Georg Freiherr von Ompteda
Denise de Montmidi
Georg Freiherr von Ompteda

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III.

Den Tag darauf kam das junge Paar in Nizza an. Sie hatten es gut getroffen, es war herrliches Wetter; ein blauer Himmel spannte sich über dem blauen Meer, in den Gärten lebte alles von immergrünen Pflanzen, von Blumen und Büschen und Bäumen des Südens, denn hier begann bereits der Frühling einzuziehen.

Es duftete in dem Vorgarten des an der Promenade des Anglais gelegenen Hotels, wie in Paris zu dieser Zeit nur auf den kleinen Karren der Blumenverkäufer, die, ihre Ware anpreisend, durch die Straße zogen.

Denise schlug, als sie am Morgen die Fensterläden öffnete, vor Freude die Hände zusammen:

»Mein Gott, das Meer!«

Das Meer hatte sie noch nie erblickt; und nun konnte sie die Augen nicht davon wenden, sie sah immer die klaren Wellen anlaufen, die langen weißen Linien, Kämme und überhängenden Spitzen sich von der großen blauen Fläche abzeichnen, und sie rief einmal über das andere: »Robert, sieh nur, das läuft ja immer fort! Das hört ja gar nicht auf! Wo kommt denn das her?«

Ihm, der in Trouville, in Biarritz so oft viele Sommerwochen verbummelt hatte, machte die kindliche Freude seiner jungen Frau Spaß, als ob er das alles selbst auch noch nie gesehen hätte.

Bald darauf standen sie auf der Straße, er nahm ihren Arm, preßte ihn, und verliebt sahen sich die beiden an. Nur ab und zu, wenn sie in die Nähe von Menschen kamen, von denen sie das Gefühl hatten, es könnten vielleicht Bekannte sein, ließ er sie los und dann schritten sie ernst und würdig nebeneinander her.

Plötzlich blickte die kleine Frau ihn groß an:

»Denke dir, Robert, nun sind wir schon zwei Tage verheiratet!«

Er rechnete die Stunden zusammen und bestritt, daß es bereits genau zwei Tage wären, aber da sagte sie mit einem schmollenden Mündchen:

»Ach, Robert, du mußt nicht so pedantisch sein!«

Ohne daß er wußte, wie es kam, antwortete er:

»Ich bin nie pedantisch gewesen, ich habe leider nicht alles sehr genau genommen!«

Sie blickte ihn einen Moment erschrocken an, dann aber lachte sie wieder, und der Gedanke huschte vorbei.

Ihm aber kam die Erinnerung an das, was er ihr beichten wollte. Das war ja eben ein erster Ansatz dazu gewesen. Doch er schob es abermals von sich, wenn es ihn auch quälte, denn trotz seines jahrelangen Leichtsinns in Paris war er wirklich ein wenig pedantisch.

Da ihm die Republik ohne Verleugnung seiner Familientradition und seiner Anschauungen keine Möglichkeit zum Arbeiten bot, da er in die Armee nicht hatte eintreten wollen, und an seinem Gut nicht viel zu bewirtschaften war, außerdem sein Haupteinkommen aus den Zinsen seines Vermögens bestand, hatten ihn Tatenlosigkeit und Mangel an Beschäftigung in Paris zum Bummeln getrieben. Die Freunde hatten ihn oft Spaßes halber den Philosophen genannt, denn manchmal, wenn sie im Café de Paris mit irgendeiner Schauspielerin, einer Tänzerin, einer Dame saßen, deren Neigung nur durch die ihr gebotene Möglichkeit, glänzend zu leben, zu erobern war, hatte er seine düstern Stunden gehabt, begann Gespräche über die Nichtigkeit des Daseins, so daß einmal die schöne Alice Colombier von den Bouffes, die solche philosophischen Anwandlungen gar nicht liebte, die immer nur lachen und sich unterhalten wollte, etwas mißvergnügt zu den andern Herren gesagt hatte:

»Ich glaube, Herr de la Caille wird noch einmal in ein Kloster gehen!«

Aber alle diese Gedanken, die nur flüchtig aufgetaucht waren, schwiegen jetzt wieder angesichts seines Glückes, als er auf der sonnebeschienenen Promenade des Anglais am Meere hinschritt.

Beide machten Beobachtungen über die ihnen begegnenden Menschen. Denises entschiedener klarer Verstand begann sich zu regen und kleine Funken zu sprühen in ihren Bemerkungen über die Vorübergehenden: diese Dame sah genau aus wie das Zebra im Jardin d'Acclimatation, jener Engländer hatte etwas von der Seerobbe, die sie dort in ihren spaßigen Wasserspielen bei der Fütterung oft beobachtet hatte. Und waren nicht die beiden kleinen Mädchen mit ihren großen Nasen, die für die Zukunft viel versprachen, die reinen Pfefferfresser? Der kleine Junge mit dem vorgeschobenen Mund, der zurücktretenden Stirn und den dichten schwarzen Locken, das war ja ein Pudel!

Jedesmal, wenn sie so etwas gesagt hatte, lachte Robert, und die Lust wandelte ihn an, seine kleine Frau an sich zu ziehen und ihr einen Kuß zu geben. Er tat es sogar, als sie in einen Hausflur getreten waren, da sich das Band ihres Schuhes gelöst hatte, und sie bot ihm ruhig die Lippen; dann sagte sie mit einer komischen Miene, daß es ihn überlief und er sich förmlich schüttelte vor Glück, vor einem Glück, das er nie in seinem Leben geahnt und nie für sich für möglich gehalten:

»Du, du, daß deine Lippen nur nicht wund werden!«

Dann bummelten sie weiter, blieben bei den Modistinnen stehen und vor allen Dingen bei den Juwelieren. Aber so schöne Sachen sie auch dort sahen, nie sprach sie davon anders, als daß sie – bei einem Ringe zum Beispiel, der in der Auslage auffiel – hinzufügte:

»Aber, Robert, meiner ist viel schöner!«

Dann streifte sie wieder den Handschuh ein Stück von der kleinen Hand, hielt sie gegen das Glas, und sie verglichen wie die Kinder, freuten sich, daß Denises Stein wirklich größer war oder mehr Feuer hatte. Er aber sagte:

»Wir finden alles, was wir haben, besser, denn wir sind glückliche Menschen!«

Denise blickte ihn an:

»Das muß man auch! Und es ist auch so!«

»Glaubst du wirklich?«

»Ja, denn es gibt keinen Mann in Paris, nein, was sage ich, in ganz Frankreich, überhaupt auf der ganzen Welt, der so ist wie mein Robert!«

Seine Augen glänzten:

»Meinst du das wirklich?«

Sie antwortete einfach:

