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Dreizehntes Kapitel

 

1

Als Barney endlich heimkam, befand er sich in einem bedauernswerten Zustand. Er war völlig erschöpft und die Kleider hingen ihm in Fetzen vom Leibe, er trug viele Brandwunden und hatte sich die eine Schulter verrenkt. Auch war sein seelisches Gleichgewicht nicht mehr ganz in Ordnung. Aber er gehörte ja zu einem Menschenschlag, der nicht an den Folgen übermäßiger Verzärtelung leidet, und so machte er aus dem, was ihm widerfahren war, auch nicht viel Wesens. Maggie Phelan dagegen rang die Hände und heulte wie ein betrübter Seelöwe. Als Barney sie aber mit schwacher Stimme bat, doch ruhig zu sein, brachte sie das ohne große Schwierigkeiten fertig. Bald darauf stellten sich ein paar von den schrecklichen Menschen ein, die immer in unsern dunkelsten Stunden mit ihrem Trost auftauchen; doch Barney hatte nicht das geringste Bedürfnis nach ihrem Trost, denn ihn quälte einzig und allein der Gedanke, daß Roddie bei dieser Sache die Hand im Spiel gehabt haben könnte. Und als er den Vorfall rund ein Dutzend Mal hatte erzählen müssen, schien ihm dieses fast schlimmer als das ganze Erlebnis.

Übrigens war die Beschreibung, die die Zuhörer von der Sache machten, viel lebendiger als seine eigene. Es mußte doch wahrhaftig ein fabelhafter Anblick gewesen sein, wie der Zug so mit zunehmender Geschwindigkeit in die sinkende Nacht hineinraste und in der Talsenke hinter der Haltestelle verschwand, und wie dort das Fehlen des Lokomotivführers dann die unmittelbare Wirkung hatte, daß der ganze Zug nach rechts vom Damm abstürzte und aus der Ferne gleich einem funkelnden Kometen durch die kühle Abendluft leuchtete und vom ersten bis zum letzten Wagen einer einzigen Feuerschlange glich, als die hinter ihm dreingeschickte Draisine bei ihm ankam. Barney hatte man dann ein Stück weiter in halb bewußtlosem Zustande gefunden, wie er auf dem Boden kriechend nach einem Weg suchte, der ihn nach Hause führen könnte. Schließlich war auch noch die Sanitätsmannschaft und die Polizei erschienen, Leute von ziemlich geräuschvoller Energie, die nach Ansicht der Ahnungslosen die Verbrecher binnen kurzem erwischen würden. Sie brauchten ja einfach sämtliche Straßen zu bewachen und die ganze Umgegend, von Hof zu Hof, sozusagen mit dem feinen Kamm durchzukämmen.

Barney freilich wußte das besser. Er wußte genau, was die Justiz wert war, wenn es sich um «politische Verbrechen» handelte. Roddies Namen aber zu nennen, würden sich einfach seine Lippen sträuben. Eher würden ihm Widerhaken wachsen und es verhindern, daß grade diese Laute seinen Zähnen entschlüpften. Und als verschiedene Leute dem Offizier vom Dienst so etwas angedeutet hatten, weigerte sich Barney, über diesen Punkt etwas auszusagen. Worauf der Offizier Barney wegen solch einer vornehmen Gesinnung seiner größten Hochachtung versicherte und – sich empfahl.

Auch Vater Parker suchte Barney auf, äußerte sich sehr erregt über den Tiefstand der Moral im Lande und – ging zum Teetrinken heim. Vorher aber sagte er noch, es sei ja ganz gut und schön, die Irregeleiteten in Schutz zu nehmen, es sei aber ebenso blödsinnig, Kanonen mit Rosen zu bekränzen, wie mit Kanonen auf Rosen zu schießen. Und dann machte er mit seiner kleinen Kamera, mit der er die Dorfkinder zu photographieren pflegte, noch eine Aufnahme von Barney, die eine Woche später in der Tribüne erschien. Barney kam sich darauf wie «eine einsame Seele in zu großen Galoschen» vor, die ihn an der Flucht hinderten, so daß er sich wehrlos darein schicken mußte, ein ermunterndes Lächeln und freundliche Wünsche von Leuten entgegenzunehmen, gegen die er unglücklicherweise nicht einmal was hatte.

 

2

Als er Roddie wiedersah, versicherte ihm der, daß er nichts mit der Geschichte zu tun gehabt hätte, was allem Anschein nach auch der Wahrheit entsprach. «Ich hätte jetzt wirklich keine Angst, es dir zu sagen, ganz abgesehn davon, daß man, was man unter vier Augen zugibt, jederzeit unter sechs leugnen kann», erklärte er. Und dieser orientalische Gedankengang paßte so gut zu Roddie, daß man an seiner Ehrlichkeit kaum zweifeln konnte. Die Leute in der Stadt aber, die ihre Weisheit aus den Zeitungen bezogen, so wie andere die Gerichte von der Speisekarte her kennen, ohne sie versucht zu haben, mißtrauten ihm und hätten ihn mit Vergnügen als Geisel festgehalten, bis die Täter gefunden wären.

