Georg Freiherr von Ompteda
Denise de Montmidi
Georg Freiherr von Ompteda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Ganz unerwartet traf Robert de la Caille mit seiner jungen Frau in Montmidi ein. Die kleine verschlafene Station verließen sie zu Fuß, nach dem Gut war es nicht weit.

Ab und zu begegneten ihnen Bauern in ihren blauen Blusen; auf der weißen, kreidigen, staubigen Straße kamen ihnen zweirädrige Karren mit zwei oder drei schweren Pferden voreinandergespannt entgegen. Der Kutscher ging daneben, mit der Peitsche knallend. Er hatte abgenutztes Arbeitszeug an und schritt langsam und schwerfällig hin. Dann kam ein Esel, zwei Säcke rechts und links auf dem Rücken, ein kleines Mädchen trieb ihn vorwärts. Sie blickte den beiden mit aufgerissenen Augen wie einer Erscheinung nach. Immer weiter ging Robert mit seiner Frau, bis er plötzlich sagte:

»Da ist Montmidi!«

Sie gewahrten durch kahle Bäume hindurch ein Schieferdach mit Mansarden, bogen von der großen Straße ab, und bald standen sie vor einem villenartigen Haus, dessen Läden geschlossen waren, das tot, öde und verlassen dalag.

Alles verriet, daß der Besitzer sich, darum jahrelang nicht gekümmert hatte: die Hecken waren verwildert, auf dem Platz vor dem Eingang wuchs grünliches Moos, als hätte Patina angesetzt. Kleine Grashalme sproßten zwischen den Pfählen der Umfriedigung. Das Geländer, das an der kleinen Freitreppe hinaufführte, war morsch. Hier und da klafften die Läden auf, sie waren nicht weiß, sondern grau; man sah, sie mochten seit langen Jahren nicht gestrichen worden sein.

Ein Hund bellte im Haus, als Robert mit seiner Frau die Villa umkreiste. Da tat sich der eine Laden auf, die Stäbe der Jalousie verschoben sich, und man erblickte ein Gesicht. Eine schrille Frauenstimme rief:

»Was wollen Sie denn? Wer ist da?«

Robert trat die paar Stufen hinauf, klinkte an der Tür, die klemmte, drückte mit dem Knie dagegen, und der Flügel gab nach. Da schimpfte wieder drinnen jemand, dieselbe keifende weibliche Stimme, und Denise schmiegte sich ängstlich an ihren Mann. Aber der blickte seine Frau an:

»Na, es ist ganz gut, wenn die Alte aufpaßt, ein guter Wächter scheint sie doch zu sein!«

Jetzt standen sie im Flur, auf dem eine zerrissene Matte ein Stück hinunterführte. Die etwas altersschwache Treppe in der Mitte der Villa schaute ihnen entgegen, schief und baufällig.

Dann öffnete sich links die Tür, und das alte Weib, das vorhin gerufen hatte, trat heraus, schmutzig, unordentlich, mit halb gemachtem Haar. Sie rief ihnen unfreundlich entgegen:

»Da warten Sie doch, ehe Sie einfach so reinkommen. Was ist denn das für eine Manier!«

Roberts Temperament regte sich, und er antwortete derb und scharf:

»Zum Donnerwetter, ich werde doch in mein eigenes Haus kommen dürfen! Was fällt Ihnen denn ein!«

Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Dann meinte sie, doch etwas unsicher werdend: »So, so, wer sind Sie denn?«

»Nun, ich bin Herr de la Caille und ich will mal sehen, wie's hier steht!«

Im ersten Augenblick schien die Alte ihm nicht zu glauben, dann aber meinte sie:

»Na, ich denke, der ist in Paris?!«

Jetzt wurde Robert wütend:

»Er wird wohl auch mal hierher kommen dürfen mit Ihrer gefälligen Erlaubnis! Wo ist Matthieu?«

Sie schien Unrat zu wittern und ward schon höflicher:

»Ach, der ist bloß mal in die Stadt gegangen!«

Robert gab zurück:

»Ich will ihn sofort sprechen, wenn er wieder kommt. Übrigens zeigen Sie mir die Zimmer!«

Sie schien ganz überwunden. Ihr vernachlässigtes Äußeres fiel ihr ein, sie versuchte den grauen Haarzopf festzumachen, der im Begriff war herunterzufallen, band ihre große blaue Schürze ab und strich ihr Kleid, das so schmutzig war, daß man nicht begriff, wovor sie es eigentlich durch die Schürze bewahren wollte.

Robert wandte sich zu seiner Frau. Er stieß die Tür auf, aus der die Alte gekommen war.

Er prallte zurück, denn dort lag Wäsche auf den Möbeln verstreut. Ein paar Teller trieben sich mit Resten einer Mahlzeit herum, und nun sah man auch, daß die Läden der Seitenfenster offen standen, daß das Zimmer bewohnt war. Robert zog die Augenbrauen zusammen, aber er ging weiter. Das Eßzimmer schien nicht gebraucht worden zu sein. Rechts in der Bibliothek dagegen waren die Bücherregale zur Seite geräumt, auf dem Schreibtisch stand eine halb heruntergebrannte und abgetropfte Kerze, und an der langen Hinterwand erhob sich ein breites Doppelbett mit schmutzigen Überzügen.