»Sonst würde ich es doch nicht sagen!«

Während sie weitergingen, so ineinander vertieft, daß sie beinahe die Leute anrannten, und man dem Paar erstaunt nachsah, fragte er: »Hast du mich denn lieb, meine kleine Denise?«

Sie ließ ihn nicht mit den Augen los:

»Ich habe dich so furchtbar lieb, so, daß ich's nicht sagen kann! So, daß ich – ach, ich weiß es nicht, ich habe dich eben lieb!«

Sie frühstückten in ihrem Hotel an einem kleinen Tisch einander gegenüber. Zuerst war der Speisesaal leer, sie freuten sich dessen, so konnten sie sich besser unterhalten. Allmählich aber kamen Leute: Vater, Mutter, zwei kleine Mädchen und die Gouvernante; dann mehrere Herren, die sich eifrig unterhielten, einander Papiere herübergaben beim Essen, wobei der eine, wenn er las, jedesmal den Kneifer aufsetzte. Endlich ein junger Priester mit einem alten Ehepaar, ein moderner Priester mit reinlicher, gutgeschnittener Soutane, Seidenschärpe und untadeliger Wäsche.

Nun mußten sich Robert und Denise in acht nehmen mit ihrer Unterhaltung, aber das gab um so größeren Reiz. Sie flüsterten, und unausgesetzt, sobald der Kellner serviert hatte, hauchte Robert ihr allerlei Fragen zu, ob das Essen gut wäre, Bemerkungen über die Nachbarn, dazwischen plötzlich:

»Denise, du hast so schöne Augen!«

Oder:

»Wo hast du denn den kleinen Mund her?«

Sie lachte jedesmal und gab ihm unversehens, während sie tat, als wolle sie das Brot nehmen, einen Klaps auf die Hand.

»Was wollen wir heute nachmittag machen?« fragte er.

Ihr war alles gleich, wohin er sie brachte, sie sah ja doch nichts anderes als ihn. Er fragte:

»Wollen wir einen Wagen nehmen?«

Sie meinte nur:

»Mir ist alles recht!«

Aber sie waren müde, legten sich nachmittags ein wenig hin, und unversehens schliefen sie dabei ein, Hand in Hand. Sie fuhren gleichzeitig verstört auf: Um Gottes willen, es war schon fünf! Nun rieben sie sich die Augen, jetzt war es wohl zu spät, noch etwas zu unternehmen, denn trotz der Frühlingsluft begann gegen Abend doch die Kälte wahrnehmbar zu werden, und eine Wagenfahrt verlohnte sich nicht mehr. Da sagte er:

»Wir müßten mit der Bahn fahren!«

Aber sie hatte von der langen Reise von Paris her genug und wehrte erschrocken ab.

»Wir brauchen ja nicht weit zu fahren! Vielleicht nach Cannes? Oder willst du lieber hier bleiben?«

Da kam ihr plötzlich ein Gedanke: sie hatte soviel von Monte Carlo gehört, wohin sie, wenn sie vielleicht mit den Eltern eine Reise nach dem Süden gemacht hätte, als Mädchen nie hingekommen wäre, wenigstens nicht ins Kasino. Nun wollte sie in dem Vollgefühl, ihrer jungen Würde den Vorteil auskosten, den sie als Frau besaß; darum fragte sie mit leuchtenden Augen:

»Ist Monte Carlo weit?«

Er lachte:

»Nein, da können wir heute noch hinfahren!«

Sie hüpfte im Zimmer herum, klatschte in die Hände, wie ein kleines Mädchen und rief:

»Oh, das ist hübsch! Mein Robert, bist du gut! Wir fahren nach Monte Carlo, nicht wahr?«

Er freute sich, ihr einen Spaß machen zu können und antwortete sofort:

»Gut, ziehe ein schönes Kleid an. Pardon, ich habe ja nicht daran gedacht, daß du nur schöne Kleider hast! Also ziehe dich an, und wir fahren hin, denn so etwas hast du noch nie gesehen!«

Sie sah die Kleider durch, die sie mitgenommen hatte, und fragte ihren Mann, welches das geeignetste wäre. Er wählte schließlich ein helles, elegantes, womit er meinte, daß seine niedliche kleine Frau schon Figur machen würde.

Während sie sich anzog, fragte sie:

»Darf ich denn auch spielen?«

Er dachte an seine Vorsätze und sagte:

»Du, Denise, ja, ich nicht!«

»Du nicht?«

»Nein, denn ich habe schon genug Geld in meinem Leben verloren!«

Sie sah ihn von der Seite an und drohte scherzhaft mit dem Finger:

»Robert, du bist wohl sehr leichtsinnig gewesen?«

Er antwortete nur:

»Ich bin es nicht mehr!«

Nach einer Weile fragte sie:

»Wieviel darf ich denn setzen?«

Er zögerte und sagte dann:

»Ich will dir etwas sagen, Denise, wir sind nur einmal auf der Hochzeitsreise, du bekommst dazu hundert Franken, die kannst du verspielen, denn verlieren tust du sie doch.«

Sie war glücklich:

»O nein, paß nur auf, ich werde schon gewinnen! Du sollst mal staunen, ich habe solches Glück entwickelt, daß ich auch da Glück haben werde!«

Er hielt ihre beiden Hände, näherte sich ihrem Gesicht, blickte ihr in die Augen und fragte zärtlich:

»Wo hast du denn Glück gehabt?«

Sie sagte einfach:

»Daß ich dich gefunden habe!«

Und er küßte sie gerührt.

Eine Stunde darauf saßen sie im Zuge. Sie fuhren immer an der Küste hin, links türmten sich die Kreidefelsen, rechts unter dem Schienenstrange brauste das Meer, und ab und zu tauchten sie, Landzungen durchfahrend, in Tunnels. Während weiße Häuser und Villen, Blumengärten und Palmenhaine, Segelschiffe, Fischerboote und bei Beaulieu ein ganzes Panzergeschwader an ihnen vorüberhuschten, ging es Monte Carlo zu.

Sie stiegen die schöne Treppe hinauf, die zu den Anlagen um das Kasino führt. Eine Menge Ausflügler aus Nizza war mit ihnen gekommen, ein langer Zug, der dem Tempel des Mammons zustrebte.

Nun traten sie in die Palmenhaine mit ihrem exotischen Pflanzenwuchs, und dann sahen sie den Spielsaal vor sich liegen, mit seinen geschlossenen Fenstern, hinter denen die Spieltische standen, hinter denen man all das äußerlich ruhige, innerlich wild bewegte Leben der Spieler ahnte, die Vermögen hin- und herschoben, um sie schließlich doch alle in dem einen großen Schlund verschwinden zu lassen: der Bank.

