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Neunzehntes Kapitel

 

1

Auf einem Haus, in dem kurz zuvor ein Mord begangen worden ist, lastet ein böser und beklemmender Zauber. Dieser Zauber wurde in Peadar Phelans Haus roh durchbrochen, als ein Haufe Polizisten aus einem Auto sprang und sich nach den Befehlen des Hauptmanns über den Hof verteilte, um die gestellte Aufgabe so schnell wie möglich zu lösen. Der Hauptmann war äußerst aufgebracht darüber, daß die Sache nicht sofort angezeigt worden und daß der Hauptzeuge, Patty, nicht zur Stelle war.

Fußspuren fanden sich nicht; denn die einzige Stelle, wo die Aussicht, welche zu finden, bestanden hätte, war von den Hufen der Pferde und Esel zertrampelt, die sich, weiß Gott warum, mit Vorliebe um die Lücke in der Hecke drängten, durch die Barney erschossen worden sein mußte. Und darüber konnte nicht der geringste Zweifel herrschen: er war durchs Herz geschossen worden, und zwar mit einer Büchsenkugel von normalem Kaliber.

Während die andern nun Vermessungen machten und der Arzt mit dem Toten beschäftigt war, nahm der Hauptmann selbst sich Bombay und Maggie vor. Sie wurden getrennt verhört. Maggie zuerst.

«Er ist draußen gestorben!» sagte sie wie im Traum. «Ja, er ist draußen gestorben … Es bedeutet Unglück, wenn einer draußen stirbt.»

«Blech!» sagte der Offizier. «Nehmen Sie sich jetzt zusammen! – Wem soll das denn Unglück bringen, außer dem Toten!»

Sie wurde für einen Augenblick wach: «Kennen Sie denn keine Familien, die von dem Schicksal verfolgt werden, daß alle außer dem Hause sterben – durch Unglücksfälle, Mord …»

«Blech!» entgegnete er wieder. «Nehmen Sie sich jetzt zusammen! Hier in Irland ist es ja nicht so schwierig, Familien zu finden, die ihre männlichen Mitglieder draußen vorm Zaun auflesen müssen. Und jetzt erzählen Sie alles, was Sie von der Sache wissen!»

«Wir haben einen Schuß gehört …»

«Wissen wir schon. Und was weiter?»

«Dann haben wir nichts mehr gehört …»

«Keine andern Geräusche? … Schreien, Schimpfen, Drohrufe?»

Maggie schüttelte den Kopf.

«Führen Sie mir jetzt den indischen Soldaten herein!» sagte er zu einem der wachehaltenden Polizisten. «Und sorgen Sie dafür, daß Maggie in der Nähe bleibt; in etwa zehn Minuten muß ich sie weiter vernehmen.»

Als Bombay eingetreten war, wendete sich der Hauptmann mit der Frage an ihn: «Sie befanden sich also auf dem Wege zum Hof, als Sie einen Schuß hörten? Sagen Sie mal, war das nicht eigentlich eine merkwürdige Zeit, um Besuche zu machen, und haben Sie nicht selbst das Gefühl, daß das etwas sonderbar wirkt?»

Das fand Bombay nicht. «Ich bin Dutzende von Malen um diese Zeit gekommen, wenn ich vor dem Zubettgehen noch einen Abendspaziergang machen wollte.»

«Um welche Zeit sind Sie denn dann gewöhnlich wieder nach Hause gegangen?»

«Oft überhaupt nicht. Ich schlief dann hier im Fremdenzimmer.»

«Und es ist Ihnen gar nicht eingefallen, das näher zu untersuchen, was hier geschehen war?»

«Nein!» entgegnete Bombay mit Nachdruck. «Und wenn ich heute abend wieder das gleiche hörte, würde ich genau ebenso handeln. Ich hab zu meiner Zeit soviel schießen hören, daß ich mich in so was nur einmische, wenn es von mir verlangt wird.»

«Und außer Ihnen war sonst niemand hier?»

«Nein! Nicht, bevor Patty Walsh aus der Stadt zurückkam und Barney fand.»

Als Patty heimkehrte, wurde er mit einer Flut von Vorwürfen empfangen, weil er so lange auf sich hatte warten lassen und weil er überhaupt fortgegangen war.

«Übrigens kommt es mir doch ganz so vor, als hätte ich Sie schon früher gesehen! Haben Sie nicht gestern die Narrenpossen da in der Stadt getrieben? Das schien mir doch gleich so! Mit andern Worten: Sie müssen ja einen richtigen sitzen gehabt haben, als Sie gestern heimfuhren. Sternhagelvoll, mein Lieber! – Hier oben scheint überhaupt die richtige Sorte beisammen zu sein. – Und jetzt frag ich Sie, und überlegen Sie sich genau, was Sie sagen: Hatte der Ermordete Feinde?»

