Betty Paoli
Neueste Gedichte
Betty Paoli

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Rabbi Löw.

            Im alten, königlichen Prag
Wahrt Rabbi Löw die heil'ge Lehre;
Er schafft und wirket Tag für Tag
In Gottes Dienst, zu Gottes Ehre.
Ganz Israel erfüllt sein Ruhm,
Es strömen von den fernsten Orten
Ihm Schüler zu, und lauschen stumm
Des vielverehrten Meisters Worten.

Der große Rabbi heißt er nur,
Denn die verborgensten Geschicke,
Die tiefsten Räthsel der Natur,
Erschlossen sind sie seinem Blicke.
Ein Abglanz höhern Licht's erhellt
Das Aug', das diesem Blick begegnet!
So geht der Fromme durch die Welt,
Von ihr bewundert und gesegnet. –

Schon ist es nah' an Mitternacht,
Von Schlummers Arm die Erd' umfangen.
Der Rabbi auch, der lang gewacht,
Zu Bett ist endlich er gegangen.
Doch, ob auf weichem Lager sich
Die ruhbedürft'gen Glieder strecken,
Nicht Ruhe wird ihm! Ihn beschlich
Ein Traum voll namenloser Schrecken.

Er träumt, im Tempel stehe er,
Um ihn des Volkes dichte Menge;
Es tönen, feierlich und hehr,
Die uralt heiligen Gesänge
Zum Lob des Herrn, der nach wie vor
Die Seinen schirmet und geleitet.
Da, plötzlich, öffnet sich ein Thor,
Durch das der Todesengel schreitet.

O Graus von dem das Haar erbleicht!
Er sieht ihn durch die Reihen gehen,
Und Jeden, den sein Arm erreicht,
Mit scharfem Schwerte niedermähen.
Und grimmer würgt er je und je,
Und Leichen häufet er auf Leichen!
Die Zierden der Gemeinde, weh!
Erliegen unter seinen Streichen.

Der Rabbi schaudert! Simon dort,
Das lichte Vorbild jeder Tugend,
Und hier, vom kalten Stahl durchbohrt,
Chasid, sein Freund seit Beider Jugend!
Er sieht ob Hillel's Haupt das Schwert,
Des liebsten seiner Schüler, gleißen –
»Halt ein! halt ein!« er ruft's und fährt
Empor, – des Schlummers Bande reißen.

Vom Lager springt er auf, er wischt
Den Schweiß sich von der bleichen Stirne.
Wie Gluth des Wahnsinns tobt und zischt
Es ihm im fiebernden Gehirne!
Gepeitscht vom inneren Orkan
Schäumt seines Bluts empörte Woge!
Im Fluge kleidet er sich an,
Es treibt ihn nach der Synagoge.

Verunreint fühlt er sich vom Weh'n
Der Geister, die, der Nacht entstiegen,
Zu unsers Lagers Häupten steh'n
Um uns im Schlummer zu besiegen.
Abschütteln will er ihren Bann,
Zerreißen ihrer Bosheit Schlingen!
Doch nur an heil'ger Stätte kann
Den dunklen Feind er niederringen.

Die Schlüssel zu dem Gotteshaus
Sind seiner Obhut übergeben;
Er nimmt sie aus dem Schrank heraus,
Fort eilt er, fort, als gält's sein Leben.
Die Gassen öde! schneidend kalt
Heult ihm der Wintersturm entgegen,
Und von den Glockenthürmen hallt
Es Mitternacht mit dumpfen Schlägen.

Hineilt er, keuchend, athemlos!
Ein Gäßlein noch, – er ist zur Stelle!
Den Schlüssel dreht er jetzt im Schloß,
Sein Fuß betritt die heil'ge Schwelle!
Da hemmt Entsetzen seinen Lauf,
Denn durch die menschenleeren Hallen
Sieht er, bis zu der Säulen Knauf,
Ein Meer von Glanz und Lichtern wallen!

Und dort, dort auf des Priesters Sitz,
Den Todesengel, finster dräuend,
Das Schwert in seiner Rechten Blitz
Um Blitz in wildem Schwung verstreuend!
Und seine Linke hält ein Blatt,
Auf dem die Namen Jener stehen,
Die er, der grause Nimmersatt,
Zum Opfer sich zunächst ersehen!

Der Rabbi sieht es. Länger nicht
Läßt er den Schreck sein Herz bezwingen.
Er betet: »Du, der Welten Licht,
Dem Ein's das Wollen und Vollbringen,
Jehova! stärke meinen Geist!
Laß gnädig mich das Unheil wenden!«
Und zum Almémar stürzend, reißt
Das Blatt er aus des Würgers Händen.

Gerettet! jauchzt's in ihm empor.
Rasch wie des Himmels Blitze fahren,
Stürmt er hinaus durch's off'ne Thor,
Den köstlich theuern Raub zu wahren.
Was Schneegestöber, Sturmgebraus!
Nichts hemmet seines Laufes Schnelle!
Beschwingten Schritt's eilt er nach Haus, –
Gottlob! er tritt in seine Zelle.

»Dank dir, Allmächt'ger! dessen Hand
Beschützend über mir gewaltet!«
Neu facht er an der Ampel Brand,
Mit spannungsvoller Hast entfaltet
Das Blatt er, seines Kampfes Preis,
Von Asrael mit Blut geschrieben;
Er überfliegt's und stammelt leis':
»O alle, alle meine Lieben!«

Dann aber richtet er sich auf,
Von freud'gem Hochgefühl durchdrungen!
Hat er im kühnen Siegeslauf
Sie nicht dem Würger abgerungen?
Gewendet hat er das Geschick,
Das ihrem Haupt so nah' gewesen!
Und er beginnt, mit frohem Blick,
Die Rolle neuerdings zu lesen.

Doch sieh! da oben fehlt ein Stück!
Ein Streifen, kaum von Daumens Breite,
Blieb in des Dämons Hand zurück.
Der Rabbi schiebt das Blatt bei Seite,
Und wieder fühlet er die Pein
Der Sorge in sein Herz sich krallen.
Er sinnt: wess' mag der Name sein,
Vorangesetzt den andern allen?

Umsonst! umsonst ruft seinen Traum
Er sich zurück, den wundersamen.
Der Liste langgedehnter Raum
Umfasset Aller, Aller Namen,
Die dort, von Asrael erreicht,
Verblutet unter seinen Hieben.
Der Rabbi athmet auf; vielleicht
War jenes Streiflein unbeschrieben.

Wohl regt die Sorge sich noch leis',
Doch als sechs Tage schon verstrichen,
Ohn' daß in der Gemeinde Kreis
Ein einzig Haupt im Tod erblichen,
Wie tief erfreut der Rabbi sich
An seiner kühnen That Gelingen!
Er betet: »Preis dem Herrn, der mich
Erwählt, den Würger zu bezwingen!« –

Der Tage siebenter bricht an,
Mit winterlich gedämpftem Schimmer;
Er findet, einen stillen Mann,
Den Rabbi todt in seinem Zimmer.
Gestorben ist er in der Nacht!
Die Seinen steh'n gebeugt vom Grame, –
Der Name, deß er nicht gedacht,
War Rabbi Löw's selbeigner Name.


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