Robert wandte sich zu der Frau:

»Wer wohnt denn hier?«

Sie stammelte etwas von »feucht dort unten, und da doch niemand hier ist«.

Er aber herrschte sie an:

»Sie haben doch Ihre Wohnung unten. Wer hat Ihnen denn die Erlaubnis gegeben, in meine Zimmer zu ziehen?«

Die Wut überkam ihn, daß er das alte Weib noch einmal anbrüllte:

»Das ist doch eine Unverschämtheit! Ich frage Sie, wer wohnt hier?«

Die Alte gab einfach keine Antwort, und der überraschend gekommene Hausherr rief:

»Na, wir werden ja sehen! Das wird sich alles finden. Wir wollen weiter!«

Aber die Freude war ihm vergangen, seiner jungen Frau das Haus zu zeigen. Er wußte ja, daß es sich in schlechtem Zustand befand. Er war viele, viele Jahre nicht hier gewesen, hatte sich nie darum gekümmert, denn er fand es hier unsinnig langweilig, und so hatte er sich damit begnügt, die übrigens von Jahr zu Jahr spärlicher werdenden Einkünfte einzuziehen. Bei seinem großen Barvermögen hatte er sie eigentlich auch nicht gebraucht, aber zu den Zeiten der Ebbe in der Kasse waren sie ihm immerhin willkommen gewesen. Er hatte nie die Idee gehabt, sich etwa hierher zu setzen und deswegen seiner Frau auch von Anfang an den Gedanken ausgeredet, die Hochzeitsreise nach Montmidi zu machen.

Aber wie er nun weiterging, erschrak er doch über den schlechten Zustand, in dem sich alles befand. Er hatte die Villa noch in der Erinnerung aus seinen Kinderzeiten her, als seine Eltern sich hier vorübergehend aufhielten. Gewöhnlich lebten auch sie in Paris und gingen regelmäßig ans Meer oder in die Pyrenäen, aber im Herbst kamen sie doch immerhin ein paar Wochen zur Jagd nach Montmidi. Damals war es ein zwar kleines, aber wohnliches, nettes Haus gewesen, und er begriff nicht, als er die Verwitterung des Holzes sah, als er den Kalk von der Mauer abgebröckelt fand und diesen Wust und Schmutz überall, wie die paar Jahre hier so gewirkt haben konnten. Die Schlafzimmer oben waren besser erhalten, dort hatte der ungetreue Haushalter nichts angerührt. Der Weg, die Treppe hinauf, war ihm zu weit. Nur unten hatte das saubere Paar, das eigentlich im Untergeschoß wohnen sollte, offenbar seit Jahren gehaust.

Denise, die die Villa nicht in gutem Zustande gekannt hatte, war nicht so verzweifelt wie Robert. Sie wußte, sie mußten jetzt hier leben, und sie wollte alles hübsch finden. Während sie von einem Raum zum andern gingen, sagte sie immer:

»Hier lassen wir nur eine Kleinigkeit machen; es braucht fast gar nichts hergestellt zu werden.«

Am Schluß, als sie alles gesehen hatten, meinte sie:

»Robert, ich glaube, wenn hier erst gescheuert und aufgeräumt ist, dann sieht es ganz anders aus.«

Sein Ärger war aber noch zu stark, um das einzusehen, und als nun unten eine polternde Stimme klang, ein Baß, ebenso tief, wie das Organ der Frau hoch und schrill war, rief Robert in kurzem Kommandoton die Treppe hinab:

»Matthieu, ich bin da! Kommen Sie mal sofort herauf!«

Die Alte kreischte, als wollte sie ihren Mann beizeiten von dem benachrichtigen, was bevorstand:

»Der gnädige Herr ist da!«

Ein alter struppiger Kerl erschien in hohen Stiefeln, einen Knotenstock in der Hand. Er trug auf dem Kopf einen Strohhut mit halb abgebrochener Krempe und machte ein finsteres Gesicht, als wollte er sagen: »Erst werde ich sehen, ob das auch stimmt!«

Aber er erkannte Robert sofort, grinste, nahm den Hut ab und sagte heuchlerisch: »Nein, so eine Freude, der gnädige Herr ist da! Nein, so eine Überraschung, der gnädige Herr ist da!«

Dann kam eine Flut von Worten, denn er ahnte schon, was vorgegangen war. Er erzählte dasselbe wie seine Frau, die Wohnung unten wäre zu feucht, sie wären alte Leute, und er hätte den Rheumatismus gekriegt. Und mit einemmal rieb er sich das Bein, an das er vorher gar nicht gedacht hatte. Er fuhr fort: sie könnten es da unten nicht aushalten, es wäre förmlich modrig, und da hätten sie sich nichts dabei gedacht, daß sie hinaufgezogen wären. Übrigens wäre hier oben ja alles tadellos. Das Eßzimmer hätten sie auch nicht betreten, es sei denn, seine Frau hätte reingemacht.

