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Vierzehntes Kapitel

 

1

Das Jahr war so weit vorgeschritten, daß kein Zweifel mehr herrschen konnte über die Art der Pflanzen, die auf den Feldern der Bauern hervorgrünten, und es erregte kein geringes Aufsehen, als allgemein bekannt wurde, daß ein Feind die dunkeln Frühjahrsnächte dazu benutzt hatte, buchstäblich gesprochen, Kornrade in Sir Henrys Weizen zu säen. Nur daß es eigentlich nicht Kornrade war, sondern allerhand andres unausrottbares Unkraut.

Obwohl nun dies in der Geschichte des Landes nicht zum erstenmal vorkam, war es doch ein so seltener Fall, daß er bald den allgemeinen Gesprächsstoff bildete. Wenn man auch keinen einzelnen mit Sicherheit als den Täter bezeichnen konnte, so herrschte doch über den Kreis, der dahinter stand, kein Zweifel. Und daß Barney einer der Haupträdelsführer sein müßte, dessen fühlte man sich so sicher, daß sich Vater Parker von der Kanzel aus ohne den geringsten Zusammenhang mit seiner Predigt in scharfen Worten über Leute äußerte, die Unkraut unter den Weizen säten, indes die Unschuldigen schliefen. Während er dann in seiner Predigt fortfuhr, schickte er einen bekümmerten Blick zu Barney hinauf, der in gelindem Halbschlummer droben auf dem Chor saß und erst merkte, daß dies auf ihn ging, als die halbe Gemeinde teils vorwurfsvolle, teils ermunternd blinzelnde Blicke auf ihn heftete.

Aber er gedachte der alten Wahrheit, daß leicht «auch ein Narr, wenn er nur den Mund hält, für weise», ja sogar für unschuldig gehalten wird; und darum hielt er den Mund, obwohl er unschuldig war. Er kannte aber diesen Landstrich auch viel zu gut, um nicht zu wissen, daß jedes Leugnen zwecklos gewesen wäre. Ganz abgesehen davon, tat es ihm um Sir Henry nicht leid. Und zwar aus verschiedenen Gründen. War dies doch der Edelmann, der es so gut verstand, seinen Vorsitz im Tierschutzverein mit der Herzensneigung für seine große Koppel Jagdhunde zu vereinen, wie auch mit dem Aufkaufen von alten ausgedienten Eseln, die er um ein Spottgeld von den Zigeunern und Pfannenflickern erstand. Ein wesentlich wichtigerer Grund für Barney lag aber darin, daß er Engländer war; und wenn er nicht schon längst, wie so viele andre, die Aufforderung erhalten hatte, das Land binnen ein paar Tagen zu verlassen, so dankte er das nur seiner großen Verarmung. Man hielt es eben der Mühe nicht für wert, seinen Grund und Boden zu enteignen, solange noch besseres Land dafür zur Verfügung stand. Für Sir Henry aber wäre es vielleicht angenehmer gewesen, die Sache schon hinter sich zu haben, denn es ist wirklich kein beneidenswerter Zustand, jeden Abend in dem fast sicheren Vorgefühl zu Bett zu gehen, daß man nachts herausgejagt, oder einem gar das Haus überm Kopf angezündet werden könnte.

Damit hatte nun Barney nichts zu schaffen; hingegen war er einer der Führer der Grund- und Bodenbewegung, oder befand sich doch mindestens unter den für deren Leitung Ausersehenen. Und diese Bewegung wurde in der nächsten Zeit ungemein lebhaft. Wohl äußerte sie sich auch in der Absendung von Briefen, in denen Leute bei Todesstrafe aufgefordert wurden, ihren Besitz unverzüglich zu verlassen. Aber das war nicht die Hauptsache. Wichtiger schien es, die Bauern dazu zu bringen, den Behörden die Steuerzahlung zu verweigern. Und dazu gehörte weiter nicht viel. Einesteils liegt das Verlangen nach einem Höchstmaß an Freiheit in der menschlichen Natur begründet, andrerseits mußten die Bauern hier für alles mögliche Steuern zahlen. So wurde denn bald allgemein erklärt: «Wir sind Mitglieder des Bundes der Steuerverweigerer und wollen an unserer Sache nicht zum Verräter werden.» Das wollten sie schon deshalb nicht, weil Ernte und Besitz solch eines Verräters in ständiger Gefahr geschwebt hätten.