Patty erzählte, was er wußte, und dann kam wieder Maggie dran, und sie wußte wesentlich mehr von Barneys Feinden.

«In der letzten Zeit hat er sich öfters mit allerhand Leuten überworfen!» sagte sie.

«Drehte es sich immer um Politik?»

«Ach, um alles mögliche … Einen Mann, der hier auf dem Hof aushalf, hat er ohne Grund weggejagt, nur weil der die Schweine mit Blut aus dem Schlachthaus unten gefüttert hat. Und ein paar andre haben ihm gedroht … Und kürzlich haben sie ihn mitgenommen und in einen brennenden Zug geworfen und …»

«Ja, das wissen wir schon … Anscheinend eine Sache aus politischen Gründen. Und jetzt wollen wir uns mal den Mann mit dem Schweineblut kaufen!»

«Der ist draußen!» sagte Maggie; und der Mann wurde, zitternd und dem Weinen nah, aus der Menschenmenge herausgeholt.

«Besitzen Sie eine Büchse?» fragte der Offizier ohne Umschweife, und der andre verneinte das auf eine Art, daß der Hauptmann ihm erwiderte: «Na, Sie lügen mich also an! Das werd ich Ihnen aber austreiben!» Dann begab er sich auf den Hof hinaus und rief: «Niemand geht jetzt hier fort! Wer es doch versucht, tut es auf eigne Gefahr.»

Dann schickte er sechs Mann ins Dorf, um die Häuser nach Waffen zu durchsuchen und die Frau des Mannes mit dem Schweineblut zu verhören. Dieser war inzwischen als des Waffenbesitzes verdächtig in Haft genommen worden.

Auch Barneys Büchse wurde geholt und genau untersucht. Dann wurde Maggie wieder gerufen, und der Hauptmann fragte sie so obenhin: «Ich habe Barney ja gut gekannt und glaube, er hielt bei seinen Sachen auf peinliche Sauberkeit. Stimmt das?»

«Ja. Das hatte er von Peadar Phelan. Alle Phelans sind so gewesen; mein Mann auch …»

«So? – Ist es dann nicht etwas merkwürdig, daß er die Büchse hier nicht geputzt hat? Sie ist ja ganz schwarz von Pulver, und er hat sie in der letzten Nacht doch kaum gebraucht. Wie sollen wir uns das denn erklären?»

Maggie blickte schwer atmend zu Boden und sagte schließlich: «Er hatte ja auch zwei Revolver!»

«Das habe ich mir schon gedacht. Die müssen wir dann auch beschlagnahmen. Aber diese Sache hier mit dem Pulverschleim …»

«Ich hab mich nie um sein Schießzeug gekümmert!» antwortete sie.

«Das läßt sich begreifen!» gab der Offizier zu. «Bleibt noch die Frage wegen seiner Feinde? … Wie stand's eigentlich mit der Freundschaft zwischen ihm und Bombay? Hat es da keine Meinungsverschiedenheiten gegeben? Es ist doch wohl Barney, den er besuchte, wenn er hier heraufkam?»

«Er ist genau so zu einem Schwatz mit mir gekommen … Und mit Peadar Phelan, als der noch lebte … Er ist am letzten St. Patrickstag gestorben …»

Der Offizier saß einen Augenblick schweigend da und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Plötzlich sagte er, und zwar so ganz nebenbei: «Hat sich Barney nicht im Herbst verheiraten wollen mit dem Mädchen da unten bei Holden?»

Maggie bestätigte das.

«Vergessen Sie nicht, Genaueres bei ihr festzustellen!» wendete er sich an seinen Wachtmeister. «Besonders, wo sie sich gestern abend aufgehalten hat. Das ist natürlich verlorne Müh, aber wir müssen methodisch vorgehen.»

Am Abend war das Wirtshaus am Kreuzweg gedrängt voll, und als Patty kam und einen Spritzer Zitronensaft in sein Glas Wasser bekommen hatte, mußte er seine Gedanken über den Mord entwickeln. Aber es war nicht viel, was er zu sagen hatte. Die meiste Zeit stand er an der Schenke herum und schien zu grübeln. Das sah wenig hoffnungsvoll aus; und nachdem man alle Möglichkeiten erwogen hatte, fingen die jungen Leute endlich an, Ringe nach einem mit Haken besetzten Brett an der Wand zu werfen.

