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Deutscher Naturschutz

I.

Die deutschen Jäger

Die weiße Rasse hat in unserer Zeit eine geistige Wandlung von unübersehbarer Wirkung begonnen: ihre Stellung zur Natur, zu allem Lebenden in der Natur wird eine andere. Das Leid der geschändeten Natur war niemals, seit die Erde besteht, so groß wie jetzt, unter der nichtsschonenden Macht des Welthandels, des Verkehrs, der Industrie. Maßlos sind die im Nehmen, im Verschleppen und im Füttern ihrer Maschinen. Was irgend die Erde an lebender Schönheit und Pracht hervorbrachte, muß ihnen dienen. Solange noch eine Gazelle lebt, deren Fell auf dem Weltmarkt Wert hat, ein Wal im Eismeer, ein Paradiesvogel im Urbusch entlegener Inseln, solange ruht die geschäftige Betriebsamkeit nicht, gepaart mit menschenunwürdiger Gedankenlosigkeit und Kurzsicht. Nicht vor den letzten Trägern von Keimzellen irgendeiner Art machen die Vernichter halt, die sich rühmen, Organe der Volks- und Welt»wirtschaft« zu sein. Die es nur sind, solange unter Wirtschaft das Ausbeuten ohne Rücksicht auf die Zukunft verstanden wird. Da erheben nun vorgeschrittene und weiterdenkende Menschen ihre Stimme. Sie wollen der Vernichtung Einhalt tun und warnen zuerst, man solle die Quellen, die »wirtschaftlichen« Vorteil bringen, nicht für alle Zeiten verstopfen. Sie warnen, als ob ihnen der wirtschaftliche Nutzen am Herzen liege. Aber wenn ihre Warnung auch wirklich hilft, Schätze zu erhalten und deren regelmäßige Ausbeutung zu sichern, sie ist nur ein Vorwand: viel höher geht ihr Streben. Sie wollen nicht nur Gegenstände wirtschaftlicher Ausbeutung schaffen, und keine Naturdenkmäler nur, die ja ein Vorwurf für die Menschheit sind; sie wollen an jeder Stelle der Erde die Lebensgemeinschaft hergestellt wissen, die möglich ist; wollen der Natur die Mittel zurückgeben, den Einklang und das Gleichgewicht alles Lebendigen wiederherstellen. Nicht darin zeigt sich der Mensch als Herr der Natur, daß er die Erfindergabe, die ihm gegeben wurde, dazu benutzt, alles Leben zu vernichten, sondern er wird erst zum Herrn der Natur, wenn er ein gütiger Herr wird, der die Schöpfung tiefinnerlich versteht und mit jedem hilflosen Geschöpf mitempfindet. Das ist die neue Lehre.

Wo sie in Deutschland hervortritt, berührt sie sich mit einer eigentümlichen Erscheinung: der deutschen Jägerei. Die dringendsten Aufgaben des Naturschutzes liegen nämlich im Wild- und Waldschutz. Und darin hatten in Deutschland die »Männer der grünen Farbe« auf ihre Art schon immer etwas geleistet. Sie waren Hüter der Naturschätze und hatten sich über ihre Aufgaben gewisse Anschauungen gebildet, mit denen die Naturschutzbewegung zu rechnen hat. Diese Anschauungen, die nicht ohne Einfluß auf die Stellung des ganzen Volkes zur Natur blieben, haben zum Mittelpunkt die Begriffe vom Nutzen und Schaden der Tiere, eine Unterscheidung, mit der der heutige Naturschutz nichts mehr anzufangen weiß. Die deutschen Jäger haben ihren Naturschutzbegriff außerdem auf der Voraussetzung aufgebaut, daß der Mensch das unbestrittene Recht habe, Lebendes zu töten. Der Begriff »schädliche Tiere« machte das Recht des Tötens gewisser Tiere zu einer edlen Pflicht, und der Jäger übt diese edle Pflicht als Beschützer der Tiere, die er zu gegebener Zeit töten und nutzen will. Im Rahmen dieser Voraussetzungen haben sich nun die deutschen Jäger so eine Art Komment ausgearbeitet, in dem die Begriffe edel und roh noch einmal erscheinen, während es doch vom Standpunkt des großen Naturschutzes aus ganz unmöglich ist anzuerkennen, daß jemand, der mit gewaltsamem Eingriff ein Leben vernichtet, »den Schöpfer im Geschöpfe ehre«.

