Betty Paoli
Neueste Gedichte
Betty Paoli

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Selbsterlebtes.

                      Ein grimmer Jammer nagte mir am Herzen,
Ein Leiden tiefer als es Worte künden,
Warf seinen dunkeln Schatten auf mein Leben.
Das ist nun lang vorüber. Frei erhebt
Mein Blick sich wieder zu dem gold'nen Aether,
Die Seele athmet wieder Morgenluft.
Und doch! gedenk ich jener fernen Zeit,
Fühl' ich noch jetzt ein rätselhaftes Grauen.
Das Weh, deß letzte Spur schon längst entschwand,
In der Erinnerung macht es mich erbeben!
Mir geht's damit, wie's jenem Mann erging,
Der einst zur Winterszeit, auf seinem Rosse,
Durch Nacht und Schneesturm seinen Weg gesucht.
Gefahren drohten ihm bei jedem Schritt,
Und jeder Schritt erheischte neuen Kampf
Mit den erbarmungslosen Elementen.
Eisnadeln ritzten blutig sein Gesicht,
Des Sturmes Wuth entzog ihm schier den Odem,
Die weißen Wirbel blendeten sein Auge,
Und ballten dicht und dichter sich um ihn,
Als wollten sie zu seinem Bahrtuch werden.
Und, mit den Todesmächten rings im Bund,
Beschlich den Abgemüdeten die Sehnsucht
Nach Ruh und Schlaf, nach tiefem, stillen Schlaf,
Sollt' ihm auch nimmer ein Erwachen folgen.
Er aber raffte muthig sich empor,
Statt dem Syrenenrufe zu gehorchen,
Faßt' er was ihm an Kraft noch blieb zusammen,
Und nahm den Kampf aufs neue wieder auf.
Als Sieger ging er glücklich draus hervor. –
Es dämmerte. Aufathmend sah der Reiter
Sich in der Nähe eines schmucken Dorfes.
Ein Lächeln überflog sein Angesicht!
Sich aus dem Sattel schwingend, führte er
Das müde Thier am Zügel nach den Häusern,
Die blank im Morgenschimmer vor ihm lagen.
Geschäft'ge Menschen kamen ihm entgegen,
Und blickten ihn, ihm schien's verwundert, an.
»Woher des Weges?« fragte, näher tretend
Ihn Einer nun. »»Von Rorschach,«« war die Antwort,
Und mit der Hand bezeichnete der Reiter
Die Richtung ihm, aus welcher er gekommen.
»Um Gott! rief Jener, welch ein tolles Wagniß,
»Bei Nacht und Nebel über'n See zu reiten,
»Deß Eis an hundert Stellen kracht und birst!«
»»Den See?«« erbleichend stammelt es der Wand'rer.
»»Ich wäre auf dem See?«« – »Wie anders denn?
»Von Rorschach führt kein andrer Weg hieher.
»Ihr wußtet's nicht? Traun! Euch hat Gott beschützt,
»Und durch ein halbes Wunder Euch gerettet!
»Auf beiden Knien mögt Ihr ihm dafür danken!
»Wie starr Ihr seid! Kommt Euch am Herd zu wärmen!«
Der Reiter aber stand vor Schreck gelähmt,
Die Größe der Gefahr, der er entronnen,
Durchzuckte wie ein Blitzstrahl sein Gehirn.
Ihm war, als fühlt' er unter seinen Füßen
Den festen Boden plötzlich wanken, weichen,
Als griff' der Tod mit kaltem Arm nach ihm,
Hinunter ihn ins Wellengrab zu ziehen,
Und schaudernd brach der starke Mann zusammen. –

So zucket auch durch mein beschwichtigt Herz,
Das sich durch Kampf des Friedens Gut errungen,
Noch jetzt ein dunkler Schreck, wenn ich bedenke,
Wie nah ich in der finstern Nacht des Jammers
Dem Tod, wie nahe dem Verderben war!

Genug davon! nicht darum handelt sich's.
Erwähnt' ich dessen, so geschah es nur,
Damit ihr an dem Grau'n, das noch der Rückblick
Aus jene Zeit in meiner Brust erweckt,
Nach seinem vollen Maße messen lernet,
Was ich in ihr gelitten haben muß.
Wer nicht die Wunde sah, der weiß auch nicht
Den linden Balsam, der sie kühlt, zu würd'gen. – –

