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Leuchtend in dem schimmernden Gewande
      
 Lagen tiefverhüllt vom Schnee die Lande;
      
 Funkelnd glänzte eine kalte Sonne,
      
 Ohne Wärme, ohne Wonne;
      
 Weiß auf ungemessnen Strecken,
      
 Keine einzige Blume zu erwecken,
      
 Ihre strahlenden Brillanten,
      
 Die ein falsches Feuer sandten,
      
 Blendeten mit ihrem Glanze. –
Vielen bringt der Winter Freuden,
      
 Ruft die Fröhlichen zum Tanze,
      
 Und er schmückt für reiche Feste
      
 Glänzend Häuser und Paläste –
      
 Armen aber bringt er Leiden,
      
 Armen bringt er nichts als Kummer,
      
 Trostlos wird für sie der Erde Schlummer;
      
 Nicht mehr öffnet sie die milde Hand, 
      
 Die doch hie und da den Hunger abgewandt,
      
 Nicht mehr wärmt sie mit der holden Gluth
      
 Frost'ge Glieder, arm an Blut;
      
 Todt und hin ist all ihr Gut.
      
 Trostlos sehn sie nach dem Himmel,
      
 Sehn der Flocken endloses Gewimmel;
      
 Festverschlossen alle Gnadenpforten,
      
 Ausgestoßen stehn sie dorten.
Mit ihrem Kinde darbt Simplizitas;
      
 Von Thränen oft ihr Auge naß,
      
 Weil sie des Kleinen Ruf nach Brod
      
 Nicht stillen konnte, denn die Noth
      
 War ihr Gefährte jetzt, bei Tag, bei Nacht,
      
 Mit ihr im Schlaf, mit ihr erwacht –
Im Winter ist die Arbeit selten,
      
 Nur wenig gab man ihr und meist mit Schelten.
      
 Sie ging einher, verhüllt und wie verborgen
      
 Durch ihres Elends jämmerlich Gewand,
      
 Versteckte ihre bittren Sorgen,
      
 Damit man nur ihr Kind nicht lästig fand.
Im Dorfe wagt sie nicht zu bleiben,
      
 Man traut ihr nicht, bewacht ihr Thun und Treiben.
      
 Zum Walde drängt sie Furcht und Scheu, 
      
 Dort ist sie doch von dieser Sorge frei.
      
 Und mühsam sucht sie ihren Weg im Dunkel,
      
 Schon dankbar, wenn ein Sternchen mit Gefunkel
      
 Ein wenig leuchtet, daß sie leichter finde
      
 Ihr elend Obdach mit dem Kinde. –
Wie eng sie's in der Kälte an sich zieht,
      
 Bis ihr das Herz so heiß in Liebe glüht,
      
 Daß sich das Kind an seiner Gluth erwärmt
      
 Und nicht mehr schreit und nicht mehr lärmt.
Dunkel war's – und endlos sank der Schnee
      
 Nieder von der kalten Höh,
      
 Nieder auf Simplizitas, die voll von Weh
      
 Heimwärts ging zum Waldesschatten. –
      
 Mühsam ging sie mit dem Fuß, dem matten
      
 Auf dem Pfad, dem eisig glatten.
      
 Dann und wann ermuntert sie das Kleine
      
 Mit des Auges treuem Scheine;
      
 Frierend, zitternd birgt es seine Glieder,
      
 Duckt das Köpfchen immer tiefer nieder;
      
 Aber eisig dringt der Frost hinein,
      
 Kaum noch regen kann sich's, kaum noch schrei'n.
      
 Immer fragt es nur allein:
      
 »Mutter, werden wir nicht bald zu Hause sein?«
      
 Und die arme Mutter sagt nicht nein. 
      
 Wie sich Pfad um Pfad verstricken
      
 Vor den trostlos irren Blicken,
      
 Ach verloren sind die Armen,
      
 Mag sich Gott der Elenden erbarmen!
Geisterhaft umgiebt sie rings der Wald,
      
 Pfadlos, farblos, starr und kalt.
      
 Zitternd steht die liebliche Gestalt,
      
 Fragend schweift ihr holder Blick;
      
 Plötzlich strahlt er. – – welches Glück!
      
