Betty Paoli
Neueste Gedichte
Betty Paoli

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Ein Abendgang.

              Gesunken war der Tag,
Sein letzter Pfeil verschossen;
Im Dämmerscheine lag
Die Gegend traumumflossen.
Nur dort im Westen, dort am Damm,
Wo Tannen sich und Fichten breiten,
Sah man um ihren dunkeln Stamm
Noch schwanke Purpurlichter gleiten.

Aus Feld und Strom und Kluft,
Aus jedes Baumes Zweigen,
Schien es wie Opferduft
Zum Himmel aufzusteigen.
Ein Sehnen, tief, ob unbewußt,
Natur! schien durch dein Herz zu fliegen, –
Die Sehnsucht, dich an Gottes Brust,
Ein dankbar frohes Kind, zu schmiegen.

Ich sah im Dunkel dicht
Den Dämmerschein zerwallen!
Da winkte mir ein Licht,
Ich hörte Stimmen schallen.
Vom Zufall hergeleitet, stand
Ich vor der kleinen Waldkapelle, –
Roth glühte d'rin der Ampel Brand,
Und Bether knieten auf der Schwelle.

Manch' silberweiß Gelock,
So manche schmucke Dirne,
Manch' buntgeflickter Rock,
Manch' frühgefurchte Stirne!
Ein armes Völklein, das seit früh
Der sauern Arbeit obgelegen,
Und das sich nach des Tages Müh'
Nun hier vereint zum Abendsegen.

Da knieten sie im Kreis,
Das Haupt in Andacht neigend,
Gebete hört ich, leis'
Von ihren Lippen steigend.
Ein Murmeln war's, wie wenn am Strand
Die nächt'ge Fluth kommt angeschritten,
Indeß durch ihre schwiel'ge Hand
Des Rosenkranzes Kugeln glitten.

Wie trüb und vielfach auch
Von Traum und Wahn umfangen,
Es war dein Sehnsuchtshauch,
Du brünstig Gottverlangen,
Das, wie es dort in der Natur
In Opferdüften aufwärts strebte,
Nur mächtiger und tiefer nur
Die Menschenherzen hier durchbebte! –

Gefühl, so tödlich bang,
Der irdischen Begrenzung!
Unstillbar heißer Drang
Nach seliger Ergänzung!
Seid ihr in dunkler Nacht die Spur
Des Lichts, dem wir entgegen wallen?
Seid ihr der Fluch der Kreatur,
Die von der Gottheit abgefallen?

Ein traumentfloss'ner Strom,
Der in sich selbst nur mündet?
Ein feineres Arom,
Das sich dem Stoff entwindet?
Ein Ton, ach, ohne Wiederhall!
Der, wenn die Saite sprang, verklinget?
Der Geist, der, schlummernd in dem All',
Nach des Bewußtseins Freiheit ringet? –

»Gegrüßt seist du, Marie!«
Verklang es in der Ferne.
Nach Hause gingen sie
Beim klaren Schein der Sterne.
Rings Stille; – nur der Nachtwind sang
Das wehmuthvollste seiner Lieder,
Und schweigend starrte ich noch lang
In der Gedanken Abgrund nieder.


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