Den langen, endlos langen Sommertag
War ich in meinem Haus allein geblieben,
Im liebeleeren, glückverwais'ten Haus.
Versucht, begonnen hatt' ich Mancherlei
Den trägen Gang der Stunden zu beflügeln, –
Es war umsonst! Wie der Magnet zum Pol,
So strebte all mein Denken und Empfinden
Nur immer einem, einem Ziele zu,
Und wollte nicht mit Anderm sich befassen.
Ein Grau'n befiel mich in der Einsamkeit,
Mir bangte vor mir selbst, es zog mich fort, –
Ins Freie eilte ich, nur zu entfliehen.
Dem Westen neigte sich die Sonne zu,
Von seitwärts nur noch in die Straßen lugend,
Durch die ein bunter Schwarm von Menschen wogte.
Die Einen hastig, mit beeiltem Schritt,
Noch bis zum Abend des Geschäfts beflissen;
Die Andern schlenderten gemächlich hin,
Die Abendkühle suchend, und in ihr
Ausruhend von des Tages Müßiggang,
Indeß, erschöpft und müd' von schwerer Arbeit,
Die Hörigen der Armuth heimwärts schlichen,
Der Ruhe süßes Labsal zu genießen,
Das ihnen nur die Nacht allein gewährt.
Sie alle zogen ihres Weg's, mit sich
Allein, dem eig'nen Vortheil und Behagen,
Dem eig'nen Wunsch und Drangsal nur beschäftigt.
Wie einsam fühlte ich mich unter ihnen!
Als wären sie Geschöpfe and'rer Art,
Bewohner eines anderen Planeten,
So fremd schien mir ihr Thun und ihr Gebahren,
So losgetrennt mein Wesen von dem ihren.
Es war der Hochmuth eines großen Schmerzes,
Der trotzig fordert, daß ein jedes Haupt
Vor seiner düstern Majestät sich beuge,
Und alle Welt sein Herrscherrecht erkenne.
Wie thöricht, wie verkehrt ein solch Verlangen,
Jetzt weiß ich's wohl, doch damals ahnt' ich's nicht,
Und dünkte mich ein Blatt, vom Sturmeswehen
Getrieben durch das schaurig öde All!

Gesenkten Aug's schlug ich den Rückweg ein,
Die Menschen ringsum länger nicht beachtend,
In dumpfes Brüten tiefer stets versinkend.
Da, plötzlich, fand ich mich im Geh'n gehemmt
Ich blickte auf, und vor mir stand ein Knabe, –
Zwölf Jahre mocht er zählen, – schlicht, fast ärmlich
Gekleidet, schien er kleiner Leute Kind,
Doch solcher, die die Armuth nicht erniedrigt
Und in den Pfuhl nicht der Gemeinheit stößt,
Denn in des Knaben weichen Zügen lag
Der holde Ausdruck inn'rer Sittigung.
Er stand vor mir, die klaren, braunen Augen
Mit einem Frageblick auf mich geheftet
Als sollten sie ins Innerste mir schau'n.
Befremdet blieb ich steh'n und sann vergeblich,
Ob ich dem Kleinen früher je begegnet,
Doch keine Spur wies mein Erinnern auf.
So fragt ich ihn nun, was er von mir wolle,
Und ob er mich denn kenne. »Nein, das nicht!«
Erwiederte er schüchtern, »doch Sie sehen
So traurig aus, daß mir's zu Herzen ging.
Ich möchte Ihnen gar so gerne helfen,
Wenn ich's nur könnte!« Rührung faßte mich,
Und Wehmuththränen traten mir ins Auge,
Nach langer Dürre milder Himmelsthau!
»»Du kannst es nicht, mein Kind! kein Mensch vermag's.««
»Gewiß nicht?« »»Nein.«« Ein Schatten überflog
Des Knaben Antlitz und er sagte leise:
»Vielleicht hilft Gott! Ich will ihn darum bitten.
Nur länger nicht so traurig, arme Frau!«

Noch einen Blick voll Mitleid auf mich werfend,
Winkt' er mir freundlich, lüftete das Mützchen
Und ging. Nicht wieder hab' ich ihn geseh'n.

Nicht wieder hab' ich ihn geseh'n, allein der Hauch,
Der Liebeshauch, der dieser jungen Seele
So warm entströmte, duftet durch mein Leben,
Und Rettung bracht' er mir in jener Zeit!
Er löste meines Innern starren Krampf,
Die Eisesrinde schmolz, mit der die Selbstsucht
Des Schmerzes mein Gemüth umgeben hatte,
Und nicht mehr einsam dünkt' ich mich im All'!
Den Herzschlag fühlt' ich wieder, der elektrisch
Hinfliegend durch der Wesen ganze Kette,
Zu einem Leben Aller Leben macht!
Nicht mehr vom Sturm fühlt' ich mich fortgetrieben,
Nein! unzertrennlich mit dem Baum verwachsen,
Deß Lebensmark, aus tiefen Wurzeln quellend,
Geheimnißvoll durch Stamm und Zweige fließt,
Um jede Blüthe, jedes Blatt zu nähren.
Die Menschheit ist der Baum; die Wunderkraft,
Die unverwüstlich sich durch ihn ergießt,
Die heil'ge Kraft der Kräfte, ist die Liebe!

Du aber, Kind! das, ohne es zu ahnen,
Sie mir gezeigt in ihrer ganzen Fülle,
Sei mir gesegnet, jetzt und immerdar!
Vergessen hast du mich, nach Kindesart,
Ich aber denke dein mit stiller Rührung,
Und rufe mir dein liebes Bild zurück.
Oft sinne ich: wie wird in künft'gen Tagen
Das Schicksal dieses Knaben sich gestalten?
Doch müßig ist und eitel diese Frage.
Wem die Natur ein Herz wie dein's verlieh,
Wer so wie du den innigen Verband
Von Allem was auf Erden lebt, empfindet,
Dem werden seine eig'nen Bürden leicht!
An jedem fremden Glück sich still erfreuend,
Erbarmen lächelnd jedem fremden Schmerz,
Entringt er siegreich sich der dumpfen Enge
Des Einzelthums, aufgehend in der Menschheit,
Ein Stral, der heim zu seiner Sonne kehrt!


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