Die Alte nahm ihm das Wort vom Mund, und nun begann auch sie, da sie einen Rückhalt an ihrem Mann wußte. Ja, sie hätte Tag und Nacht gescheuert, nur nicht in der letzten Zeit, denn auch sie hätte Rheumatismus, und das käme nur von der feuchten Wohnung. Eigentlich waren sie überhaupt drauf und dran gewesen zu schreiben, aber sie hätten dem gnädigen Herrn doch nicht die Verlegenheit bereiten wollen, gerade jetzt, wo man hörte, daß er heirate, ihm mit solchen Sachen zu kommen. Nein, sie wüßten auch, was es hieße, Rücksichten nehmen. Im übrigen würde binnen wenigen Stunden alles wieder tadellos in Ordnung sein.

Robert sah Denise an. Diese beiden alten, pflichtvergessenen schmierigen Leute, die wahrscheinlich jahrelang nebenbei die Hälfte der Einkünfte eingesteckt hatten und den Dorfbewohnern gegenüber womöglich als die Herren auftraten, machten ihm solchen Spaß, daß er anfing zu lachen.

Auch Denise lächelte, aber je heiterer sie wurden, desto größere Mühe gaben sich die beiden ungetreuen Hüter, ihre Ehrlichkeit ins rechte Licht zu stellen.

Schließlich überkam Robert eine solche Heiterkeit, daß er sich auf einen Stuhl niederließ, von dem sofort eine Staubwolke aufstieg, sich auf die Schenkel schlug und rief:

»Denise, meine kleine Denise, ist das nicht wundervoll?«

Der Alte fühlte sich jetzt beleidigt. Er sagte etwas wie: Es wäre nicht recht vom gnädigen Herrn, so darüber zu lachen, daß sie beide alt und grau im Dienst geworden wären und ihre Schuldigkeit getan hätten. Sie hätten längst ihrer Wege gehen wollen, denn wenn man so viele Jahre im Dienste des Herrn sich abgearbeitet hätte und noch dazu krank geworden wäre, so käme doch auch der Augenblick, wo man an sich selbst denken müßte.

Robert sah ein, daß sich an der ganzen Sache nichts mehr ändern ließ. Er war darauf gefaßt, daß noch ganz andere Dinge ans Licht kommen würden. Im stillen fühlte er auch ein wenig, daß er den Leuten nicht zu schwere Vorwürfe machen durfte, denn er selbst trug Schuld daran, daß es so gekommen war.

Der alte Matthieu hatte ihm in früheren Jahren öfters geschrieben, er möchte doch einmal kommen, es wäre etwas zu entscheiden; aber Robert konnte sich von Paris nicht trennen, und jedesmal noch hatte er ihm geantwortet, es täte ihm sehr leid, aber gerade in diesem Augenblick könnte er nicht, Matthieu solle nur alles so regeln, wie er es für gut befände. Wenn dann Robert sich beschwerte, daß die Einnahme wieder geringer geworden, so schrieb jedesmal der Alte: »Mit der Artischockenkultur ginge es gar nicht mehr, kein Mensch wolle welche haben, und deswegen sei der Ertrag so viel geringer; die Tomaten faulten draußen, am besten, man pflanzte sie gar nicht; die Weinpreise wären gedrückt; und wer sollte denn in diesen Zeiten überhaupt Getreide einkaufen, wo man es viel billiger mit der Bahn aus anderen Gegenden Frankreichs kommen lassen könnte.«

Darum flüsterte Robert seiner jungem Frau zu, als sie sich von ihrer Lustigkeit etwas erholt hatte und einen Augenblick bei angelehnter Tür allein im Schlafzimmer stand:

»Denise, lassen wir die alten Verbrecher mit einem blauen Auge davonkommen, aber raus müssen sie, und zwar möglichst bald. Jetzt heißt es Ordnung schaffen!«

Und Ordnung wurde geschafft. Alte und junge Weiber aus dem Dorf kamen, zum Scheuern, zum Reinigen, zum Kehren, zum Putzen. Dann wurden die Handwerker bestellt.

Der Anstreicher, ein Kerl mit langer Mähne und spitzem Künstlervollbart, mit wehender Krawatte und Farbenflecken am Anzug von oben bis unten; ein Mensch, der wochenlang nüchtern seine Arbeit tat und bloß ab und zu, wenn er in seine Periode des Trinkens geriet, auf einen Monat die Arbeit niederlegte und in der Dorfkneipe sich als Künstler aufspielte, der einst in Paris die große goldene Medaille bekommen hätte, wenn nicht Ränke und elende Machenschaften ihm in den Weg getreten wären. Aber Robert und Denise hatten seine nüchterne Arbeitszeit getroffen, und bis der Alkoholdusel wiederkam, war alles fix und fertig.

Dann erschien der Tischler, ein wütender Republikaner, aber ein tüchtiger Arbeiter, der nur zur Zeit der Wahlen, wenn er Volksreden hielt, nicht zu gebrauchen war. Aber die Kammer tagte, und eine Neuwahl stand nicht bevor.

Mit dem Tapezierer überwarf sich Robert. Er wollte alle Möbel neu liefern und hatte schon große Anschläge gemacht. Als nun Robert erklärte, sie ließen ihre Einrichtung aus Paris kommen, so daß ihm kaum etwas zu tun übrig blieb, als ein paar Teppiche zu legen und ein paar Gardinenstangen aufzumachen, erklärte er beleidigt, er hätte anderwärts so viel wichtige Arbeit, daß er die Sache nicht übernehmen könne. Aber Robert fand einen andern und war eben mit ihm einig geworden, als der erste Tapezierer wieder erschien und meinte, er hätte es sich überlegt, er könne die Sache schließlich doch machen. Nun war er erst recht beleidigt, daß sein Konkurrent den Sieg davongetragen hatte.