Kurz ehe sie auf den Platz zwischen dem Café und dem Kasino traten, auf dem Bonnen, Kinder, dienstfreie Croupiers, an Geldbeutel wie Nerven ermüdete Spieler, Lungenkranke, elegante Damen, große wie kleine Halbweltlerinnen saßen, Wagen auf Wagen an der Bank vorfuhren, immer neue Besucher bringend, nahm Robert hundert Franken aus der Brieftasche und steckte sie seiner kleinen Frau zu:

»Denise, mehr bekommst du nicht, das ist für unsere Verhältnisse genug.«

Und er dachte sich im stillen: »Ich bin jahrelang unvernünftig gewesen, jetzt steure ich den neuen Kurs; die Vernunft fängt an.«

Aber erst wollten sie essen, und sie traten in das gegenüberliegende Café de Paris. Als sie einander gegenübersaßen, beide im Gesellschaftsanzug – denn er hatte den Frack unter dem Überzieher zur Fahrt angelegt –, sagte er mit einem zärtlichen Blick zu seiner kleinen Frau: »Denise, nun sollst du mal gut essen!«

Er stellte sorgsam mit Hilfe des Kellners eine Speisenfolge zusammen, und unwillkürlich geschah es, daß in dem eleganten Raum bei dem übereleganten Publikum, dem es auf ein Zwanzigfrankenstück so wenig ankam wie anderen vielleicht auf einen Sou, das Menü etwas teuer ward, aber es ward gut.

Denise hätte er alles vorsetzen können; sie war wenig wählerisch im Essen. Bei den frommen Schwestern war sie nicht verwöhnt worden. Mit einem Teller Suppe und einem Stück Brot hätte sie vorlieb genommen. Sie hatte nicht einmal Zeit zum Essen, immer blickte sie ihrem Robert in die Augen, und der Kellner nahm ihr die Teller fort, fast ehe sie noch etwas angerührt hatte. Nur an ihrem Glase nippte sie ein paarmal.

Inzwischen hatte sich das Restaurant immer mehr gefüllt. Erstaunt blickte sich Denise um. Sie flüsterte ihrem Manne Bemerkungen zu über die Toiletten, die sie sah. Reiche, schicke Amerikanerinnen, schön gewachsene Engländerinnen, etwas sonderbar angezogen, Damen der Halbwelt in dekolletierten Kleidern, mit Schmuck behangen, traten mit Herren ein, die alle im Frack waren.

Das war ein Strahlen von Luxus und Eleganz rings an den Tischen, wie es Denise noch nie gesehen hatte. Es machte ihr Spaß, und mehrmals sagte sie zu ihrem Manne:

»Robert, das ist ja reizend hier!«

Er, der die Feste gefeiert, auch ohne daß sie fielen, ward angeregt durch den eleganten Rahmen, den er so oft in Paris in den großen Restaurants um sich gesehen hatte. So kam er in gehobene Stimmung, und als er zu seinem Kaffee einen Fine Champagne geleert hatte, erschien ihm alles leichter, und seine neuen, strengen Grundsätze waren ein wenig verflogen, so daß er plötzlich zu seiner Frau sagte:

»Denise, weißt du, wir gehören jetzt ganz zusammen, und ich muß alles tun, was du tust. Du darfst hundert Franken verspielen, also ich auch! Wenn wir das verloren haben, fahren wir nach Nizza zurück, dann hat die liebe Seele Ruh!«

Dabei nahm er aus seiner Brieftasche einen zweiten Hundertfrankenschein und steckte ihn in die Westentasche.

Sie bezahlten, dann gingen sie zur Bank hinüber. Sie gaben ihre Namen an, erhielten die Eintrittskarten und durchmaßen nebeneinander das Atrium. Ein paar Herren, die dort standen und eine Zigarette rauchten, starrten der jungen Frau nach, deren kleine Schleppe hinter ihr dreinrauschte, und die mit der Grazie, dem Liebreiz und dem natürlichen Anstand der jungen Französin hinschritt, als hätte sie nie anderes getan.

Als sie in die Spielsäle traten, blieben sie zuerst stehen und sahen sich um. Die Menschen drängten sich um die Tische, auf denen schon die Lampen brannten, an langen vergoldeten Ketten von der Decke niederhängend, mit Schirmen versehen, die ihr Licht nur auf das grüne Tuch warfen. Man hörte das Klimpern des Geldes, das Laufen der Kugel in der Roulette, das eintönige Rufen der Croupiers. Denise gab ihren ersten Eindruck wieder:

»Gott, ist das komisch!«

Robert war in guter Stimmung. Er rieb sich die Hände, zog sich die Manschetten etwas heraus, und in stolzer Haltung ging der große, schlanke, elegante Mann neben seiner kleinen Frau her, strich sich den Schnurrbart und fühlte sich so wohl, als wäre er zu Hause.

Sie blieben an einem Tisch stehen. Die junge Frau ließ sich erklären, wie man setzen müsse, und welche Gewinnmöglichkeiten es gäbe. Aber als Robert sie lachend aufforderte, sie möchte doch spielen, sagte, sie, indem sie ängstlich ihren zusammengefalteten Hundertfrankenschein zwischen den weißbehandschuhten Fingern festhielt:

»Nein, nein, erst muß ich's lernen!« Er lachte:

»Da ist doch nichts zu lernen!«

Aber sie setzte eine wichtige Miene auf:

»Doch, ich weiß ja nicht, wie die Geschichte ist!«

Sie gingen also weiter, blieben wieder an einem Tische stehen, durchmaßen alle Räume und traten endlich in die Trente-et-Quarante-Säle. Für die kleine Frau wieder etwas Neues, und abermals erklärte ihr Robert die Spielweise mit halblauter Stimme, indem er sich zu ihr niederbeugte und ihr ins Ohr flüsterte.

Die alte Leidenschaft kam über ihn; nicht daß er hätte setzen mögen, aber den Gang des Spieles wollte er sehen. Es interessierte ihn mehr noch als die Roulette. Er beobachtete das Abziehen der Karten, setzte in Gedanken hier und da eine Summe, berechnete seinen vermeintlichen Gewinn oder Verlust und war so dabei, daß er zusammenschrak, als Denise ihm zurief:

»Robert, wir wollen weiter, das ist langweilig!«

Er machte ein Gesicht:

»Langweilig? Das ist sehr interessant!«

»Ach, ich verstehe das nicht!«

»So setze doch mal!«

»Nein, sonst verliere ich!«

Er ärgerte sich ein wenig:

»Dazu sind wir doch hier!«

Sie lachte:

»Um zu verlieren?«

»Nein, nein, um zu spielen!«

Da flüsterte sie ihm zu, und dabei glänzten ihre schwarzen Augen, und ein schelmisches Lächeln zuckte um ihre Lippen:

»Weißt du was, Robert, nehmen wir an, ich hätte es schon verloren.«

»Aber sei doch nicht so komisch!« »Doch, ich will dir etwas gestehen, ich kaufe mir lieber etwas dafür, da habe ich es ganz sicher.«

Er lachte und ging mit ihr weiter. Doch nach einer Weile begann er:

»Ja, aber denke dir mal, wenn es nun Tausend wären, was du da alles kaufen könntest!«

Sie meinte:

»Das ist wahr; oh, dann würde ich, dann würde ich...«

Sie überlegte und dachte an die Schaufenster, die sie in Nizza gesehen.

