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Buchschmuck

Die Mutter wußte jetzt, ihr Sohn war todt;
Entrückt der Erde Last und Noth.
Sein edles Angesicht dem Himmel zugewendet,
Des Daseins schwerer Kampf beendet –

Doch brausend, gleich dem Wetter zieht's daher!
Ein wildes, ungezähmtes Stimmenmeer. –
Des Dorfes Leute sind's, des Todten Rächer;
Und Klaus voran; er ist ihr Sprecher.
Sie dringen lärmend in das stille Zimmer;
Doch auf dem Todten liegt ein heil'ger Schimmer,
Der stumm die Rache von sich weist
Und wilde Worte schweigen heißt.

Die Alte flüsterte, als schlief er sacht –
»Hinweg! wer hat euch hergebracht?
Simplizitas, die Hexe ist nicht hier!
Mein Sohn gehört nun wieder mir;
Und keiner darf ihm seinen Frieden nehmen.«

Da rief der Klaus, »das soll uns wenig grämen.
Wo ließt ihr sie? wo ist sie hin?
Sie war bei ihm, die Zauberin.«
Die Mutter sprach »Wir beide wissens nicht!
Was kümmert uns ihr trügerisch Gesicht.
Er schläft zu fest und schwer;
Mein altes Herz ist leer.
Wir lieben und wir hassen keinen mehr.«

Da zog der Schwarm von dannen, sie zu suchen,
Mit wüstem Lärm, mit Schreien und mit Fluchen.
Zum Kloster zog er – rief vor seinen Thoren
»Gebt uns Simplizitas heraus!
Sonst stürmen wir das alte Haus,
Und gleich der Hexe seid ihr dann verloren!«

Der Nonnen heilige Gesänge
Ersterben vor dem Schrei'n der Menge;
Und immer wüster und gemeiner
Wird Wort und That – es weichet Keiner –

Da hebt sich aus dem widrigen Gedränge
Ein edles Haupt – ein herrschendes empor
Und ruft »Was stellt der Kriegszug vor?
Schämt ihr euch nicht? ein armes Kind zu fangen,
Seid ihr gerüstet wie zum Kampf gegangen!
Ich geh hinein, ich hol sie euch heraus;
Und wär die Hölle selbst ihr Haus!
Weß zeiht ihr sie? was hat sie euch gethan?
Klagt nur die Hexe bei mir an!«

Da schrie'n in Worten, die verworren wandern
Die Einen bald und bald die Andern
»Schon Zweie hat Simplizitas vernichtet.
Sie erst gewonnen, dann zu Grund gerichtet.
An Liebeszauber ist die Hexe reich!
Ihr Anblick lockt und tödtet doch zugleich!«

Da lacht der Jüngling, daß es klingend schallt.
»Ich fürchte nicht so liebliche Gewalt!
Ein solcher Tod, er wäre zum Entzücken –
Doch falscher Zauber wird mich nie berücken –
Mich täuscht kein lügenhafter Schein,
Und eine Hexe fängt mich nimmer ein!
Die Wahrheit und das Recht sind meines Stamms Panier,
Ich hab es fleckenlos getragen!
Wer kann es anders von mir sagen?
Vertraut Simplizitas und ihre Strafe mir!«
Da folgte Beifall ihm von allen Seiten,
Denn Tapferkeit gewinnt in jedem Streiten,
Und immer wird ein adliges Geschlecht,
Deß Adel von Gemüth aus echt,
Das Volk beherrschen, ihm befehlen,
Zum Führer wird es sich den Hohen wählen
Und seine Größe sich zum Ruhme zählen.

»Das ist Sever – Sever vom Schlosse,
Den wählt! der sei uns Kampfgenosse!
s'ist keiner sonst so kühn und wahr,
So unerschrocken in Gefahr!«
Und stürmisch rief die ganze Schaar,
»Bist du dabei,
Wir folgen dir wohin es sei!«

Da sprach der Jüngling stolz und frei:
»Laßt mich allein
Zum Hexenkind hinein.«
Drauf ließ das Volk ihn stumm vorbei.

Er dringt durch Labyrinthen-Gänge,
Sonst wohnlich still, jetzt drückend enge,
Und endlich steht er auf der Schwelle
Der heiligen Kapelle.
Die Schwestern thun, als ginge sie die Welt
Nichts an, die tobend sie umstellt.
Wo blieb Simplizitas? es weiß es Keine;
Sie beten hier »Maria, himmlisch Reine,
Nimm unser Kind in deine heil'ge Hut,
Halt seine Einfalt ihm zu gut.«

Doch so ergeben ist ihm nicht zu Muth.
Er sucht das Kloster durch, durchsuchet alle Ecken
Und kann Simplizitas, die Hexe, nicht entdecken.
Jetzt klimmt er zu des Thurmes höchster Spitze,
Da sieht er, auf verwegnem Wolkensitze,
Ein Mädchen, reizend wie im Mährchen
Die Königskinder mit den goldnen Härchen,
Am schlanken Pfeiler kaum sich haltend.
Keck spielt der Wind mit ihrem Kleide,
Als wollt er, Flügel ihr entfaltend,
Sie mit sich führen in die Weite. –

Der Jüngling steht erschreckt, gebannt.
Ein Zittern dieser kleinen Hand,
Nur daß der Fuß ein wenig gleite,
So liegt sie in des Abgrunds Tiefe;
Verloren wär sie, wenn er riefe.
Er steht und starrt gefesselt hin,
Und ihre Schönheit blendet seinen Sinn.
Des Mannes herbe Jugendkraft
Fühlt er durch Zauber wie hinweggerafft,
Sein Schicksal eng dem Ihrigen verkettet,
Verloren er mit ihr, wenn er sie nicht errettet.
Er sucht den engen Weg, den sie gewann;
Doch wie er steigt, so steigt sie jäher,
Er kommt der Fliehenden nicht näher
Und keinen Schritt zu ihr heran.