 

2

Während der nächsten Tage erfolgte nichts weiter. Die Polizei kam zwar täglich, entfernte sich aber immer wieder rasch, und am Abend saßen die drei – Maggie, Bombay und Patty – in der Küche. Keins von ihnen sagte besonders viel, aber der Schweigsamste war doch Patty. Er machte einen sehr apathischen Eindruck, aber seine Stumpfheit war nur äußerlich. Es formte sich nämlich etwas in seinem Innern, und sein Gehirn war unablässig damit beschäftigt, alle vorhandenen Möglichkeiten und – Unmöglichkeiten zu erwägen. Wer mochte wohl der Täter sein?

«Die Meergrünen sind es gewesen!» meinten die meisten; und das war ja das Nächstliegende und Bequemste.

«Ja, nicht ausgeschlossen!» sagte Patty fügsam, aber doch nicht überzeugt.

«Der Junge war selber dran schuld!» bemerkte Maggie mit einer Art von gekränkter Freundlichkeit.

Kitty aber gab sich mit nichts von dem allem zufrieden, und Roddies plötzliches Auftauchen in dem Drama gab ihr verschiedenes zu denken. Er entwickelte ihr nämlich eine vollkommen eigene Theorie, und als sie die Unterlippe skeptisch vorschob, sagte er: «Selbstverständlich hab ich mir's denken können, daß es dir zuerst schwerfallen würde, so was zu glauben … Mir ist es nämlich genau so gegangen. Aber du wirst sehr bald eine vollkommen logische Möglichkeit für diese Theorie finden …»

«Du hast doch nicht den geringsten Beweis, Roddie!» wendete sie ein.

«Wenn ich Beweise hätte, brauchte ich keine Theorie!» Das klang logisch, aber nicht befriedigend.

«Du hast nicht den Schatten eines Beweises!» entgegnete sie hartnäckig.

«Man kann gut von einer Wahrscheinlichkeit ausgehen!» sagte er ebenso hartnäckig.

«Aber ist das nicht gefährlich?» fragte sie. «Sieht man nicht gar zu leicht die Beweise, die man zu sehen wünscht?»

Roddie gab keine klare Antwort darauf, und so fragte Kitty etwas später: «Hast du mit denen da oben in Rotkreuz nicht mal was Ernstliches gehabt?»

«Ach nein!» versetzte er ziemlich gedehnt. «Der alte Peadar hat mich mal rausgeschmissen, weil ich irgend was über Mick Collins sagte, und Maggie hat mir mal einen Geraniumtopf nachgeworfen. Aber das hat weiter nichts zu sagen. Wir sind lange schon wieder gut Freund miteinander.»

 

3

Diese Unterredung fand an dem Tage statt, als Kitty und Roddie sich zum erstenmal seit dem Morde sahen. Sie hatte nach ihm geschickt, und er kam über Erwarten schnell aus den Bergen, oder wo ihn die Botschaft eben erreicht hatte, herunter. Sie hatte ihn mit Mißtrauen erwartet, aber er entwaffnete sie sozusagen schon im Vorzimmer. Es klang völlig überzeugend, als er ihr alle mögliche Hilfe versprach, um dieser traurigen und aufregenden Sache, soweit es in seiner Macht stünde, auf den Grund zu kommen. Und sie glaubte ihm.

Als sie sich zum Gehen anschickte – sie hatten sich in einer Anlage draußen vor der Stadt getroffen –, blieb sie noch einmal zögernd stehen und rang in schmerzlicher Qual die Hände, aber sie raffte sich zusammen und sagte: «Ich muß jetzt gehn … ich hab noch allerhand zu besorgen.»

«Darf ich dich begleiten?»

«Sehr freundlich von dir, aber …»

«Es wär mir eine Freude!»

«Aber verstehst du denn nicht, daß Gesellschaft – und zwar jede Art Gesellschaft – unter gewissen Verhältnissen unerträglich ist?»

«Nein, grade dann ist vielleicht Gesellschaft das beste Heilmittel – ich kenne das. Und Leute, die sich aufdrängen, sind unter gewissen Umständen weniger grobschlächtig, als es aussieht. Verstehst du, wie ich das meine?»

«Vollkommen, aber … trotzdem …»

«In gewissen Fällen gehört nämlich ein besondrer Mut dazu, sich den Anschein eines dickfelligen Plagegeistes zu geben …»

«Daran hab ich vorhin nicht gedacht; aber ich seh ein, daß du wohl recht hast …»

Sie drehte ihr feines Spitzentaschentuch, das naß von Tränen war, zwischen den Fingern, bis es die sonderbar gewundene Form der italienischen Zigarren annahm, und ihr ins Leere starrender Blick ging, ohne haftenzubleiben, an ihm vorbei.

