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Buchschmuck

Es hängt die Frucht, die goldene am Zweige,
Daß sie den Weg zu neuem Leben zeige.
Im kleinen Keime liegt er eng verschlossen,
Gleich Thränen ist der Regen d'rauf geflossen;
Wie viele müssen wieder fließen,
Bis neue Keime, hoffnungsreiche sprießen.

Am Kloster hing an sonndurchglühten Mauern
Der Trauben überreiche Fülle.
Simplizitas greift nach der Frucht, der reifen,
Die summend und verlockt die Bienenschwärme streifen,
Doch an dem Zweige, den sie achtlos brach,
Da quellen langsam nach und nach
Zwei helle Tropfen Saft wie Thränen,
Sie lächelt, »könnte man doch wähnen,
Daß selbst die Bäume weinen müßten;«
Doch plötzlich steht sie still und horcht –
»Wo ist der Staar? – er ruft nicht mehr –«
Sie sucht ihn eifrig und besorgt,
Sein Platz, sein Häuschen – alles leer.
Ihr Liebling war's, ihr Spielgefährte,
Der froh die Lieder pfiff, die sie ihm lehrte –
Wo war er hin? zum Wald – der Unbedacht!
Die Eule frißt ihn über Nacht.
Sie muß ihm nach, ihr ist's, als rief er dort.
Und wie sie's denkt, so ist sie fort.

Im Wald ist's still – – doch nicht gar lange,
Da hört sie zwischen allerlei Gesange
Ganz deutlich ihren Staaren rufen.
Sie jauchzt! – erklimmt die moosbedeckten Stufen,
Doch nirgends war der Vogel zu entdecken. –
So zieht sein Rufen sie mit Necken
Zum Wald hinein, bis sie von Klüften,
Umgeben wie in engen Grüften,
Nicht aus noch ein mehr weiß.

Nun wird ihr angst und heiß.
Ihr stockt das Blut – – sie wagt nicht mehr zu suchen.
Doch neben ihr, aus dem Gestrüpp der Buchen,
Da flattert auf sie zu ihr armer Staar,
Er birgt sich angstvoll, fliehend die Gefahr,
In ihres weißen Kleides Falten.
Am Faden wird er festgehalten,
Und hinter ihm steht Klaus und lacht
Und spricht: »das hab ich gut gemacht,
Denn bist du falsch auch wie die Schlangen,
Klug bist du nicht, du bist in's Netz gegangen,
Daß es ein Spaß war dich zu fangen.
Jetzt komm! jetzt sollst du Elend schmecken!
Bezahlen jene Nacht voll Schrecken;
Im tiefen Walde werd ich dich verstecken.«

Sie sieht ihn an, mit Blicken ohne Leben
Und zittert wie die Espen beben.
Er schleift sie mitleidlos durch Dorngehege,
Durch Steingeröll, durch bitterböse Wege
Bis dicht zum Abgrund, wo mit Schäumen
Sich wilde Wasser tosend bäumen,
»Hinab mit dir, du Hexe du,
Dem Teufel schicke ich dich zu!«

Sie klammert angstvoll sich an Wurzeln und Gestrüppe,
Sie fleht mit bleicher, furchtbewegter Lippe
Nur um ihr Leben ... : alles nur nicht sterben!
Denn sterben heißt bei ihr verderben.
»Die Finger«, ruft sie, »will ich blutig spinnen!
Will Tag und Nacht auf euren Vortheil sinnen,
Euch Dienste leisten, Brod gewinnen,
Ach laß mich leben! sagen doch die Nonnen,
Einfältig sei ich, doch nicht bös gesonnen,
So alt ich wär, ich wüßte noch bis heute
Nicht was die Sünde, nicht was Schuld bedeute!
Für Solche gäb es kein Gericht.«

Der Bursche höhnt: »das glaub ich nicht!
Gefährlich bist du wie ein giftig Kraut,
Das Mancher, der's nicht kennt im Garten baut,
Weil Schönheit aus den bunten Blüthen schaut.«
Und wieder faßt er sie, um sie hinabzudrängen.
Da tritt aus den verworrnen Laubgehängen
Die Müllerin hervor und hält ihn auf.

»Welch unnütze Gefahr beschwörst du Sohn herauf,
Wenn man sie fände hier in diesem Loch,
Die Hexe rächte sich im Tode noch.
Auf deine Fersen hetzte sie der Häscher Schaaren.
Nein! leben soll sie! soll gewahren,
Daß leben schlimmer oft, als in die Grube fahren!«

Da sprach der Bursch: »So nimm die Natter hin,
Ich weiß, daß ich bei dir ganz sicher bin.
Nicht weit von hier, am Runenstein,
Da schließen wir die schöne Hexe ein.«
Zur feuchten Kammer, dumpfig, sonnenlos,
Vom Schwamm zerfressen und bedeckt mit Moos,
Stößt er die Arme hart und roh hinab.
Die Jungfrau überläuft's, als ging es in ihr Grab.
»Hier wagt sich Keiner her!« ruft er mit Lachen,
»Und böse Geister sollen dich bewachen,
Des Abends kriechen aus den Nestern
Die Schlangen, deine bösen Schwestern,
An Brod und Wasser soll es dir nicht fehlen,
Damit du lang genug dich mögest quälen! –«

Verlassen war der Wald, schwarz lag er da,
Als noch zum letzten Mal die Sonne nach ihm sah.
Schon bricht der Abend an, auf den die Schatten lauern.
Ein Vögelchen sitzt auf dem Ast mit Trauern.
Da fährt ein Strahl ihm über das Gefieder,
Es schüttelt sich – es dehnt die kleinen Glieder;
Wirft ab der Dämmrung kaltes Schauern,
Entfaltet schnell die leichten Schwingen.
»Simplizitas«, hört man erklingen,
Bald nah, bald fern,
Als flög es auf zum lichten Abendstern.

Buchschmuck

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