Bald sah die Villa ganz anders aus. Mit geringen Kosten war alles neu hergerichtet worden. Sie hatten geschwankt, sollten sie das Haus weißen lassen oder nicht. Schließlich hatten sie es doch getan, es war der Erhaltung des Baues wegen notwendig. Das Dach war ausgeflickt worden, alles Holzwerk frisch gestrichen und nun, wo der Bauschmutz fortkam, sollte auch der Garten in Angriff genommen werden. Zum Glück für Robert, der keine landwirtschaftlichen Kenntnisse besaß, waren Felder und Wiesen noch auf ein paar Jahre verpachtet.

Die jungen Eheleute hatten drei Wochen lang im Wirtshaus gewohnt, und die Villa stand jetzt da wie neu. Die alten Möbel hatten sie verkauft, das Geld half mit, die Handwerker zu bezahlen.

Ein Paar in Mittlern Lebensjahren hatte Robert zur Führung des Haushaltes verpflichtet. Er war in Paris Diener, sie Köchin gewesen. Mit ihren Ersparnissen hatten sie in Batignolles ein Geschäft gekauft, hatten alles verloren und, an schlechten Erfahrungen reich, hatten sie jetzt einen Haß auf Paris und waren glücklich, diese Stelle annehmen zu können, wo sie allerdings wieder von vorn beginnen mußten, aber doch auf dem Lande waren und eine gewisse Selbständigkeit hatten.

Und als es schon Frühling zu werden begann, in dem noch etwas öden Garten die Veilchen dufteten, und in den leicht sich grün färbenden Bäumen um das Haus die Vögel sangen, zog eines Morgens der alte Matthieu aus und das neu verpflichtete Paar ein.

Der Alte schüttelte Robert die Hand, erklärte ihm, »er solle gewiß sein, daß er immer seine Interessen gewahrt hätte, und er würde erst später erkennen, in wie reichem Maße das geschehen sei«. Er machte eine Menge Worte, sprach davon, »er würde doch nicht lügen, da er so nahe am Grabe stände«. Sein Rheumatismus, der sich sonst nie mehr gerührt hatte, wachte wieder auf. Er rieb sich das Bein und meinte, »das habe er sich in dem angestrengten Dienste seines Herrn geholt, dafür wüßten sie nun nicht einmal, was aus ihnen werden würde, und sie müßten sehen, daß sie irgendwo kümmerlich ihren Lebensabend verbrächten«.

Als er schwieg, löste ihn seine Frau ab. Sie fand Tränen, wirkliche echte Tränen. Aber als sich hinter den beiden die Tür geschlossen hatte, sanken sich Denise und Robert in die Arme, und er rief:

»Ist das nicht ein wundervolles Schauspiel, diese beiden alten Lumpen!«

Die kleine Denise aber meinte, denn durch Tränen ließ sie sich immer fangen:

»Ach, die armen alten Leute tun mir eigentlich leid!«

Aber Robert wurde böse:

»Zum Teufel noch mal, Denise, die haben jetzt vielleicht mehr Geld als wir!«

Sie sah ihren Mann traurig an:

»Haben wir wirklich so wenig?«

Er senkte die Augen, er schämte sich:

»Wir haben nicht viel, du wirst es ja sehen!«

Daraufhin nahm er seine Frau beim Arm und ging mit ihr langsam von der Villa die Straße hinunter zum Bahnhof, denn sie wollten nach Paris fahren, um dort den Haushalt aufzulösen. –

Unerwartet kamen sie in der Hauptstadt an. Sie hatten ein schlechtes Gewissen. Zuerst redeten sie mit Denises Eltern nur Allgemeines. Sie wurden gefragt, wie sie sich in Nizza unterhalten hätten; sie huschten darüber hinweg, und Robert war jedesmal seiner kleinen Frau dankbar, wenn sie geschickt das Gespräch von diesem Punkte abzulenken wußte. Als sie nach dem Frühstück im Salon saßen, begannen sie von dem, was sie schon durch Briefe angedeutet hatten. Denise hätte Montmidi so reizend gefunden, daß sie entschlossen wären, ganz aufs Gut zu ziehen.

»Ja, wollt ihr denn eure Stadtwohnung völlig aufgeben?« fragte Frau de Verneuil etwas verstimmt bei der Aussicht, ihre einzige Tochter nun nicht mehr in ihrer Nähe zu wissen.

Sie erklärten, es wäre besser, und wieder nahm Denise das Wort und begann von dem Gute zu schwärmen. Sie erinnerte ihre Mutter daran, daß sie ja Paris nie gern gehabt hätte; Robert fügte hinzu, indem er ab und zu seiner Frau einen Seitenblick zuwarf:

»Es ist auch aus pekuniären Gründen, liebe Mama. Ich habe gefunden, daß dort alles drunter und drüber geht, und ich habe gesehen, daß es nichts taugt, wenn man sich um ein Gut nicht kümmert. Vielleicht können wir später wieder nach Paris ziehen, fürs erste liegt es in unserem Interesse, dort nach dem Rechten zu sehen, denn so einen Besitz gibt man doch nicht einfach preis.«

Herr de Verneuil war mit dem Plane mehr einverstanden als seine Frau. Beide wunderten sich zwar darüber, daß plötzlich für dieses Gut, von dem früher nie jemand gesprochen hatte, in Robert eine Leidenschaft erwacht sei. Herr de Verneuil dachte im stillen, nur sagte er es nicht seiner Frau, denn über solche Punkte sprach er wegen seiner eigenen Vergangenheit nicht gern: Nun, das ist für das Glück der kleinen Denise vielleicht gar nicht so übel, wo sollen sie denn dort Geld ausgeben?