Er sagte:

»Weißt du, der Ring bei dem Juwelier!«

Sie schüttelte den Kopf:

»Nein, nein, der, den du mir geschenkt hast, der ist viel schöner!«

Und sie wußte nicht, was sie tun sollte. Ein wenig genierte sie sich. Sie machte mal einen Versuch, trat, von Robert begleitet, an einen Tisch, aber da saß eine ganze Reihe von Spielern, und andere standen dahinter, und mit ihren kleinen Armen konnte sie nicht hinüberlangen.

»Ich müßte wenigstens gewechselt haben!«

»Oh, das besorgt gleich der Croupier!«

Schon hatte er ihren Hundertfrankenschein genommen, und den Augenblick darauf bekam sie fünf Zwanzigfrankenstücke. Doch das war ihr noch zu viel, sie wollte etwas Silber haben.

»Da dauert der Scherz länger, denn verloren geht es doch!« meinte sie.

Er mußte ein Fünffrankenstück auf eine Nummer schieben, die sie sich gedacht hatte. Im Handumdrehen war es davon, die Croupiers holten mit dem Rechen aus und zogen alles ein, was auf der Seite stand. Denise ärgerte sich:

»Das ist doch zu dumm!«

Und sie war nicht mehr zum Setzen zu bewegen, ihre fünfundneunzig Franken wollte sie wenigstens behalten.

Inzwischen hatten sich die Säle mehr und mehr gefüllt, die Leute kamen vom Diner, und da Hochsaison war, drängten sich die Menschen. Einzelne Paare gingen auf und ab, an den Wänden saßen Gestalten, flirtend, schwatzend oder tief in Gedanken vornüber gebeugt, die Stirn aufgestützt, in der Hand ein Papier und einen Bleistift, krampfhaft rechnend und rechnend.

Da Denise nicht zu bereden war, weiter zu spielen, sagte Robert:

»Ach was, entweder ist es mit einem Mal aus, oder wir haben gleich etwas Ordentliches.«

Er setzte seine hundert Franken und – gewann.

Denise war so glücklich, daß sie in die Hände klatschte und Robert sie ganz erschrocken ansah, denn es wunderten sich einige Leute über die naive kleine Frau. Ihr schwebten die tausend Franken vor, und jetzt war sie es, die ihn ermunterte, noch einmal sein Glück zu versuchen:

»Aber nicht alles auf einmal!«

Er setzte wieder hundert Franken und gewann abermals. Sie hatten sich an einem Tisch, wo eine Lücke entstanden war, bis an das grüne Tuch vorgedrängt.

Roberts alte Leidenschaft, die ihm im Cercle in Paris so viel Geld schon gekostet hatte, kam über ihn, und er begann einen regelrechten Kampf. Immer setzte er hundert Franken. Das Geld schwoll in seiner Hand, er hatte nach kurzer Zeit einen ganzen Stoß Banknoten, den er in die Taschen seines Fracks, in der Weste, in der Hose verteilte.

Denise stand neben ihm, nicht im mindesten aufgeregt. Sie unterhielt sich köstlich, es war ja nur ein Spiel, sie konnten ja nicht mehr verlieren als die hundert Franken, die sie einmal opfern wollten, und es war so leicht, so unendlich leicht zu gewinnen.

Da kamen ein paar Fehlschläge. Roberts Augen glänzten, als er Denise ansah und sagte:

»Das wollen wir gleich wieder einholen!«

Er legte eine ganze Anzahl Kassenscheine auf einmal auf den Tisch. Sie waren fort. Er verdoppelte den Haufen: er verschwand! Nun suchte er aus allen Taschen zusammen und warf ein Paket Banknoten hin: es war weg!

Denise sah immer noch lächelnd zu, Robert hatte ihr ja zugeraunt, daß er schon dreitausend Franken in der Tasche hätte, also was konnte der Verlust bedeuten. Aber der Mund blieb ihr offen stehen, als Robert plötzlich, nachdem er noch einmal seine Taschen untersucht hatte, bat:

»Gib mir doch die fünfundneunzig!«

»Aber du hast doch noch!...«

Er ward nervös:

»Gott, ein paar Goldstücke, auf die fünf kommt es ja nicht an!«

Sie begriff nicht und holte aus ihrer kleinen Börse die achtzig Franken in Gold hervor, während sie das Silber noch in der Hand behielt. Er setzte es auf einmal. Den Augenblick darauf klang es: »Zero!« Alles ward eingezogen.

Da wandte sich Robert herum, und sie sah, daß er ein ernstes Gesicht machte. Ein wenig bleich war er und hatte die Lippen zusammengekniffen. Er sagte:

»Komm, Denise.«

Unwillkürlich folgte sie ihm, sie verließen den Tisch und sie fragte ängstlich:

»Aber um Gottes willen, Robert, was ist denn geschehen?«

Er schnippte mit den Fingern:

»Ich bin doch auch zu dumm, zu dumm! Es ist weg, alles weg, der ganze Gewinn!« Sie war sehr erstaunt:

»Aber wie ist denn das nur möglich?«

Er, der bisher nur die Liebe selbst, die Zuvorkommenheit in eigener Person gewesen war, der seine kleine Frau auf Händen getragen und ihr nur Angenehmes gesagt hatte, wurde plötzlich heftig:

»Was ist denn das für eine Frage! Du hast es doch gesehen, es ist eben verloren, verloren, alles verloren! Ich wollte doch den Verlust einbringen, ich habe das, was ich noch bei mir hatte, auch gesetzt. Alles weg!«

Sie machte ein trauriges Gesicht, so hatte er noch nie mit ihr gesprochen, aber sie wußte, er ärgerte sich über sich selbst, es galt nicht ihr, und sie beruhigte ihn:

»Ach, das schadet ja nichts, du hast ja noch Geld im Hotel!«

Er blickte sie groß an:

»Geld im Hotel? Wieso denn?«

»Nun, du hast doch nicht alles mitgenommen?«

Er wurde wieder nervös:

»Herrgott, ich werde doch nicht so dumm sein und im Hotel Geld liegen lassen, in meiner Tasche ist es doch sicherer.«