Barney hingegen sagte nach der Unterredung mit Roddie lächelnd: «Wenn er ein Lügner ist, bin ich auch einer. Und zwar ein doppelter.»

Maggie aber erklärte: «Ich trau dem Kerl nicht! Er hat Barney gedroht. Ich hab es selber gehört. Und was Ordentliches gearbeitet hat er in seinem Leben noch nicht. Er ist ein Tunichtgut.»

«Und mir hat er einmal die Lachsreusen ausgeräumt und meine Fische verkauft!» berichtete ein alter Knabe, aber diese Aussage stand auf schwachen Beinen; denn als einer den Mann fragte, wo er denn seine Reusen gehabt hätte, stellte es sich heraus, daß der betreffende Fischgrund ein paar schottischen Pächtern gehörte. Also war dies nicht grade der richtige Kläger, und Roddie bekam wieder Oberwasser.

«Er ist damals den ganzen Tag zu Hause gewesen», versicherte seine Wirtin.

«Das kann er schon so geschoben haben!» sagte Maggie Phelan.

Aber die Sache wurde schließlich über andern Dingen vergessen. Beispielsweise wurde ein Großbauer bei Nacht aus dem Bett geholt und geteert und gefedert. Und als man ihm auf diese Weise warm gemacht hatte, ließ man ihn mitten auf dem Hauptmarkt der Stadt laufen. Die Polizei suchte wohl nach den Tätern, fand sie aber nicht. Und so ereignete sich noch allerhand. Eine neue Seuche brach aus: man schnitt den Mädchen die Haare und den Pferden die Schwänze ab, und die Polizei plagte sich mit gerunzelten Brauen im Schweiß ihres Angesichts, doch – ohne den kleinsten Erfolg.

 

3

Es wurde also niemand erwischt, obwohl man nach allen Richtungen fahndete. Und mit Ausnahme der Polizei, und zwar der offiziellen, hatte das ja auch kein Mensch erwartet. Während manche verstohlen darüber lächelten, lachte der Holländer unverfroren. Er verhöhnte die Irländer offensichtlich und sagte: «Ihr habt wirklich einen ganzen Packen gesunden Menschenverstand mitbekommen. Ihr habt Moore mit der Kontrolle der Dubliner Unterwelt beauftragt und ihr macht euch in englischen Diensten beinah in der ganzen Welt nützlich. Stößt man doch überall fast ebensooft auf Irländer wie auf Skandinaven. Aber vor diesem Polizeistückchen ist mir genau so zumut, als wenn man mir einen ganzen gebratenen Ochsen oder ein Faß Branntwein oder – eine Predigt von Dean Inge vorsetzte. Die ganze Stadt ist eine Flüstergalerie, und die einzigen, die nichts wissen, sind ausgerechnet die Leute, die von Amts wegen was wissen sollten.»

«Es ist stets eine besondere Aufgabe für mich gewesen, die zwei Seelen des Irländers zu bewundern!» erklärte er Jimmy Malone bei einem Besuch. «So bewundre ich Fräulein Quinn, die ihre Kanarienvögel liebt und gleichzeitig ihre jungen Freunde anfleht, einander totzuschlagen. Sie ist Vorsitzende eines Vereins gegen Mißhandlung der Esel und Vorsitzende des örtlichen Cumann na mBan. Und da gibt es noch Leute, die sich über die Farblosigkeit des Daseins beschweren! Es entspricht durchaus meiner Anschauung, daß ein Eselrennen eine Tierschinderei ist, auf der einen Seite aber dürfen Irländer selbstverständlich nach Strich und Faden geschunden werden. Doch mag es nun gehen, wie es will, sie sind einfach nicht totzukriegen und kommen schon durch.»

Ein paar Leute faßten den Plan, die Vergangenheit des Holländers etwas genauer zu untersuchen, und erwogen die Möglichkeit einer Entführung, um sich auf diese Weise Mittel für die Fortsetzung des Krieges zu verschaffen. Bei ihren Nachforschungen entdeckten sie, daß er sich vor vielen Jahren mit Literatur beschäftigt und sich 1903 in Belgien an einer ziemlich lebhaften Diskussion darüber beteiligt hatte, ob man dicken oder dünnen Büchern den Vorzug geben sollte. Die Debatte hatte gut drei Jahre gedauert, und am Ende hatten die Schriftsteller herausgefunden, daß es von beiden Arten gute und schlechte Bücher gibt, was die Leser schon seit Jahren gewußt hatten. Dann war der Holländer nach Irland übergesiedelt, wo man wieder andre Fehler hat, aber immerhin doch ein gewisses Maß Intelligenz. Und hier war er vortrefflich gediehen.

Jimmy Malone hob seinen dünnen, fast mikroskopisch winzigen Zeigefinger und fragte: «Mein lieber Holländer, wollen Sie vielleicht behaupten, daß wir rückschrittlicher als andre Völker sind?»

