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Die Wildnis

Was ist uns die Wildnis? Ich will ganz deutlich sagen, was sie uns nicht ist: nicht etwas Unvollkommenes, das schleunigst in Kultur genommen werden muß, vielmehr ein Ort, an dem wir unsere Vorurteile einmal nachprüfen sollten, ob wir nicht andere an ihre Stelle setzen könnten.

Ich bin voll Zweifel, ob das, was wir dorthin bringen, gut sei. Deshalb tue ich jeden Schritt in die Wildnis nur zögernd. Die Zeit, fühle ich, braucht solche Menschen wie mich, Menschen, die an allem, was wir herrlich finden sollen, zweifeln.

Der erste Weiße, der die Wildnis betritt, sieht zu, was er ihr rauben kann. Denn Merkmal der Wildnis ist, daß das Geld der Kulturwelt dort keinen Wert hat, und wenn der Eindringling fragen würde, was ein Gegenstand kostet, so fordert der Wilde ebenso leicht eine Mark wie zehntausend. Der Eindringling hat die Wahl und zieht es vor, gar nichts zu geben. Billig Einkaufen nennt er das. Der nach ihm Kommende will diese Methode des Plünderns verfeinern, weil die Schätze schon nicht mehr so offen daliegen. Er baut Wege, entwässert Sümpfe, reguliert Flußläufe und fällt den Urwald. In stille Täler bringt er hohe Schlote, Wasserfälle ändert er in Kraftstationen um.

Die Wildnis flieht vor alledem. Die Tierwelt weicht zurück, und auch im Menschen flieht etwas: die harmlose Unschuld.

Der Weiße aber, der ins Land kommt, ist überzeugt, daß er Notwendiges und Gutes bringt. Er erschließt, hebt, bessert, kultiviert und verfeinert, macht dienstbar, und wie die Ausdrücke alle heißen.

Aber er hat keine Ehrfurcht vor dem, was da ist. Er entheiligt, verwüstet, vernichtet, verschandelt, zerstört, ohne es zu wissen.

Wehe dem, der das sagen, der an dem Wert der Kultur zweifeln wollte!

Selbst der Hinweis auf die Folgen, auf Eingeborenenaufstände, Entartung, Seuchen und den Zusammenbruch des Systems im Kriege, belehrt keinen, der vom Eifer besessen ist, Kolonisator zu sein, Heiden zu Christen zu machen, Gläubige aus Ungläubigen, Wilde zu Gesitteten, Menschenesser zu Alkoholtrinkern und Tierfressern.

Worin glaube nun ich besser zu sein als diese? Ich zweifle an dem Wert dessen, was ich bringe, und habe Ehrfurcht vor dem, was ich finde. Und daher schwebt mir ein ganz anderes Ziel vor: ich denke nicht daran, Menschen und Länder bessern zu wollen, sondern hoffe, selbst besser zu werden im Verkehr mit der Wildnis. Wenigstens nicht Schlechtes ins Land hineinbringen – wer diesen Wunsch hat, der hört nicht auf, neue Maßstäbe an das, was er ist und was er hat, zu legen.

Ich glaube, das Verhältnis zur Wildnis muß das sein, was rechte Eltern zu ihren Kindern einnehmen: sie sehen die Kinder nicht als etwas Mangelhaftes an, sondern als einen vollkommenen Rohstoff, der gleich bereit ist, zur Schönheit oder zum Greuel geformt zu werden, und erziehen sich selbst, weil sie Kinder erziehen wollen.

In dieser Anschauung liegt das ganze System der Kolonialpolitik, die mir vorschwebt.


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