Georg Freiherr von Ompteda
Denise de Montmidi
Georg Freiherr von Ompteda

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IX.

Seitdem war zwischen den Gatten Frieden nach dem Sturm, kein erregter Auftritt folgte, aber es wurde kaum mehr gesprochen. Jeder ging seinen eigenen Weg.

Denise stand stundenlang bei dem Kinde. Sie nahm sich dazu die Zeitung mit, die ihr jetzt der alte Diener ihrer Eltern aus Paris schickte, denn ihre Mutter hatte an andere Dinge zu denken.

Ein Tag zog vorüber wie der andere, der Sommer war vergangen, es wurde Herbst. Die Zeit kam, wo es im Garten, der abermals vergrößert worden war, nichts mehr zu tun gab. Und wieder strich Robert mit der Flinte durch den Wald.

Es gab keine Unterbrechung in diesem Leben. Der einzige Mensch, mit dem man einmal hätte sprechen können, war der Pfarrer, aber Robert hatte sich aus irgendeinem Grunde mit ihm erzürnt, ein kaum zu erklärender Umstand, denn der alte Priester pflegte mit jedem auszukommen, da er zu allem ja und amen sagte.

Denisens einzige Zerstreuung war die Kirche. Jeden Sonntag ging sie dahin, früh und abends. Allmählich hatte sie sich angewöhnt, auch in der Woche den Weg ins Dorf täglich zurückzulegen, um zu beten.

Es war eine einfache Dorfkirche; der Altar, ein überladenes, geschmackloses Barockmonstrum, ihr einziger armseliger Schmuck. Aber es gab unter dem Chore dunkle Bänke, wo einen in der halben Dämmerung, die bei den erblindeten Scheiben herrschte, kein Menschenauge sah.

Dorthin setzte sich Denise. Sie legte ihren Gram nicht ihrem Schöpfer zu Füßen, sie flehte nicht die heilige Jungfrau an, ihr gnädig zu sein in ihrem Leid, sie sprach nicht in stillen Gebeten mit dem kleinen Christkindlein. Sie saß brütend in dem Dunkel da, die Stirn in die gefalteten Hände gestützt, sie träumte, sie schlief halb, sie ließ sich umnebeln von der Stille des Raumes, von dem leisen Weihrauchduft, der hier immer schwebte. Sie konnte lange, lange hinüberblicken zum Altar, der abends in der jetzt täglich früher hereinbrechenden Dämmerung mystisch mit seinen Posaunenengeln und goldenen Säulen glänzte. Sie sah das ewige Licht in der roten Schale, kein Feuer, ein Flackern nur, wie ihre Seele, wie ihre Ehe, wie ihr Leben.

Wenn sie dann dort eine Stunde lang gesessen hatte, ging sie wieder nach Haus, langsam den Weg querfeldein, auf dem sie keinen Menschen begegnete, über die traurigen, kahlen Felder, die nun längst Schmuck und Grün abgelegt hatten. Sie ging im Regen ohne Schirm, ließ sich naß werden, denn ihr war alles, alles gleich.

Sie war müde, abgespannt, hatte an nichts Freude und Interesse, nicht einmal mehr an ihrem Kinde. Wenn es krank geworden wäre, würden vielleicht angesichts der Gefahr, es zu verlieren, Herz und Seele und Nerven ihre Spannung wiedergefunden haben; aber der Kleinen fehlte nie etwas, sie wurde groß und kräftig, die Amme zog Lucy auf, als wäre sie ihr eigen Fleisch und Blut.

Denise erhob sich morgens, verbrachte den Tag, ging schlafen und blieb mit offenen Augen stundenlang liegen, ohne sich zu rühren. Es war ihr, als hätte sie Blei in den Adern. Und sie sagte sich: ›Noch ein paar Jahre so, und ich bin kein Mensch mehr!‹ Sie fühlte sich, als erstarrte sie allmählich, als verkalkte ihr Herz, als versickerte ihr Blutlauf. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn ihr gesagt worden wäre, sie würde allmählich zu Stein, sie hätte ihre Bewegungsfähigkeit verloren, ihr Gehirn trocknete langsam ein.