(...)

Die Zahl der nach dem Komment erlaubten »Kreaturen« ist verschieden und richtet sich annähernd nach der Größe, der Häufigkeit und vermeintlichen Schädlichkeit des Wildes. Der Komment verpönt bei einigen Tieren das Töten, während sie schlafen, bei einigen, während sie stehen und nicht laufen, verbietet das Töten, während sie Junge bei sich tragen, bei »nützlichen«, erlaubt es bei sogenannten schädlichen Tieren. Es ist »weidmännisch«, also edel, ein gehetztes Tier, das festgehalten wird und wehrlos ist, mit einem Spieß abzustechen.

(...)

Nein! Es gelingt den Jägern nicht, vor der neuen Naturauffassung ihr Handwerk zu rechtfertigen und es edel zu nennen. Wohl mag eine Handlung nach ihren Sittenregeln besser oder schlechter gewertet werden; das Töten von Tieren kann nie als eine edle Handlung hingestellt werden. Es liegt tief unter der Weltanschauung, die den Naturschutzgedanken trägt, und Völker, die Buddhas Gebot »Tötet nicht, achtet das Leben« befolgen, können auf uns Europäer herabsehen.

(...)

Es gibt gar viele Männer, die aus Liebe zur Natur Jäger geworden sind. Es trieb sie hinaus, in die Freiheit und Wildnis, dorthin, wo der Mensch Erlebnisse mit Tieren sucht und sich gewöhnt hat, seine Kräfte im Überlisten wilder Tiere zu erproben. Da war und ist es noch Sitte, als Beweis der tiefen Erlebnisse in einsamer Natur, die Jagdbeute heimzubringen, die meist nur dem kühnen, ausdauernden Jäger erreichbar ist. Solange es keine Lichtbildaufnahmen gab, konnte diese Beute nur das Tier selbst sein. Das Töten aber ist vielen Jägern nicht Freude, sondern tiefer Schmerz, und sie warten nur darauf, daß eine gewaltige Macht die Tiere der Wildnis schütze und es jedem verbiete, zu töten. Dann, wissen sie wohl, wird nur der wahre Naturfreund die Anstrengung des Lebens in der Wildnis auf sich nehmen; Mordlust und Gewinnsucht werden fernbleiben.

(...)

Es darf sich aber bei dem Naturschutz nicht um die Interessen der Jäger handeln, und fehlerhaft wäre es, mit dem Sittengesetz der Jäger den Naturschutz treiben zu wollen, der heute Aufgabe der Zeit wurde. Der Naturschutz geht über die Jäger hinaus und kann in ihrem Anschauungskreise nicht wurzeln. Das mag ein Beispiel aus der Öffentlichkeit bekunden.

Vor dem Schöffengericht in Bremen wurde Ende März dieses Jahres ein Prozeß verhandelt, den die Zeitungen den »Robbenmetzgerprozeß« nannten und aus dem hervorgeht, mit welchen Anschauungen die Naturschutzbewegung in Deutschland zu rechnen hat.

Den Anlaß zu dem Prozeß gaben folgende Vorgänge: Ein Teilnehmer der Zeppelinexpedition nach Spitzbergen hatte über eine Seehundjagd für ein Jugendbuch eine Skizze geschrieben, die bei Tierfreunden und Schriftstellern Ärgernis erregte, weil aus ihr hervorzugehen schien, daß der Verfasser über das Töten harmloser Tiere Witze machte.

