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Buchschmuck

Schwarz war der Weg, auf dem die Arme ging,
Kaum daß ein Blättchen schon am Baume hing.
Und öd und leer zog sich der Pfad,
Grad wie ihr Leben, kahl und grad.

Sie wanderte gedrückt und still,
Wie Einer, der nach einem Ziele will.
Auf ihrer Schultern schöner Fülle
Ein Bündelchen und eine wollne Hülle.

Vor einer Hütte blieb sie stehn
Und sehnsüchtig begann sie zuzusehn,
Wie auf dem Schooße seiner Pflegemutter
Ein Kindchen süße Milch bekam.
Es sperrt das Mäulchen auf nach Futter,
Noch eh die Hand den Löffel nahm.
Den Spatzen gleich, die, listige Gesellen,
Sich recht gewaltig hungrig stellen,
Damit der Spaß sich möge oft erneun;
Denn hier heißt essen Herz und Mund erfreun.

Ein elend Kindchen war's, so zart gegliedert,
Fast wie ein Vögelchen, das fiedert;
Doch lustig hat es jetzt den Kuß erwidert
Und fest sich an die treue Brust geschmiegt,
Bei der sich's gar zu wohlig liegt.

Das alles sah Simplizitas von ferne
Und blickte hin, wie nach dem letzten Sterne.
Doch langsam tauchte auf in ihren Zügen
Ein seliges, ein lächelndes Genügen -

Ihr Kindchen ist's – – und ihr allein
Soll es fortan noch sein.

Wie freudig tritt sie ein und spricht: »Gott grüße. –
Mein Kindchen will ich! – gebt mir jetzt das Süße.
An meinem Herzen soll es fürder liegen
Und keiner darf es mehr um diesen Platz betrügen. –«

Die Frau weicht zürnend, fast im Schreck zurück,
Sie mißt sie scharf mit hartem Blick.
Ihr Kleinod fordert sie, ihr Lebensglück!
Aus welcher Macht! mit welchem Recht!
Vergessen war's vom eigenen Geschlecht.

Als sie das Kleine auf dem Schlosse nährte,
Da starb das Ihre – das, wofür allein
Sie all den hohen Lohn begehrte.
O welche Strafe! welche bittre Pein!
Doch nahm der Pflegling leis' die Stelle ein,
Er schlich sich heimlich in dies arme Herz hinein.
Und diesen Trost! – dies – ihrer Seele Leben!
Soll sie Simplizitas heut wiedergeben!
Warum hat denn die Mutter früher nie
Um diesen heil'gen Platz mit ihr gestritten?
Nicht mitgetragen all die Müh?
Nicht all die Sorgen mitgelitten?
Hat sie das Kind nicht schwer genug erworben
Durch schlimme Tage und noch schlimmre Nächte?
Und wär das Kind nicht ohne sie gestorben?
Giebt denn das Alles keine Rechte? –

»Simplizitas!« begann die Frau,
»Verstoßen seid ihr und ich weiß genau,
Vom Schlosse her wird keiner für euch sprechen. –
Laßt mir das Kind. – Wollt ihr das Herz uns brechen?
Seht, wie mich's krampfhaft fest umkrallt,
Wollt ihr die Händchen öffnen mit Gewalt?
Am kranken kleinen Ding schien wenig euch gelegen,
Wißt ihr's doch kaum zu halten und zu pflegen.
Und nehmt ihr's mir, wird's fast zu Tod sich weinen,
Denn seiner Mutter nehmt ihr's, wird es meinen.«

Die Arme aber streckte beide Hände
Nach ihrem Kinde aus, daß es sich zu ihr wende.
Sie faßt es an – – sie sucht es zu bewegen,
In ihre Arme sich zu legen;
Das aber wehrte schluchzend sich dagegen –

Erschreckt und starr steht dort Simplizitas,
Die Wange noch von ihres Kindes Thränen naß.
Sie sprach kein Wort mehr ... barg ihr Angesicht und weinte,
Als ob sie sich in Thränen aufzulösen meinte.

Da rührte sie das Herz der Frau;
Auch ihre Augen füllt ein milder Thau,
Sie sprach: »Bleibt hier, – – denn was euch trennt –
Ist, daß der arme Schelm die Mutter gar nicht kennt.«

Simplizitas blieb da – gedrückt schlich sie umher,
Kein froher Spaß gelingt ihr mehr,
Kein Lächeln, um ihr Kind sich zu gewinnen;
Sie wagt nicht um dies kleine Herz zu minnen –
Und eines Tages steht sie scheu und blaß
Vor ihr und spricht: »Ich geh – doch nicht aus Haß,
Aus Liebe zu euch beiden.
Ich will euch nicht mehr scheiden. –
Ich hab kein Haus, ich hab kein Dach,
Ich habe nichts als Ungemach;
Und ihr, ihr habt das Haus, das Dach und ach!
Ihr habt nicht das allein,
Ihr habt noch mehr, ihr habt sein Herz.
Gewonnen habt ihr's euch im Schmerz;
Ich aber ließ es euch in Noth und Pein,
So muß es nun als Lust auch euer sein.«

Erschüttert lauscht die Frau und die gefurchten Wangen
Ist Thrän auf Thrän hinabgegangen. –
Wo blieb ihr Recht? – sie weiß es nicht,
Sie hört die Mutter nur, die spricht, –
Sie denkt an ihr begrabnes Kind,
Es ist, als sagt es leis' und lind:
»Wenn sie es liebt, ist's nicht mehr dein,
Gieb es ihr hin, sei wieder mein. –«

Sie sprach: »Es schläft – da nehmt es hin! seid sacht!
Ich weiß nicht, welche neue Macht
Das Herz mir nimmt und mich verwandelt,
Mir ist's, als hätt ich schlecht an euch gehandelt.
Ich seh, ihr liebt jetzt euer Blut,
Und wo ein Kind im Mutterarme ruht,
Da ist's am Besten, – da ist's gut –
Nicht könnt ich seiner mich erfreu'n,
Mich würde jedes Lächeln reu'n,
Gedächt ich eurer einsam und allein;
Nein seit ihr's liebt, da ist es nicht mehr mein.
Gut daß es schläft, sonst würd es schrei'n;
Ich würd euch hier behalten, doch ihr wißt,
Wie mir das Kind anhänglich ist;
So habt ihr's leichter, daß es mich vergißt –
Und bin ich selber auch nicht reichlich dran,
Hoff ich, daß ich euch später helfen kann. –
Doch wartet bis ich seine Röckchen,
Ein wollnes Deckchen und die warmen Söckchen
Zur Reise euch zusammenbinde –«

Sie ging hinein – nahm aus dem Spinde
Die Kleiderchen, die kleinen alten,
Und zitterte und konnte sie kaum halten;
Denn ihre abgetragnen Falten
Erzählten gar zu viel von ihrem Kinde,
Welch großer Schatz dies kleine Ding gewesen
Und wie sie ohne seine Hülfe nie genesen.

Geschäftig geht sie hin und her,
Sie küßt das Kind, das schlafende, nicht mehr
Und bringt fortwährend neue Gaben,
Die Beiden für den Weg zu stärken und zu laben.
Nun sind sie fort – schon lange fort; –
Doch immer steht sie an dem Wege dort.

Buchschmuck

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