Es wurde Frühling. Längst war es ein Jahr, daß sie Paris genossen hatte. Ab und zu kam ein Brief von ihrer Mutter, ein Brief, den Denise kaum mehr las, denn er erzählte nie etwas anderes als all die kleinen Nichtigkeiten des Pariser Daseins. Nichtig, so schien es jetzt Denise, denn auch all ihre Sehnsucht nach der großen Stadt war eingeschlafen, als sei ihr Blut gestockt. Es war ihr gleichgültig, was die Mutter unternahm, es war ihr gleichgültig, was ihr Vater trieb, von dem sie in dem ganzen Jahr nur einmal ein paar Zeilen bekommen hatte. Er hatte zuviel zu tun, im Klub, wahrscheinlich beim Spiel, vielleicht bei seiner neuen Leidenschaft, dem Büchersammeln. Auch von René erfuhr sie nichts. Aus der guten Partie war, wie es schien, nichts geworden, sonst würde sie doch etwas gehört haben.

Da fragte Robert eines Tages, als es schon wieder anfing, Herbst zu werden, so von ungefähr:

»Möchtest du nicht einmal nach Paris?«

Sie antwortete ruhig:

»Nein, ich bleibe lieber hier.«

Aber er ermunterte sie:

»Es wäre doch ganz gut, wenn du einmal deine Eltern wiedersähest.«

Ihre Lippe zuckte, als sie antwortete:

»Sie kümmern sich nicht um mich, warum soll ich mich um sie kümmern.«

Robert legte, was er lange nicht mehr getan hatte, den Arm um ihre Schulter, zog sie an sich und redete ihr zu: sie nähme das Leben viel zu schwer, er hätte in der letzten Zeit überhaupt bemerkt, wie still sie wäre, und sie müßte sich ein wenig zerstreuen. Darum wäre es das beste, sie besuchte ihre Eltern. – Dabei blickte er sie an wie früher, ein Lächeln schwebte um seine Lippen, er küßte sie auf die Stirn, auf die Wangen und den Mund.

Zuerst widerstrebte sie, dann ließ sie sich's gefallen, ward weich, und eine wunderherrliche Seligkeit kam über sie. Sie brauchte Liebe, Zärtlichkeit, Vertrauen, man mußte sich um sie kümmern; sie bedurfte dessen wie der Luft zum Atmen, wie des Lichtes zum Sehen. Sie ließ sich sofort ganz fangen, wachte auf aus ihrer Erstarrung, bereit, alles zu vergeben und zu vergessen. Er war wieder gut mit ihr, alte Tage kehrten zurück, alte Tage, die doch noch gar nicht so entfernt lagen, denn sie waren doch nun erst drei Jahre verheiratet. Sie schmiegte sich an ihn, legte sich zurück, und er fragte mit dem alten Lächeln seiner schönen Augen, in demselben Ton, wie er es einst mit der jungen Frau getan hatte, damals, als sie ihre verhängnisvolle Reise nach Monte Carlo gemacht hatten: »Hast du das gern?«

Sie blickte ihn an, so daß er die Antwort las, und sie schloß die Lider und ließ sich noch einmal küssen. Alles schien vergessen. Neue Hoffnung kam über sie, und sie tat sich, während sie seinen Schnurrbart leise an ihrer Wange fühlte, mit klopfendem Heizen das Gelübde, wenn er immer so zärtlich gegen sie wäre, wenn er sie lieb hätte, dann wollte sie mit ihm hier aushalten, ohne einen Menschen zu sehen in dieser Einsamkeit, die ihr jetzt immer so fürchterlich erschien – ewig, bis an das Ende ihrer Tage. Dann flüsterte sie:

»Aber, Robert, ich will nicht fort, ich will bei dir bleiben!«

Der Druck seiner Hand schien etwas zu erlahmen, und ein wenig ließ er die kleine Gestalt seiner Frau sinken. Sie sagte noch einmal:

»Ich verlange ja nur, du sollst mich lieben und gut zu mir sein, dann will ich nicht fort. Was soll ich denn in Paris?«

Er ließ sie jetzt ganz los, es schien ihm nicht recht zu sein, denn Unmut malte sich auf seinem Gesicht:

»Aber wenn ich dir's nun vorschlage?«

Sie lachte ihn an:

»Nein, Robert, ich will bei dir bleiben!«

Da bezwang er sich und tat, als wäre er ihr dankbar, aber er küßte sie nur flüchtig auf die Stirn, ging hinaus, und in schwankenden Gefühlen blieb Denise sitzen.

Sie war glücklich über die wiederkehrende Liebe ihres Gatten, aber leise nagte doch der Zweifel an ihrer Freude, denn sie sagte sich: ›Was hat er nur? Da steckt etwas dahinter!‹ Doch dann meinte sie, eigenwillig wie er war, hätte es ihn geärgert, daß sie durchaus nicht das tun wollte, was er wünschte. Es war das beste, sie ging trotzdem nach Paris, damit er sähe, wie sie ihm willfährig war.

