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Buchschmuck

Ein grauer Himmel lähmte Tag für Tag
Des Morgens lebensfrohen Schlag.
Simplizitas empfand die Zeiten schwer,
Entmuthigt ging sie in dem Schloß umher,
Dem öden, das, nicht froh und gastlich mehr,
Aus all dem unbewohnten Raum
Sie anhaucht wie der Frost den Baum.

Sie sind allein – vor einer Stunde
Ist auch der letzte Gast gegangen;
Den Scheidegruß hat sie empfangen,
Das letzte Wort gehört aus Freundesmunde. –
Ihr klingen noch mit süßem Klange
Die Reden nach, die nun so lange
Syrenenhaft ihr Ohr umspielten,
Den Schmeicheltrank an ihre Lippen hielten.

Das ist vorbei ... sie sind allein
Und fröstelnd blickt sie auf den dürren Hain.
Der trug schon lang sein Winterkleid,
Doch ist's, als wär ihr heut erst leid,
Daß rings das Land so tief verschneit.

»Sever«, begann sie sanft, ein wenig bang,
Weil ihr die Kälte Herz und Geist gewann,
»Ein Wintertag hat schweren Gang!
Was fangen wir nur heute an?«

»Mir«, sprach er, »ward der Tag nur in Gesellschaft lang!«
Sie seufzt ein wenig, doch er lacht
Und spricht: »Was mich schon glücklich macht,
Ist deine liebe, langentbehrte Nähe,
Und daß ich all die andern nicht mehr sehe.«

Sie sprach: »So wurde dir, als wir uns freuten,
Nicht einer lieb von all den Leuten?«
»Nicht Einer!« rief er scharf, »die Schmeichlerschaar!
Kein Blick ist offen und kein Wort ist wahr!«

Umsonst versucht Simplizitas ihr Lob zu reden,
Er fand den Tadel rasch für einen Jeden,
Bemüht, das Bild des Andern zu versehren,
Nicht fühlend, wie des Herzens niedriges Begehren
Begann den Stachel nach ihm selbst zu kehren,
Denn liebevoll erscheint er nimmer so
Und die vergangne Zeit nur deshalb doppelt froh.

Sie steht an seinem Knie und schweigt
Und duckt sich, wie dem Sturm sich neigt
Ein Veilchen, bis der Sonnenschein
Wird endlich wieder bei ihm sein.

Bald sprach er: »Soll für dich hier neue Lust beginnen,
Ich werde schon den leichten Geist gewinnen,
Der seine buntbeglänzten Schwingen
Durchaus zum Licht, das ihn versengt, will bringen.«

Oft, wenn die Brüder miteinander gingen,
Rief er beglückt: »Mein wird die Theure jetzt!
Mir ist wie dürres Land, das endlich Regen netzt.
Die Knospe soll mir Blatt auf Blatt enthüllen
Und endlich meinen Liebestraum erfüllen.«

»Ich fürchte«, sprach Armin, »zu jäh versetzt,
Wird deiner Pflanze Wurzel leicht verletzt
Und ihre frischen Blätter läßt sie hangen.«

»Das schadet nicht, um desto schöner prangen
Wird sie in vollem Glanz nachher,«
Entgegnete vergnügt Sever.

»Verwöhnt durch alle, sonst verwöhnt durch dich,
Aus einem Leben, das dem Zaubermährchen glich;
Für Kinder sind die Mährchen, fiel er ein,
Sie aber soll ein Kind nicht länger sein. –«

Am Abend fanden sich die drei zusammen,
Es knistern traulich des Kamines Flammen,
Die Lampe leuchtet lieblich mit hinein,
Des Winters treuster Sonnenschein.

Sever liest vor – ein gutes Buch,
Aus dem gar viel für Jedermann zu lernen;
Simplizitas durchwebt mit goldnen Sternen
Für ihre Nonnen zum Altar ein Tuch.
Weil sie dem Lesen nicht recht folgen kann,
So träumt sie wohl ein wenig dann und wann. –
Es klingen ihr die fremden Laute,
Des Wissens Sprache, ihm die eng vertraute,
Eintönig wie dem Kind das Wiegenlied,
Das unbezwinglich süß herniederzieht
Des Schlummers träumendes Vergessen.
Sie wehrt sich noch – – indessen
Das schöne Haupt ist müd zurückgesunken,
Und halb vom irren Traume trunken
Erglänzt der sanft verhüllte Blick.
Es ruht die kunstgeübte Hand,
Die wohl für heut die Nadel nicht mehr fand. –
Das war wohl öfter ihr Geschick,
Und nicht zum ersten Mal hat heut
Ein holder Schlummer sie so süß zerstreut.
Schon oft hat es Sever verdrossen,
Das gute Buch ward bös geschlossen.

»Simplizitas!« begann er fast betrübt,
»Sonst tanztest du die halben Nächte,
Dem Schlafe nahmst du oft die holden Rechte;
Und jetzt, für Einen, der dich liebt,
Kannst du dich seiner nicht erwehren;
Nicht eine Stunde länger mir gehören.«

Er schlug das Buch in böser Laune zu,
Sie aber schlief in unbewußter Ruh.
Die Arbeit sank herab und um die Wange
Floß ihr das Haar, das üppig lange.

»Sever!« begütigte Armin, »sie bleibt ein Kind,
Auf diese Art wirst du sie nie gewinnen.«
»Nur schade!« sprach Sever, »für unser Minnen,
Daß wir nicht beide Kinder sind!«
»Wenn du es wärst ein wenig mehr,
So würde sie es wohl ein wenig minder,
Sie fühlt den Abstand gar zu sehr
Und leicht entmuthigt sind die Kinder.«
»Ich kann mich nicht verstellen! kann die Heuchelei
Der Schmeichler«, sprach Sever, »nicht treiben
Und ungestillt wird meine Sehnsucht bleiben
Nach Einer, die mir nah im Geiste sei.
Mir ist, als ob von ungesehner Hand
Sich baue eine düstre Schattenwand,
Die langsam eins vom andren scheide.
Wir sehn es machtlos, hülflos beide,
Verstehn die Worte nicht, die wir uns sagen,
Verstehn nicht mehr einander zu ertragen.«

»In dieser Welt der Sprachverwirrung«,
Entgegnete Armin, »löst auch die schlimmste Irrung
Ein einzig richtig Liebeszeichen,
Versuch es nur, die Schattenwand wird weichen
Und Einfalt hoher Weisheit gleichen,
Spräch' jeder diese Sprache nur!
Der Liebe Sprache, alt wie die Natur. –«

Da ging Sever zur holden Schläferin
Und beugte sich gerührt auf ihre Lippen hin.
Sie schlug die Augen träumend auf;
Umschlang ihn fest, sah froh herauf,
Und als sich beider Blicke fanden,
Da haben sie sich wohl verstanden. –

Doch nicht so freundlich schloß der Abend oft,
Es giebt das Herz so schwer auf, was es hofft,
Und immer wieder greift es nach den Sternen
Und träumt sie nah, die ewig Fernen!

Buchschmuck

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