Die Jagdschilderung beginnt nämlich mit folgenden Sätzen: »Pistölchen heizen, meine Herren!«– Beng!– »Ja, so leicht ist die Sache nicht.« – Beng! Beng! – »Meiner hat gezeichnet!« – »I wo, hat nur gelacht!«

Ein bekannter Dichter rügte die Schilderung mit sehr harten Worten. Daraufhin fühlte sich der Verfasser des Beitrages beleidigt und klagte. Jetzt wurden Gutachten von »Sachverständigen« beigebracht, und man konnte zwei Gruppen von Gutachtern unterscheiden. Die einen nannten sich »Kenner der Polarjagd« oder waren Teilnehmer der geschilderten Seehundjagd. Für diese war die Hauptfrage, »ob es bei der geschilderten Jagd ›weidgerecht‹ hergegangen sei?« Sie bejahten diese Frage. Die andern fragten sich, ob die Darstellung der Jagd zu beanstanden sei und bejahten dies.

Und jetzt kommt das Merkwürdige: das Gericht versuchte, sich den Begriff »weidgerecht« selbst zu eigen zu machen, und es heißt in dem Urteil (das den Verfasser der Kritik jener Schilderung wegen Beleidigung verurteilt), der Artikel mache den Eindruck, daß die Jagdteilnehmer mehr geschossen haben, als direkt weidgerecht hätte geschehen müssen. Während der Naturschutz also zu dem Lebenden überhaupt Stellung nimmt, beschäftigt sich sogar ein deutsches Gericht mit der Frage nach dem Maß weidgerechten Tötens. Eine müßige Frage ist das natürlich, ähnlich der anderen, die besonders die Militärgerichte fortwährend beschäftigt: was ist mäßiger Genuß narkotischer Gifte? Wie es unmöglich ist, diesen Begriff so festzulegen, daß einem Gericht bei seiner Entscheidung behaglich ist, so ist es zwecklos, entscheiden zu wollen, ob es »weidgerecht« sei, bei einer Reise in herrenlose Wildgebiete an dem einzigen Tage, an dem sich gute Jagdgelegenheit bietet, zwei oder fünf oder fünfzig Seehunde totzuschießen. Es scheint aber so, daß, wer wirklich »weidgerecht« sein will, es vermeiden muß, auf Seehunde und ähnliche Geschöpfe zu schießen. Denn wenn man fordert, der Jäger solle sich erst einmal die Gewißheit verschaffen, daß er mit dem Töten nicht einen rohen Eingriff in das Familienleben der Tiere begehe und nicht Tiere töte, auf die hungrige Junge warten, dann antworten die »Kenner«, das ginge dort oben nicht. Und da der Begriff der Weidgerechtigkeit, die in Deutschland gilt, dort oben nicht zu brauchen ist, wenn man Tiere töten will, begnügt man sich mit einem neuen Begriff der Weidgerechtigkeit, dem Wieviel? Aber mit diesem Wort kommt man auch wieder in Schwierigkeiten. Einerseits rühmt man sich, viel geschossen zu haben, andrerseits betont man, nicht zuviel geschossen zu haben. Und dieses seltsame Messen ist so zur Gewohnheit geworden, daß selbst ein Gericht es als maßgebend anerkennt. Ist es aber nicht nutzlos, sich zu entrüsten, wenn die Teilnehmer einer Jagdreise irgend eine Anzahl von Tieren töten? Kein Mensch gibt sich heute die Mühe, ehe er nach dem Eismeer reist, zu fragen, ob das, was man dort töten wird, der regelmäßige Überschuß eines gewissen Tierbestandes ist, oder ob es die letzten Stücke einer Tierart sind. (Ja, die meisten dieser Trophäenjäger laufen grade den letzten Vertretern einer Tierart nach, nicht um sie lebend zu beobachten, sondern um sie zu töten und sich zu rühmen, etwas Seltenes geschossen zu haben.) Es ist auch beinahe zwecklos, Tiere schonen zu wollen, solange kein allgemeiner Schutz ausgeübt wird und irgend jemand das Recht hat, im Auftrage eines Händlers zu töten, was ihm erreichbar ist. Gegen das, was der Handel vernichten läßt, spielen die Jagdexpeditionen keine Rolle. Man sollte sich deshalb nicht darüber den Kopf zerbrechen, ob die Herren, die in der herrlichen Polarwelt auf ihre Weise gejagt haben, auch nach unsern Begriffen »weidgerecht« gewesen seien. Denn es gibt gewiß viele Naturfreunde, die sich nicht zu der Anschauung bekehren wollen, daß es »weidgerecht« sei, auf Tiere zu schießen, deren sichere Erbeutung so sehr fraglich ist, wie die Erlegung von Seehunden und Robben auf einer Eisscholle. Und so denkende Menschen wollen auch nicht lernen, auf edle Gesinnung stolz zu sein, wenn sie bei solcher Jagd nur zehn oder nur fünfzig Tiere erbeutet haben, und wenn sich diese Strecke nicht auf einen, sondern auf zwanzig Tage verteilt. Das sind Äußerlichkeiten, die lehren, wie weit der Mensch, der solchen Sittenmaßstab erfindet, entfernt ist, das geistige Band zu sehen, das alle Geschöpfe verbindet.