Ihr Stolz bäumte sich nur dagegen auf, sie wollte nicht betteln gehen bei den Eltern, wenn sie auch entschlossen war, bei dem geringsten entgegenkommenden Wort ihrer Mutter zu schreiben: ›Da Du daran erinnerst, daß ich Paris solange nicht gesehen habe, so will ich kommen. Da Du nach dem Kinde fragst, so will ich es Dir zeigen. Da Du Dich erkundigst, wie es mir geht, so sollst Du Dich selbst überzeugen.‹

Aber die Zeit verstrich, es kam kein Brief, keine Frage nach ihrer Gesundheit, keine Erwähnung der kleinen Lucy. Auch die Zärtlichkeit ihres Gatten war vorüber, sie kehrte nicht wieder.

Das Laub ward gelb, und allmählich sank die junge Frau in ihre Gleichgültigkeit zurück. Die Tage schlichen hin, Robert ging auf die Jagd, öfter denn je, und fast immer kam er in schlechter Laune wieder.

Einmal schien er besonders ärgerlich zu sein. Denise fragte, nur um etwas zu sagen, ob er einen Verdruß gehabt hätte. Da meinte er wütend:

»Ich weiß nicht, ob das Gewehr nichts mehr taugt oder meine Augen, aber ich sehe da einen Marder schleichen, gebe Feuer, eins, zwei, beide Läufe, das Tier blickt mich frech an, wird flüchtig, und weg ist es.«

Dann setzte er sich in die Bibliothek und begann zu lesen.

Denise aber ging zu Lucy hinauf. In der Ecke lehnte die Doppelbüchse, und die junge Frau, die von drinnen das glückliche Lachen ihres Kindes hörte, sagte sich: ›Das ist gefährlich, es ist in Reichhöhe, die Kleine könnte damit spielen.‹ Sie griff nach dem Gewehr, um es wenigstens auf den Tisch im Flur zu legen, damit das Kind nicht daran könnte. Aber sie zögerte, denn sie hatte nie eine Waffe in der Hand gehabt.

Da hörte sie Tritte vom Boden herab. Louis kam die Treppe herunter. Er hatte eine lose Schiefertafel angenagelt, denn es regnete ab und zu durch, da Robert am Dache nichts machen ließ. Denise sagte zu ihm, indem sie die nach dem Gewehr schon ausgestreckte Hand zurückzog:

»Louis, bitte, legen Sie die Büchse auf den Tisch, ich mag sie nicht anfassen, sonst geht sie vielleicht los.«

Der Diener, der jetzt nur noch abgetragene Kleider seines Herrn trug – Robert meinte, eine Livree wäre zu teuer –, packte lachend das Gewehr an, und während er es auf den Tisch legte, sagte er:

»Ach, die ist weder geladen noch ist daraus geschossen worden.«

Sein Ton hatte etwas Verächtliches, wie er denn überhaupt gegen Denise manchmal an der Grenze des Artigen war.

Etwas gereizt antwortete sie:

»Bitte, ich werde es doch wissen, mein Mann hat mir eben erzählt, daß er zwei Fehlschüsse getan hat.

Louis steckte zwei Finger in die Schrotläufe, hielt sie etwas dreist Frau de la Caille unter die Nase und sagte:

»Da riechen Sie, gnädige Frau, wo soll denn da geschossen sein? Keine Patrone ist drin gewesen!«

Sie blieb dabei:

»Mein Mann hat es mir doch eben erzählt.«

Aber der Diener lachte, ließ die Hähne spielen, klappte den Lauf herab, hielt ihn gegen das Licht, sah durch und meinte:

»Ganz rein, nee, nee, da ist kein Schuß rausgekommen!«

Denise verstand davon nichts. Sie ärgerte sich. Das klang ja, als hätte Robert geradezu gelogen, und sie sagte:

»Hören Sie mal, Louis, das verbitte ich mir!«

Er stieß den Gewehrkolben auf den Boden:

»Was denn, gnädige Frau?«

Sie antwortete, rot vor Ärger:

»Wenn mein Mann gesagt hat, er habe geschossen, so wird er auch geschossen haben.«

Der Kerl antwortete:

»Aber wenn nun kein Schuß herausgegangen ist? Die Knarre ist ja gar nicht geladen gewesen. Der gnädige Herr schießt ja überhaupt nicht.«

Denise war so wütend, daß sie, ohne eine Antwort zu geben, die Treppe hinunterlief, in die Bibliothek stürzte und rief:

»Robert, hilf mir! Louis ist unverschämt. Du hast mir doch erzählt, daß du geschossen hast.«