 Jauchzend küßt sie ihre Kleine,
      
 Zeigt ihr, daß ein Licht erscheine. –
Dunkel war's, – doch wie ein Gottesbote
      
 Taucht ein Lichtchen auf, das rothe;
      
 Zaghaft sendet es sein Blinken
      
 Durch den Wald, als wollt es ihnen winken. –
      
 Zitternd schimmerte der Strahl
      
 Wie in thränenschweren Blicken,
      
 Zitternd dämmert das Entzücken, –
      
 Muthig dringt die Mutter weiter,
      
 Jener Stern ihr Trost und ihr Begleiter. –
Endlich hat sie ihn erreicht. –
      
 Weshalb zögert sie? – – erbleicht,
      
 Weshalb fängt sie an zu weinen? 
      
 Freundlich lockt des Lichtes Schimmer,
      
 Warm und goldig schleicht sein Scheinen
      
 Sich hervor aus trautem Zimmer,
      
 Weshalb steht sie an der Thür noch immer?
Steht und weint und sagt der Kleinen:
      
 »Komm, ich wärme dich in meinem Schooß,
      
 Ausgestoßen sind wir, obdachlos;
      
 Diese Thür bleibt uns verschlossen,
      
 Bleibt verschlossen meinen Schmerzen,
      
 Wie darinnen mir die Herzen.«
Und die Tannen seufzen gleich Genossen,
      
 Schütteln eis'ge Schauer von den Wipfeln,
      
 Die wie starre Thränen aus den weißen Gipfeln
      
 Auf die Beiden niederflossen. –
      
 Doch das Kind in lieblichem Vertrauen
      
 Hebt das Haupt, das goldbekränzte;
      
 Lächelnd sucht's umher zu schauen,
      
 Sieht das Lichtchen, wie es glänzte.
»Mutter«, sprach es, »gehe, klopfe an,
      
 Sicher wird uns aufgethan.«
Und sie fühlt des Kindes Glauben
      
 Ihr die Angst, die feige, rauben, 
      
 Klopft mit zitternd schwachem Finger;
      
 Klopfte doch ihr Herz geringer –
Leise thut sich auf die Thüre,
      
 Leise, gleich als ob man spüre,
      
 Daß sich dort ein Unheil rühre. –
      
 Vor ihr steht die Alte und in Träumen
      
 Summen seine Vögel süße Lieder.
      
 Ja sie sieht des Jünglings Mutter wieder,
      
 Sieht die Hütte mit den Tannenbäumen. –
Hoch erhebt die Alte ihre Leuchte; –
      
 Als der Strahl das Gold der Locken zeigte,
      
 Fuhr sie schreckensvoll zusammen,
      
 Zuckend gleich des Lichtes Flammen. –
Jammernd fleht Simplizitas um Obdach,
      
 Und das Kindchen jauchzt in Freuden,
      
 Streckt die Händchen aus, die beiden
      
 Nach dem schützenden Gemach.
Worte fand die Alte nach und nach,
      
 Trostlos klang es, als sie sprach:
      
 »Nicht mehr scheinst du mir zu wissen,
      
 Wer hier sterbend vor mir lag
      
 An dem nievergessnen Tag, 
      
 Als du mir mein Herz zerrissen.
      
 Grade so stand ich vor dir, –
      
 Taub und hart warst du zu mir;
      
 Grade so hab ich gelitten,
      
 Als ich dort mit heißen Bitten
      
 Für mein Kind umsonst gestritten.
      
 Geh vor eine andre Thür!
      
 Mitleid find'st du nimmer hier!
      
 Geh, Simplizitas, von hinnen,
      
 Niemals wirst du Eintritt hier gewinnen!«
Schweigend beugt Simplizitas das Haupt im Jammer
      
 Und es schließt sich ihr die Thür der Kammer.
Schluchzend fängt das Kleine an zu schrei'n,
      
 Keinem Troste will es sich mehr leihn.
      
 »Mutter, wärme mich, ich friere!
      
 Oeffne! öffne mir die Thüre.«
Sehnend blickt die Mutter nach dem Licht,
      
 Küßt der Kleinen thränendes Gesicht.
      