Der Holländer erwiderte in beinah herzlichem Ton: «Im Gegenteil, Sie sind viel fortschrittlicher! Und wenn unter uns von Irländern die Rede ist, so bitte ich Sie, lieber Jimmy, nicht zu vergessen, daß Sie für uns einer von den dreizehn Christen in Irland sind. Halt! Pater Aloysius ist Nummer vierzehn. Aber er ist ein Heiliger. Die Menschen im allgemeinen aber sind Jekyll und Hyde – verstehn Sie, wie ich das meine? – und Kain und Abel. Aber wer ist Kain? Und wer ist Abel? Die Leute, die in ein paar Monaten Collins und Griffith um die Ecke bringen werden, oder die, die den Vorteil aus ihrem Tod ziehen? Namen zu nennen, ist überflüssig. – Und die andern, die unsern Freund Barney auf diese Marterfahrt mitgenommen haben? Gar nicht zu reden davon, daß ihn jetzt jeder x-beliebige einen Verräter an der Republik nennen kann. Als ob wir nicht alle wüßten, daß Besonnenheit die besten Früchte für das Land tragen würde.»

So lief das Ganze auf ein paar kleine «Nekrologe» über Barney hinaus. Es herrschte Einigkeit darüber, daß er nicht grade in der vordersten Reihe gestanden hatte, daß dies jedoch eigentlich kein Fehler sei. Wir können ja nicht alle in der vordersten Reihe stehen. Aber er hatte, was leicht nachzuweisen war, bei verschiedenen Gelegenheiten die Flagge gehißt; und wenn er auch nicht buchstäblich Tag und Nacht auf den Barrikaden verbracht hatte, so war doch «Barrikade» stets ein Lieblingswort von ihm gewesen. Auch über die Stellung, die der irischen Sprache gebührte, wurde gesprochen. «Sie gleicht einem guten alten Dienstboten!» meinte einer. «So einem, der seit Menschengedenken in einem Hause gedient hat und vielleicht auch noch in Zukunft hilfreich, ja, von Nutzen sein kann, obwohl das auch wieder recht zweifelhaft ist, wenn man sein Alter bedenkt!» Die ganze Unterhaltung endete aber leider damit, daß Bombay die Treppe hinuntergeworfen werden mußte, weil er plötzlich Amok lief und sich zur größten Überraschung der Gesellschaft ziemlich erbittert darüber äußerte, daß Irland sich grade einen solchen Augenblick gewählt hatte, um England in den Rücken zu fallen. Bombay hatte dem Imperium eben zu lange gedient, als daß seine Sympathien noch rein vaterländisch hätten bestimmt sein können. So endete das Ganze damit, daß der verabschiedete Pfarrer plötzlich ohne ein Wort aufstand, Bombay am Genick packte und ihn mit einem Fußtritt die Treppe hinunterwarf, und seinen Hut und Stock hinterdrein.

«Wie ein Affe ist Irland England in den Nacken gesprungen, grade als es keinen Arm zur Verteidigung frei hatte», schrie Bombay durchs Treppenhaus hinauf.

«Wie eine Krähe besudelst du dein eigenes Nest!» tönte es aus dem Munde des Pfarrers zurück.

Als hierauf die Gangtür mit einem Krach ins Schloß gefallen war, wurde es so still, daß man hätte eine Puderquaste zu Boden fallen hören können, und Jimmy Malone lenkte das Gespräch auf die schändliche Entführung Barneys ab. In seiner Phantasie tauchte immer wieder das Bild des brennenden Zuges auf mit den vier Wagen, die sich wie ein Fernrohr ineinandergeschoben hatten und abgestürzt waren, wobei es Barney wie durch ein Wunder in kurzem Bogen aus dem Güterwagen geschleudert hatte, in dem er gefesselt lag. Roddie aber wurde allgemein verurteilt, und man war sich darin einig, daß es ja immer Leute gibt, die ganz kaltblütig zusehen, wenn ein alter Freund von ihnen durchs Abflußrohr weggeschwemmt wird.

 

4

Der Gegenstand aller dieser Betrachtungen, Barney selbst, war vielleicht der, der am schnellsten über die ganze Begebenheit wegkam. In dieser Zeit nach dem Attentat, als er seine Wunden ausheilen ließ und gleichzeitig die innere Erschütterung zu überwinden suchte, führte ihn sein Weg oft zu Jimmy Malone hinauf; und dort lernte er mancherlei. Nicht zuletzt durch die – höchst unwissenschaftlichen – Wanderungen, auf die ihn der kleine Invalide mitnahm. Gehört es doch zu den Eigenheiten der Irländer, daß sie es nicht unterlassen können, sich mit den großen Völkern und deren tausendjähriger Geschichte zu vergleichen. Deshalb wird man auch stets finden, daß die irischen Zeitungen niemals die kleinen Nationen zum Vergleich heranziehen, obwohl es da manches zu lernen gäbe. Nein, das Frankreich Napoleons, das England Cromwells, das moderne Amerika – mit denen muß Irland verglichen werden, finden die Irländer. Und mit dem kaiserlichen Rom.