Gewiß fühlt sich mancher Weidmann nicht ganz sicher, wenn er sich das Recht anmaßt, Tiere zu töten. Weidmann sein heißt nämlich heutzutage, die Natur tiefinnerlich lieben und dennoch töten. Das Recht zu töten, bleibt im echten Weidmann wohl immer ein bestrittenes Recht. Einen Begriff des weidgerechten Tötens, der sich vor dem Forum reiner Menschlichkeit rechtfertigen ließe, gibt es nicht. Nur eine gewisse Menschenart fußt sicher auf dem eingebildeten Recht und schießt so leichthin auf Lebendes in der Natur. So: Beng! zwischen zwei Zügen an der Zigarette. Oder mit weltmännisch gelangweiltem Grinsen. Oder mitten aus einem Fünfuhrteegespräch heraus, beim Fasanentreiben.

Die Stellung der deutschen Jäger im Anschauungskampf der Gegenwart ist eine der merkwürdigsten menschlichen Erscheinungen. Es gibt echte Jäger, die einsam werden und wie Verliebte heimlich einhergehen, bevor sie das Wild in seiner Heimat aufsuchen. Sie wollen nicht Großstadtluft in den Wald hinaustragen und fühlen auch, daß die Stadt kein Verständnis für das Erlebnis des Waldes haben kann. Sie werden unwillig, wenn jemand von allem, was ihnen der Aufenthalt in der Natur brachte, nur das eine wissen will: wieviel hast du – getötet?

Wieviel? Dazu einige Beispiele. Ist die Antwort: »nichts«, dann kommt der Jäger in den Ruf, ein ungeschickter Jäger zu sein. Es ist menschlich, daß das nicht jedem gleichgültig ist, und daß auch er sich bemüht, recht viel geschossen zu haben. Sagt einer: »zehn Eisbären«, so ist er ein Held. Obwohl es, wenn man eigenem Erlebnis, Bildern und Büchern glauben darf, nichts gibt, was weniger Heldentum erfordert als eine Bärentötung. Das Tier sitzt, nichts Schlimmes ahnend, auf einem Eisblock und sieht dem Jäger zu, der sich »klopfenden Herzens anpirscht«. Auf zehn Schritte bekommt der Bär das Geschoß in die Rippen, und weil er nicht weiß, was das bedeuten soll, gleich noch ein zweites aus dem Repetiergriff. In den seltensten Fällen gelingt es, und am besten durch Wegnehmen und Töten der Jungen, Bären zum Angriff auf Menschen zu bewegen. Selbst davon und von einer Bärin, die todwund geschossen ihrem Jungen zu Hilfe kommen will, werden »rührende« photographische Aufnahmen gezeigt.

(...)