 Drei Mal klopft sie an die Pforte
      
 Mit des Herzens tiefstem Jammerworte –
Stille bleibt es drinnen wie der Tod, –
      
 Nur das Lichtchen schimmert warm und roth, 
      
 Gleich, als wollt es auf ihr Fragen
      
 Freundlich Antwort sagen.
Doch die Alte sitzt bei seinem Scheine –
      
 Traurig sitzt sie da – alleine – –
      
 Und sie hört das leise Klopfen,
      
 Zählt die bittren Thränentropfen,
      
 Die den Sohn, den ewig Theuern
      
 Heut mit ihrem Schmerze feiern.
      
 Und sie glaubt ihn fast zu schauen,
      
 Lieblich wie ihn Gott ihr schenkte. –
      
 Warum wandelt sich in Grauen
      
 Oft ihr Blick – der starr gesenkte? –
      
 Scheint ihr doch, als ob ihr Söhnchen trüge
      
 Jener Kleinen bleiche Züge;
      
 Machtlos ringt sie mit der Lüge.
      
 Nein! sie sieht ihr Kind nicht mehr,
      
 Jenes dort scheint ihr's zu werden,
      
 Das mit bittenden Geberden
      
 Flehend reckt die Händchen her,
      
 Und das Köpfchen sinkt ihm schwer.
      
 Leiden sieht sie's, sieht's erkranken,
      
 Sieht es sterben in Gedanken.
Wirr, geängstet lauscht sie zitternd, 
      
 Ja noch dringt der Klageton erschütternd
      
 Durch die stille, kalte Nacht.
Und ihr alter Haß erwacht, –
      
 Und sie geht umher im Zimmer,
      
 Ruhlos, friedenlos wie immer.
      
 Ganz erfüllt sind rings die Wände
      
 Von des Todten Angedenken,
      
 Angefüllt von den Geschenken,
      
 Die er gab in ihre Hände.
      
 Zitternd nimmt sie bald das Eine,
      
 Bald das Andre von dem Orte,
      
 Küßt es, murmelnd Liebesworte. –
      
 Fleht, daß Gott sie bald vereine, –
      
 Ganz dem Schmerz dahingegeben
      
 Weiß sie kaum vom eignen Leben –
Plötzlich lauscht sie angsterfüllt,
      
 Ward der Klageton gestillt?
Draußen liegt ein tiefes Schweigen
      
 Auf den nachtumhüllten Zweigen.
Wieder sieht sie hell im Geiste
      
 In dem Kind ihr eignes sterben,
      
 Sterben sieht sie es ... verderben. 
      
 Keiner, der ihm Hülfe leiste.
      
 Bebend nimmt sie ihre Kerze,
      
 Rechnet nicht nach ihrem Schmerze;
      
 Geht und öffnet ohne Worte
      
 Bang die kleine Hüttenpforte. –
Auf der Schwelle lag Simplizitas
      
 Und das Kindchen lag an ihrem Herzen.
      
 Röthlich schien das Licht der Kerzen;
      
 Doch die beiden todtenblaß
      
 Lächeln nicht dem warmen Schimmer,
      
 Lächeln nicht dem hellen Zimmer.
      
 Golden floß ihr Haar hernieder,
      
 Schützend schlang sie's um die kleinen Glieder,
      
 Und es mischen sich die Kinderlocken
      
 Mit hinein wie lichte Flocken.
Doch die Alte rang die Hände,
      
 Säh ihr Sohn dies jammervolle Ende!
      
 Und sie ruft es fast mit Schrei'n:
      
 »Wache auf, ich nehm dich ein! –«
      
 Sucht die Finger zu entfalten,
      
 Die in tödtlichem Erkalten
      
 Noch das Kindchen krampfhaft halten.
Endlich regen sich die Lider, 
      
 Schimmernd zeigen sich die Sterne,
      
 Und der Alten ist's, als säh' aus weiter Ferne
      
 Heut ihr Sohn beseligt auf sie nieder.
Schwankend, trotz der Glieder Beben,
      
 Sucht Simplizitas sich mühsam zu erheben.
      
