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Buchschmuck

Der Wind geht kühl, er streift das gelbe Gras;
Im Klostergärtchen steht Simplizitas
Und legt der Rosen zarte Sprossen,
Die nun des Sommers Lust genossen,
Zum langen Winterschlaf hinab.
Die Erde scheint ein großes Grab. –

Da kam des Wegs ein Mütterchen gegangen,
Mit vieler Müh fand sie den Weg, den langen.
Sie fragt nun bittend nach Simplizitas
Ganz demuthsvoll, des Kummers Naß
Ertränkte fast den stolzen Haß.

Es stockt der Jungfrau fröhlich Singen;
Sie hört den Ruf auf Geisterschwingen
Wie damals vor den Ohren klingen.
Doch nicht zum Herzen wird er dringen,
Nicht Mitleid weiß er zu erwecken,
Nur bleichen Schrecken.

Ob sie ihn liebt? sie weiß es nicht,
Weiß nichts von treuer Liebespflicht,
Und wie sie beieinander einst gesessen,
Hat sie vergessen.
Soll sie sich niemals denn erfreun?
Muß sich Vergangnes stets erneun?

Die Alte tritt heran – sie faßt sie bei den Händen,
Sie zwingt sie, sich ihr zuzuwenden.
Simplizitas erbleicht – Die Rosen, die sie sammelt,
Die Letzten noch dem Frost entwandt,
Entsinken ihrer willenlosen Hand,
Als sie des Jünglings Namen stammelt.
Das giebt der Alten Worte, Bitten,
Wie Keiner sie zuvor ersann,
Wie eine Mutter bitten kann,
Die Todesangst um ihren Sohn gelitten.

So stand sie hier und bat und flehte,
Umsonst ... denn Wort auf Wort verwehte.
Stumm schüttelte Simplizitas die Holde
Ihr schönes Haupt, bekränzt vom Abendgolde,
Und ihre Augen meiden halbbefangen
Die Blicke, die an ihren Strahlen hangen,
Als sollten sie ihr Todesurtheil dort empfangen.
Und mehr und mehr erniedrigt sich die Arme,
Sie bettelt, daß sie ihrer sich erbarme,
Sie küßt den Fuß, des Kleides Saum,
Sie lockt sie mit der Zukunft Traum.

Stumm bleibt Simplizitas bei ihren Zeichen,
Nichts kann sie rühren, nichts erweichen. –
Und endlich steht die Greisin auf und geht.
Doch wie der Wind die Worte auch verweht,
Sie fühlt die Flüche, halbgeflüstert,
Mit jenem alten Fluch verschwistert,
Die Kreise um ihr Leben ziehn -

Kann sie dem Fluche nie entfliehn?

Sie flüchtet zu der kleinen Zelle,
Die Schatten schwinden ihrer Helle.
O schützt mich! rief sie, hier nur trifft mich nicht
Der Liebe unerbittliches Gericht.
Hier wohnt der Frieden, dürft ich immer hier
Still und genügsam leben, so wie ihr.
Da zog die Nonne sie
An ihre Knie
Und sprach: »Simplizitas, der Frieden
Ist Keinem ohne Kampf beschieden,
Doch bleibe hier und lerne kennen
Die Liebe, die wir unsre nennen. –
Sie eifert nicht, sucht keine Rache,
Ihr Schmerz und ihre Freuden ... Gottes Sache.«

Zwei Nächte d'rauf, als sanft die Jungfrau träumt,
Klopft Schwester Fides an die Pforte.
»Steh auf Simplizitas! nicht lang gesäumt!
Ein Sterbender begehrt nach Trost und Pflege;
's ist keine von den Schwestern just bei Wege.
Der Kranken sind so viel in diesen Tagen,
Steh auf! und hilf mir Stärkung tragen.«

Simplizitas ergreift ein Grauen,
Wer ist's, wen soll ich sterben schauen?
»Das fragt man nicht, wenn Einer leidet,
Ich kenn ihn nicht; doch sagst du nein,
Es wär' ein Wort, das unsre Wege scheidet.«
Da schwieg Simplizitas und that wie ihr gesagt;
Denn nein zu sagen, hat sie nicht gewagt.

Sie wandern durch die leeren Hallen,
Wie seltsam ihr die Schritte schallen;
Sie blickt dem Boten scheu in's Angesicht,
Und athmet wieder auf – sie kennt ihn nicht.

Des Führers unruhvolle Leuchte,
Die glitzernd strich des Mooses Feuchte,
Erschien ein Irrlicht, dessen Necken
Doch endlich führt zu Tod und Schrecken,
Denn schon des Waldes schwerer Duft
Empfängt Simplizitas, als käm' er aus der Gruft.
Und zwei Mal blieb sie stehn und seufzte tief,
Und horchte, ob sie jemand rief,
Und zwei Mal bat sie unter heißen Zähren
Die Schwester Fides umzukehren.
Die schalt sie kindisch – – schalt sie bald
Und schmeichelt bald dem ganz verstörten Kinde,
Ihr zeigend, wie die Pflicht sie binde.
Doch drohend schweigt der schwarze Wald,
Als deck' er ein Geheimniß zu
Mit seiner stillen Grabesruh.

