lügen!» schrie sie. «Das sind Lügen! Warum soll ich das getan haben? Sag mir das, bitte!»

Wenn Patty etwas flinker gewesen wäre, hätte er antworten können, daß er sich nicht zu Erklärungen verpflichtet fühle, um die ihn niemand gebeten hätte, statt dessen sagte er: «Ich hab nichts gehört, und wenn ich was höre, acht ich nicht drauf. Vor Klatsch ist keiner von uns sicher!»

«Du glaubst mir doch, Patty?» fragte sie ruhiger.

«Ja – ich glaub dir!» gab er zurück.

«Jeder weiß, wie ich immer an dem Jungen gehangen hab!» fuhr sie fort. Er gab ihr keine Antwort. «Aber laß mich nur einen erwischen, dem tränk ich es ein!» rief sie.

 

3

Sie beruhigte sich langsam, und nach einiger Zeit fragte sie wieder, aber jetzt ohne jede Erregung: «Sag doch, daß jedenfalls du mir nicht mißtraust – es ist fürchterlich, sich so allein zu fühlen!»

«Ich mißtrau dir nicht!» wiederholte er, wie man eine Eidesformel wiederholt, und sein Ton verriet nicht, was er wirklich meinte. Sein Gesicht war ernst, aber das war es ja meistens.

«Kitty ist hier gewesen!» sagte sie verbissen.

«Was hat sie gewollt?»

«Mich auslachen, mich verhöhnen – verfluchtes Frauenzimmer!»

«Das sieht ihr gar nicht gleich!» wendete Patty ein.

«Das ist ihre wahre Natur!» entgegnete Maggie. «Sie ist böse!»

Obwohl sie wußte, daß Patty andrer Meinung war, und die größte Lust hatte, ihm das vorzuwerfen, ließ sie es doch, weil ein natürliches Gefühl ihr gebot, sich an den letzten Menschen zu halten, dem sie vertrauen durfte.

«Glaubst du an Hexerei?» fragte sie statt dessen.

«Wie meinst du das?»

«Glaubst du, daß man einem den Tod vorhersagen kann?»

«Man hört ja so viel!» sagte Patty. «Nicht leicht zu wissen, was man glauben soll … Da war mal einer, David Mac Gloin – von dem sagen sie, er ist von einer alten Zigeunervettel verhext worden; und als sie einen klugen Mann holten, hat der den Kopf geschüttelt und gesagt: ‹Nichts zu machen – er muß sterben.›»

«Dummes Zeug!» brummte sie. «Es gibt soviel Aberglauben …»

«Ja ja», gab Patty friedfertig zu, «man soll sich da nicht zu sehr einhängen!»

«Vor einem halben Jahr war eine Frau hier!» begann Maggie wieder, «du weißt doch, die, die sie dann totgefahren haben da vorn auf der Straße …»

«Larrys Mutter? Ja, das war traurig.»

«Die hat gewußt, daß sie sterben muß,» fuhr Maggie fort. «Sie hat's mir selber gesagt, eine Stunde vorher …»

«Ja ja, mir ist, als hättest du mir's schon erzählt!»

«Sie hatte auch eine Botschaft für mich!» sagte Maggie. – Einmal mußte das ja heraus.

«Wieso? Eine Botschaft?» fragte Patty.

«Aber das kümmert mich nicht!» fuhr sie fort. «Sie hat mich verwünscht und gesagt …» Jawohl, sie hatte gesagt, Maggie müßte froh sein, wenn man sie übers Jahr bloß Gaunerin nennen würde. Aber diese Worte blieben Maggie im Halse stecken, und statt sie zu wiederholen, schlug sie mit der Hand aus und steckte sich dann eine Pfeife an.

«Du sollst sehn: bald werden sie sie haben – die Mörder!» sagte Patty, bevor er sich auf den Weg in Murphys Wirtshaus machte.

«Dann werd ich schon dran denken, wo in der Zeit meine Freunde waren!» entgegnete Maggie drohend.

 

4

«Hallo, Pat!» rief der Schullehrer, der grade dabei war, seinen Rasen mit der Maschine zu schneiden. «Droben bei Maggie gewesen?» Wie so viele kurzsichtige Leute blickte er starr durch die Brille und hielt den Mund offen, wenn er mit einem sprach. «Kommt sie denn mit der Wirtschaft zurecht? Warum kriegt sie denn niemand zur Hilfe?»

Bei allem schuldigen Respekt vor der Verstellungskunst des Lehrers läßt sich nicht leugnen, daß in seinem Ton etwas Salbungsvolles lag, was seiner Frage einen doppelten Boden gab. Patty begnügte sich also mit einem nichtssagenden Murmeln.

Aber es wurde nicht besser auf seinem weiteren Weg durch das Dorf. Immer wieder hieß es: «Hallo, Patty! Bist du bei Maggie oben gewesen? Wie geht's ihr denn, Patty? Kommt sie mit der Wirtschaft zurecht? Wirst du nicht bald Verwalter bei ihr, Patty?» – Wenn er diesem Gespött auch nicht weiter Beachtung schenkte, wäre er ihm doch lieber aus dem Wege gegangen.

Aber Patty, der Mann der Sanftmut und der angeborenen Treue, verriet seine alte Freundin nicht in der Not. So begab er sich denn gleich wieder heim und ließ den Trunk, auf den er sich unterwegs gefreut hatte, Trunk sein.


 << zurück weiter >>