Sie stammelte:

»Das ist alles fort?«

Er zuckte die Achseln:

»Mein Gott, wir sterben ja nicht daran, es ist eben alles fort! Ich werde mir Geld schicken lassen! Das ist sehr einfach.«

Sie fühlte sich wie auf den Mund geschlagen und sagte nur:

»Das habe ich ja nicht geahnt!«

Doch er wurde wieder heftig, wenn er sich auch Mühe gab, seine Erregung zu bekämpfen:

»Herrgott noch mal, du hast es doch mit angesehen!«

Sie meinte nur: »Ja, ich habe es mit angesehen!«

Dann gingen sie, ohne ein Wort zu sprechen, in den Sälen auf und ab. Doch plötzlich kam ihm die gute Laune wieder:

»Ach was, ich habe ja mein Scheckbuch vom Crédit Lyonnais. Ich lasse mir morgen in Nizza Geld anweisen. Unsere Billetts zur Rückkehr nach Nizza haben wir ja, und für Notfälle hast du noch dein Silber.«

Die kleine Frau preßte ihre drei Silberstücke wie einen köstlichen Schatz, und in ihrer Einfalt sagte sie, die von Geld nie etwas gewußt:

»Ja, ja Robert, wir sind gerettet, wir haben noch eine Menge Geld hier!«

Und sie drehte ihre kleinen Finger herum, die in dem etwas eng sitzenden Handschuh die drei Silberstücke kaum umspannen konnten. Er betrachtete die Hand, die er in diesen Tagen so zärtlich geküßt hatte, fast ärgerlich, denn die kleine Hand enthielt nur arme fünfzehn Franken.

Sie hatte sein Gesicht gesehen und meinte mit leisem Schmollen:

»Robert, bist du böse?«

Er zuckte die Achseln:

»Ach, ich ärgere mich nur über mich selbst. Na, so dumm werde ich nicht wieder sein. Heute schadet es noch nichts. Wer nun wollen wir sehen, daß wir unsern Zug nicht verpassen.«

Er blickte nach der Uhr:

»Komm, Denise, wir haben hier nichts mehr zu verlieren, komm, wir fahren zurück, wir erreichen den Zug gerade noch!«

Er hatte seine gute Laune wiedergefunden, und als sie sich draußen Überzieher und Abendmantel hatten geben lassen, schritten sie im hellen Mondenschein den Weg durch den Zaubergarten zur Bahnhofstreppe zurück. Er schob seinen Arm in den ihren, während sie bald im weißen Mondlicht, bald in tiefem Palmenschatten gingen, und sagte, indem er sich zärtlich zu ihr niederbeugte:

»Na, meine kleine Denise, der Schaden wird bald ausgeglichen werden, wenn ich keine größern Dummheiten mache!«

Sie meinte, glücklich, daß seine frohe Stimmung zurückgekehrt war:

»Nein, sage: ›wir‹, sage: ›wir‹, ich bin ja auch daran schuld, denn wir tun doch von jetzt ab alles gemeinsam, nicht wahr, Robert?«

Als Robert am nächsten Tage das Geld in der Tasche fühlte – er hatte mehrere tausend Franken abgehoben –, war seine Mißstimmung völlig gewichen. Sie frühstückten wieder im Hotel und nachmittags beschlossen sie, nach Cannes zu fahren; die verfluchte Spielbank sollte hinter ihnen liegen, wie etwas Abgetanes, das ihnen nicht mehr schaden konnte.

Aber das Unglück wollte es, daß, als sie auf den Bahnhof kamen, der Schnellzug nach Cannes eben abgegangen war. Robert hatte im Fahrplan die Minutenzahl fünfzehn statt fünf gelesen.

Nun standen sie da, etwas ärgerlich, und wußten nicht, was sie machen sollten. Er war eigentlich dafür, ins Hotel zurückzukehren. Mit dem Bummelzug wollte er nicht fahren, und sie konnten sich vielleicht heute noch gut in Nizza unterhalten, um sich erst morgen Cannes anzusehen.

»Paß auf,« sagte Robert, »dann kaufe ich dir im Golfe Juan eine schöne Vase für deinen Salon!«

Sie klatschte in die Hände. Das war ja reizend!

Sie wandten sich herum, um den Bahnhof zu verlassen. Da donnerte von der entgegengesetzten Seite ein Zug in die Bahnhofshalle, der Schnellzug nach Genua. Die Lokomotive blieb ein paar Schritte vor ihnen halten. Der riesige Eisenkoloß pustete noch und stieß ab und zu Dampf aus, als wäre er außer Atem vom hastigen Lauf. Da sagte Denise mit einem jähen Entschluß:

»Robert, wenn wir nun nach Monte Carlo führen?«

Er hatte einen Augenblick denselben Gedanken gehabt, nur war die Vernunft bei ihm Siegerin geblieben. Aber warum sollte er eigentlich nicht noch einen Hunderter riskieren, um das auf so alberne Weise verlorengegangene Geld wieder zu gewinnen?

Doch er fragte Denise, wenn es ihm auch schwer wurde, vernünftig zu sein:

»Was wollen wir denn da?«

Sie antwortete:

»Ich habe doch noch meine fünfzehn Franken!«

Und sie hatte dabei einen Ausdruck, als wollte sie sagen: »Nun, wir sind ja gerettet, mit den fünfzehn Franken gewinne ich alles zurück!«

Statt es ihr auszureden, meinte er:

»Ja, da hast du recht!«

Entschieden, kurz, wie sie war, rief sie:

»Robert, komm, wir wollen gleich einsteigen, das ist doch der Zug dorthin!«

»Gewiß, das ist er!« Schon hatte er ein Abteil erster Klasse geöffnet. Wenn sie auch keine Billetts besaßen, so konnte er ja dem Schaffner nachzahlen. Er half seiner kleinen Frau auf das Trittbrett. Wie sie hinaufstieg und dabei dicht an seinen Augen ihr Straßenkleid vorbeihuschte, meinte er zögernd, indem die Vernunft abermals einen kleinen Vorstoß machte:

»Aber Denise, wir sind ja beide nicht angezogen!«

Doch die Lokomotive zog bereits an, und der Schaffner rief:

»Meine Dame, bitte, hinaus oder herein!«

Da sprang Robert mit einem Satz hinauf, warf die Tür zu, und Denise sank auf die Polster:

»Mein Gott, mein Gott, bin ich erschrocken!« Er küßte sie, denn sie waren allem im Coupé:

»Ich bin ja bei dir!«

Nun fuhren sie trotz aller Vorsätze nach Monte Carlo. Aber sie betraten nicht gleich die Spielsäle, wenn auch Denise dazu drängte. Sie machte sich nicht klar, daß sie doch gestern immerhin über viertausend Franken verloren hatten. Sie, die nie mehr Geld in der Hand gehabt hatte, als für ihre kleinen Anschaffungen von Schleier und Handschuhen nötig war, sie, die bei den frommen Schwestern sogar nicht mal einen Sou behalten durfte, machte sich keine rechte Vorstellung von der Summe. Das verlorene Reisegeld erschien ihr nicht allzu schmerzlich, Robert hatte es ja so leicht wieder ersetzt. Aber ihre fünfzehn Franken kamen ihr wie ein kleines Vermögen vor.

