Georg Freiherr von Ompteda
Denise de Montmidi
Georg Freiherr von Ompteda

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V.

Montmidi erschien Robert nicht so schlimm, wie er zuerst gefürchtet hatte. Die schönen Pariser Möbel machten sich in den Räumen sehr gut, die ganze erste Zeit verstrich mit dem Einrichten. Dazu ließen sie wieder die Handwerker kommen, und da alsbald Denisens Rente aus Paris anlangen mußte, änderten sie noch dieses und jenes, bespannten ein paar Wände, vertauschten das Eßzimmer und die Bibliothek, so daß jetzt die Wohnräume nebeneinander lagen.

Nun tat auch der Frühling sein Teil, daß sie sich behaglicher fühlen konnten. Mit Macht war er ins Land gekommen. Alles war schon dicht-grün, es blühte im Garten, die Büsche trieben, und Glycinien rankten sich an der Hinterseite der Villa empor. Man hatte sie etwas ausgeschnitten, sie hatten jetzt Zweck bekommen; lila begannen sie das Haus zu umziehen. Rundum duftete der Flieder, und die Vögel sangen. Die Wege waren mit frischem Kies bestreut worden. Zwar herrschte hier und da noch Unordnung, besondere Prachtstücke der Flora gab es nicht zu sehen, die Beete lagen noch ungepflegt da, aber der Anfang war doch gemacht.

Über Robert kam auch allmählich die Freude am Garten, denn da er nichts zu tun hatte, begann er zu arbeiten. In diesem Punkte ward er ein anderer Mensch. Er zog tagsüber ein paar alte Sachen an und grub auf den Beeten, wie er meinte, den Gärtner zu sparen, in Wirklichkeit aber, um sich zu zerstreuen. Der Diener, der immer eine Sehnsucht nach dem Land gehabt hatte, half. Er hatte in Paris, in dem großen Hause, wo er gedient hatte, dem Gärtner allerlei abgesehen, und unter seiner Hilfe ward es immer ordentlicher und hübscher um die Villa.

Als alles fertig war, fühlte sich Robert fast traurig, denn er meinte, jetzt gäbe es nichts mehr zu tun. Aber er irrte sich, denn nun begann erst recht die Tätigkeit. Das, was wuchs, mußte gepflegt, die Früchte gesammelt, das abgeerntete Beet neu bestellt werden.

Die Artischocken- und Tomatenanlagen warfen einen ungeahnt reichen Ertrag ab, so daß bei dem Verkauf, den der neue Diener besorgte, erst zutage kam, wieviel Matthieu und seine Frau eigentlich eingesteckt haben mußten.

Bis dahin hatte sich Denise an allen Arbeiten beteiligt, sie grub, jätete und pflanzte. Aber es ward ihr bald zu schwer, sie konnte sich nicht mehr recht bücken, nicht aufrichten. Ihre neue Garderobe begann nicht mehr zu passen, und der Arzt, den sie befragten, stellte zum Erstaunen des jungen Paares die Ursache fest, indem er in seiner gezierten Redeweise sagte:

»Gnädige Frau, Sie werden die große Freude haben, Ihren Frauenberuf zu erfüllen und werden bald ein kleines, rosiges, niedliches Mädchen auf den Armen halten – oder sollte es ein Knabe sein?«

Denise fühlte sich zuerst etwas verwirrt, aber allmählich war sie glücklich bei dem Gedanken. Nicht so sehr Robert, der sich das überhaupt nicht überlegt hatte und nun allein die eine Seite sah, daß es außergewöhnliche Kosten verursachen würde.

»Freust du dich denn nicht?« fragte Denise.

Er schloß seine Frau in die Arme:

»O ja, o ja, aber ...«

Sie machte ein betrübtes Gesicht:

»Nun, aber ...«

Und er kam wieder mit dem Wort, das er jetzt bei jeder Gelegenheit anzuwenden pflegte:

»Wir haben ja so wenig Geld!«

Doch sie meinte nur:

»Ach, das soll uns schon nichts kosten!«

Und obgleich sie eigentlich bei all dem körperlichen Übelbefinden, das ihr neuer Zustand mit sich brachte, gern ab und zu den Arzt gehabt hätte, kämpfte sie alles in sich hinein und ließ ihn nicht wiederkommen. Sie sagte sich: »Es wird auch so gehen! Es kostet jedesmal viel Geld, und wir haben keins.« Daß sie sich selbst überwand, tat ihr wohl, sie fühlte sich stolz wie über einen Sieg, und über all die kleinen Unannehmlichkeiten half es ihr besser hinweg, als wenn sie wirklich den Doktor gefragt hätte, der ihr vielleicht doch nichts nützen konnte.