Robert ließ die Zeitung sinken. Er hatte etwas Verlegenes, stand auf und antwortete:

»Nun ja, ja, ja.«

»Und der freche Mensch behauptet, da wäre kein Schuß rausgekommen. Die Knarre, wie er sagt, wäre gar nicht geladen, du schössest überhaupt nicht. Das kann ich mir doch nicht gefallen lassen, das klingt ja so, als ob du gelogen hättest.«

Robert lief im Zimmer auf und ab, statt jedoch für seine Frau Partei zu nehmen, rief er nervös:

»Aber was hast du denn nur mit dem Menschen? Laß ihn doch! Glaubst du, daß es mir darauf ankommt, was er sagt?«

Sie meinte kleinlaut:

»Ich wollte dich doch nur verteidigen.«

»Du stiftest nur Unfrieden im Haus, was geht dich das an! Laß doch mein Gewehr stehen, wo es ist.« In seiner Wut knüllte er die Zeitung zusammen, warf sie auf den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, rannte hinaus und ließ Denise stehen.

Den ganzen Tag über sprach er kein Wort. Am nächsten Morgen hing er wieder die Büchse um und ging auf die Jagd, auf diese Jagd, bei der er nie eine Patrone in den Lauf steckte und doch erzählte, daß er ein Wild gefehlt habe.– –

Im Januar bekam Denise einen Brief ihres Vaters. Obgleich sie sich eben zum Frühstück gesetzt hatten und Robert nicht leiden konnte, wenn man dabei las, riß sie den Umschlag auf, nur um einen Blick hineinzuwerfen. Sie blieb an den Zeilen gebannt:

›Mein liebes Kind!

Wie mir Dein Mann mitteilt, hast Du große Sehnsucht nach uns. Natürlich kannst Du kommen. Wir haben Dich nur nicht eingeladen, weil Deine Mutter meinte, es müßte doch von Dir ausgehen. Da Du Dich bisher aber nicht gerührt hast, so glaubten wir, Du möchtest von Eurem Tuskulum nicht fort. Ich hoffe, daß Eure Finanzen sich etwas gebessert haben und eine kleine Reise erlauben werden. Ich bin pekuniär durch Deine Mutter und allerlei Umstände sehr in Anspruch genommen, aber ich will gern, um meine Tochter zu sehen, Dir die Reise bezahlen, nur kannst Du Deinem Manne sagen, er möchte es auslegen.

Deine Mutter umarmt Dich, wie Dein Vater

de Verneuil.‹

Denise wußte nicht, was sie sagen sollte. Robert kaute ruhig weiter. Sie reichte ihm den Brief über den Tisch. Er tat sehr erstaunt:

»Ach, von Papa?«

Dann begann er zu lesen. Bei den ersten Zeilen ward er schon verlegen. Er versuchte einen scherzenden Ton zu finden: »Nun kann ich es dir ja gestehen, Denise, ich habe dir nämlich ... eine Freude machen wollen und ... habe Papa geschrieben. Und das ist die Antwort. Du siehst, ich bin nicht ganz so bös, wie du denkst. Nun, freust du dich denn nicht?«

Denise antwortete nur:

»Ich habe dir doch gesagt, ich will nicht.«

Er begann erregt zu werden: »Ja, aber es wäre doch sehr gut für dich, und ich sehe gar nicht ein...«

»Aber ich will nicht!«

»Zum Donnerwetter nochmal, was hast du denn nur? Also, so wird's einem vergolten, wenn man für dich etwas tun will?«

Sie fragte:

»Warum hast du das hinter meinem Rücken getan?«

Er legte Messer und Gabel fort, und während er sprach, wurde er immer ärgerlicher, bis es mit einem Wutausbruch endigte:

»Du willst mich deswegen noch zur Rede stellen? Darf ich denn keinen Brief schreiben? Ich darf wohl nicht mehr tun, was mir gefällt? Zum Donnerwetter nochmal, da hört doch wirklich alles auf! Und dann sitzt du hier und langweilst dich und machst ein mißmutiges Gesicht und tust, als ob ich dich einsperrte. Ja, wir haben eben nicht das Geld. Tue ich etwa was für mich? Gehe ich nach Paris? Nein! Aber das hat man nun davon! Das hat man davon! Himmeldonnerwetter nochmal!«

Er stand auf, warf seine Serviette auf den Tisch und verließ das Zimmer.