Wenn Barneys Haltung in dieser Sache sehr wenig folgerichtig war, weil er sich darin beinah ganz auf die Seite der Meergrünen stellte, so lag das an seinem leidenschaftlichen Interesse für den Aufbau, aber auch an seinem noch größeren Interesse für die Grund- und Bodenfrage. Diese Haltung wurde in der Tat als ein schmählicher Versuch Barneys betrachtet, in die Reihen seiner einstigen Kameraden zurückzukehren. Doch focht ihn das weiter nicht an. Er berief eine öffentliche Versammlung ein, und dort wurde ein Beschluß angenommen, der sehr bezeichnend war:

« Wir Pächter auf den Nolanschen Gütern protestieren energisch gegen jede gerichtliche Vorladung vonseiten eines Freistaates, dessen Recht auf Steuererhebung wir nicht anerkennen. Und wir werden Haus und Hof mit allen Mitteln verteidigen, solange es hier noch ‹ conáns gráin› (Granit) gibt. Auch weigern wir uns künftig, mehr als die halbe Pacht für unsern elenden Boden zu bezahlen, solange wir nicht den zum Düngen äußerst notwendigen Moorgrund und Tang samt 600 Acres Bergland und 80 Acres Viehweiden bekommen haben von dem Land, auf dem der Gutsbesitzer jetzt sein Mastvieh züchtet.»

Dieser Beschluß wurde mit großer Begeisterung angenommen. Und mit der gleichen Begeisterung wurden rings im Land Hunderte von solchen Beschlüssen angenommen, teils weil Beschlüsse, die Forderungen stellen, immer angenommen werden, teils weil man das Geforderte auch wirklich dringend brauchte.

Selbst Maggie Phelan wohnte der Versammlung bei, und zwar in «Mutter Whelans Schal», den man dort im Westen trägt. Sie sagte, als sie wieder daheim saßen, zu Barney: «Wenn das durchgeht, sind wir alle gerettet.»

«Na, wir sind doch nicht so schlecht dran, daß wir eine sofortige Rettung brauchten. Wir haben genügend Futter und unser rechtschaffenes Auskommen. Schlimmer aber steht es um die Leute droben in den Bergen mit ihren Rattennestern voll von Jungen. Weiß der Himmel, wie die durchkommen.»

«Wenn du einen größeren Hof kriegtest, könnte ich hierbleiben!» meinte sie.

Er sah sie forschend an und entgegnete: «An was fehlt's denn hier? Ist nicht Platz genug da für uns beide?»

«Freilich!» sagte sie hart.

«Na also! – Du hast schon einmal so was angedeutet; aber du kannst sicher sein: wenn Kitty will, kommt sie noch dies Jahr im Sommer!»

«Zur Bäuerin wird sie sich ja großartig eignen. Glaubst du, die melkt gern und geht gern aufs Feld?»

«Ach, sie hat früher gemolken und wird das schon wieder können. Im übrigen darfst du wohl auch was tun, selbst wenn sie da ist.»

«Ja, laß nur die Alte die Arbeit machen und die Junge die Gnädige spielen!»

«Wenn du meinst, du kannst mich wild machen, wirst du wenig Glück haben!»

«Paß auf die Büchsen auf, mein Junge! Kann sein, daß du dich verrechnest!»

Barney sah sie fest an und sagte: «So was hättest du nicht sagen dürfen, als der alte Peadar Phelan noch lebte!»

Auch der Zigeunerjunge Larry musterte sie aufmerksam, und sein Blick glitt von ihr zu der Büchse an der Wand hinauf.

Da erhob sich Maggie schnell und ging in die Küche hinaus, aber bald darauf kam sie wieder und erklärte, es täte ihr leid, daß sie das gesagt hätte.

 

2

Das Dasein des Zigeunerjungen Larry hatte etwas Zwiespältiges. Eigentlich wohnte er bei dem kleinen Jimmy Malone, aber er hielt sich ebensoviel bei Bombay, dem indischen Soldaten, und an andern Orten auf. Und nicht selten machte er auch einen Abstecher nach Rotkreuz hinaus.