Nur eines tat sie nicht, sie kümmerte sich nicht mehr um den Garten, und Robert verbot es ihr auch jedesmal, wenn sie etwa Miene machte, Hand anzulegen.

Als nun der Sommer ins Land gekommen war, entstand für das junge Paar die Frage, ob sie den paar Nachbarn, die es gab, einen Besuch machen sollten. Abends vorm Schlafen besprachen sie es. Es gab Gründe dafür, es gab Gründe dagegen. Die Sache war nicht unwichtig, denn wie sie sich jetzt mit den Nachbarn stellten, würde es wahrscheinlich bleiben.

Robert, der auf jeden Sou sah und so sparsam geworden war, wie er früher leichtsinnig gewesen, sagte zu Denise:

»Weißt du, all die Nachbarn wohnen so weit entfernt, daß wir es zu Fuß gar nicht machen könnten. Wir müßten also Pferd und Wagen haben; die können wir uns aber nicht halten, das kostet zu viel Geld. Denn eins sage ich dir, wenn wir Pferd und Wagen hätten, müßte es anständig sein, dazu habe ich zu viel Pferde selbst gehabt: mit einem ruppigen Wagen mag ich mich nicht bei den Leuten einführen. Jedesmal aber im Dorf eine alte Ziege borgen und sie vor einen elenden Kasten spannen, nein, nein, ich danke schön! Und dann will ich dir etwas sagen, jetzt in deinem Zustand ginge es auch nicht. Also lassen wir die Sache vor der Hand, wir können später immer noch machen, was wir wollen.«

Von diesem Tage ab wurde die Besuchsfrage ein ständiger Gesprächsgegenstand. Robert empfand das Bedürfnis, etwas zu erzählen, und da sie in solcher Einsamkeit lebten, hatte er dazu nur seine Frau. So begann er alle Tage von diesem Besuchsthema, das doch eigentlich erledigt war.

Er hatte sich erkundigt, wer die Nachbarn wären. In allernächster Nähe gab es niemand als einen Pächter, mit dem er gar nicht einmal nähere Beziehungen haben wollte. Die andern aber lebten in ziemlich großartigen Verhältnissen. Alle pflegten nur Sommer und Herbst, und zwar vom Grand Prix ab, auf dem Lande zuzubringen, die meisten hatten ihre Hotels oder doch wenigstens ihre Wohnungen in Paris.

»Weißt du,« sagte Robert zu Denise, »mich von den Leuten über Paris belehren zu lassen, das brauche ich wirklich nicht. Und wenn wir nicht mehr in Paris leben, so wird es ja so kommen, daß man sich belehren lassen muß. Es ist gar nicht anders möglich. Ich sehe sie vor mir, wie sie sagen werden: ›Ja, das ist zu Ihrer Zeit so gewesen, aber heute ist es ganz anders! Zu Ihrer Zeit, ja, zu Ihrer Zeit!‹«

Er wurde dabei ganz nachdenklich, es war ihm, als läge sein Pariser Aufenthalt jetzt schon unendlich weit zurück. Und einmal sagte er zu seiner Frau:

»Wir versimpeln ja hier in der Provinz!« Sie war immer traurig, wenn er so sprach, suchte ihn zu trösten und meinte zärtlich:

»Aber, Robertchen, sind wir denn nicht ganz zufrieden hier?«

Er gab gedehnt zurück:

»– Ja, ganz zufrieden!«

Denise dachte sich, wenn erst einmal Familie da wäre, würde alles besser werden. Sie fühlte, daß er sich langweilte. Sie suchte ihn darüber hinwegzubringen und spielte ihm ihr Stück auf dem Pianino vor, das sie für den Flügel der Pariser Wohnung eingetauscht hatte. Dieser Tausch hatte sogar noch etwas bares Geld eingebracht.

