Betty Paoli
Neueste Gedichte
Betty Paoli

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Rückblick.

              Das Dampfroß hat mich hergetragen
In raschem Fluge nach der Stadt,
Die seit der Jugend fernen Tagen
Mein irrer Fuß nicht mehr betrat.

Längst war ihr Bild in mir verblichen;
Mich dünkte jene Dämmerzeit
Ein Traum, der ohne Spur entwichen,
Ihr Glück vergessen und ihr Leid.

Jetzt aber, da mich her entboten
Ein Wink, durch den das Schicksal sprach,
Wie werden all' die stillen Todten
In meiner Seele wieder wach!

Die Straßen wandl' ich auf und nieder,
Geführt von unsichtbarer Hand, –
O Alles, Alles find' ich wieder
Wie ich vor Jahren es gekannt!

Mein Haus hier! keine frohen Stunden
Verlebt' ich unter seinem Dach.
Doch, ob auch äußerlich gebunden,
Frei war der Geist, der in mir sprach!

Und mußt' ich Bitt'res auch verkosten,
Was that's? Ich war noch stark und jung!
Noch stand die Sonne mir im Osten,
Noch trug mich's fort im kühnen Schwung! –

Der Freundin Haus hier dicht daneben,
Von üpp'gem Epheu grün umrankt,
Der, so wie damals unser Leben,
Im frischen Hauch des Morgens schwankt!

Asyl du meinem Kindesherzen!
Hier ward, was mich verstört, gekränkt,
Des Abends unter Plaudern, Scherzen,
In des Vergessens Strom gesenkt.

Dort auf dem moosbewachs'nen Steine,
Dort tauschten wir das erste Du,
Und schwuren bei dem Sternenscheine
Uns Freundschaft bis zum Tode zu.

Der theu're Schwur, ward er gehalten?
O schauerliches Weltgebot!
Erst Lieb', dann Trennung, dann Erkalten,
Vergessen dann und dann – der Tod!

Verwirrend zeigt sich meinen Sinnen,
Vergänglichkeit, dein wüster Graus!
Ein dunkles Weh' treibt mich von hinnen,
Und auf den Wall tret' ich hinaus.

Die Bäume, damals junge Reiser,
Wie prangen sie jetzt stolz und hoch!
Ihr Rauschen dünket mich ein leiser
Wehmüth'ger Gruß: »Gedenkst du noch?«

»Wenn über dem, was du empfunden,
»Die trübe Fluth des Lebens schäumt,
»O so gedenke doch der Stunden,
»Die ahnungsvoll du hier verträumt!«

»Hier schloß, zu sich empor dich hebend,
»Die Muse dich in ihren Bund!
»Hier tönte, schüchtern noch und bebend,
»Das erste Lied von deinem Mund!«

So war's! so ist's! In meinem Innern
Verstummt des Tages wirrer Streit!
Zur Gegenwart wird das Erinnern,
Zum Traume wird die Wirklichkeit!

O trätest du durch Zaubersegen
Heraufbeschworen, licht und klar,
An dieser Stätte mir entgegen,
Du Wesen, das ich selbst einst war;

Mit deinem Glauben an das Hohe,
Mit deinem ungebroch'nen Muth,
Mit deines Sehnens heil'ger Lohe,
Mit deines Herzens reiner Glut:

In bitt'rem Schmerzgefühl erbleichend,
Wie bebte ich vor dir zurück!
Vor meinem Bild, mir nicht mehr gleichend,
Wie senkte sich mein scheuer Blick!

Was ich seitdem errang, es wäre
Staub unter meinen Füßen mir,
Und wortlos spräche meine Zähre:
Du armes Kind, was ward aus dir?! –

Der Himmel lächelt klar hernieder,
Die Gegend schwimmt in gold'nem Licht,
Die Vögel singen frohe Lieder,
Mir aber, ach! mir frommt es nicht!

Es weichen nicht dem Sonnenscheine
Die Geister. die mich still umweh'n!
Gestorben fühl' ich mich und meine
Auf meinem eig'nen Grab zu steh'n.


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