Sagt einer, er habe zwanzig Büffel erlegt, so gilt er heute unter Jägern als Aasjäger; wer zwanzig Adler getötet und ebensoviel Nester ausgenommen hat, heißt »Adlerkönig« und wird als Held verehrt. So ist denn dieser ganze Maßstab nur eine Folge gewisser Vorurteile, und die Zahl getöteten Wildes hat mit dem Wildschutz so wenig wie mit dem Begriff des Weidmännischen zu tun. Wer ein einziges selten gewordenes Tier tötet, ist schließlich ein größerer Frevler als der, welcher aus der großen Zahl ein Dutzend und mehr erlegt.

Was weidgerechte Gesinnung ist, weiß jeder ernste Jäger. Es ist die Sehnsucht nach einem Zustand, in dem der naturliebende Mensch nicht mehr zu töten braucht. Niemals aber darf man es dem Jäger so leicht machen wie das Bremer Schöffengericht und den Begriff »weidgerecht « abhängig machen von irgendeiner Zahl getöteten Wildes. Das »wieviel« hat nur eine gewisse Berechtigung, wo es sich um die im Weltnaturschutz zu lösende Frage des geregelten Abschusses großer Wildbestände handelt, deren Überschuß die Menschen ernten zu müssen glauben.

Und wenn einmal getötet wird, dann kümmert es den Naturfreund nicht, ob die Zahl der getöteten Tiere sich auf zwei oder zehn Schützen verteilt. Hier schießen einige angesehene Reisende zwanzig Seehunde, und alle Welt spricht davon, weil es eben angesehene und bekannte Männer sind, um die es sich handelt, und einige Meilen davon ladet ein Segelschiff hunderttausend schnell abgetrennte Rückenstücke vom Fell der Seehunde. Nur angeschossen werden die Tiere, mit Schrot, damit sie, blutüberströmt, auftauchen und geschlagen werden können (während die mit der Kugel geschossenen untergehen). Das wären schließlich Zahlen und Zustände, über die man sich entrüsten könnte! Doch niemand spricht davon. Und in der stolzen Handelsstadt steckt jemand das Geld ein. Jemand, der mit Seehundfellen handelt und, wenn die alle sind, mit Reiherfedern oder sonst irgendetwas. Ein Seelenloser, dem die Natur nur etwas ist, was er nach Geld durchstöbert.

(...)

Der Schutz der Tierwelt verlangt nichts anderes als eine strenge Abwehr der Mächte, die heute das Banner der Zerstörung über die Erde tragen: des Welthandels und der Industrie. Nur ob ein Tier auf dem Weltmarkt Wert hat, das ist entscheidend dafür, ob es vernichtet werde oder geduldet. Die Maßnahmen zum Schutz der Tierwelt müssen dahin gehen, den Handel mit Teilen begehrter Tiere, ebenso wie einst den Sklavenhandel, aussichtslos zu machen. Sobald das geschieht, wendet der Handel seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu, und die Tiere sind gerettet.

So sind in amerikanischen und australischen Staaten die seltensten Federn für den Handel wertlos geworden, weil es gesetzlich verboten ist, Reiherfedern auf Hüten zu tragen. Und in britisch-afrikanischen Kolonien wird das Verbot, Tiere zu schießen, in großzügiger Weise wirksam erhalten durch die Zollpolizei, die nur solche Trophäen durchläßt, für deren Erbeutung eine festgesetzte, hohe Summe vorher bezahlt wurde. Diese Summe aber ist so groß, daß sie dem Handel mit der Trophäe keine Aussicht auf Gewinn mehr läßt. Damit hat England den einzig möglichen Weg gezeigt, in unserer Zeit des Weltverkehrs Tiere zu schützen.

(...)

Wo immer eine schützende Hand sich über lebende Naturschätze ausbreiten kann, da muß sie es jetzt tun. Alle wirtschaftlichen, alle künstlerischen Aufgaben können von den Menschen immer noch gelöst werden, und nichts ist verloren, wenn ein Volk ein paar Jahre später auf den Höhepunkt seines Reichtums kommt; wenn aber durch unsere Schuld Geschöpfe der Natur ganz vom Erdboden vertilgt werden, das ist nie wieder gut zu machen. Mit jeder Tierart, die uns von Urzeit bis hierher begleitet hat, die unsrer Phantasie oft Nahrung war und uns in trüber Zeit wohl selbst zur Nahrung werden mußte, verschwindet ein Stück unsrer selbst.