Denise hatte Noten mit, sie wollte etwas Neues einstudieren, aber sie fühlte sich unlustig, schwer und müde. Sie konnte kaum die Noten lesen, es wurde ihr alles so unendlich sauer, als nähme das kleine Wesen, das mit ihr wuchs, alles für sich allein in Anspruch; so gab sie bald das Klavierspiel auf.

Sie fürchtete sich vor etwas ein wenig: sie sah, wie der Garten ihren Mann beschäftigte, aber nun wurde es Herbst, und die Zeit rückte näher, wo es dort draußen nichts mehr zu arbeiten, zu graben und zu pflanzen gab. Da fragte sie sich: »Was soll dann Robert machen?« Ja, hätte es eine Jagd gegeben, das wäre etwas anderes gewesen; aber auf den wohlgepflegten und gehegten Feldern war fast nichts, und der Pächter sorgte schon dafür, daß keine Wildschmarotzer aufkamen. Ausgedehnter Wald war aber nicht vorhanden; die paar kleinen Baumparzellen enthielten so gut wie nichts, hier und da einmal einen verirrten Hasen, niemals ein Stück Reh- oder gar Hochwild.

Nur bäuerliche Nachbarn umgrenzten Montmidi. Die weiter entfernten Güter, die wirklich Jagden hatten, konnten Robert nichts helfen, denn dort wurde er nicht eingeladen; die erste Bedingung dazu wäre ja gewesen, daß er seinen Besuch machte.

Robert, der übrigens als echter Pariser Pflastertreter bei seinen früheren Jagdunternehmungen mehr auf tadellosen Anzug, schicke Jagddiners und Frühstücke, wundervolle Ausrüstung mit neuen Gewehrsystemen etwas gegeben hatte, als daß er weidgerechter Jäger gewesen wäre, nahm trotzdem jetzt ab und zu das Gewehr aus dem Schranke und ging über Feld. Es hatte keinen Zweck, er traf doch nichts, es gab ja nichts; aber da er immer weniger im Garten zu tun hatte, so gewöhnte er sich's an, herumzustreichen. Wenn er eine Krähe gesehen hatte, so war das ein Riesenereignis, und er erging sich bei Tisch darüber in langen Auseinandersetzungen. Als er einmal wirklich zwei Rebhühner schoß, die sie am nächsten Tage aßen, war er so stolz, daß die Erinnerung daran eine Woche lang vorhielt.

Die Bäume waren kahl geworden, der Herbstwind trieb das gelbe Laub rings um das Haus, alles hatte einen traurigen Anstrich bekommen. Die immergrünen Hecken bildeten keinen genügenden Ersatz, denn sie zeichneten nur noch mehr die gradlinigen Wege ab, auf denen rechts und links nichts mehr wuchs, so daß sie wie Molen aussahen, die vom Lande ins Meer hinausgehen.

Der Herbst war milde, wie in diesem Landstrich überhaupt; die Nadelhölzer behielten ihr wunderschönes sattes Grün, die Landschaft war weniger traurig als im Norden, etwa in der Normandie, und weniger traurig als in der nächsten Umgebung von Paris, denn die südlichere Lage von Montmidi machte sich fühlbar. Aber wenn es auch nicht kalt wurde, so war es doch einsam.

Zuerst hatte Robert keine Pariser Zeitung halten mögen. Es schien, als wolle er überhaupt nicht an die Hauptstadt erinnert sein. Als ihm Denise eines Tages vorschlug, doch ein Pariser Blatt zu bestellen, meinte er, das wäre eine unnütze Ausgabe. Aber ohne daß er etwas davon wußte, schrieb sie ihrer Mutter nach Paris, und die schickte ihr von jetzt ab alles, was dort im Hause gelesen ward.

Robert tat zuerst, als freute er sich nicht besonders, aber nach ein paar Tagen fragte er schon ungeduldig am frühsten Morgen, ob denn die Post noch nicht angekommen wäre. Wenn dann der Briefträger mit seiner roten Mütze in der Ferne nur auftauchte, ward er bereits unruhig, ging die Treppe hinunter, ihm entgegen, und nahm ihm die Postsachen ab. Dann war er für mehrere Stunden ungenießbar, saß in der Bibliothek und las und las.