Jetzt sind sie da ... sie hat's erkannt,
Das Haus, den Steg, die dunklen Tannen.
Sie sucht sich schwankend zu ermannen,
Sie hält ja Schwester Fides Hand.
Und bangend tritt sie nun hinein
In jenes liebliche Gemach,
Wo ihr so fröhlich Tag für Tag
Verging in lautrem Sonnenschein.
Heut wohnt die Trauer unter seinem Dach;
Denn auf dem weißen Lager lag
Der todte Sohn in seiner Mutter Armen.
Mit keiner Liebe kennt der Tod Erbarmen;
Er trennt die Seelen, noch so eng verbunden,
Bis sie in neuem Leben sich gefunden. –

Die Alte sieht nicht auf von ihrem Kummer,
Sie meint, es liegt ihr Sohn in tiefem Schlummer.
Allein ihr Kind, ihr einzig Kind ist todt. –
Es giebt auf Erden solche Noth,
Daß wir sie nicht zu tragen wissen,
Drum wird das Glück uns langsam erst entrissen,
Im Sehnen und im täglichen Vermissen,
Und eingeübt das Herz in vielen Tagen,
Des Jammers ganzen Umfang zu ertragen.

Die Hände, die den Todten krampfhaft halten,
Sucht Schwester Fides im Gebet zu falten;
»Denn eure Thränen«, sprach sie, »die so bitter fließen,
Die lassen ihn den Himmel nicht genießen.«
Die Alte folgt, gewohnt den milden Rügen
Der Klosterschwestern sich zu fügen,
Und müd und willenlos gemacht
Von all den Thränen Tag und Nacht.

Simplizitas blieb wie vergessen
Zurück im kleinen Kämmerlein.
In Furcht und Zittern hat sie dort gesessen;
Und mit ihr zitterte des Lichtes Schein.
Den Todten wagt sie nimmer anzublicken,
Er scheint ihr kalte Schauer zuzuschicken.

Doch endlich kam das frische Morgenlicht,
So fest und klar, das zittert nicht.
Es küßt hinweg die kalten dunklen Schatten,
Die um den Jüngling sich gelagert hatten;
Er scheint zu lächeln, scheint zu leben,
Als braucht' er nur die Wimper zu erheben
Und nur die Lippe zu bewegen,
Auf der sich schon die holden Worte regen.

Und lieblich fühlt Simplizitas sich hingezogen,
Das schöne Haupt zu ihm herabgebogen
Blickt sie ihn an, bis sich aus Thränen
Erhebt ein wunderbares Sehnen. –
»Ach spräch er nur ein einzig Mal Simplizitas.« –
Der Mund bleibt stumm, die Lippe starr und blaß;
Allein wie Vorwurf, kaum ihr selbst bewußt,
Sprach seine Liebe jetzt in ihrer Brust
»Ich gab dir alles, selbst mein Leben,
Hast du mir nichts dafür zu geben?«

Da fängt ein tiefes Mitleid an zu sprechen;
Denn treue Liebe weiß sich so zu rächen.
Sie sieht ihn an mit nassen Blicken,
Das muß ihn selbst im Tod erquicken;
Er lächelt auch, als ob er wüßte,
Daß sie ihn leise auf die Lippen küßte.

Die Vögel wachen auf – es schmettert ihr Gesang
Das stille Trauerhaus entlang.
Und einer rief in einem fort,
Simplizitas mit klarem Wort;
Und kam herangehüpft, sie kannte ihn,
Manch Stücklein hat der Staar auf ihrer Hand gepfiffen.
Des Todten Liebling war's – Ihr wollt er ihn erziehn,
Weil er den schweren Namen endlich doch begriffen.
Da saß er ihm zu Häupten, rief ohn Unterlaß
Simplizitas!

Doch während dessen hat sie schwer verklagt
Die Alte – drohend ihr gesagt
Schuld sei die Hexe, wehe ihr!
Wenn sie sich jemals blicken ließe hier!
Sie fände nie Barmherzigkeit bei mir!
Um ihre liebe Einfalt ganz betrübt,
Geht Schwester Fides schnell die Jungfrau heimzuschicken.
Sie glaubt an keinen Trug in diesen Kinderblicken,
Nur an den Zauber, den die Schönheit übt.

»Geh«, sprach sie, »geh geschwinde;
Man haßt dich hier, geh, daß dich keiner finde.«
»Er liebte mich«, fiel bang die Jungfrau ein,
»Ich gab ihm nichts dafür als Pein;
Mich lieben scheint ein Fluch zu sein.«

Sie nahm den Staar, der ihren Namen schrie,
»Man tödtet ihn am Ende!« klagte sie –
»Laß uns in deinem stillen Kloster wohnen,
Gewiß wir werden es euch dankbar lohnen.«
»Geh nur Simplizitas, im Hause der Barmherzigkeit
Ist Raum für Obdachlose jeder Zeit –«

Wie licht der junge Tag die Liebliche umfing,
Da war kein Baum, der nicht voll Tropfen hing!
Und zwischen Thränen fing sie, ohne es zu wissen,
Zu lächeln an.
Sie hätte gerne Jemand wohl gethan
Und möchte alle Blumen küssen
Die duftig unter ihren Füßen
Ihr Leben für sie ließen.

Im Dorfe aber sagt man laut,
»Simplizitas, die Hexenbraut,
Hat ihrem Schatz das Herz zerrissen!
Und jeder, der der Argen traut,
Wird auch so elend sterben müssen.«

Buchschmuck

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