Wie war es aber in Rom? Wie Wasser- und Sauerstoff sich verbinden und zu Wasser werden, wie Wassertropfen sich sammeln und zum Flusse werden, so verschmolz bei den Römern der bis zur Selbstaufgabe gesteigerte Wille zu unbedingtem Gehorsam mit dem Willen, zu herrschen, und schuf so den glänzenden Eroberer. Und nur so allein war es möglich, daß die römischen Legionen jahrhundertelang die entlegensten Gegenden der damaligen Welt wie Ströme überschwemmen konnten, Ströme, die auf ihrem Wege alles vernichteten, aber Lebensspender in dem Augenblick wurden, wo sie ihr Bett gefunden hatten. Der Vergleich zwischen den dienenden und kämpfenden Legionen Roms und den ewig aufrührerischen Irlands war eine private Entdeckung von Jimmy Malone. Diese ewig revoltierende Sinnesart aber hatte ihren Grund in einem Mangel an nationaler Disziplin, die ihrerseits eine Folge der jahrhundertelangen Herrschaft der Clans und der für ihre persönlichen Zwecke immer wieder aufpolierten alten Schlagworte war. Und als Jimmy Malone nun Barney erklärte, daß die Iren stets einen Sippenkult nach imperialistischen Vorbildern getrieben hätten, fühlte sich Barney vollkommen davon überzeugt und entschloß sich rascher, als es sonst seine Art war, sich den Erwählten des Volkes zur Verfügung zu stellen. Aber Jimmy Malone nahm ihn auf andere Wanderungen mit.

Einer von Jimmys Lieblingsgedanken war, daß ein Volksheld nicht grade der sein muß, der am besten Revolver schießt oder es am besten versteht, sich niederschießen zu lassen. Wenn Jimmy diesen Gedanken vor den Leuten entwickelte, die ihn aufsuchten, um seinen Worten zu lauschen, so tat er das auf eine ganz besondere Art. Er hatte zu diesem Zweck ein gutes Dutzend Korken gesammelt, sie mit Armen und Beinen versehen und jedem einen Kopf aus einem Stück Kartoffel aufgesetzt. Jeder von ihnen stellte eine bestimmte Person dar und trug ihren Namen mit blauer Tinte auf dem Korkleib. Wenn es stimmt, daß Kleider Leute machen, war es um diese Herrschaften schlecht bestellt, denn sie waren splitternackt. Unter Jimmys Händen aber verwandelten sie sich in dem Augenblick, wo er zu sprechen begann. Natürlich war es eine Art Puppentheater, doch nicht das erste beste. Er griff etwa nach einem Korken weiblichen Geschlechts und erklärte: «Dies ist Frau Kelly, die unten an der Ecke Kohl verkauft. Wir wissen alle, was ihre Schwachheit ist, seit das Schicksal sie zur Witwe werden ließ. Aber bedenkt doch bitte, wie viele unsaubre Burschen in der Dämmerung an die Tür einer hübschen jungen Witwe klopfen und ihr in väterlichem Ton ihre Unterstützung anbieten – natürlich gratis! Oder die zuviel herausbekommen haben und das zurückzahlen wollen und sich beim nächstenmal dann selbst zu einer Tasse Tee einladen und später zu noch etwas mehr. Sollen meinetwegen die Leute Helden oder Schufte spielen, wie es ihnen am besten liegt, die Zuschauer aber hol der Teufel! Besonders die mit Freibilletts! Zum Teufel mit den Freibilletts! Frau Kelly ist kein Freibillett hier auf dieser Welt, und ein Zuschauer ist sie auch nicht. Was sie geleistet hat, um ihren Gemüseladen in Schwung zu halten und ihre beiden Rangen durchzubringen, ist einfach bewunderungswürdig. Meiner Meinung nach gehört sie zu den wahren Helden unsres Volkes, und wenn man einmal Medaillen verleiht, sollte sie eine bekommen.» Und damit holte Jimmy einen andern Korken aus der Schublade, nachdem er Frau Kelly in ein Stück Flanell gewickelt hatte. «Das hier ist Sarah Ryan, die drüben in der Stiergasse wohnt. Die ist eine Dichterin – oder glaubt das jedenfalls. Es ist ein schicksalsschwangerer Tag, wenn ein junges Mädchen das erstemal ein Gedicht in einem englischen Wochenblatt anbringt. Ich weiß wohl, der Holländer verlästert sie wegen der gemütvollen Art, mit der sie die Welt betrachtet. Er sagt, sie wäre entweder eine Humoristin von wahrhaft großem Format oder eine herzerfrischende Idiotin erster Klasse. Aber immerhin bringt sie sich ganz allein durch! Soviel ich weiß, hat sie noch nie jemand um Unterstützung gebeten. Und kein Mensch klopft nach Anbruch der Dämmerung an ihre Tür, wenn sie ihn nicht darum ersucht hat. Ist sie vielleicht was Geringeres als der Oberbürgermeister, der Bischof oder der Manufakturwarenhändler Holden? Nein, gewiß nicht!» Und hiermit wickelte Jimmy Sarah Ryan in Flanell und holte einen Herrn heraus. «Dies hier ist William Dorgan. Buchmacher und Amateur im nationalökonomischen Fach. Der Holländer und Bombay würden nun sagen: alle Querulanten sind Amateure im nationalökonomischen Fach. Das mögen sie besser wissen als ich. Ich weiß nur, daß William Dorgan ein trauriger Ökonom in seinen eigenen Angelegenheiten ist – er unterhält drei alte Leute, die ihm nicht einmal besonders dafür danken. Und von der Art gibts Tausende. Leute, die nur ihre Pflicht tun und das nicht für was Großartiges halten.» Und Jimmy holte als letzten noch einen Korken heraus, nachdem er den Buchmacher zu Sarah Ryan, Frau Kelly und den andern in die Schublade gesteckt hatte. «Hier ist eins von meinen herzigsten Püppchen. Der Mann lebt von einer Unterstützung – zehn Schilling in der Woche. Daß er das fertigbringt, darüber wundert sich dort oben, wo er wohnt, fast niemand, denn die meisten haben höchstens ebenso viel und sind alle mehr oder minder geprüfte Hungerkünstler. Aber, was ich sagen wollte: ich habe ihm meine Hilfe angeboten, und er hat sie abgelehnt. Nun gehöre ich im allgemeinen nicht zu den Leuten, die andern nachlaufen, aber in diesem Fall tat ichs. Er sagte aber wieder Nein. Nur Arbeit wollte er, und Arbeit gibts nicht, wie wir ja alle wissen.»

