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Die Legende von der Vertreibung der Kaiserin

Es wird Zeit, die Legende zu zerstören, die Exkaiserin Augusta Viktoria sei im November 1918 von brutalen Revolutionären aus dem Schlosse vertrieben worden. Die Begebenheit, die dieser Erzählung zugrunde liegt, ist folgende:

Mitte November 1918 hatte ich mit der Exkaiserin das Gespräch, das dazu benutzt wird, sie als die gekrönte Dulderin hinzustellen. Ich bemühte mich damals, Dokumente zu sichern, an deren Vernichtung die früheren Machthaber – und leider auch andere – ein Interesse hatten. Dabei kam ich auch in die Potsdamer Villa Ingelheim, in der die Exkaiserin bei ihrem Sohne Eitel Friedrich wohnte. Dieser fragte mich, ob ich auch seine Mutter zu sprechen wünsche? Da ich nicht die Absicht hatte, die Frauen zu behelligen, lehnte ich das ab. Dennoch ging der Prinz hinaus und kam nach einigen Minuten mit seiner Mutter wieder herein. Die Kaiserin war zu einem Spaziergang angekleidet. Sie trug ein braunes Seidenkleid und einen Hut mit braungefärbten Reiherfedern. Man sagte mir, daß Herr Hintze auf sie wartete und ein Herr Fehrenbach sich anmelden ließ. Zu meinem Erstaunen nahm die Kaiserin eine herausfordernde Haltung an und sagte in gereiztem Tone: »Was wünschen Sie von mir; ich habe mir gedacht, daß ich belästigt werde.« Ich sagte darauf: »Sie scheinen nicht zu beachten, unter welchen Umständen ich hier stehe,« ich sei der Vertreter des Volkes, das seinen Leiden ein Ende gemacht habe und dem es übrigens nicht zu verdenken wäre, wenn es sie wirklich mal belästigte. Die Anrede »Sie« traf die Exkaiserin so sehr, daß sie wörtlich sagte: »Und ich bin – ich war Kaiserin.« Da ich ihr anzusehen glaubte, daß sie müde sei, fragte ich sie, ob sie sich nicht setzen wollte, und zeigte auf den einzigen Stuhl, der neben uns stand. Sie dankte und fragte mich, wer ich sei? Ich erwähnte, daß ich im Kriege den Dienst als Offizier verweigert hätte, nachdem ich zu der Überzeugung gekommen sei, daß die deutsche Regierung den Weltkrieg provoziert habe und den Frieden verhindere. Sie sah mich erstaunt an. Ich glaubte ihr anzumerken, daß sie auf irgendwelche schrecklichen Dinge gefaßt war, und suchte ihre Angst zu mildern, indem ich etwas sagte von einem neuen, besseren System der Menschlichkeit und Liebe. Sie antwortete, teils erleichtert, teils etwas verwirrt: »So, das ist ja schön.« Dann beklagte sie sich plötzlich, daß im Berliner Schloß geplündert worden sei. Darauf riet ich ihr, das nicht so laut zu sagen, es könnte die Erbitterung derer steigern, die wirklich gelitten hätten. Sie sehe doch, daß niemand ihr ein Haar krümme. Sehr deutlich warf ich ihr vor: »Dieser Krieg hat eine Schädelpyramide gehäuft, und Sie beklagen sich, daß in einem Ihrer Schlösser frierende Menschen den Wäscheschrank Ihres Gatten plündern.« (Es war dieselbe Kaiserin, von der mitten im Kriegselend gemeldet wurde, sie ließe sich täglich telegraphisch berichten über die Nachforschungen nach einer Vase, die ein Schüler aus dem Schlosse Wilhelmshöhe geholt hatte, während doch Tausende jahrelang vergeblich auf ein Lebenszeichen von ihren Liebsten hofften und kein Telegraph für solche »unmilitärischen« Notwendigkeiten verfügbar war.) Von dem Wahne, die Hohenzollern würden jemals einsehen, daß ihr Mittelalter zu Ende ist, konnten mich die folgenden Bemerkungen heilen: Die Kaiserin war tief empört, daß die Soldaten den Weltkrieg nicht mehr mitmachen wollten. Sie sagte schließlich: »Sechs Söhne habe ich an der Front gehabt!« Ich riet ihr, nicht zu Vergleichen herauszufordern: Denn selbst wenn einer dieser sechs Söhne gefallen wäre, so wäre noch nicht der Ernährer einer Familie gefallen, und was das heiße, könne sie sich wohl kaum vorstellen. Die Sorgen, die sie jetzt habe, seien nicht zu vergleichen mit dem, was andere Frauen zu tragen hätten. Die Kaiserin schien sich wehren zu wollen gegen diesen Zwang, sich das wahre Gesicht des Krieges vorzustellen. Als ich dann in irgendeiner Verbindung das Wort »Proletarierfrauen« gebrauchte, rief sie aus: »Man hat doch fürs Vaterland seine Opfer gebracht!« Ich begann: »Was nennen Sie Vaterland? ...« Sie unterbrach mich aber: »Allerdings, wenn man kein Vaterland hat ...« Weiter kam sie nicht und verschwand in der Tür.

Dies war also die schreckliche Mißhandlung, über die höhere Töchter jetzt Tränen vergießen. Es hatte mal jemand der Kaiserin offen gesagt, wie schwer andere Menschen durch den Krieg zu leiden hatten.

Darauf reiste sie nach Holland.

Die Legende von der mißhandelten Kaiserin soll jetzt wohl dazu benutzt werden, Schlüsse zu ziehen, wie schrecklich es Wilhelm II. ergangen wäre, wenn er statt nach Holland sich nach Cadinen zurückgezogen hätte. Er hat sich aber die Zuneigung so vieler grundsätzlicher Monarchisten ganz ohne Grund verscherzt. So furchtbar das Volk unter den Hohenzollern gelitten hat, niemand dachte daran, sich dafür an einem Mitglied des Hauses zu vergreifen. Es geht aber deutlich aus dem Verlauf des Gesprächs mit der Kaiserin hervor, daß sie nur auf die Rolle der Dulderin eingestellt war. Wie stolz wäre sie gewesen, wenn man sich mehr um sie gekümmert hätte und sie auch nur einen einzigen Tag da hätte zubringen dürfen, wo Rosa Luxemburg den Himmel hinter eisernen Kreuzen sah. Empfindsame Seelen, die heute nichts Wichtigeres zu denken haben, sind empört, daß die Kaiserin mit »Sie« angeredet wurde. Ich konnte ihr aber doch die Anrede »Majestät« nicht zubilligen und die Formel »Gnädige Frau« war mir gerade nicht zur Hand. In dieser zufälligen Anrede lag nicht die geringste Absicht der Kränkung. Als die Kaiserin meiner gut gemeinten Aufforderung, sich hinzusetzen, nicht folgte, hatte ich den untrüglichsten Eindruck, daß ich sie in irgendeinem Vorbild störte. Es gibt irgendein Bild, auf dem die Königin Luise in ähnlicher Situation steht.


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