Da helfe heute, wer helfen kann, und schütze im Tiere den Menschen.

II.

Wirtschaftliche und Fanatiker

Es ist den Deutschen noch garnicht zum Bewußtsein gekommen, daß sie im Naturschutz heute noch etwas wirklich Großes schaffen können, und sich nicht auf Naturdenkmäler zu beschränken brauchen. In den afrikanischen Gebieten, die deutsch sind, gibt es weite, fast unberührte Länderstrecken, die, heute zum Nationalpark und unantastbaren Heiligtum erklärt, an Bedeutung die amerikanischen Naturschutzgebiete weit übertreffen würden, weil die ganze paradiesische Fülle des Tierlebens dort noch anzutreffen ist. Wenn den Amerikanern schon im Jahre 1872 die Tat gelang, ein unberührtes Gebiet der Ansiedlung und Ausbeutung zu sperren, eine Tat, auf die sie mit Recht stolzer sein können als auf einen gewonnenen Krieg, dann muß doch Deutschland vierzig Jahre später auch den Entschluß zu solcher at finden können!

Vor Jahresfrist beschloß die deutsche Kolonialgesellschaft für die Erhaltung der Tierwelt in unsern Kolonien etwas zu tun. Sie, deren Arbeit es zu danken ist, daß die Kolonien bekannt und durch Bahnen erschlossen wurden, wollte auch ferner das »koloniale Gewissen der Nation« sein.

Großzügiger Naturschutz: Das war also eine Aufgabe, die dem ganzen deutschen Volke und zukünftigen Generationen diente und sich nicht, wie so vieles, was verhandelt wird, darauf beschränkte, einem halben Dutzend Menschen die Arbeit in den Kolonien scheinbar zu erleichtern. Es war also eine ganz große wirtschaftliche Aufgabe. Deshalb wurde sie von denen, die sich gewöhnt haben, wirtschaftliche Maßnahmen nach dem Beifall zu messen, den irgendeine vom Augenblicksvorteil entzückte Gruppe anstimmt, nicht mehr begriffen und stieß auf Gegnerschaft. Die Gewohnheit, alles von dem begrenzten Wirtschaftsbegriff aus zu erfassen, der in jedem Kilometer Eisenbahn an sich schon einen Kulturfortschritt sieht und jede Tonne auf dem Weltmarkt abgelieferter Ware für eine hohe Menschentat ansieht, ohne zu fragen, ob vielleicht Blut daran klebt, oder ob sie selbst dazu dient, Menschen zu vergiften, diese Gewohnheit machte einige Männer so blind gegen das Wesen des Wildschutzgedankens, daß sie feindlich dagegen anstürmten. Gewohnt, Interessengruppen gegeneinander kämpfen zu sehen, fragten sie nur, ob der Wildschutz eine Sache sei, die den wirtschaftlich Arbeitenden heute schon Gewinn abwerfe, und als sie die Frage nach dem Gewinn verneinten, witterten sie gar Verlust. Ein Redner bedauerte auch, daß man sich mit »Reiherfedern« so lange aufhielt, ein anderer sagte ganz offen, daß »wirtschaftliche Notwendigkeiten« allein Richtschnur der Kolonialpolitik sein dürften. Wohlgemerkt: wirtschaftliche, nicht etwa volkswirtschaftliche Notwendigkeiten. Bei der Beachtung wirtschaftlicher Notwendigkeiten sind schwere volkswirtschaftliche Fehler erlaubt, wie man allein aus der Art weiß, wie Land vergeben wird. Und da erspähten sie auch schon den Gegner, den Gegeninteressenten: den Jäger. Waren es doch Jäger, bekannte Wildtöter, die so energisch für die Sache eintraten. Jetzt war auch der Wortschatz gefunden, der die also Denkenden unfehlbar weit und weiter vom Wesen der Sache abbringen mußte: »Der arme Ansiedler, dem der Elefant die einzige Baumwollstaude mutwillig zerstampft, und der reiche Sportsmann, der sich mit dem Feudalprinzip des Mittelalters den Jagdgenuß allein sichern will. Sportliche Luxuspolitik im Gegensatz zu ernster, schweißtreibender Arbeit entbehrender Kolonisten, die auf jeden Lebensgenuß für immer verzichtet haben.« Und kurz und gut, ein einziger Entrüstungsruf: es geht gegen die Kolonisten! Und nun sprach man einfach auch nicht mehr von »Erhaltung der Tierwelt«, sondern von »Jagdschutz«. Damit wurde die große Sache herabgesetzt. Denn Jagdschutz heißt nur Wild schützen und hegen, um sich die Gelegenheit, es zu töten, zu erhalten. Wildschutz, oder besser Schutz der Tierwelt, ist aber ein Kulturwerk, das der ganzen Menschheit zugute kommt.