Mit ein paar weiteren Beispielen schloß Jimmy Malone sein Puppentheater und erklärte: «Liebe Kinder! Das Leben bleibt ja nicht stehen, weil wir Revolution machen. Die Menschen müssen was zu essen haben, ihre Abfälle müssen beseitigt und Messen müssen gelesen werden. Die Politik aber, die zur Zeit hier getrieben wird, bedeutet nichts andres, als daß die Maschine dem Zug davonläuft; und das kann zu nichts Gutem führen.»

Auf diese Wanderungen mitten unter das einfache Volk, dem man niemals ein Denkmal gesetzt hat, und das sich auch schönstens dafür bedanken würde, ließ sich Barney des öfteren mitnehmen.

 

5

Jimmy Malone, der es, wie er selbst sagte, nicht liebte, den Leuten mehr als einmal nachzulaufen, richtete es so ein, daß Barney vierzehn Tage in einem netten, rund fünfzig Kilometer von der Stadt entfernten Strandhotel verbringen konnte. Wem er das zu verdanken hatte, wußte Barney nicht, er glaubte es dem vagen Begriff «Freunde» zuschreiben zu dürfen. Die Leute, die er dort traf, gehörten jenem Typ an, den man gewöhnlich in Strandhotels trifft. So war da ein Ehepaar, das nicht grade besonders gut miteinander auskam, weil die Frau an der aufreizenden Gewohnheit litt, ihren Mann um Hundertschillingscheine zu bitten. Ferner waren ein pensionierter Major mit Malaria und die üblichen acht alten Damen da. Doch hatte Barney auch das Erlebnis, einem echten, mit allen Wassern gewaschenen Londoner Journalisten zu begegnen, von jener Sorte, die einem sofort erzählt: «In der Savoybar hab ich neulich den brasilianischen Gesandten getroffen, er sah vorzüglich aus und war glänzend aufgelegt», oder: «Bei einer Cocktail-Gesellschaft bei Frau Soundso hatte ich das Vergnügen mit dem berühmten Filmstar Fräulein Schwarzweiß zu sprechen, sie trug ein – ihr Schneider mag wissen, was es war.» Der Mann war also in der Tat ein Stück von dem, was Sinclair Lewis einen zweiköpfigen und dreischwänzigen Journalisten zu nennen pflegt. Das Gerücht seines Abenteuers war Barney vorausgeeilt, und so trat dies Musterexemplar seiner Gattung, ein Monokel im Auge und alle achtundvierzig Zähne zeigend, ihm mit ausgestreckter Hand entgegen.

«Ich höre, Sie haben furchtbare Dinge erlebt!» sagte der Zeitungsgewaltige. «Hoffentlich bleibt Ihnen kein dauernder Schaden davon!»

Barney musterte ihn mit beklommener Hochachtung und entgegnete: «Wenn man mit Pferden umgeht, kriegt man mitunter einen Tritt.»

Große Gedanken sind nie jung und werden nie alt. Als eine lebendige Verkörperung hiervon wirkte der bedeutende Mann, als er jetzt das Monokel aus dem Auge holte, es putzte und sagte: «Ist es Ihnen denn niemals eingefallen, daß man einen Schleifstein besser nicht mit dem Rasiermesser schneidet. Wir haben das schon auf dem Gymnasium gelernt.»

«Ich bin nie auf dem Gymnasium gewesen!» antwortete Barney. «Aber wir haben gelernt, England zu hassen. Und ob wir euch nun mit dem Rasiermesser oder dem Säbel schneiden, ist letzten Endes gleich. Und wenn wir auch in zwei Lager geteilt sind, wir hassen euch alle, und sobald wir den letzten Kampf gewonnen haben, werden wir immer einig sein im Kampf gegen das Imperium!»

