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Protest eines Menschen

Diese meine Worte des Protestes sollen hinausgehen aus den Grenzen Deutschlands zu Menschen aller Völker. Wo immer denkende, fühlende Menschen jetzt leben, sollen sie aufhorchen und einen Schimmer von Hoffnung in ihren Herzen spüren, daß die edlen Kräfte der Menschheit doch nicht zuschanden werden. Die Sprache eines großen Volkes kann nicht nur der Lüge, dem Haß und der Unterdrückung dienen, sie kann nicht nur von Feiglingen und Bequemen benutzt werden; mit ihr, mit ihren kostbaren Worten muß protestiert werden gegen die finsteren Mächte, die das deutsche Volk regieren. Wir sind am Ende. – Das Leben ist nicht mehr wert, gemeinsam mit anderen gelebt zu werden, wenn Recht das ist, was seit Monaten in Deutschland als Recht gesprochen wird, und wenn niemand, der irgendwie dazu berufen ist, wagt, dagegen Einspruch zu erheben. Die deutschen Rechtsgelehrten protestieren nicht. Vor aller Welt und für alle Zeit ist es nun erwiesen, daß Gelehrsamkeit allein den Menschen nichts geben kann, was das Dasein erleichtert, es muß Mut und Verantwortung hinzukommen. Wenn es auf deutschen Universitäten Rechtsgelehrte gäbe, die einen Anspruch darauf machten, den hohen Gedanken des Rechts zu hüten, sie hätten protestiert gegen die amtliche Verhöhnung des Rechts, wie sie von allen Stellen, von Ministern, Offizieren, Staatsanwälten und Richtern seit Monaten ungestraft betrieben wird. Man kann sich unter Mord, Betrug, Fälschung, Meineid, Diebstahl, Bestechlichkeit nichts Schlechtes mehr vorstellen, seitdem diese Dinge von amtlichen Personen, von Ministern, Offizieren, Parteiorganen und Staatsanwälten begangen werden, ohne daß irgend einer dieser Mächtigen bestraft wird. Wenn also unter all den Männern und Frauen der Wissenschaft sich keine Gruppe findet, die die Ehre der deutschen Wissenschaft wahrt und gegen die Macht im eigenen Lande protestiert, so übernehme irgend ein Einzelner diesen Protest. Mit seinem Gefühl für die Heiligkeit vorurteilslosen und rücksichtslosen Denkens muß er wohl dazu berufen sein, die deutsche Wissenschaft vor der Menschheit zu vertreten.

Und er spreche aus, was Millionen heute empfinden: Wenn die Männer, die den Krieg verantwortet, die ihn herbeigeführt, geführt, verlängert haben, wenn ferner im besonderen Fall die Verantwortlichen für die grauenhaften Verbrechen der Berliner Märztage nicht in Gefängnisse gesperrt werden, dann ist es Zeit, mit der Institution der Gefängnisse und Zuchthäuser ganz Schluß zu machen und den Begriff des Staatsrechts ganz abzuschaffen. Denn im Vergleich mit den großen Verbrechern, die das deutsche Volk verschont, ja, denen es huldigt, sind die Elenden, die in Gefängnissen festgehalten werden, unschuldig. Fast alle Häftlinge von heute sind Opfer des Kriegsverbrechens, und der Rest sind Kranke. Das Recht zu strafen und zu richten hat aufgehört.

Seit mehr als fünf Jahren wird der Mord als eine gute Tat belohnt, wenn er auf Befehl begangen wird an Menschen, die für Menschenrecht kämpfen, für den Frieden und den Gedanken der Liebe. Seit dem November 1918 auch dann, wenn nur die Presse der besitzenden Klasse auf einen Menschen zeigt: »Spartakist«. Jede feine Differenzierung des Urteils hat aufgehört in einem Volke, das Zu- und Abneigung, lallend, verteilt nur auf zwei Begriffe: Hindenburg und Spartakus. Für den ersten ist Lohn und Ehre da. Für den zweiten Strafe und Schande, wie immer auch die Taten des einen und des anderen beschaffen seien.