Und er bemühte sich sogar um einen Mieter für die Wohnung, die das junge Paar aufgab. Er fand einen Bekannten aus seinem Cercle, der in den Kontrakt eintrat, indem Robert das laufende Jahr preisgab, so daß der andere den Vorteil hatte, drei Quartale keine Miete zu zahlen. Die Dienstboten wurden abgelohnt, nicht ohne Staunen der Schwiegereltern. Aber Denise sagte nur:

»Oh, wir haben dort alles, was wir brauchen!«

In Wirklichkeit hatten schon vor vierzehn Tagen Köchin, Diener, Hausmädchen, vor allem aber die Jungfer, auf die Aufforderung, nach Montmidi zu kommen, ablehnend geantwortet; keins von ihnen wollte Paris verlassen.

Eine Woche lang wohnte das junge Paar noch bei Denisens Eltern, während der Umzug vorbereitet wurde und die Möbel nach dem Gute unterwegs waren.

Es hatte sich beim Vergleich der Räumlichkeiten in Paris mit denen in Montmidi herausgestellt, daß eine ganze Anzahl von Gegenständen dort auf dem Lande keinen Platz finden konnte. Denise verkaufte sie unter der Hand; sie mußte sie zwar verschleudern, war aber doch froh, Bargeld zu bekommen, denn bis die Zinsen von ihren Eltern fällig waren, hatten sie, wie ihr Robert gestand, kaum einen Franken zum Leben.

Robert suchte seine Freunde nicht auf, er schämte sich und wollte auch alte Wunden nicht aufreißen. Er hätte am liebsten Paris gar nicht wiedergesehen. Darum verließ er die Wohnung seiner Schwiegereltern nur wenig, und wenn er mit Denise spazieren ging, richteten sie ihre Schritte immer die Champs Elysées hinauf zum Bois, aber sie betraten nie mehr die innere Stadt. Und ihre Spaziergänge unternahmen sie immer zu einer Zeit, die ganz unschick war, wo keiner der Snobs und keine der Familien, mit denen Denises Eltern oder er verkehrt hatten, dort anzutreffen waren.

Robert kam sich wie ein Märtyrer vor. Mehr als einmal durchzuckte ihn der Gedanke: »Du willst bloß einmal durch die Rue de la Paix gehen!« Und dann wieder: »Einmal nur könntest du nach der Avenue de l'Opéra!« Aber er bekämpfte sich jedesmal und blieb Sieger.

So nahte der letzte Tag. Sie hatten keinen Bekannten getroffen, nur von weitem einmal sahen sie ein paar Freunde fahren, doch er wandte sich mit seiner Frau zur Seite, um nicht erkannt zu werden.

René war der einzige, der etwas zu ahnen schien. Er schüttelte zu der ganzen Geschichte den Kopf und sagte:

»Na, Robert, du hast immer solche Schrullen gehabt, du hattest ja auch ein viertel Anlage zum Einsiedler, aber die Geschichte kommt mir eigentlich doch etwas komisch vor.«

Robert blickte ihn gar nicht an und suchte sich mit einem Scherz herauszureden:

»Mein Alter, wenn man verheiratet ist, wird alles anders. Es ist merkwürdig, wie man auf völlig neue Ideen kommt.«

Da schlug René ihm vor, sie wollten mit dem Automobil ihres Freundes de Foucauld, der zu einer sterbenden Erbtante in die Champagne gerufen worden war und für die Zeit seiner Abwesenheit René seinen Wagen zur Verfügung gestellt hatte, eine Rundfahrt durch Paris unternehmen. René malte es aus:

»Weißt du, es braucht ja nicht lange zu dauern, bloß, daß du die lieben alten Straßengesichter einmal wiedersiehst, sonst verbauerst du ja vollkommen. Du brauchst nur zu sagen, wo du hinwillst. Oder wollen wir nach Versailles hinaus? Oder nach Sankt Cloud?«

Robert zuckte es in allen Gliedern, er wäre beinahe schwach geworden. Denise unterstützte ihn noch und sagte, indem sie sich an ihn hängte:

»Robert, das könntest du dir wirklich gönnen, fahre doch mit!«

Aber mit einem jähen Entschluß überwand er sich:

»Nein, ich werde jetzt Landwirt, und ob ich's nun noch einmal sehe oder nicht, darauf kommt es nicht an!«

Sie setzten sich zur Henkersmahlzeit, zum Frühstück, denn um fünf Uhr ging der Zug. Nur die Familie war versammelt. Das Gespräch drehte sich um das Landleben; Herr de Verneuil, der nicht einmal Jäger war und eigentlich nur einen Fleck auf der ganzen Erde zur Existenz für möglich hielt, nämlich Paris, suchte die Vorteile des Landlebens auseinanderzusetzen. Er entwarf ein recht sonderbares Bild, das darin gipfelte, frühmorgens, wenn die Lerchen trillerten, durch den taunassen Wald zu gehen, abends, wenn glühendrot die Sonne unterging, vor dem Haus zu sitzen und die Stimmung auf sich wirken zu lassen. Was in der Zwischenzeit geschehen sollte, das wußte er nicht.