 Stützend steht das Mütterchen daneben,
      
 Führt sie sorglich in die Hütte
      
 Mit dem alterschwachen Schritte.
Es faßt sie Schlaf, der todesgleiche,
      
 Und auch ihr Kindchen liegt, das bleiche,
      
 In ihrer Näh wie eine kleine Leiche.
      
 Im Schooße liegt es ihr, der Alten,
      
 Sie küßt die Händchen ihm, die kalten;
      
 Sie hüllt es ein in warme Decken;
      
 Die kleine Seele zu erwecken
      
 Erscheint ihr jetzt als höchstes Glück.
      
 Wie sehnlich ruft sie sie zurück;
      
 Nur einen Kuß, ein Liebeszeichen
      
 Von diesem Mund, dem friedereichen.
Sie fühlt ihr Herz sich zu der Kleinen neigen,
      
 Als wär's ihr Kind, als wär's ihr eigen,
      
 Und leise fängt das alte an zu glühen,
      
 Als wollt es neuem Frühlingshauch erblühen; 
      
 Denn Kinder sind wie Gottesboten,
      
 Mit ihren Mündchen, mit den rothen,
      
 Da sprechen grad die Allerkleinsten
      
 Das Gotteswort am reinsten.
Und plötzlich fängt es an sich zu bewegen,
      
 Die kleinen Gliederchen zu regen, –
      
 Zwei Augen öffnet es wie Fragen,
      
 Die tiefe blaue Farbe tragen
      
 Gleich Himmelsluft in Sommertagen.
Die Alte lächelt – sieh, es lächelt auch,
      
 Geschützt vor jenem eiserfüllten Hauch
      
 Fühlt es sich wohlig hier im Warmen
      
 Und sicher auf den alten Armen.
      
 Doch forschend sieht's nach Kinderbrauch
      
 Ihr in das faltige Gesicht,
      
 Das lächelt wieder hell und licht. –
      
 Nun ist die Freundschaft schon gemacht;
      
 Kein Kindchen fürchtet den, der lacht.
      
 Sie hält den Trank ihm an die Lippen,
      
 Da fängt es wie ein Bienchen an zu nippen.
      
 Sie müht sich Scherze zu ersinnen,
      
 Wie sie sie einst gewußt so viele,
      
 Die Verschen und die süßen Spiele.
      
 Es trieb sie Einsamkeit von hinnen, 
      
 Heut aber schwärmen sie wie Elfen
      
 Geschäftig her, um ihr zu helfen.
Die Mutter schläft – sie hat's dem Kind gezeigt,
      
 Den Finger auf den Mund, damit es schweigt.
      
 Sie schläft! o nein sie schlummert nicht,
      
 Ein Lächeln küßt ihr Angesicht.
      
 Und zwischen Wimpern, zwischen Wangen,
      
 In Thränen, die vom Herzen drangen,
      
 Da blieb die Freude wie im Schmerz gefangen.
Noch halb im Traume sah sie die Gestalten,
      
 Sie sah ihr Kindchen auf dem Schooß der Alten;
      
 Sie sah es liebreich dort gelitten,
      
 Erhört die ungestümen kleinen Bitten.
      
 Ein Engelchen, das aus des Himmels Hallen
      
 Mit seinem Stammeln, seinem Lallen
      
 Gekommen heut, ihr zu versöhnen
      
 Dies arme Herz, dies tiefgekränkte.
Erlösend scheint ihr Wort um Wort zu tönen,
      
 Befreiend wie das Kind der Alten Liebe schenkte;
      
 Als habe heut der Herr in seiner Huld
      
 Ihr Herz entlastet einer schweren Schuld –
Und leuchtend steigt zur lichten Bläue 
      
 Im Sonnenstrahl der Tag aufs Neue,
      
 Er dringt hinab zur niedren Hütte,
      
 Als wär ein Gott in ihrer Mitte.
      
 Die Vögelchen, die schrei'n dazwischen,
      
 Das Morgenlicht hieß sie erwachen,
      
 Und mit hinein hört man sich mischen
      
 Ein wonnigliches Kinderlachen. 
      