So will es das gestörte Rechtsgefühl des großen deutschen Volkes.

Wo sind die Unbeirrten, die Unbestechlichen, deren Schild noch blank ist in solcher Zeit und die das Gewissen des deutschen Volkes sein können vor der Welt? Gibt es in Deutschland noch Einzelne, noch viele Einzelne, die in dem sittlichen Sumpf, den die Kriegsverbrecher geschaffen haben, aufrecht stehen können? Dann ergeht an sie der Ruf, ebenso einzeln zu protestieren gegen die Schande der heutigen Justiz.

Die Prozesse, die vor aller Öffentlichkeit geführt werden, können nur den einen Sinn haben: jedem der denken kann zu zeigen, daß dort, wo Recht gesprochen werden soll, heute nichts anderes als das größte Unrecht hervorgebracht wird. Als Abschreckung kann Strafe keinen Sinn mehr haben, seitdem vorsätzlicher Mord ganz ungestraft bleibt und vollends Anstiftung zum Mord; zum vielfachen, wie im Falle Reinhardt,, zum vieltausendfachen, wie im Falle Helfferich und Genossen. Als Sühne ist Strafe undenkbar, weil die Prozesse zeigen, daß es nicht möglich ist, ein Gericht zu bilden, das ein gewissenhafter Mensch anerkennen könnte. Die einzig menschenmögliche Stellung zum »Verbrecher« hat Kurt Eisner eingenommen, der, als ein Attentat auf ihn gemacht wurde, in Bezug auf den Täter sagte: »Laßt ihn laufen!« So bin auch ich ja einverstanden, daß man die größten Verbrecher laufen läßt, die ganze Völker zerschlagen haben, nur sollen dann nicht die kleinen, ganz kleinen Verbrecher oder gar die Unschuldigen, die zu Tausenden in Gefängnissen leiden, anders behandelt werden. Solange die vor den Augen aller geführten Prozesse und Untersuchungen zeigen, daß kein Mensch Richter oder Zeuge sein kann gegen einen anderen, weil keiner frei ist von eigener Schuld, von dem Vorurteil seiner Klasse, seiner Zeit, solange ist keine Gewähr, daß in den vielen Gerichtsverhandlungen, in denen Menschen um Freiheit und Leben gebracht werden, ohne daß sich die Öffentlichkeit darum kümmert, unfehlbare Richter, einwandfreie Zeugen wirken. Das Unrecht aber, das im Namen des Gesetzes täglich begangen wird in all den lebensfeindlichen, freudlosen Gerichtszimmern Preußens, ist um vieles gefährlicher als das in Freiheit begangene, weil es in völliger Sicherheit an Wehrlosen geschieht, mit dem Bewußtsein der Selbstgerechtigkeit, der sittlichen Empörung und des Hasses, ja mit dem Augenaufschlag zu Gott. Es verdirbt die Richter schon durch die Atmosphäre von Feigheit, in der es entsteht und durch den ständigen Anblick der bezahlten Existenzen, die sich berufsmäßig an Menschenehre und -freiheit vergreifen müssen.

Aus all dieser Erkenntnis heraus protestiere ich gegen die Indolenz der Verantwortlichen Deutschlands, der Gelehrten, der wegen ihres Studiums mit Autorität Bedachten, die sich jetzt zu keiner Tat aufraffen. Ich protestiere ferner dagegen, daß das Bestreben, Menschen der Strafe zu entziehen, nur bei den Vertretern der Macht geduldet wird und nicht bei den Wehrlosen, Unterdrückten, Armen. An rechter Stelle nehme ich den Ruf auf, der in letzter Zeit so oft aus unberufenem Munde gehört wurde: »Heraus mit den Gefangenen« – im eigenen Lande! Weg mit den Strafbegriffen des Mittelalters! Wie sie auf die Besitzenden und Bevorrechteten nicht mehr angewandt werden, so sollen sie auch das »gemeine Volk« nicht mehr treffen. Glaubt man aber die Allgemeinheit schützen zu müssen: Gemeingefährlich können nur die Mächtigen sein. Die gilt es zu bewachen.


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