«Drollig!» meinte der Engländer lächelnd. «Aber ist es nicht auffällig, daß wir in den Kolonien, ja selbst in England und Schottland, vorzüglich miteinander auskommen. Persönlich habe ich eine Menge meiner besten Freunde unter Irländern.»

«Nicht die Engländer sind es, die wir hassen, sondern das System, die Politiker.»

«Aber wir Engländer und das System sind doch eins, wir wählen ja unsere Politiker. Man kann doch nicht die Hand hassen und mit dem übrigen Körper auf gutem Fuß stehen.»

«Gut, dann hassen wir euch auch. Wie ihr wollt!»

«Nein, das ist es ja grade, was ihr nicht tut. Im Gegenteil! Ihr liebt uns. Nehmen Sie zum Beispiel mich. Können Sie mich nicht ganz gut leiden?»

«Wenn Sie mir beweisen könnten, daß Sie, als Beamter, zur Zeit unserer Erniedrigung nicht auf seiten der Unterdrücker gestanden hätten! Und wenn Sie mir zugeben, daß wir seit Menschengedenken schändlich behandelt worden sind!»

«Und wollen Sie nicht zugeben, daß Tausende von Engländern im Parlament und auch sonst für Irland gekämpft haben? Gladstone zum Beispiel, um nur einen zu nennen.»

«Und wollen Sie nicht zugeben, daß ihr uns jahrhundertelang unter die Füße getreten, unsere Kirche mißhandelt, unsere Kultur verstümmelt und schließlich unsere Sprache ausgerottet habt? Und daß wir heutzutage noch mit allen Mitteln um den Grund und Boden kämpfen müssen, den eure englischen Vorfahren an sich gerissen haben?»

«Wie wär's mit einem Whisky?» fragte der Engländer, und das Gespräch nahm in der Hotelbar seinen Fortgang. Am Sonntag darauf aber stand ein äußerst freundlicher Artikel in der Wochenschau eines Londoner Blattes, der folgendermaßen begann: «Jedesmal, wenn ich solch einem jungen Irländer aus den untern Volksschichten begegne, bin ich immer wieder von seinem einnehmenden und offenherzigen Wesen überrascht. In der Bar des Hotels, dessen Gastfreiheit ich während meines letzten Aufenthalts drüben genoß, habe ich kürzlich einen von ihnen getroffen. Wenn er den Befehl dazu bekäme, würde er sich heute abend noch in einen Hinterhalt legen und mich niederknallen, vorher aber höflich um Entschuldigung dafür bitten, daß er leider verpflichtet sei, diese kleine Änderung in meinen Verhältnissen vorzunehmen. Auch würde er sich erbieten, einen Priester zu holen, oder mir vielleicht die Wahl lassen zwischen einem Whisky und einem Priester. Ein merkwürdig zwiespältiges Volk! Ich fragte ihn auch, ob er denn die gegenwärtige Entwicklung mit optimistischen Augen betrachte, und er antwortete mir: ‹Ein vornehmer Optimismus besteht darin, daß wir die Schneide all unserer Hoffnung wider alle vorhandenen Zweifel und Befürchtungen kehren!› Nun wird der Leser vielleicht einwenden, so drücke sich ein irischer Bauernknecht nicht aus. Nun! Der Leser hat immer recht! Aber er sagte wirklich etwas Ähnliches. Ein wunderliches und anziehendes Volk. Ein Menschenschlag, mit dem man sich leicht anfreundet.»

 

6

Als die betreffende Nummer der Zeitung Barney in die Hände kam, war er schon wieder daheim. Des Müßiggangs und des Luxuslebens müde, hatte er schon drei Tage früher, als ursprünglich beabsichtigt, dem Hotel Lebewohl gesagt und war mit dem Autobus in ein paar Stunden zu Hause gewesen. Dort kam er gerade im richtigen Augenblick auf den Hof. Ein Mann aus der Nachbarschaft hatte ihm nämlich vor seiner Abreise versprochen, der Tante in der Wirtschaft zur Hand zu gehen, und hatte das auch gewissenhaft getan, nur vielleicht seine Hilfsbereitschaft etwas übertrieben, denn ziemlich verdutzt sah Barney ihn jetzt mit einem Eimer voll einer roten Flüssigkeit daherkommen. Obwohl Barney sofort wußte, was für eine Art Flüssigkeit das war, fragte er doch in verblüfftem Ton: «Du lieber Himmel! Was ist denn das?» Der Mann, der sicher das Pulver nicht erfunden hatte, erwiderte selbstbewußt: «Blut. Schweineblut unten aus dem Schlachthaus.»

«Und was tust du damit?»

«Schweine füttern. Das ist ein neuer Versuch. Viele sind begeistert davon, und ich hab auch das Gefühl, daß sie dabei besser gedeihen.»

«Was fällt dir denn ein, hier neue Sachen einzuführen, wenn ich für vierzehn Tage verreise? Ich will sie nicht mit Blut gefüttert haben!»

Der andere stand und stierte mit trotzig weinerlichem Ausdruck vor sich hin und wendete ein: «Manche geben ihnen auch das abgestandene Bier aus den Schenken. Dabei setzen sie schnell Speck an und sind immer guter Laune. Und gut bei Laune gehalten ist schon so viel wie halb gefüttert.»