»Simplizitas!« begann er finster und verdrossen,
»Bist du zu sterben denn entschlossen?
Die Menschen werden dich nicht tödten,
Hier aber droht
Dir tausendmal der Tod.«
Sie hört ihn an mit lieblichem Erröthen
Und hemmt zuerst den Fuß erschrocken;
Dann aber schüttelt sie die Locken,
Die golden wie ein Mantel sie umwallen.
Sie fürchtet nicht zu schwanken, nicht zu fallen;
Das wilde Volk, das fürchtet sie vor allem.

»Geh!« spricht sie leise, »geh! ich bleibe lieber!«
Der Jüngling fühlt die Pulse stocken
Und bald sie schlagen wie im Fieber –
Er schilt, er fleht, sie wird nur dreister
Und scheint die Luftigste der luft'gen Geister.
Doch ungewohnt, umsonst zu flehen
Und gleich dem Bettler dazustehen,
Fühlt er das heiße Blut sich regen;
Er stellt sich drohend ihr entgegen,
Betritt des Thurmes Rand verwegen.

»Simplizitas! ich komme dich zu retten!
Doch regst du dich und wartest nicht,
So mag der Abgrund meinen Körper betten.
Ich stürze mich vor deinem Angesicht
Hinab; dann wird das Volk den dritten
Begrüßen, der durch dich den Tod gelitten!«

Jetzt stand sie still und wartete auf ihn,
Erschreckt, bezwungen, wie es schien;
Sie hob die dunkle Wimper nicht einmal
Als er sie faßte, und die Leute,
Die drunten standen in dem Thal,
Ihm jubelten ob seiner Beute.
Sie lachen und sie spotten ihrer,
Und seine Fäuste ballt ihr Führer.

Vom Thurm herab trug sie Sever hernieder,
Scheu blickt sie nach ihm hin und duckt sich wieder.
Er spricht »du machst es einem schwer!
Ein Kind bist du, sonst garnichts mehr;
D'rum nehm ich dich in meinen Schutz,
Den dummen Buben dort zum Trutz. –«

Das Volk, ergrimmt vom langen Warten,
Murrt, schreit und droht hinanzustürmen;
Schon fällt das Thor vom Klostergarten.
Der Jüngling spottet der Gefahren,
Die immer mächtiger sich thürmen,
Und seine Augen blitzen ihm, die klaren.

Er rief: »Simplizitas, bist du auch gleich
Gefährlich und an Zauber reich,
Als Heilige soll dich das Volk begrüßen!
Knie nieder zu des Kreuzes Füßen
Und küsse fromm das theure Blut,
In dem für dich Erlösung ruht,
Denn deiner Lippen ehrfurchtsvoller Kuß
Ist was dich heute retten muß.«
Da kniet Simplizitas, der Engel keiner
Sah lieblicher wohl aus und himmlisch reiner.
D'rauf öffnen sich die weiten Pforten,
Und drängend füllt sich's aller Orten
Und wälzt sich heulend wild herbei,
Als käm ein Ungethüm von dorten,
Dem seine Beute sicher sei.

Mit scharfem Wort empfängt Sever die Rohen.
Er spricht: »Was soll hier euer Drohen!
Die Hexen pflegen nicht zu beten,
Sie flüchtete zum Christ in ihren Nöthen;
Seht her! – hier kniet sie ... toll wart ihr und blind,
Sieht sie nicht aus wie Gottes Lieblingskind?«

Da wichen nach und nach die Unheilvollen,
Doch langsam unter dumpfem Grollen,
Und Klaus, der drohte ihm und sprach:
»Dich zieht die Hexe auch in's Unglück nach!
Die Zeit ist noch nicht da, um mich zu rächen,
Dann wird wohl Keiner mehr das Wort ihr sprechen!«

Die Nonnen priesen hoch Sever, der ihnen
Ein Bote Gottes heut erschienen, –
Simplizitas allein, das schöne Haupt geneigt,
Steht still dabei und schweigt.
Wie einen Schatten sah man liegen
Auf ihren sonst so hellen Zügen.
Sie ließ sich ohne Antwort deshalb rügen;
Und plötzlich war sie scheu verschwunden.
Am Pförtchen hat er sie gefunden,
Den Blick gesenkt, als ob sie sich noch scheute,
In Händen hielt sie eine Blume.
Sie sprach: »Die geb ich dir für heute,
Zum Danke dir, zum Siegesruhme,
Doch niemals sollst du wiederkommen,
Es würde deinem Glück nicht frommen,
Dasselbe Ende würd es nehmen,
Mit Sterben und mit Grämen;
Ich hab es jetzt genug gesehn.
Laß mich nur meiner Wege gehn,
Des Lebens will ich mich erfreun,
Und gleich dem Vogel in dem Hain
So frei und auch so fröhlich sein. –«
Und eilig schloß sie mit dem letzten Worte
Schnell hinter ihm die Klosterpforte.

Da flammten zornig auf des Jünglings Wangen,
Kann er nicht bessern Dank empfangen?
Durch ihn allein ist sie dem Tod entgangen.
Hat er den trotz'gen Geist denn nicht bezwungen,
Als er am Thurm Gehorsam sich errungen? –

Heißblütig war Sever von Kindheit an,
Wie oft hat er im Zorn sich selber weh gethan,
Und jeder Wunsch glich dem Befehle,
Dem Widerstand erhob sich seine Seele.
Verletzt und düster strich er durch das Feld,
Sein schien ihm sonst die ganze Welt,
Und bitter denkt er jener kleinen Thür
Geschlossen hier.

Buchschmuck

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