«Komm!» sagte er, und sie ging willenlos mit.

Roddies überraschende, beinah wissenschaftliche Art, sich auszudrücken, war die Folge eines Besuches bei Pater Aloysius, bei dem er grade gewesen war, und zwar mit der bestimmten Absicht, von ihm zu erfahren, wie er sich in dem vorliegenden Fall am besten benehmen sollte; Pater Aloysius hatte ihm das Konzept zu den Trostworten gegeben und Roddie dann im Park fast wortgetreu Gebrauch davon gemacht.

Der Mönch Aloysius hatte nämlich den Landsknecht Roddie durch folgendes Gleichnis ganz für seinen Standpunkt gewonnen: «Wenn ein Mensch am Ertrinken ist, muß man meist etwas roh vorgehen, ja ihn manchmal fast erwürgen, damit man ihn aufs Trockene kriegt!»

Es liegt eine besonders klärende Kraft in diesem Bild, vielleicht weil sich die Sache im Wasser abspielt. Und Roddie ging das glatt ein, was den Holländer nicht überraschte, als Pater Aloysius ihm die Hoffnung aussprach, Barneys früherer Freund könnte vielleicht seine hinterbliebene Braut trösten.

«Höchst wahrscheinlich!» gab der Holländer zu. «Besonders, wenn er nicht zu scharf ins Zeug geht mit Hofmachen …»

«Sie stellen sich schlimmer, als Sie sind!» entgegnete der Mönch.

«Das überlaß ich Ihnen, Pater!» versetzte der Holländer. «Aber wir kommen nicht um den alten Gedanken herum, daß die Menschen leere Hülsen sind, die danach verlangen, von dem oder jenem gefüllt zu werden. Es kommt nur drauf an, der erste am Platz zu sein …»

 

4

Ohne einen triftigen Grund hätte Roddie das harte, ungebundene Räuberleben in den Bergen nie aufgegeben; aber jetzt, da er das weichlichere Stadtdasein vor sich selbst mit guten Gründen rechtfertigen konnte, genoß er das Gefühl, sich abends zwischen zwei Laken breit machen zu dürfen, in vollen Zügen und mit dem sicheren Bewußtsein, daß während der nächsten acht Stunden keinerlei Tätigkeit von ihm erwartet würde. Daher betrachtete er es auch als eine bewußte Beleidigung, als während einer der ersten Nächte nach seiner Heimkehr eine Polizeipatrouille ein Loch in diese acht Stunden schlug und allerhand Fragen an ihn stellte. Und es war ziemlich viel, was man zu wissen wünschte; vor allem war man begreiflicherweise neugierig darauf, was er zur Zeit hier treibe, worauf er mit leidenschaftsloser Ruppigkeit fragte, was das denn sie anginge. Eine der schwierigsten Aufgaben für die Regulären war es ja, den Irregulären, die fast sämtlich Kameraden von ihnen aus der Schwarzbraunen-Zeit waren, nun mit dem Anspruch auf Autorität gegenüberzutreten. Im Stadtgefängnis brachten die Gefangenen eines Tages den Direktor durch ihre Sticheleien in eine solche Wut, daß er Revolver und Patronengürtel einem von seinen Untergebenen zuwarf, seinen Uniformrock wegschmiß und mit seinem schlimmsten Plagegeist unter den Gefangenen einen regelrechten Boxkampf ausfocht. (Nach der Wiederkehr geordneter Zustände fuhren dann beide zusammen nach Neuyork, wo sie ohne viel Glück eine verbotene Schankwirtschaft auftaten.) Bei diesem Verhör nun setzte man Roddie heftig mit Fragen darüber zu, ob er, und sei es nur zufällig, etwas mit der Ermordung Barneys zu tun gehabt hätte, und er geriet darüber in eine so wilde Erbitterung, daß man ihm glaubte. Doch wurde ihm vor dem Abzug der Polizisten eröffnet, daß er unter Polizeiaufsicht stehe und man wahrscheinlich genötigt sein würde, ihm insofern Unbequemlichkeiten zu bereiten, als er sich aller Voraussicht nach des öfteren im Präsidium zwecks Kontrolle zu melden hätte. Darauf gab Roddie die unverfrorene Antwort, daß die Erfüllung dieses Wunsches davon abhängen dürfte, ob er Zeit dazu hätte. Und als sie gingen, schrie er hinter ihnen her: «Verräter!»