Robert ging es übrigens ähnlich, aber er machte sich darüber kein Kopfzerbrechen. René nahm sich weniger in acht, schwärmte nicht, sondern sagte ab und zu kopfschüttelnd:

»Na, ich glaube, ihr werdet euch dort ganz blödsinnig langweilen!«

Aber Denise wurde eifrig:

»Was sagst du da, René, wir uns langweilen? Erstens habe ich meinen Robert, und da kann ich mich schon nicht langweilen!«

Frau de Verneuil zog die Augenbrauen zusammen und wollte, mit einem Blick auf ihren Gatten, etwas sagen; ein herber Zug legte sich dabei um ihren Mund, aber sie schwieg.

»Und dann, wenn Robert sich um die Landwirtschaft kümmert, oh, da sollt ihr sehen, werde ich mich um meinen Hühnerhof kümmern und um meinen Garten; ach, das wird köstlich!«

Sie klatschte in die Hände im Gedanken daran.

René aber lächelte vor sich hin:

»Na, mein liebes Schwesterchen, jeder nach seinem Geschmack!«

Bald nach Tisch nahm René Abschied, denn ihn hielt es nicht, er wollte die Automobilfahrt machen, von der er gesprochen hatte. Er forderte Robert noch einmal auf.

Diesmal war jener drauf und dran, einzuschlagen. Er sagte sich: »Ach, nur ein einziges Mal muß ich noch all das wiedersehen, aber dann nicht nach Versailles, sondern durch die Straßen.« Doch als Denise ihm abermals zuredete, ward er gerade im Gedanken an sie stark und antwortete seinem Schwager:

»René, sei mir nicht böse, aber ich habe doch alles das oft genug gesehen. Ob ich es nun noch einmal sehe...«

Es kam unsicher heraus, als glaubte er es selbst nicht.

Doch René drängte fort, ihm war der Gedanke gekommen, jemand anders aufzufordern, und da wollte er die Zeit nicht verpassen. Er drückte seinem Schwager die Hand, küßte seine Schwester auf beide Wangen und rief:

»Na, Kinder, ich besuche euch mal, aber nicht auf lange Zeit, nur daß ich sehe, wie ihr eingerichtet seid!«

Robert wie Denise sagten beide ein wenig gedehnt, nicht gerade zu eifrig:

»Oh, das wäre reizend!«

Nachmittags war, wie immer, Herr de Berneuil in den Cercle gegangen, um Zeitungen zu lesen, seine Frau mußte zur Schneiderin, und das junge Paar blieb in der Wohnung allein. Robert konnte es nicht erwarten, bis der Zug ging. Der Boden brannte ihm unter den Füßen; es war ihm, als müsse er jeden Augenblick seinem Vorsatz untreu werden und wieder hinauslaufen in das Gewühl der Straßen. Und er wußte, traf er dann einen Bekannten, so ging er auch mit ihm. Und forderte der ihn auf, ihn noch weiter zu begleiten, er hätte vielleicht gar Abfahrtsstunde und alles vergessen, denn es gab doch nur eine Stadt auf der Welt, einen Ort, an dem er sich glücklich fühlte – Paris!

So drängte Robert fort, und nachdem Denise noch einmal durch alle Räume gegangen war, von allen ihren Mädchenerinnerungen Abschied genommen, auf dem Flügel auch noch einmal »ihr Stück« gespielt und dann den Dienstboten, die alle jahrelang im Hause waren, Lebewohl gesagt hatte, fuhr der Wagen eine Stunde vor der Abfahrtszeit vor, als eben Frau de Verneuil heimgekehrt war.

»Aber ihr müßt auf den Papa warten!« sagte Denisens Mutter.

So saßen sie denn zur Abfahrt bereit da. Robert, die Handschuhe an den Händen, den Stock mit der silbernen Krücke in der Hand, mit dem er immer leise abwechselnd rechts und links an die seitwärts geneigten Sohlen seiner Stiefel schlug. Denise hatte schon den Hut auf dem Kopf; sie konnten nicht warten, bis ihr Vater wiederkam.

Minuten verstrichen, eine Viertelstunde war herum. Robert sah unausgesetzt nach der Uhr, keiner sprach mehr etwas. Endlich sagte der junge Ehemann:

»Wenn wir jetzt nicht fortfahren, kommen wir zu spät!«

Da hörte man draußen eine Stimme, Herr de Verneuil war da. Es gab einen kurzen Abschied, mechanische Umarmung, mechanische Küsse rechts und links, dann stob das junge Paar davon, Robert voraus, Denise, indem sie noch zweimal zu ihren Eltern zurückkehrte, die ein paar Tränen unter ihrem dichten Reiseschleier glitzern sahen, als sie die Tochter umarmten.