Denise gesellte sich öfters mit einer Handarbeit hinzu, denn es war ihr Ehrgeiz, die Kindersachen selbst anzufertigen. Sie strickte Strümpfchen, Schühchen und Häubchen. Die Wäsche und die Windeln hatte sie, als sie von dem bevorstehenden Ereignis ihrer Mutter geschrieben hatte, von dieser aus Paris erhalten. Sie waren schön. ›Zu schön‹, meinte Denise; sie hätte sie lieber einfacher gehabt und das so ersparte Geld in bar dazu.

So verstrichen wieder Wochen und Monate; Robert ging auf die Jagd, ohne etwas zu schießen, kehrte heim, und dann fand er seine Frau, der es immer schwerer ward, sich zu bewegen, in einem Stuhl sitzend, mit ein paar Kissen im Rücken, in der letzten Zeit sogar den größten Teil des Tages zu Bett.

Diese tapfere kleine Frau, die niemand um sich hatte, verlor nie ein Wort, bekämpfte ihren schmerzvollen Zustand, und war immer guter Laune. Sie, die jetzt an das Zimmer gebannt war, wußte ihren Mann, der doch Neues sah und sich in Flur und Feld zerstreuen konnte, aufzuheitern und ihm die düstern Gedanken von der Stirn zu bannen. Sie erzählte viel, doch nie von Paris, als wollte sie die Wunde nicht aufreißen.

Alle kleinen Ereignisse suchte sie aufzubauschen, auseinanderzuziehen, Stoff daraus zu gewinnen. Die Katze hatte die Milch ausgetrunken; davon ward eine lange Geschichte gemacht. Toinette, die Köchin, Hausmädchen und Jungfer in einer Person war, hatte irgend etwas mitgeteilt; das gab Denise ihrem Mann weiter, nicht als Klatsch, nie scharf, jedem Bittern die Spitze abbrechend, als harmlose Erzählung, wobei sie sich zum Lachen zwang, nur um ihm die Grillen zu vertreiben. Endlos wurde die Frage besprochen, ob er seine derben Stiefel, die er immer draußen anzog, besohlen lassen sollte oder nicht; ob es dem Leder zuträglich wäre, wenn man es mit Fett einschmierte oder nicht. Namentlich alle Geldfragen gewannen unangemessene Bedeutung.

Mit diesem Manne war eine völlige Wandlung eingetreten. Er, der früher nie gefragt hatte, wieviel etwas kostete, überlegte jetzt alles, und wenn es sich nur um ein paar Sous handelte. Er ließ Kataloge kommen. Er lief, teils um etwas billiger zu erhalten, teils aus Langeweile, ins Dorf und kaufte selbst ein. Er feilschte mit dem Fleischer, er drückte den Bäcker. Denise seufzte oft über die wichtige Rolle, die all diese Kleinigkeiten zu spielen begannen, wenn sie es Robert auch nicht zeigte. Toinette und ihr Mann, der Diener, der gleichfalls Robert hieß, aber um Verwechslungen zu vermeiden, Louis genannt wurde, unterstützten Herrn de la Caille darin. Sie, die all ihre Ersparnisse verloren hatten, waren beide geizig bis aufs äußerste, aber dabei grundehrlich. Nie suchten sie bei Einkäufen aufzuschlagen, es war im Gegenteil ihr Bestreben, alles für die Herrschaft so billig einzurichten wie möglich.

Ein entsetzlicher Krämergeist hielt Einzug in das Haus, und trotzdem klagte Robert wiederholt, sie kämen wohl doch nicht aus. In Wirklichkeit war es nicht so schlimm, sie kamen aus, ja, er legte sogar zurück, nicht viel, aber doch immerhin in jedem Vierteljahr ein paar hundert Franken.

Die Finanzverhältnisse wären besser gewesen, wenn sich nicht noch eine große Zahl von Rechnungen aus Roberts Junggesellenzeit vorgefunden hätte. Er würde sie vor dem Verlust in Monte Carlo von seinem beträchtlichen Vermögen sehr leicht haben begleichen können. Nun mußten sie von den laufenden Einnahmen allmählich abgetragen werden. Eine der Hauptbeschäftigungen Roberts war es daher, dem Feldherrn gleich, der die Truppen an den rechten Fleck verteilt, eine sorgfältige Aufstellung seiner Schulden zu machen, das, was noch warten konnte, zu trennen von dem, was brennend geworden war, hier etwas zu zahlen und dort vorläufig noch schuldig zu bleiben.