Gegen geordnete bürgerliche Verhältnisse empfand Larry eine an Haß grenzende Abneigung. Das war ein Erbteil von seinem Vater her. Seitdem Pat einmal mit zwölf Jahren wegen Diebstahls im Gefängnis ausgepeitscht worden war, hegte auch er diesen Haß. Einem ähnlichen Schicksal war jetzt Larry ziemlich nah gewesen, ihm aber doch noch im letzten Augenblick entwischt. Der einzige, zu dem er Zutrauen fühlte, war Bombay, und er hatte es fertiggebracht, dem indischen Soldaten einen Dienst zu erweisen. Und zwar bei einem nächtlichen Unternehmen, dessen Zweck in Dunkel gehüllt blieb, und bei dem Larry durch ein Glasdach in den Lagerraum einer Apotheke hinuntersauste, wo er eine Flasche mit Glasstöpsel fand, die er gewohnheitsmäßig einschob. Als er daran roch, merkte er, daß der Inhalt kaum etwas für ihn war, und so schenkte er die Flasche als guter Freund seinem älteren Kameraden. Den Rest der Geschichte aber gab der Holländer zum besten, und zwar folgendermaßen: «Man wird vielleicht sagen, es ist Schwindel, was ich erzähle. Auch recht. Ganz wie Sie wünschen. Also: Bombay schneidet schon seit lange Katzen die Leber heraus, vor allem schwarzen Katzen – immer ein Dutzend auf einmal … Die kocht er dann, verbrennt sie zu Kohle, vermahlt sie zu einem feinen Pulver, tut dies in Apothekerkapseln und verkauft die an Frauen, deren Männer in puncto Liebe etwas kühl geworden sind, oder deren Liebhaber die gewünschte Spannkraft vermissen lassen. Katzen wird es hier im Bezirk bald fast keine mehr geben, vor allem keine schwarzen. Anfangs benutzte er zum Anlocken Baldrianwurzel, denn Schüsse machen bei diesen Zeiten zu viel Aufsehen. Später nahm er Gift, aber dabei ging zuviel Federvieh mit drauf. Das sicherste war, sie mit Milch anzulocken, sie dann in einen Sack zu stopfen, mit heimzunehmen und dort umzubringen, wobei ihm Larrys Flasche gute Dienste tat, wenn auch jeder, der's probiert hat, weiß, daß allerhand dazu gehört, eine Katze mit Chloroform ums Leben zu bringen. Jetzt hat er aber den Dreh schon besser los.»

«Ganz abgesehen von Ihrer Geschichte», sagte Jimmy Malone. «Wollen Sie wirklich behaupten, daß Larry in allem Ernst durch das Glasdach gefallen ist?»

«Ehrenwort! Dazu noch, ohne sich zu schneiden oder richtig wehzutun. Diese Sorte Katzen fällt immer auf die Füße!» entgegnete der Holländer.

«Dann muß er da raus!» sagte Jimmy sehr bestimmt.

«Unsinn! Bitten Sie Bombay, daß er auf ihn aufpaßt.»

«Nein, er muß raus!»

«So hab ich Sie überhaupt noch nicht gesehn, seit wir uns kennen. Was ist denn nur los?»

«Was los ist? Daß hier ein Mensch, ein kleines Menschenkind obendrein, auf Abwege geraten ist, und ich bin für ihn verantwortlich und kann meiner Verantwortung nicht nachkommen. Also muß er da raus!»

«Aber wohin denn, Jimmy?»

«Kinderbewahranstalt, mein ich. Das muß die Polizei wissen.»

«Aus der Kinderbewahranstalt brennt er durch.»

«Dann in die Zwangserziehung!»

«Da wird er zum Verbrecher.»

«Ja, was fangen wir dann mit ihm an, liebster, bester Holländer?»

«Das will ich Ihnen sagen: lassen Sie Bombay kommen und reden Sie vernünftig mit ihm. Er ist der einzige, zu dem der kleine Gauner Vertrauen hat.»

«Wir können das Lamm doch nicht dem Wolf überliefern!»

«Alle Heiligen seien uns gnädig! Und ich hab immer gemeint, Sie hätten etwas Menschenkenntnis … Erstens ist Bombay kein Wolf, und zweitens ist Larry kein Lamm, sondern ein kleiner Gauner von einem Zigeunerjungen, und so passen sie gut zusammen. Reden Sie also vernünftig mit Bombay! Oder soll vielleicht ich …? Für mich tut er schon was!»

«Tun Sie's, alter Freund!»

 

3

Also wurde Larry nicht fortgeschickt, aber er geriet für eine Zeitlang in den Hintergrund, bis er dann plötzlich mit überlegener Selbstverständlichkeit die Hauptrolle übernahm, für die er geboren zu sein schien. Sein einstweiliger Pflegevater aber machte sich weiter mit den Puppen in seiner Schublade und den komischen Sachen zu schaffen, die in den Zeitungen aufzustöbern er ein so großes Talent hatte. Besonders die Frauenseite amüsierte ihn, wo unerschrockene Damen dem Bürgerkrieg und der Not trotzten und gute Ratschläge erteilten: «Bewahre immer dein Gleichgewicht! Sei auf alles vorbereitet! Trage Weiß, wo das irgend möglich ist!» Auch dünkte es Jimmy eine höchst bemerkenswerte Tatsache, daß man sich in Abessinien krähende Hähnchen hält, um die Elefanten zu verscheuchen; was ja auch wirklich bemerkenswert ist. Ein anderes Steckenpferd von ihm war das Zeichnen, und da war es ihm geglückt, einen unübertrefflich schönen Pudelhund in weniger als zwei Minuten aufs Papier zu zaubern.