Im Wagen sprachen die beiden kein Wort. Der Zug stand schon in der Halle des Orléans-Bahnhofes, sie stiegen ein. Draußen auf dem Bahnsteig gingen die Leute, die gleichfalls mitfahren wollten, ungeduldig auf und ab, denn es war noch Zeit.

In dem dunkeln, niedrig gewölbten Raum überkam Robert und Denise eine dumpfe Traurigkeit. Es ward ihnen schwer, furchtbar schwer, von Paris Abschied zu nehmen. Ihr ward, was sie am Hochzeitstage gar nicht so empfunden, doch die Trennung von den Eltern schwer, und wenn sie sich auch tröstete mit Garten und Hühnerhof, so kam ihr doch leise immer ein Gedanke. Nicht der, sie hätten zu wenig Geld, aber der, sie möchten mit dem, was sie besaßen, nicht auskommen. Sie saßen stumm einander gegenüber, jedes in seiner Ecke, und als endlich der Zug sich in Bewegung setzte und sie das Häusermeer von Paris verließen, dessen geschlossene Massen allmählich lichter wurden, während es durch die weite, immer noch mit Landhäusern und Villen besäte Ebene ging, beugte sich Robert vor und sagte, indem er seine Frau an sich zog:

»Meine kleine Denise, verzeihst du mir denn?«

Sie sah ihn an:

»Was soll ich dir verzeihen?«

»Daß ich dich so in die Verbannung bringe durch meine Schuld. Du hast doch geglaubt, wir würden in Paris leben, und wenn du gewußt hättest, daß wir in Montmidi unser Dasein beschließen müßten, würdest du mich wohl nicht genommen haben!«

Aber sie bat ihn flehend, indem ihr jetzt wieder die Tränen rannen, er solle nicht so sprechen, und hätte er nichts gehabt, sie hätte ihn doch genommen, und wenn sie betteln gehen müßten, sie würde glücklich mit ihm sein.

Das rührte ihn, aber im Innersten seines Herzens glaubte er es nicht ganz, und in seinem an Luxus gewöhnten Sinn erschien es ihm wie etwas Unmögliches, daß sie so dachte.

Er überlegte, was ihm bevorstand: die Jahre in beschränkten Verhältnissen, das eintönige Leben auf dem elenden kleinen Gut, wo sie niemand kannten und es kaum Nachbarn gab. Immer wieder kam ihm der Gedanke an dieses Paradies, das er verließ, Paris, Paris!

Diese Stadt, wo man, wie er meinte, gar kein Geld auszugeben brauchte, um sich glücklich zu fühlen. Selbst wenn er kein Theater, kein Rennen besuchte, nicht in eigener Equipage fuhr, nicht in ersten Restaurants speiste, sondern nur als einfacher Fußgänger durch das Gewühl der Boulevards schritt, wenn er in die Champs Elysées hinausging, durch das elegante Hasten und Treiben nach dem Bois, so empfand er immer eins, das alles wieder gut machte – er war in Paris!

Der Gedanke, aufs Land zu ziehen, erschien Robert immer unnötiger, je mehr sie sich von der Hauptstadt entfernten. Wie war er nur darauf gekommen?

Er bildete sich ein: in einer winzigen Mietwohnung in einem billigen Hause, sogar im fünften Stock – es gab ja einen Aufzug – würden sie sich wohl gefühlt haben. Es hätte eine Zerstreuung gegeben, die keinen Sou kostete, die, aus dem Fenster zu sehen und das Gewimmel der Menschen zu betrachten. Hinauszuhorchen und den ununterbrochenen Schrei der Ausrufer zu hören, die mit ihren verschiedenen Waren durch die Straßen zogen, das Rollen der Wagen, das Rattern der Omnibusse, alle Laute von Paris! Er konnte, wenn er es in seinen vier Pfählen nicht aushielt, auf die Straße gehen, und allein schon, wenn er Menschen sah, die sich dort drängten, fühlte er sich dem Weltgetriebe nahe. Er konnte schnittige Pferde sehen und elegante Wagen; er konnte in hübsche Gesichter blicken, wirklich nur der Zerstreuung wegen, denn er liebte seine Denise. Er sah neue Moden, prachtvolle Hüte, unvergleichliche Kleider, Umhänge, Pelzboas und all die duftigen, lockigen, flockigen kleinen Dinger, womit sich elegante Frauen behängen. Und von den Pariser Frauen besaß doch auch die ärmste und einfachste immer noch etwas an Schmuck und Schick, das dem Auge mehr bot, als die wohlhabendste und erste Frau in der entsetzlichen öden Provinz.

Es kam ihm vor, als ginge er in die Verbannung. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er dort würde leben können; eine zehrende Reue bohrte unausgesetzt an ihm: Herrgott, wenn ich doch nicht die Dummheit gemacht hätte! Was habe ich denn nun davon, dieser Bank ein Vermögen in den Rachen geschmissen zu haben!

Immer mehr tat sich ihm das Bewußtsein auf, das er früher nie empfunden, weil er eben Geld besaß: eines gab es nur auf der Welt, das glücklich machte, das notwendig war: Geld! Geld! und dreimal Geld!

Dann zerbrach er sich während der langen Fahrt, die ihm immer eintöniger und schrecklicher schien, denn sie entfernte ihn doch von Paris, den Kopf: wie konnte er Geld gewinnen? Er hatte nichts gelernt, er verstand nichts von Geschäften, er besaß keinen Beruf. Ja, wie konnte er Geld gewinnen?