Robert meinte:

»Wir haben ja Zeit, komm, Denise, wir gehen erst einmal ein bißchen spazieren.«

Sie schritten in die Anlagen hinaus auf die Terrasse vor dem Kasino. Ein Wunderbild tat sich vor ihren entzückten Augen auf: das blaue, endlos in dem grauen Horizont sich verlierende Meer, die heute stärker wellenbewegte Bucht des Hafens und auf der anderen Seite die vorspringende Landzunge mit der allmählich hinaufführenden Straße, deren Steinbrüstung sich wie ein Wall an dem Felsen hinzog. Sie sahen das Schloß von Monaco wie eine Art Seeräuberburg liegen; landeinwärts erhob sich das Gebirge als jähe Mauer ansteigend, und drüben auf der anderen Seite erblickten sie die bewaldete Landzunge des Kap Martin; dazwischen überall in dem Grün Villen, weiße Landhäuser. Denise ließ die Augen umherwandern und rief einmal über das andere:

»Herrgott, ist das schön!«

Dann blieben sie eng aneinandergedrängt stehen, während unter ihnen ein Zug den Tunnel durchbrauste und die Dampfwolke, die dabei aufstieg und ihnen vom Winde ins Gesicht getrieben wurde, das einzig Häßliche in diesem Wunderpanorama schien. Der Taubenschießplatz lag verödet da, nur ab und zu klang ein Knall; es übten sich Leute im Pistolenschießen. Auf der Terrasse gingen nur wenige Menschen, es war noch nicht die rechte Stunde.

Um so glücklicher fühlte sich das Paar, allein zu sein. Sie setzten sich auf eine Bank, und Robert sagte:

»Denise, es ist eigentlich ein Unsinn hineinzugehen. Lassen wir es bleiben, es ist ja viel schöner hier draußen!«

Sie sah ihn schmollend an:

»Aber, Robert, wozu sind wir denn dann hergekommen?«

»Man tut vieles vergeblich!«

Sie versanken wieder in Träume, doch Denise quälten die fünfzehn Franken, die sie in der Hand hielt, und endlich bat sie ungeduldig ihren Mann, er möchte mit ihr kommen. Sobald sie verloren wären, würde sie aufhören.

Er sagte sich, als wollte er vor sich selbst eine Entschuldigung finden, daß die Sache ja doch nicht gefährlich werden könnte:

»Wir können ja auch gar nicht lange bleiben, denn wir sind nicht angezogen. Wenn sie alle zum Diner den Frack anhaben, laufe ich nicht im Bummelanzuge herum!«

Das war wie eine Sicherheit gegen die Gefahr; und als könnte ihnen nun nichts geschehen, gingen sie ruhig um den Konzertsaal herum zwischen dem Hotel und dem Kasino hindurch. Bald waren sie in dem immer gierig geöffneten Tor verschwunden.

Aber Denise konnte ihre fünfzehn Franken nicht verlieren. Sie wagte es nie, ein Goldstück zu setzen, und bald waren ihre kleinen Finger schwarz vom Berühren des Silberhaufens, der vor ihr lag, der manchmal bis auf zwei, drei Stück zusammenschmolz und sich dann wieder zu ein paar kleinen Metallsäulen erhob. Sie hatte auf einem Stuhl Platz nehmen können, gerade neben dem einen Croupier, denn um diese Zeit waren die Säle verhältnismäßig leer.

Da hörte sie, wie Robert ihr zuflüsterte:

»Ach Gott, wir wollen doch ein Ende machen, das dauert zu lange!«

Dabei hatte er schon ein paar Goldstücke gesetzt. Sie war so eifrig mit ihrem kleinen Umsatz beschäftigt, daß sie kaum auf ihn achtete. Sie bedurfte auch seiner Hilfe nicht mehr, denn mit ihrem schnellen Verstand hatte sie sehr bald die einfache Technik des Spieles heraus. Sie fürchtete sich auch nicht mehr, mit lauter Stimme ihr Geld zu reklamieren, wenn irgend jemand etwa Miene machte, ihren Einsatz einzuziehen.

Da raunte ihr Robert zu:

»Denise, es geht famos!«

Sie nickte nur und ließ ihn weiter spielen.

Aber mit einemmal hatte sie, sie wußte gar nicht, wie es kam, ihr letztes Fünffrankenstück verloren. Sie war wütend, sie hätte am liebsten geweint. Wie war das nur möglich gewesen? Wo war denn all das Geld hin? Sie hatte doch eben noch, genau abgezählt, achtundzwanzig solcher Silberstücke besessen!

Da drehte sie sich um in der Meinung, Robert stände hinter ihr, und sagte leise:

»Gib mir bloß noch mal fünf Franken, dann höre ich auf!«

Sie bekam keine Antwort, sie hatte ins Leere gesprochen, er war verschwunden. Sie begriff es nicht, eben hatte er doch noch hier gestanden!

Aber wirklich, er war fort. Da erhob sie sich, denn nun begann sie sich zu sorgen. Sie irrte von einem Tisch zum andern, er war nicht zu entdecken. Endlich ging sie, indem ihr die Angst das Blut in die Wangen trieb, in die Trente-et-Quarante-Säle. Auch dort war er nicht zu finden. Ihr traten die Tränen in die Augen.

Zweimal fragte sie einen der Diener, ob er nicht einen Herrn gesehen hätte mit schwarzem Schnurrbart. Der lächelte sie bloß an mit einem mystischen Diebesausdruck des glatt rasierten Gesichtes:

»Ich weiß wirklich nicht, gnädige Frau! Ist er groß, ist er klein?«

Und sie begann in ihrer schmerzlichen Angst ihren Mann genau zu beschreiben. Dabei blickte sie zufällig nach dem Eingang: Robert trat eben durch die Tür. Sie ließ den Bedienten stehen und stürmte ihrem Manne entgegen, immer noch Tränen in den Augenwinkeln:

»Gott sei Dank, Robert, da bist du ja endlich! Wo warst du denn nur?«

Er sagte etwas unruhig:

»Ach, ich bin nur mal hinausgegangen. Du warst ja mitten beim Spiel!«

Erst jetzt sah sie, daß er rote Backen hatte und einen Ausdruck, wie sie ihn noch nie an ihm wahrgenommen hatte.