Denise verzog nicht das Gesicht, nur ganz langsam liefen ihr die Tränen über die Wangen. Auch ihr war der Appetit vergangen. Sie floh hinauf zur kleinen Lucy, die in ihrem Zimmer mit ihrer billigen, schmutzigen, alten Puppe spielte. Dort setzte sie sich auf einen niedrigen Kinderstuhl, streichelte des Kindes schwarzes Haar und suchte es zu küssen, indem sie zu ihm sprach:

»Sei gut mit Mama. Sei du wenigstens gut mit Mama!«

Aber auch die Kleine schien von ihr nichts wissen zu wollen. Sie war so eifrig beim Spiel, daß sie nicht unterbrochen sein wollte:

»Mama, ich muß Titi anziehen!«

Dann nahm sie wieder das Kleidchen, den Hut und das Hemd der Puppe, während die Mutter dasaß, die Ellbogen auf die auseinandergespreizten Knie gestützt und vor sich hinstarrte, als sähe sie das graue Entsetzen.

In den nächsten Tagen ging ihr immer die Frage durch den Kopf: ›Warum sollte sie nach Paris? Warum hatte er geschrieben? Wollte er sich ihrer entledigen? Warum? Tat sie ihm etwas? Konnte er mehr von ihr verlangen, als daß sie wie ein stummer Gast im Hause hin und her ging. Sie störte ihn doch wahrhaftig nicht.‹

In ihrem Ärger über ihres Mannes Vorgehen schrieb sie ihrem Vater, sie danke sehr für seine Güte, das Kind könne aber nicht reisen, und sie möchte es nicht verlassen.

Als Robert nach ein paar Tagen fragte, wozu sie sich entschlossen hätte und er sich ihr dabei wieder näherte, als wollte er sie streicheln, wich sie kalt zurück. Er fragte:

»Nun, mein Kind, wie steht's mit Paris? Nicht wahr, du hast doch den Ärger vergessen, es war ja nicht der Mühe wert. Wann willst du denn fahren?«

»Gar nicht!«

Er meinte wieder freundlich:

»Aber du mußt doch nicht so überempfindlich sein! So ein kleiner Starrkopf! Übrigens« ... er schien nachzudenken, wie er sie gewinnen könnte ... »übrigens, ich habe mir vorgenommen, dir für Paris ein paar hundert Franken zu geben, da kannst du die Reise bezahlen und deine etwaigen Ausgaben. Was du dann etwa von Papa wiederbekommst, nun, das verwende nur für dich.«

Denise antwortete kühl:

»Ich danke dir vielmals, aber es ist gegenstandslos geworden, ich habe Papa bereits geschrieben, ich käme nicht.«

»Du willst nicht fahren?«

»Nein!«

Er verbarg seinen Ärger nicht mehr, sondern rief:

»Das ist aber doch zu dumm! Wenn sich dir die Gelegenheit mal bietet.«

»Ich mag aber nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich habe nichts zum Anziehen.«

Er begann wieder Hoffnung zu schöpfen und meinte einen Ton gedämpfter:

»Ja, aber das kannst du ja dann bezahlen.«

Doch sie blieb dabei. Sie wollte aber den Grund erforschen, weshalb er sie durchaus nach Paris haben wollte. So fragte sie nach einigem Zögern:

»Du willst mich wohl gern los sein?«

»Wie meinst du das?«

»Nun, es scheint dir ja viel daran zu liegen, daß ich nach Paris fahre.«

Er zuckte die Achseln:

»Keine Spur, bleibe, wo du bist, ob du hier bist oder da, ist mir ganz gleichgültig.«

Sie antwortete bitter:

»Das merke ich, daß ich dir gleichgültig bin.«

Er ballte die Faust in der Tasche:

»Ja, wenn du dich so unangenehm gibst.«

Da trat sie an ihn heran und fragte wie von ungefähr:

»Sag' mir mal offen, Robert, weshalb soll ich denn durchaus fort? Liegt dir so viel daran?« Er meinte mit hämisch-spöttischem Ton:

»Nein, durchaus nicht. Bleibe hier, langweile dich weiter. Versitze deine Abende in der Ecke und heule. Blase Trübsal, mache mir das Leben schwer und andern auch, soviel du willst!«

Sie blitzte ihn an:

»Wem mache ich es schwer?«

Er lenkte ein wenig ein:

»Na, na, ich meine bloß so.«

Aber gleich wurde er wieder heftig:

»Herrgott nochmal, nun wollen wir doch die Geschichte begraben sein lassen. Das ist ja schrecklich! schrecklich! schrecklich! Du machst einem ja das Leben zur Hölle. Ich habe überhaupt das alles bis hierher, bis hierher.«

Dabei machte er mit der flachen Hand eine Bewegung, als wollte er sich die Kehle abschneiden.


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