«Wenn du das nicht sofort weggießt, kriegst du auch was, was dich die nächsten drei Tage bei guter Laune hält!» versetzte Barney und gab dem Eimer einen Tritt, daß sich der Inhalt über den Mann ergoß.

Der Trotz im Gesicht des andern machte für einen Augenblick einer dumpfen Wut Platz, er ballte die Faust und schrie: «Das ist also der Dank dafür, daß man dir hilft. Aber das vergeß ich dir nicht. Das nächstemal, wenn wieder einer mit der Büchse in der Hand hier oben rumschleicht, deck ich dich nicht, darauf kannst du dich verlassen!»

«Hübsch, eine Laus bellen zu hören!» sagte Barney. «Aber mir Angst zu machen, probier lieber nicht! Wer ist hier oben rumgeschlichen? Wer war es also?»

«Das erzähl ich dir, wenn dein Kopf mal nicht mehr so geschwollen ist, und damit Gottbefohlen!»

Barney lächelte gutmütig, denn seine Hitze hatte sich schon gelegt, und er war eben im Begriff, ins Haus zu gehen, als Herr Burke, der harmlose Dorftrottel, daherkam. Er erzählte, daß er ein Päckchen Stecknadeln gefunden hätte, und wollte Finderlohn dafür haben. Herr Burke war ein siebenjähriges Kind mit Vollbart, und als er sein Geld bekommen hatte, sagte er auf die ihm eigne betuliche Art: «Du, Barney, ich hab ihn gut gesehn. Frag nur immer den Burke!»

«Wen hast du gesehn, Burke?» fragte Barney.

«Den Mann mit der Flinte.»

«Wie konntest du den denn sehen? Du hast natürlich wieder hier in der Scheune rumgelegen. Du weißt, daß ich das nicht dulde!»

Herr Burke machte ein schuldbewußtes Gesicht und entgegnete: «Ich wollte bloß ein bißchen drin schlafen.»

«Der hat hier sicher nur Hasen schießen wollen; laufen ja genug davon zur Dämmerstunde in der Gegend rum», meinte Barney. «Aber dem wird jetzt auch ein Ende gemacht!»

Herr Burke aber schüttelte den Kopf: «Nein, nein. Es war der Kerl, der auf dem Dings da spielt …» Er machte Bewegungen, als spiele er auf einem länglichen Instrument, und stieß dazu ein paar sonderbare Laute aus, die keinem der Töne eines landläufigen Instruments ähnelten.

«Ein Dudelsack?» fragte Barney.

Burke schüttelte den Kopf und spielte weiter.

«Vielleicht ein Saxophon? Weißt du, was ein Saxophon ist?»

Es war also ein Saxophon gewesen, und die Bestätigung seiner Vermutung stimmte Barney so nachdenklich, daß er eine Weile stirnrunzelnd dastand, bis ihm plötzlich, wie man so sagt, ein Seifensieder aufging. Es war damals die Zeit, als die ersten Saxophone in der Stadt auftauchten, während man Kulturerrungenschaften wie Verkehrsschutzleute und Damenfrisiersalons noch entbehren mußte. Mit so einem Saxophonkünstler hatte Barney nun einmal einen Zusammenstoß gehabt, und zwar einen von der Art, die man später belächelt. Obwohl dieser Musikus zu jener Art Leute gehörte, denen es an wirklicher Leidenschaft fehlt, hatte er doch irgend etwas an sich, was auf Frauen Eindruck machte und was er auf Bällen zu Eroberungen ausnutzte, wenn er einem Mädel die letzten verführerischen Töne um die Ohren blies. Und diesen Mann nun hatte Barney bei einem nach seiner Meinung ganz schamlosen Flirt mit Kitty überrascht. Eine Bemerkung des Musikanten, den sein Erobererglück berauschte, hatte Barney so aufgebracht, daß er sich völlig vergaß. Und so entrang sich seinem Munde ein Wort, das Kitty vielleicht verletzen konnte, ihn selbst aber bestimmt ins eigene Herz treffen mußte. Dies Wort sagte er zuerst nur halblaut, dann aber schrie er es fast heraus. Sie drehte sich daraufhin ungläubig nach ihm um, faßte dann den andern unter den Arm und bog in die Buttermilchgasse ein. Barney aber war in blinder Wut und Eifersucht davongerannt, um in allem Ernst ein paar Schwarzbraune aufzustöbern und totzuschlagen. Mehr aber war damals nicht daraus geworden, und es hatte bei diesem Vorhaben sein Bewenden gehabt. Die Straße war nämlich zu der Zeit noch nicht so modernisiert, daß die Esel ausrutschten, und die kleinen Jungen konnten noch ihr altes Spiel darauf treiben: sobald sich auf dem Pflaster eine Pfütze bildete, wurde jedes Stückchen Holz zum Schiff, und verliefen sich dann die Wasser wieder wie eine Miniatursintflut und strandeten die Schiffe auf den kleinen Ararats der Kopfsteine, dann wurden die Hölzchen wieder zu Pferden und Kühen und die Vertäuungstaue zu Zügeln. Diese ganze Szene stand Barney nun plötzlich vor Augen: die Buben mit ihren Schiffen und Kitty mit ihrem Saxophonisten, wie die zwei in übermütiger Ausgelassenheit um die Ecke bogen. Er selbst war dann, von seiner Verzweiflung getrieben, in Onkel Toms Hütte gelandet, wo es Trost und Erquickung für allerlei Nöte gibt bis zum Erwachen am nächsten Morgen. – Sollte diese ausgepreßte Zitrone da, dachte Barney nun, sich wirklich dazu aufgeschwungen haben, eine Büchse zur Hand zu nehmen und sich damit nach Rotkreuz auf den Weg zu machen? – Unsinn! Aus was für einem Grund sollte er das auch tun? Schwerlich hatte er Kitty seit diesem Abend wiedergesehen, und keinesfalls hatte sie ihn weiter ermuntert.