Während der kommenden Wochen mußte Jimmy Duggan mehr als einmal seinen eiligen Lauf über den Kornmarkt vor dem Hause Nummer 9 unterbrechen, um einen an Herrn Roddie Carroll adressierten Brief in den Kasten zu werfen, und Kitty stellte sich dort jeden Tag um die Mittagzeit ein. Sie blieb aber nie lange, und diese Besuche waren kein guter Dünger für die schwache Hoffnung, die ihr Roddie in bezug auf seine Fähigkeiten als Detektiv eingepflanzt hatte.

«Das dauert mir zu lange!» sagte sie. «Ich glaube, der einzige, der das aufklären kann, ist Bombay.»

Diese Bemerkung veranlaßte Roddie, sich auf die Ellbogen zu stützen. «Warum Bombay? Soviel mir bekannt ist, hat er seit Jahren nichts anderes getrieben als Portertrinken und Bücherlesen. Er ist ein Heimlicher. – Er kennt sich genau aus da oben, er ist an dem Abend damals dort gewesen und kommt jeden Tag hin. Ich glaube, er weiß mehr, als er sagt.» Roddie konnte Bombay nicht leiden. Ihm fehlte jedes Verständnis dafür, daß der indische Soldat es für richtig hielt, eine unvorteilhafte Rolle im Leben zu spielen, und dieser Rolle auch treu blieb. «Ich hab ihn auf dem Kieker!» bemerkte Roddie. «Aber er muß mit der äußersten Vorsicht angefaßt werden; denn wenn er was weiß und das nicht sagen will, schwört er, ohne zu blinzeln, zehn Meineide, daß er nichts weiß. – Aber da ist auch noch Patty.»

«Für Patty steh ich ein wie für meinen eignen Vater!»

«Auch für den eignen Vater kann man nicht einstehn … Es ist schon viel, wenn man für sich selber einstehn kann.»

«Er sieht so gequält und verzweifelt aus!» sagte sie nachdenklich.

«Es ist ihm eben auf die Nerven gegangen; und vielleicht hat er auch einen Verdacht, der ihn plagt. Er kennt sie ja alle seit vielen Jahren …»

«Wenn man nur mit dem Major Moore reden könnte! Er mochte Barney gut leiden, aber er hat jetzt wohl eigne Sorgen genug …»

«Ich rede nicht mit dem alten Moore!» sagte Roddie nachdrücklich.

Damit stockte das Gespräch, und Kitty bekam Tränen in die Augen vor Wut über diese anscheinend unlösbare Aufgabe.

Roddie begleitete sie noch ein Stück die Straße hinunter, und beim Eingang zu dem Gärtchen, durch das man auf einem kürzeren Weg in das Holdensche Haus kommen konnte, machten sie einen Augenblick halt und beobachteten einen Vogel, der Insekten auf Dornen spießte. Dann drehte sich Kitty kurz auf dem Absatz um und ging ohne ein Wort ins Haus. Roddie aber blieb höchst übelgelaunt zurück. Er war in der Stimmung, in der Katzenfeinde dem Himmel für das kleinste räudige Kätzchen danken und furchtsame Menschen die Gesellschaft eines Mörders dem Alleinsein vorziehen würden.

 

5

Auf dem Hof in Rotkreuz breitete sich langsam eine Art Verbrecherstimmung aus. Keiner sprach mehr laut, ausgenommen die Fälle, wo man nach einem rief. Alles verfiel, und die Felder verkamen, weil es plötzlich schwierig wurde, Knechte zu bekommen. Patty hatte auf den Feldern des Gastwirts genug zu tun, und mit jüngeren Leuten ging es Maggie nicht besser. Es kam so weit, daß sie eines Tages einen der notorischen Landstreicher der Gegend aufforderte, ihr eine Zeitlang zu helfen.

«Nein!» sagte er.

«Und warum nicht?» fragte Maggie.

«Weil ich nicht will!» entgegnete er frech.

Maggie verwünschte ihn und kriegte einen andern Tagedieb herum. Aber der verschwand gleich in der ersten Nacht. Ein Dritter entschuldigte sich damit, daß er weiter müßte.

«Bettler bleiben bei ihrem Handwerk!» versetzte Maggie.

Da näherte sich ihr der Mann drohend. «Du hättest Barney behalten sollen!» rief er und lachte grimmig.

Spät am Abend trat eine Nachbarin, von dem Katzenkonzert angelockt, an ein Fenster ihres Hauses und sah drüben Maggie unbeweglich gleichfalls am Fenster stehen. Und ihr Gesicht, das ja immer weiß gewesen war, leuchtete im Mondschein beinah wie Phosphor.


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