Robert hatte für sich nicht ein Stück Garderobe mehr neu angeschafft; er brauchte es auch nicht, er konnte mit dem, was er an Anzügen, Überziehern und Wäsche besaß, noch ruhig einige Jahre auskommen. Er, der früher zehn Krawatten fortwarf, bis die elfte für den betreffenden Tag und Zweck passend schien, begann sich in seinem Äußern gehen zu lassen. Er band immer denselben Schlips um und sparte an der Wäsche. Er trug manchmal ein Hemd acht Tage lang, und wenn ihm Denise nur leise eine Andeutung machte, konnte er, der sonst immer gut gegen sie war, nervös und heftig werden. Dann kehrte der Gedanke wieder, der jetzt sein ganzes Leben beherrschte: ›Wir müssen uns mit unsern Ausgaben in acht nehmen!‹

Denisens Eltern hatten das junge Paar ein paarmal aufgefordert, sie in Paris zu besuchen, aber da sie das Reisegeld nicht dazu schickten, wollte Robert nichts davon wissen. Und jetzt stand Denisens Niederkunft so nahe bevor, daß sie keine Lust zeigte, sich aus Montmidi zu entfernen.

Zu Ende des Jahres kam denn auch die schwere Stunde, und die junge Frau gab einem Mädchen das Leben. Das Kind war nicht stark, aber wohlgebildet und schien gesund zu sein, wie der Arzt in einer längeren wohlgesetzten Rede Robert mitteilte. Der zeigte nicht viel Interesse, er hatte sich fest eingebildet, es müßte ein Sohn sein. Einen eben in die Welt getretenen Erdenbürger hatte er vordem noch nie gesehen; er war über den Anblick enttäuscht, ja, beinahe angewidert. Und er überließ die Kleine ganz einer Bauersfrau aus einem Nachbarorte, die erst seit ein paar Wochen Mutter, gleich darauf auch Witwe geworden war, und die jetzt ihr Kind bei ihren Eltern in Pflege gelassen hatte.

Um Denise dagegen befand sich Robert in großer Sorge, obgleich der Doktor ihm auseinandersetzte, daß ihr Befinden das gleiche wäre, wie das all der Millionen Frauen, die auf unsrer Erde ihre Mutterschaftspflichten erfüllen. Robert aber wollte nicht glauben, daß das ein Normalzustand sei. Er hielt seine Frau für besonders krank, er schlich nur auf den Zehen im Hause umher, und unausgesetzt fragten ihn alle, die er sah:

»Wie geht es der gnädigen Frau?« Der Doktor verlangte vollkommene Ruhe für das Kind und die Wöchnerin. Robert nahm also das Gewehr, um, wie er sagte, zuzusehen, ob im Revier alles in Ordnung sei.

Das kleine Mädchen erhielt nach ihrer Großmutter den Namen Lucy. Der Pfarrer von Montmidi, ein alter, etwas unsauberer Priester, ein echter Bauer mit dickem Schädel und einer gewissen Pfiffigkeit, der wegen seiner praktischen Predigten und seiner noch praktischern Lebensauffassung in der Gemeinde äußerst beliebt war, vollzog die Taufe kurz und schnell, ohne weitere Zeremonien.

Als Denise etwas kräftiger geworden war, ließ sie sich ihre Tochter geben, sah das kleine Gesichtchen an, aus dessen unfertigen Zügen nur ein paar schwarze Augen leuchteten, drückte es an sich, wärmte es an ihrer Seite, bemühte sich, es zur Ruhe zu bringen, wenn es schrie, und war glückselig bei seinem Anblick. Sie merkte nichts davon, daß Robert sich um die kleine Lucy nicht kümmerte. Erst als sie längst aufgestanden war und immer wieder das Gespräch auf das Kind lenkte, fühlte sie, daß er keine rechte Antwort gab.