»Was hast du denn?« fragte sie.

Er sagte nur, und dabei griff er nervös an seine Krawatte, an den Kragen und die Knöpfe, sah nach der Uhr und fühlte an seine Brusttasche:

»Wir haben Pech gehabt!«

Sie erschrak:

»Wieso denn?«

»Ach Gott, ich habe ein bißchen gesetzt und verloren!«

»Um Gottes willen, du hast wieder verloren?«

»Ja. Es ist nicht weiter der Rede wert, wir werden es schon wieder einholen!«

Er hatte wie ein Traumwandelnder gesprochen. Seine Augen zeigten einen Ausdruck, als sähe er seine Frau gar nicht. Es lag etwas Körperloses, etwas ganz Merkwürdiges in seinem Blick.

Einen Augenblick wurde sie stutzig, aber sie mochte sich wohl getäuscht haben, denn er ging ruhig mit ihr weiter, sah sich nach allen Seiten um, als wäre gar nichts geschehen, und dann sagte er, aber wie mechanisch:

»Es ist ziemlich leer heute!«

Wie ein Echo gab sie zurück:

»Es ist ziemlich leer heute!«

Sie war zerstreut. Sie begriff nicht, was er hatte. Eigentlich war sie nur mit dem Gedanken beschäftigt, ihre fünf Franken zu bekommen. Aber mein Gott, wenn er verloren hatte, dann durfte sie wohl nicht danach fragen.

Während sie langsam nebeneinander herschritten, den ganzen Mittelsaal durchmessend, kämpfte sie immer mit sich: durfte sie ihn um die fünf Franken bitten oder nicht? Als ob die fünf Franken bei den Tausenden, die er schon verloren, eine Rolle gespielt hätten. Endlich fragte sie:

»Willst du mal für mich setzen?«

Er blickte sie von der Seite an, nicht liebevoll, wie bisher, sondern sein Auge hatte etwas Fremdes und Müdes:

»Nein, nein, ich wollte nicht spielen!«

Er wollte nicht spielen? Oh, dann konnte sie ihn fragen, und sie bat ihn um die fünf Franken. Er nahm sie aus der Tasche, gab sie ihr lächelnd und fügte noch ein paar andere dazu:

»Damit du Vorrat hast!«

Doch die kleine Frau meinte ängstlich:

»Nein, nein, Robert, wir wollen nicht so viel verlieren!«

Er lächelte, halb nervös, halb schmerzlich-ironisch, und drängte ihr das Geld förmlich auf.

»Ich werde es nicht ausgeben!« sagte sie.

Dann führte er sie an den nächsten Tisch und wartete ein paar Augenblicke. Sie begann schüchtern zu setzen, vorsichtig diesmal; aber sie gewann und gewann.

Nun verließ er sie, zeigte sich auf der anderen Seite vom Tisch, immer die Hände in den Taschen, und Denise sagte sich: »Ach Gott, er wird sich langweilen, ich muß schnell machen, ihn interessiert es ja nicht!«

Sie war aber so beschäftigt, daß sie eine Weile nicht auf ihn achtete. Sie rechnete nur immer und war glückselig, als sie nachzählend feststellte, daß sie fünfunddreißig Fünffrankenstücke vor sich liegen hatte. Da kam ihr der Gedanke: »Ich höre auf, nun ist ja alles gut, jetzt habe ich doch wenigstens etwas gewonnen. Nur noch einmal!« Sie setzte und verlor! Sie wollte es einholen und setzte abermals. Sie verlor! Sie ärgerte sich und verdoppelte – und sie verlor!

Da faßte sie einen Entschluß, legte das Silber zusammen, das sie besaß und erhob sich. Sie ging in eine Ecke und ohne hinzublicken, nur mit den Fingern tastend, zählte sie ihr Geld: siebenundzwanzig Fünffrankenstücke besaß sie noch. Jetzt ärgerte sie sich: hätte sie doch aufgehört bei den fünfunddreißig! Nun, besser dieses Geld, als gar keins.

Jetzt hatte sie nur noch einen Wunsch, möglichst schnell das Kasino zu verlassen! Sie sah auch, daß bereits eine ganze Reihe Herren im Frack erschienen war und eine Menge Damen in großer Toilette, es war also schon spät. Längst brannten die Lampen.

Wieder ging sie, um Robert zu suchen. Sie blickte sich nach allen Seiten um, sie konnte ihn nicht entdecken. Aber mit einemmal tauchte er vor ihr auf. Er lächelte etwas gezwungen, er war rot, nahm sein Taschentuch, wischte sich den Schnurrbart und sagte ohne Zusammenhang, ganz verstört:

»Es ist schrecklich heiß!«

Doch sie dachte nur an ihren kleinen Gewinn, zeigte ihm ihre siebenundzwanzig Fünffrankenstücke und sagte:

»Robert, nun gehen wir aber fort, ich finde es gräßlich hier! Nicht wahr, mein Robertchen, du fährst mit mir fort! Wir sind ja auch nicht angezogen, du sagtest es doch selbst.« Er sah sie groß an, aber erwiderte nichts.

»Willst du nicht fort?«

»Gewiß!«

Da erst bemerkte sie seinen Ausdruck, einen Ausdruck wie den eines Schuljungen, der auf böser Tat ertappt worden ist, und dabei eine Miene der Verzweiflung, des Entsetzens. Sie fragte erschrocken:

»Um Gottes willen, was hast du denn?«

Er sah sie an, er schluckte nur, seine Stimme klang ganz heiser:

»Meine arme kleine Denise!«

Sie begriff nicht:

»Robert, was hast du denn?«

»Ich kann es dir jetzt nicht sagen!«

Sie nahm seine Hand:

»Aber, Robert, um Gottes willen!«

Er ließ ihre Finger los:

»Wir brauchen es den Leuten hier nicht zu zeigen, komm, komm!«

Sie ahnte irgend etwas Entsetzliches. So hatte sie noch nie eines Menschen Gesicht gesehen, so krampfhaft gespannte Züge, um nur ja niemandem zu verraten, was in der Seele vorging. Aber sie konnte doch in seinen Zügen lesen: irgend etwas Furchtbares mußte ihm widerfahren sein. Sie sah es aus den Falten, die um seine Augen lagen, und die sie noch nie bemerkt hatte. Sie erriet es aus dem gekniffenen Mund, den erweiterten Pupillen. Er hielt sich krumm. Seine Krawatte, auf deren Sitz er immer so viel gab, war ein wenig am Kragen herausgerutscht. Mit einemmal gewahrte sie seine Hände, seine Hände, die sie, seitdem sie Robert angehörte, täglich gestreichelt und geliebkost hatte, diese schlanken, langen, schmalen und doch kräftigen Finger, die sie gar nicht wiedererkannte, die jetzt plötzlich etwas Spinnenartiges hatten, die nervös sich hin und her bewegten, wobei der Daumen immer gegen den Mittelfinger rieb, als taste er Papier, als zähle er Gold. Und die Finger mit den wohlgepflegten Nägeln, an denen nie etwas geklebt hatte, als höchstens von neuen Handschuhen der weiße Leder- und Talkstaub, waren schwarz und schmutzig, wie bei einem, der ohne Handschuhe eine lange Eisenbahnfahrt zurückgelegt hat. Unter den Nägeln schien sich sogar ein dunkler Rand zu bilden. Über diese seltsamen Hände war sie so erschrocken, daß sie wie gebannt darauf starrte und ohne ein Wort zu sagen, neben ihm herschritt, dem Ausgang zu.

Sie traten durch die Tür auf die Terrasse in den Mondenschein, wo nur hier und da dunkle Gestalten wandelten und die Palmen tiefe Schatten warfen, wo nur ab und zu ein Wächter erschien, die Runde machend. Nicht auf das Feuer wollte der Wächter sehen, das diesen Tempel des Mammons verzehren könnte, sondern nach dem Feuer, das die Verzweiflung in unselige Spieler hätte werfen können, nach Funken aus der Revolvermündung, um sofort jeden Skandal, jeden Verzweifelten den Augen der übrigen zu entziehen; denn hier durfte man nur Glück und Herrlichkeit erblicken, nur das Paradies auf Erden.

Dort draußen, angesichts des Meeres, das jetzt im Mondenschein wie eine gewaltige flüssige Masse geschmolzenen Metalles dalag und in tausend winzigen Facetten zum Himmel hinaufspielte, an dem blaß die Sterne standen und hell das Nachtgestirn, nahm Robert die Hände seiner kleinen Frau in seine beschmutzten Finger, zog sie an sich, küßte sie wütend und sagte mit weit aufgerissenen Augen:

»Denise, es ist etwas Furchtbares geschehen! Wirst du mir je verzeihen? Ich habe verloren, entsetzlich verloren! Ich habe Geld geholt vom Crédit Lyonnais, ich habe mein ganzes Guthaben erschöpft! Es ist alles, alles hin!«

Sie begriff nicht, daß damit der größte Teil des Kapitals verloren war, von dessen Zinsen sie ihr junges Eheglück leben sollten, und sie sagte ganz ruhig:

»Mein armer Robert, mein armer Robert, wie ist denn das möglich?«

Er blickte verzweifelt zu Boden:

»Ja, wie ist das möglich!«

Da kam ihre ganze Liebe ihr zu Hilfe. Sie führte ihn noch etwas weiter abseits in den Schatten eines großen Eukalyptus; dort schmiegte sie sich an ihn an und fragte:

»Ist es denn sehr schlimm?«

Tonlos gab er zurück:

»Sehr schlimm!«

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Dann müssen wir eben bescheidener leben!«

Er nickte langsam:

»Meine arme, arme Kleine, sehr bescheiden!«

Nun packte sie ein Schreck:

»Ist es denn so viel?«

Er stammelte bloß:

»Es ist fast alles, was ich besaß!«

Ein Hoffnungsstrahl kam ihr:

»Aber wir haben doch noch mein Geld?«

»Ja, das haben wir!«

»Oh, das ist doch genug!«

Er antwortete nur dumpf:

»Um in Paris zu leben – nein!«

Da schmiegte sie sich ganz an ihn, streckte die Arme aus, hängte sich an seinen Hals, und als er sich niederbeugte, flüsterte sie ihm ins Ohr:

»Robert, wir gehen fort von Paris, wir gehen auf dein Gut, auf unser Gut!«

Aber er konnte noch keinen Gedanken fassen, er war keinem Tröste zugänglich, und sie flüsterte wieder, und es war, als wollte sie schon den Anfang machen, indem sie die Handschuhe abstreifte: »Oh, ich verkaufe meinen Schmuck, meine Ringe!«

Doch er schüttelte nur den Kopf und flüsterte, indem er langsam über ihre Schulter strich:

»Meine kleine Denise, meine arme, arme kleine Frau, was soll denn aus uns werden?«

Da richtete sich ihre ganze Lebenskraft und Sicherheit auf, sie zwang sich zu lächeln:

»Aufs Land gehen wir! Und nie wieder nach Paris, und das Land ist viel schöner, paß nur auf! Mein guter Robert, wenn wir auch jetzt etwas weniger haben, das schadet ja nichts, wir werden nicht Hungers sterben. Komm, komm, wir wollen gleich gehen, wir reisen sofort ab.«

Aber plötzlich flackerte die Leidenschaft in ihm auf, und er sagte, indem er die Zähne, zusammenbiß:

»Und wenn ich es noch einmal versuchte, vielleicht käme dann alles zurück!«

Allein sie hängte sich flehend an ihn:

»Robert, du darfst nicht wieder hinein. Ich verzeihe dir ja, und es ist alles gut, und ich sage ja kein Wort. Es darf nur niemand wissen, und daß es Papa ja nicht erfährt. Ich lasse dich nicht hinein. Aber jetzt kommst du mit, und wir fahren gleich davon!«

Widerstrebend ließ er sich von ihr führen. Sie beschrieb mit ihm einen großen Bogen um das Kasino und hielt ihn beim Arm, als fürchtete sie, er könnte davonlaufen. Sie brachte ihn zum Bahnhof, während er kein Wort mehr sprach, setzte ihn in den Bahnwagen und nahm neben ihm Platz, wie eine Wärterin, die einen Kranken zu pflegen hat.

Dann ging der Zug fort. Zwischen Meer und Felsenküste raste er hin. Immer weiter verschwand Monte Carlo und immer näher schmiegte sich die junge Frau in dem einsamen Abteil an ihren Mann. Sie errang von ihm das Versprechen, daß sie morgen abreisen würden, und sie suchte ihn darüber hinwegzubringen durch ihre gute Laune. Sie erzählte und schwatzte, während er immer starr vor sich hinsah. Sie machte Scherze, erinnerte sich komischer Geschichten aus der Zeit bei den frommen Schwestern und ahmte eine Freundin nach, die durch die Nase sprach. Auf jede Weise suchte sie ihren Mann aufzurichten, ihn vergessen zu machen. Er aber umfaßte sie, kurz bevor sie in Nizza ausstiegen, und sagte:

»Das will ich dir, mein Liebling, nie vergessen! Meine tapfere kleine Frau!«


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