Die Wildschutzkommission, die von der deutschen Kolonialgesellschaft einberufen wurde, hat zwar mit der Jagd gerechnet; der Grundton ihrer Verhandlungen ist aber auf Naturschutz gestimmt, und die Jagd ist mehr als eine Gefahr des Wildschutzes berücksichtigt worden. Das macht die Verhandlungen dieser Kommission zu einem bedeutenden Zeichen der Zeit.

Die Kommission legte dem Kolonialamt fertige Entwürfe von Jagdgesetzen für die einzelnen Kolonien vor und sprach allgemeine Grundsätze aus, die, einmal niedergelegt, im stillen fortwirken und eines Tages als fertige Anschauung derer, die die Macht haben zu schützen, erscheinen werden.

Der erste dieser Grundsätze Bericht über die Verhandlungen der Wildschutzkommission: Wilhelm Süßerott, Berlin. sagt:

»Es ist anzustreben, daß der vorhandene Wildbestand geschont und erhalten werde, wo er wirtschaftlichen Unternehmungen nicht im Wege ist, und daß eine Vermehrung stattfinde in den Gebieten, in denen das Wild in Gefahr ist, vorzeitig vernichtet zu werden. Pflanzungen und wirtschaftliche Unternehmungen müssen gegen Wildschaden in weitestgehendem Maße geschützt werden.«

Wenn man das liest, versteht man nicht, daß sich Männer finden, die »den Kolonisten« auch noch gegen solche Grundsätze in Schutz nehmen zu müssen glauben. Dann heißt es weiter:

»Der Wildstand der Kolonien ist ein Nationalvermögen, das in vernünftiger Weise nutzbar gemacht werden soll. Solch ein Vermögen muß so verwaltet werden, daß die Kolonien Jahr für Jahr gleiche, wenn nicht steigende Einkünfte daraus haben.«

Hier wird also der volkswirtschaftliche Nutzen als Ausgangspunkt aller Maßnahmen des Wildschutzes genommen. Danach folgt ein Satz, der rein ist von Spuren des Eigennutzes:

»Dem Gedanken der modernen Naturschutzbewegung entsprechend, sind große Gebiete als Wildreservate vorzusehen, in denen die Jagd gänzlich ruht, damit allen Wildarten Zufluchtsstätten geboten werden, in denen sie in vollster Freiheit unter den Bedingungen leben können, die von der Natur gegeben sind.«

Wie stark der Naturschutzgedanke mit seiner Verurteilung des Schädlichkeitsbegriffes schon wirkt, geht aus einer Anmerkung hervor:

»Es ist kein Grund vorhanden, größere Eulen dem Abschuß freizugeben. Der Ausdruck ›kleinere Eulen‹ ist jedenfalls in die frühere Jagdverordnung hineingekommen, weil die Ansicht, daß jeder größere Vogel in gewissen Grenzen schädlich sei, noch nicht allgemein überwunden ist ... Die größten sogenannten Raubvögel, die See- und Schreiadler, dürften nur in beschränktem Maße geschossen werden, damit nicht der durchaus irrige Glaube weiter bestehe, im Abschuß von Raubvögeln läge ein Nutzen für die Menschen.« Vgl. Dr. Friedrich Knauer, Der Niedergang unserer Tier- und Pflanzenwelt, S. 69, Th. Thomas Verlag, Leipzig.