Die verrücktesten Gedanken kamen ihm: wenn er nun auf seinem Gut eine vielleicht besonders kostbare Erde fände, sei es, daß sie Gold enthielte oder Kohlen oder Ton – oder wenn er eine Villenkolonie gründen könnte und seinen Grund und Boden parzellieren?

Aber wer sollte nach Montmidi ziehen, lächerlich! Man blieb doch eben in Paris!

Vielleicht konnte er Schafe oder Rindvieh ziehen, das er teuer verkaufte. Aber nein, davon verstand er ja nichts – Pferde indessen hatte er immer gefahren und im Stall gehabt. Pferdezucht mußte er anlegen, eine Pferdezucht, die ihm viel Geld einbrachte. Keinen gemeinen Schlag, sondern Vollblut!

Und seine Phantasie ging weiter. Mit dieser Vollblutzucht verband er etwas, das ihm wie ein lachendes glückliches Bild erschien: dazu mußte er Reisen unternehmen, dann kam er fort aus dem elenden Orte, den er in den drei Wochen, die sie gebraucht hatten, um die Villa herzurichten, schon satt hatte bis zum Kinn herauf. Er mußte reisen, um andere Gestüte zu sehen, um seine Produkte abzusetzen; er mußte auf die Rennplätze gehen! Nach Paris! Er mußte doch sehen, wie seine Zucht lief, mußte mit den andern Züchtern und Rennstallbesitzern Verbindung halten.

Und er ward ganz guter Laune bei dem Gedanken. Vielleicht zog er einmal ein Wundertier, das den großen Preis gewann! Dann würden die Leute sich reißen um seine Jährlinge. Das war es, das wollte er tun! Er lächelte vor sich hin. Da hörte er Denisens Stimme:

»Robert, du lachst ja?«

Er zuckte zusammen:

»Ja, meine kleine Frau, ich lache!«

»Freust du dich denn, nach unserm lieben Montmidi zu kommen?«

Er wollte sich eigentlich dagegen wehren, doch der Gedanke an die Pferdezucht kam ihm wieder, und er antwortete:

»Ja, ich freue mich riesig!«

Sie blickte ihn schmeichelnd an:

»Ach, mein Robertchen, wir wollen schon glücklich sein!«

Er sah sie wieder an:

»Ja, Denise, wir wollen glücklich sein!«

Und sie meinte naiv:

»Man braucht wirklich kein Geld zum Glück!«

Gedehnt kam es zurück:

»Vielleicht nein!«

»Nur vielleicht?«

»Ach, wir könnten schon etwas mehr haben!« meinte er und starrte vor sich hin.

Sie ahnte, daß er traurig war, und sie wollte ihn doch immer glücklich sehen! Da kam ihr ein Gedanke. Sie setzte sich auf seine andere Seite, schmiegte sich an ihn und flüsterte:

»Robert, man soll nie daran denken, und ich mag nicht daran denken, daß meine guten lieben Eltern einmal nicht mehr sind, aber ich meine, es kann uns doch nicht ganz schlecht gehen; denn denke nur einmal, wenn der Fall eintreten sollte – oh, ich wünsche, daß es noch möglichst lange dauern soll, aber das liegt doch in menschlicher Berechnung – also wenn sie einmal nicht mehr wären, dann hätten wir ja doch bedeutend mehr. Ich glaube, dann ginge es uns wieder ganz gut.«

Es hatte wie geleuchtet in seinen Augen, und er wandte sich zu ihr. Im Grunde genommen: für Denise bedeutete der Tod der Eltern etwas, doch was waren ihm Herr und Frau de Verneuil? Er ein kalter, ganz liebenswürdiger, sehr korrekter Mann, sie eine gelangweilte Frau, die sich etwas viel mit dem Schneider und dem Modejournal beschäftigte. Wo sollte bei ihm Liebe zu den beiden herkommen? Nun, wenn ihm einmal ihr Geld zufiel, dann wollte er schon ihr Andenken segnen. Seine Züge klärten sich auf.

Da fragte Denise wieder:

»Werden wir denn nicht ganz glücklich in Montmidi sein?«

Er nickte langsam, nicht sehr begeistert, aber er hatte doch zugestimmt. Und da sie ihm etwas Ungenehmes sagen wollte, einen Trost, so meinte sie, immer noch den Gedanken verfolgend: »Weißt du, Robert, wenn wir einmal erben in zwanzig, in dreißig Jahren, wenn wir selbst einmal erwachsene Kinder haben, dann machen wir es wie Papa und Mama und leben in Paris!«

Das griff er freudig auf:

»Ja, dann ziehen wir nach Paris!«

Jetzt war er schon ganz guter Laune. Er rieb sich die Hände, griff in die Brusttasche, zog das goldene mit cabochongeschliffenen Steinen besetzte Zigarettenetui heraus – eine Erinnerung aus seiner Luxuszeit –, nahm eine Zigarette, schob sie sich in den Mundwinkel und steckte sie an. Dann blies er den Dampf von sich und rieb sich die Hände:

»Paß mal auf, Denise, unsere Zeit wird schon wiederkommen!«


 << zurück weiter >>