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Buchschmuck

Stilles Leben, lieblich leicht,
Wo der Tag dem Tage gleicht
Und die Zeit, ein goldner Faden,
Glänzend um die Spule schleicht.

Ein heitres Leben ging durch Wald und Feld,
Es lachte rings die junge Pflanzenwelt.
Kein Knöspchen ward hintangestellt, –
Ein jedes regte sich und blühte
Und fand den Sonnenstrahl, dem es erglühte –

Umschmeichelt von dem holden Scheine
Saß vor der Hüttenthür die Kleine,
Bemüht mit ungeschickten Kinderhänden
Die Krümchen Brod den Vögelchen zu spenden,
Den Zagenden sie weit hinaus zu senden.
Und ihren Finger hob sie oft empor
Und droht, wenn Eins dem Andern kam zuvor.
Es schien so einsam um sie her,
Als wäre sie auf offnem Meer.
Doch leise schlich auf dichtverwachsnem Pfad
Ein Mädchen sich heran, zerlumpt und bat: –

»Ach schenke mir dein Stückchen Brod –
Die Vögel leiden keine Noth,
Ich aber hungre fast zu Tod!«

Da ward das Kindchen dunkelroth,
So viel es suchte, fand
Es keine Krümchen mehr in seiner kleinen Hand.
Schnell faßt's das Mädchen am Gewand:
»Komm, geh mit mir zu meiner Mutter,
Sie giebt den Vögelchen ihr Futter
Und hat für Arme immer Brod genug,
Und auch noch Milch in einem großen Krug.«

Sie traten beide leise ein,
Dort stand Simplizitas im Sonnenschein.
Da stockt die Fremde – hemmt den Fuß erschrocken –
Das sind der Hexe goldne Locken!
Das kann allein
Simplizitas, die Hexe sein!
Und wenden will sie sich, will nicht hinein.
Verwundert blickt das Kind sie an –
»Komm!« rief es froh, »komm nur heran!
Die Mutter hat noch niemand weh gethan.«
Und fest hielt sie Simplizitas umfangen,
Der aber deckte tiefes Roth die Wangen;
Sie sprach: »Zu helfen trag ich nur Verlangen!«
Sie nahm das Brod, sie reicht es ihr entgegen,
Allein das Mädchen zittert ganz verlegen;
Stumm läßt sie es zu Boden fallen
Und »Hexe« hört man ihre Lippen lallen.
Das Kind kennt wohl den Namen kaum.
Es hebt das Brod geschwinde auf
Und reicht es schmeichelnd wieder ihm hinauf.
Und als es lockend rührt der Lippen Saum,
Da überwand der Hunger Furcht und Grauen;
Gesenkten Hauptes, ohne aufzuschauen
Nimmt es das Brod und ißt verstohlen,
Es kommt ein neues Stückchen holen
Und endlich ist es fast gewonnen;
Zu reden hat es scheu begonnen,
Sein schweres Herz dem Mitleid gern enthüllt,
Das ganz Simplizitas, die Gütige erfüllt.
Denn Kinder fühlen echte Herzenswärme
Und ziehen nach dem Süd wie Vogelschwärme –

Simplizitas beklagt, ihr Kind auf ihrem Schooß,
Nun doppelt tief des Mädchens elend Loos.
Wer nur mit voller Seele liebt den Einen,
Dem wird gar bald in seinem Reichthum scheinen,
Als wären alle Darbenden die Seinen.

»Wo blieb die Mutter?« frug sie nun,
»Ich würde gern viel Liebes für sie thun;
Allein mein Anblick ist ihr Leid,
Erinnernd an gar böse Zeit.«

»Die Mutter!« schluchzt das Mädchen, »kennt
Nicht einmal mich, ein hitzig Fieber brennt
In ihrem Hirn, und dann
Hält ihrer Augen Licht der Blindheit Bann.
Die Leute meinen,
Erloschen sei's vom vielen Weinen;
Im Walde liegt sie, nah der Thür,
Denn nicht mehr weiter kamen wir.«

Da sprach Simplizitas: »Führ mich zu ihr!«
Nur wenig Schritte brauchte sie zu gehen,
Da konnte sie ein Elend sehen,
So jammervoll in seinen Nöthen,
Des eignen Glück's macht es sie fast erröthen.

Nur mit Gewalt
Bringt sie hinein die schwankende Gestalt; –
Nun lag sie in der Hütte wochenlang.
Wie sie die Zeiten ineinander schlang!
Bald stand sie mit dem Bräutigam zusammen,
Bald war's das Haus in wilden Flammen,
Bald schien es Lust, bald schien es Leiden,
Doch keine Ruhe war in Beiden; –
Kaum war die Lust vom Schmerz zu unterscheiden.