Sie ließ der Amme gegenüber einmal ein fragendes Wort fallen, doch die sagte kurz in ihrer groben bäurischen Manier:

»So sind die Männer alle, das kommt erst mit der Zeit, das dürfen Sie nicht verlangen, gnädige Frau!«

Denise ward nachdenklich: ihr Robert war doch ganz anderer Art, er war eben nicht wie die übrigen Männer. Und es kränkte sie, daß jemand ihn mit den andern zusammenwarf.

Aber die Amme behielt recht, Robert kümmerte sich nicht um das Kind. Er setzte seine Spaziergänge in die Umgebung fort. Eines Tages, als abermals Wochen vergangen waren und Denise längst wieder im Hause herumlief, sagte sie:

»Du, Robertchen, ich habe einen großen, großen Wunsch.«

Robert setzte sich zu ihr an den Kamin. Trotz der kühlen Temperatur brannte darin kein Feuer, denn das ewige Heizen kostete Geld. Er hatte etwas Müdes und Gelangweiltes, wie jetzt immer, als er fragte:

»Nun, Denise, was hast du denn?«

Sie war ängstlich, denn sie wußte, daß sie mit Ausgaben nicht kommen durfte, darum begann sie vorsichtig:

»Du kannst mir's ja abschlagen, ich möchte nur gern etwas von dir wissen: haben wir wohl soviel Geld, daß du mir einen großen Wunsch erfüllen könntest?«

Er runzelte die Augenbrauen, dann sagte er gedehnt:

»Nun, was könnte denn das sein?«

Sie schmeichelte:

»Ich habe nur den einen Wunsch, und ich habe doch nie etwas gewünscht, nicht wahr, das tust du mir?«

Er wollte nicht ungefügig sein, aber es ärgerte ihn doch ein wenig, daß es offenbar Geld auszugeben galt, darum meinte er vorsichtig:

»Ja, Denise, was soll es denn sein?«

Sie kam plötzlich damit: die Amme ginge in ihrer einfachen Bauerntracht, die fände sie so häßlich, sie wollte einen Ammenmantel haben mit Mütze und Bändern, wie es in Paris Sitte war.

Er sagte nicht geradezu nein, aber er fragte, ob das denn durchaus notwendig wäre. Da antwortete sie – denn sie sah, daß er nicht wollte – ganz jäh, indem ihre durch die letzten Wochen erregter gewordenen Nerven durchbrachen:

»Gut, Robert! Gut, gut, gut, gut, gut! Ich will nichts!«

Nun gab er klein bei und begann zu schmeicheln:

»Aber, meine kleine Denise, so sei doch nicht so, ich habe doch noch das Recht, eine Bemerkung zu machen!«

Aber ihre Augen flammten, und ihre Wangen waren rot:

»Nein, nein, ich danke, ich will nichts! Gar nichts! Ich brauche nichts!«

Er nahm ihre Hand, und mit einemmal ward er großmütig: »Du sollst es haben, Denise, selbstverständlich, so laß mir doch wenigstens so viel Zeit, nachzudenken!«

Aber sie war so geärgert, daß sie mit einem: »Ich danke, ich mag es nicht mehr!« aus dem Zimmer lief.

Er blickte ihr erstaunt nach, er verstand sie nicht. Er überlegte: sollte er das Ding aus Paris kommen lassen? Doch dann sagte er sich: ›Da sie gleich so empfindlich ist, fällt es mir gar nicht ein. Sie hat sich die Folgen selbst zuzuschreiben, wenn sie es nicht bekommt.‹

Es blieb wirklich dabei. Das kleine weiße Mützchen, das alle Bäuerinnen trugen, als einziger Schmuck auf dem Kopf, lief die Amme mit dem Kinde umher.

Denise trug es Robert nach. Sie ärgerte sich jedesmal, wenn sie die Amme sah, und jedesmal dachte sie an ihren Mann. Diesen einen Wunsch konnte er seiner jungen Frau doch erfüllen, denn soviel mußten sie noch haben. Am liebsten hätte sie sich ihrer Mutter anvertraut, doch sie war zu stolz, ihr zu zeigen, daß sie sowenig Geld besaßen. Das kleine Vorkommnis blieb wie ein Stachel in ihrem Herzen.


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