Trotzdem war Barney für diesen Aufschluß so dankbar, daß er Herrn Burke erlaubte, zu der nahgelegenen Lehmgrube hinüberzugehen, aus der ein alter Gaul die Kippwagen heraufzog. Das Interessante an diesem Gaul war seine Klugheit. Er zog nämlich mit Vergnügen fünf Wagen herauf, ganz gleich, wie schwer sie beladen waren. Bevor er aber anzog, drehte er seinen Kopf zurück, und wenn es sechs Wagen waren, rührte er sich nicht vom Fleck, mochten sie auch alle sechse leer sein.

Barney selbst ging ins Haus, um über die Sache nachzudenken, und da er keiner von den bekannten Wirrköpfen war, sondern im Gegenteil sehr gründlich, beanspruchte das längere Zeit, und so bat er Maggie Phelan um eine Tasse Tee.

 

7

Sein Nachdenken blieb völlig umsonst, nicht das geringste kam dabei heraus, und es hieße die Wahrheit auf den Kopf stellen, wenn man das Gegenteil behaupten wollte. Mit Maggie Phelan aber kam Barney ins Gespräch, und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß sein Schiff auf einer Sandbank festsaß, obwohl er kein Wort darüber äußerte. Und während sie ein Holzscheit tiefer ins Feuer stieß, wo die Asche über der Glut zu atmen schien, fragte sie, mit tief über die Augenhöhlen herabgesenkten Brauen aus ihrer kurzen Pfeife paffend: «Was hat es denn da draußen zwischen euch gegeben?»

«Während ich fort war, hat er die Schweine mit Blut zu füttern angefangen», antwortete Barney geistesabwesend. «Das ist alles. Ich will das nicht, und wenn hier was Neues eingeführt werden soll, hab ich das zu bestimmen. Das ist eine merkwürdige Unruhe jetzt überall in der Welt!»

«Ich hab es ihm halb und halb erlaubt», sagte Maggie.

«Das war nicht richtig von dir. Damit konntet ihr warten, bis ich daheim war. Hier bestimme jetzt ich.»

«Das merkt man.»

«Was soll das heißen? Mach ich vielleicht Fehler? Ich muß doch die Rechnung bezahlen, wenns schief geht.»

«Dein Fehler ist, daß du dich mit jedem überwirfst, seitdem du von deinen Fahrten mit den Meergrünen, oder wer das sonst war, heimgekommen bist. Du hast doch gehört, daß schon wieder einer mit 'nem Schießeisen oben war!»

«Ach was! Der hat auf Hasen gepirscht.»

«Du wirst schon noch klüger werden, Barney!» sagte sie und stieß mit dem Kopf gegen die Büchse, die gereinigt und eingefettet an der Wand hing. In diesem Augenblick brach ihr Gespräch ab, weil der Zigeunerjunge Larry sich plötzlich lautlos hereinschob und sich auf einem Stuhl am Rande des Feuerscheins vom Herde niederließ. Sein Gruß war der gewohnte und lautete: «Gott segne hier alle außer der Katz!» Wie er so saß, schien sein Kopf vom Körper getrennt in der Luft zu schweben, zwischen die Mütze und ein rotes Halstuch geklemmt, die gespannt lauschenden Ohren glichen Fledermausflügeln, und die schwarzen Pupillen in den Augenhöhlen glühten mehr, als daß sie blitzten. Die Art, wie sich seine Ruhe oder Unruhe auf andre übertrug, erinnerte an Ansteckungsträger, die Krankheiten um sich verbreiten, ohne daß ihnen selber je das mindeste fehlt.

«Willst du Tee, Larry?» fragte Maggie freundlich.

«Nein!» antwortete der Junge. «Danke» fügte er nie hinzu.

«Willst du was zu essen, oder sonst was?»

«Nein!»

Pause.

«Das ist ne gute Büchse!» sagte der Junge plötzlich völlig grundlos.

«Was verstehst du von Büchsen?» fragte Barney unfreundlich.

«Ich meine nur – gut für allerlei.»

Er schien plötzlich Maggie durchdringend anzustarren, und sie zog, wie von einem Schauer geschüttelt, den Schal dichter um ihre Schultern zusammen …


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