Zum ersten Mal frägt heut die Blinde
Nach ihrem Kinde:
»Mein Trost und meiner Augen Stern,
Wie bliebst du mir so lange fern?«
Da sprach das Mädchen: »Für und für
War ich bei dir.«

Es schüttelt bang die Müllerin das Haupt.
»Verlassen hab ich mich geglaubt,
Von allen ausgestoßen und verlassen.«
Sie müht sich die Vergangenheit zu fassen,
Sie prüft des Lagers weißes Linnen
Und kann sich, wie sie herkam, nicht besinnen.

»Wo bin ich, Kind? wer hat zur Nacht
Mich auf dies Lager hergebracht?«
Das Mädchen senkt das Haupt und spricht:
»Ach liebe Mutter, frag das nicht,
Nicht erst seit heute liegst du hier geborgen,
Gepflegt vom Abend bis zum Morgen;
Die sanfte Hand, die dich hierher getragen,
Die that es schon vor vielen Tagen –«

Nicht weiter frug die Kranke, lag ganz stille,
Denn ohne Kraft war noch ihr Wille.
Doch als Simplizitas ihr Lager glatt gelegt,
Frug sie: »Wer bist du, die mich hier verpflegt?
Wer hat dein Herz für mich bewegt?« –

Simplizitas steht da im Schweigen,
Sie wagt sich nicht zu nennen, nicht zu zeigen.
»Wer bist du?« fragt die Kranke dringend,
Die treue Hand an ihre Lippen bringend;
Doch leise zieht Simplizitas sie fort.
»Mein Name ist kein Segenswort,
Ich bin wie du verarmt, verbannt; –
Ach laß mich fremd und unerkannt.«

Kaum hörbar war der leise Ton,
Allein die Müllerin erkennt ihn schon;
Sie rafft sich auf – sie ruft verstört:
»Die Hexe! – du! genug hab ich gehört.
Verpflegt von deiner fluchbeladnen Hand,
Das war das Bitterste, das ich noch je empfand!
Laß mich hinweg und ruhig sterben,
Weit besser hinterm Zaun verderben,
Als solche Rettung sich erwerben!«
Und schwankend sucht sie von des Bettes Rand
Sich fortzuhelfen, – doch von Schwäche übermannt
Sinkt sie zurück und liegt gebunden,
Von ihrem Elend überwunden.

Simplizitas pflegt unverdrossen
Den armen Körper, der wie angeschlossen
Auf seinem Lager lag in Banden.
Die Tage und die Nachte fanden
Sie immer dort bescheiden, gern bereit,
So demuthvoll, wenn sie ihm Hülfe leiht.
Und schwerer noch heilt Seele und Gemüthe,
Verbraucht gar viel Geduld und Güte.

Verstockt – verbittert – kann der Müllerin nur Eines
Das Herz noch treffen, – war ihr doch, als hätt' sie keines,
Die Sorge und die Liebe für ihr Kind.
Sie sah es wohl, war sie auch blind,
Wie hold Simplizitas sich dafür mühte
Und wie das Mädchen neu erblühte –

So wird die Zauberin auch sie bezwingen,
Denn stärker als der Haß ist treues Lieben,
Und wo die Beiden miteinander ringen,
Ist immer Liebe Siegerin geblieben.

Herbstlich färben sich die Blätter,
Aber warm wie Frühlingswetter
Liegt die Sonne auf den Bäumen,
Treiben Blüthen wie in Träumen.

Das Stübchen schwimmt im Sonnenschein,
Die Strahlen dringen tausendfältig ein.
Simplizitas saß dort, von Licht umfangen,
Und neben ihr gesund und frisch von Wangen
Das Mädchen und die Blinde – sorgenlos,
Doch hülfsbedürftig wie das Kind in ihrem Schooß.
Ihr wird die Pflege aber Lust
Und Sorge, Freude unbewußt.
Es steigt daraus empor ein selig Hoffen
Und hält die Himmelsthür ein wenig offen. –
Wie scheint Simplizitas ihr Glück heut groß,
Das Glück, nach dem mit hungrigem Verlangen
Die Seelen durch die Welt oft kreuz und quer gegangen,
Verirrt und müde – hoffnungslos ...
Ihm tausend Mal vorübergehn,
Weil sie in seiner Demuth es nicht sehn.
Das Stübchen schwimmt im Sonnenschein,
Die Strahlen dringen tausendfältig ein,
Bald wird kein Fleckchen mehr im Dunkel sein.

Buchschmuck

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