Dann ist folgender vortreffliche Satz ausgesprochen:

»Ein großzügiger Wildschutz hat anzustreben, daß der Mannigfaltigkeit der Arten, die uns die Natur überliefert hat, Achtung entgegengebracht wird, und daß dieser Reichtum nicht unnötig zerstört werde ...«

Endlich tritt die Kommission für die Abschaffung der Prämien auf die sogenannten schädlichen Tiere ein, worunter ja leider in Deutschland jedes Schulkind schon alle mit dem Worte »Raub« benannten Tiere versteht – und deshalb zu töten trachtet: die Raubtiere, Raubvögel, Raubkäfer. Der Nutzen der großen Raubtiere im Haushalt der Natur wird hervorgehoben.

Die Kommission tagte unter dem Vorsitz eines bekannten afrikanischen Pioniers, des Bezirksamtmanns von St. Paul Illaire, und prüfte gewissenhaft alle Einwände, die man gegen einen wirklichen Naturschutz bringen könnte. Kenner aller in Frage kommenden Wissensgebiete wurden herangezogen. Gelehrte: die Professoren Plehn, Schillings, Matschie, Brauer sprachen aus, daß es unwissenschaftlich sei, die Großtierwelt aus Seuchenfurcht zu vernichten. Selten mögen bestehende Rückständigkeiten, wie die gedankenlose Preisgabe lebender Naturschätze, so einmütig verurteilt worden sein, wie in diesem denkwürdigen deutschen Ausschuß.

Über die Arbeit der Wildschutzkommission wurde dann auf der Hamburger Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft berichtet, und es wurde zuerst einmal darüber gelacht, als jemand die Wildschutzfrage erwähnte. Das ist recht bezeichnend. Die Erwähnung von Kulturfragen klingt denen, die gewöhnt sind, nur von wirtschaftlichen Interessen und allenfalls von Fürsorge für die dadurch Geschädigten zu hören, so ungewohnt, daß sie erst einmal lachen müssen. Daher glaubten selbst Redner, die dem Gedanken des Wildschutzes freundlich gegenüberstanden, sich hier das wirtschaftliche Mäntelchen umhängen zu müssen. Welche Einschätzung genießt doch eine Versammlung, in der niemand es wagen darf, zu sagen: »Es handelt sich um höhere als gewöhnliche wirtschaftliche Dinge.« Fast alle Redner wiesen denn auch die Berechtigung ihrer Worte nach, indem sie von Nutzung, Werten und wirtschaftlicher Bedeutung sprachen. Nur einige wagten es auch hier, solche Überlegungen als niedrig zu bezeichnen und offen zu bekennen, daß nur der hohe Gedanke der Erhaltung der Natur für sie bestimmend sei. An ihrer Spitze K. G. Schillings. Nachdem andere versucht hatten, auch bei diesem, von einem Kolonialmann als »nebensächlich und höchst bedenklich« bezeichneten Wildschutzthema um den Beifall notleidender Kolonisten zu werben, nachdem behauptet worden war, Deutsch-Neu-Guinea könne nur durch Ausrottung der Paradiesvögel kultiviert werden, sagte Schillings: »Warum verbietet denn England jede Erlegung der Paradiesvögel? Ich will es Ihnen sagen: weil der Engländer in solchen Dingen höher steht als wir.«

Nun, der Deutsche wird auch bald so weit sein, wie der Amerikaner von 1872 und die weitblickenden Gesetzgeber des Britischen Neu-Guinea. Und wenn er erst weiß, wie reich ein Volk durch den Naturschutzgedanken werden kann, dann wird er die Frage nach wirtschaftlichem Nutzen verachten. Er wird wissen, daß es im Kampfe für die Natur um weit Höheres geht: um die Seele der Menschheit. (...)


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