Eine wirkliche Überraschung aber bereitete er einem kleineren Kreise mit der verschämten Mitteilung, daß er ein Gedicht verfaßt hätte. «Eine Art Gedicht!» sagte er, ohne zu ahnen, daß das Spiel seiner Finger mit der Zigarette genau so gut ein Gedicht war wie die Bewegungen eines Vollblutpferdes in der Hürde. «Natürlich ist das nicht ein Gedicht, wie Dichter es machen. Aber wenn ich das selber sagen darf, scheint es mir gar nicht so übel. Es heißt: Ein Rat an den Häuptling

«Lies vor!» sagte Barney, und der kleine Mann, der selbst niemals ein Häuptling werden konnte, machte sich daran und las den Rat vor, der nach seiner Meinung einem solchen Manne von Nutzen sein konnte:

«Geize mit deinem Lächeln, Erwählter der Götter!
Für Gold kannst du Kriegsvolk dir kaufen,
mit Kriegsvolk den Feind dir fangen und fesseln.
Das Lächeln aber, selbst der Frauen billiges
Lächeln, flicht leichte und zähe Ketten gebietenden
Männern um Hals und Hüften. Doch Zügel und Peitsche
zugleich und Versprechen und Lohn ist das seltene
männliche Lächeln, einer kostbaren Münze vergleichbar.
Und treibst du ein Volk als Zugtier vorm Wagen der Ehre
durch den Sumpf der Entbehrung, und sitzt du als Reiter
Hunger auf des Inselvolks Roß und jagst es mit
triefenden Sporen über die Stätte öder Verzweiflung,
dann fühlt sich das Volk durch dein kühles, kostbares Lächeln
und durch das Schnalzen von zwei deiner knochigen Finger
fürstlich belohnt für Hunger und Not.
Schütte verschwenderisch aus Gold, Titel und Rang
und alles, was Menschen versklavt –
Doch geize bis in den Tod mit der Münze der Münzen:
dem Lächeln!»

Als der kleine Mann mit seiner Glockenstimme fertig gelesen hatte, sah er sich befangen und erwartungsvoll um. «Schund, was?» fragte er.

«Das ist fabelhaft!» versicherte der Holländer, und seine Stirnfalten glichen den Rillen eines Waschbretts, was stets ein untrügliches Zeichen dafür war, daß er es ernst meinte. Dann blickte er fragend zu Barney hinüber, der grade dabei war, sich Tabak zu schneiden und seine Pfeife damit zu stopfen.

«Wer ist das eigentlich, den du da meinst in dem Gedicht?» fragte er dann Jimmy.

«Rat einmal!» entgegnete dieser.

«Hm! Ist das vielleicht Dev?»

«Erraten!» rief der kleine Mann begeistert. «Wird das so deutlich?»

«Selbstverständlich!» rief der Holländer. «Nur daß man de Valera wahrhaftig nicht erst bitten muß, mit seinem Lächeln zu geizen. Er übertreibt's damit wirklich nicht!»

«Es war ja auch nur so … allgemein gedacht. – Übrigens … hab ich da noch mehr im Papierkorb … wenn's meine Haushälterin nicht mitgenommen hat. Sie hat nämlich die Gewohnheit, den Korb jeden Morgen zu zensieren – die flinke, kleine Frau. Sie wiegt nicht mehr als achtzig Pfund, alles in allem … Treppauf, treppab vom Morgen bis zum Abend, unbegreiflich, wie sie das kann … Aber hier ist es, wahrhaftig!»

Und so bekamen sie auch das noch zu hören. Draußen vor dem Fenster aber stand ein hoher gelber Schornstein festlich leuchtend gegen den schwarzen Himmel. Und dann spielten sie erst Fünfundvierzig und nachher Fünfundzwanzig – Spiele, denen die Irländer ebenso leidenschaftlich ergeben sind wie die Chinesen dem Puk-a-pu und die Westjüten dem Poker. Und diese Spiele zu verbieten, wäre ebenso widersinnig, wie einem Gockel das Krähen zu untersagen. Und als man heimging, ließ man Jimmy in der Überzeugung bestärkt zurück, daß alle seine weißen Seiten nach Tinte dürsteten. Der Wind war kalt wie Naphtha, als sie sich trennten – Barney, um in die Messe, der Holländer, um auf die Handelskammer zu gehen.


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