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Fünfzehntes Kapitel.
Freundschaftliche Warnungen

Schon eine ganze Stunde war Lord Courtney in Gervis' Garten und hatte über alle möglichen politischen und unpolitischen Fragen mit ihm geredet, ohne den eigentlichen Zweck seines Besuches zu berühren. Jetzt rüstete er sich zum Weggehen, und da kam er denn so ganz beiläufig damit heraus. Lady Courtney habe da etwas gehört von einem dummen Gerede, von dem er aufrichtig hoffe, daß kein Körnchen Wahrheit darin sei. Damit fing er an, seinem Freunde zu erzählen, was die ganze Grafschaft sich zuflüsterte.

»Ich mache es mir sonst zur Regel,« schloß er, »mich niemals in die Angelegenheiten anderer zu mischen – niemals,« und das sagte er in einer Weise, als ob die Angelegenheiten seiner Nachbarn wirklich viel zu tief unter ihm ständen, um Beachtung zu verdienen.

»Mit all den Sorgen eines Lord-Lieutenants auf Ihren Schultern,« bemerkte Gervis, »kann Ihnen auch sicherlich keine Zeit für eine so liebenswürdige Beschäftigung übrig bleiben.«

»O, bewahre. Aber man ist doch einem alten Freunde etwas schuldig, und ich hielt es doch für meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen.«

»Ich kann Ihnen nicht dankbar genug sein.«

»O, nicht doch! Reden Sie nur nicht davon. Ich werde von Herzen froh sein, wenn meine wenigen Worte Ihnen von Nutzen sein sollten. Die Unbeteiligten sehen ja sprichwörtlich mehr als die Mitspielenden. Mit Bezug auf diese Flemyngs kann ich nicht viel sagen, da ich nicht persönlich mit ihnen bekannt bin. Doch habe ich Ihnen erzählt, was man über das Mädchen redet, und in jedem Fall, bin ich überzeugt, können Sie es nicht gern sehen, daß Ihr Sohn in seinem Alter zu einer übereilten Heirat bewogen wird. Den jungen Croft kenne ich, und es thut mir leid, hinzufügen zu müssen, daß ich die denkbar schlechteste Meinung von ihm habe. Ich würde keine Dame beneiden, die dazu verurteilt würde, in einer solchen – solchen – Höhle voll wilder Bestien zu leben, wie Croft Manor es ist. Es ist mir eingefallen, daß Sie, der Sie so lange außerhalb Englands gelebt haben, sich eine irrtümliche Idee von Crofts Stellung in der Grafschaft machen dürften – daß Sie glauben könnten, er stelle hier etwas vor oder werde es künftig thun. Ich kann Sie versichern, daß er nicht die entfernteste Aussicht dazu hat. Allerdings besitzt er gewisse Vorzüge der Geburt und des Vermögens. Er hat sie sich aber nicht zu nutze gemacht, auch sind sie nicht bedeutend genug, um ihn durch sich selbst zu einer Stellung in der Gesellschaft zu erheben. Jetzt ist er ein junger frecher Patron mit einem Hang zu niederer Gesellschaft, und wahrscheinlich wird er damit enden, wenn er die gewöhnlichen Stadien durchgemacht hat, ein ruinierter Trunkenbold zu werden, wie sein Vater gewesen ist. Ich an Ihrer Stelle würde ihm mein Haus verbieten, ehe das Uebel seinen Gipfel erreicht. Nun Adieu, mein lieber alter Gervis, es hat mich gefreut, Sie zu sehen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich meine Mitteilungen nur für Sie allein bestimmt habe.«

»Ich verstehe und achte Ihre Wünsche vollkommen,« sagte Gervis. »Die Verantwortlichkeit eines Vaters ist sehr groß, und wenn man nicht gelegentlich durch solche Beweise uneigennütziger Freundschaft aufgerichtet würde, wie Sie mir soeben einen gegeben haben, so weiß ich kaum, wie man sie tragen sollte. Empfehlen Sie mich gütigst der Lady Courtney, und besten Dank für Ihre schätzenswerten Winke. Adieu! – Mach nur, daß du fortkommst, du alter Esel, und um des Himmels willen, laß dich nicht wieder hier sehen. Du bist der langweiligste von all den Holzköpfen, die ich hier zu Lande gefunden habe.«

Die letzten Worte wurden – kaum nötig, es zu sagen – erst ausgesprochen, als Lord Courtney fortgefahren war, und es ist zu hoffen, daß der wohlwollende Herr den Eindruck mit sich fortnahm, diesmal sei seine Uneigennützigkeit in der Erfüllung einer unangenehmen Pflicht wenigstens gebührend anerkannt worden.

»Heute hat mich einer Ihrer Freunde besucht – Lord Courtney,« erzählte Gervis am nämlichen Abend Freddy Croft. »Wie haben Sie es bewerkstelligt, ihn so tief zu beleidigen?«

»Ja,« erwiderte Freddy nachdenklich, »das muß wohl der Regen aus der Feuerspritze sein, mit dem wir ihn einmal überschüttet haben. Ich sagte es gleich, daß er es übelnehmen würde. Er hat mich seitdem gehaßt wie Gift, und das thut mir leid: er ist ein ganz guter alter Kerl, trotz seiner Pomphaftigkeit. Und er gibt bei den Einladungen zu den Hetzjagden immer so anständig seinen Namen her, wenn er sich auch selten dabei beteiligt. Der arme, alte Courtney! Er ist von Herzen nicht schlecht, wie Sie wissen werden.«

»Er sagte, Sie wären ein frecher junger Patron und hätten einen Hang zu schlechter Gesellschaft.«

»So? Sagte er das?«

»Ja, das sagte er, und das Schlimmste daran ist, daß es wahr ist,« meinte Gervis, der für seinen stets gut gelaunten kleinen Nachbar eine wunderbare Zuneigung gefaßt hatte und es liebte, in einem so vertraulichen Ton mit ihm zu reden, wie viele seiner älteren Freunde ihn gar nicht an ihm kannten.

»Je nun, ich weiß nicht, was Sie schlechte Gesellschaft nennen,« gab Freddy zurück. »Jedenfalls halte ich mich in Ihrem Hause mehr auf als irgendwo anders.«

Gervis lachte und klingelte nach einer zweiten Flasche von dem Wein, den sein Gast besonders liebte. Und Freddys Privatmeinung war, daß, wenn er einmal die peinliche Unterredung durchmachen müsse, die keinem Manne erspart wird (er müßte denn eine Waise heiraten), er doch an seinem zukünftigen Schwiegervater keinen allzu strengen Richter finden würde.

Der Herbst schlich sich bereits leise heran, und der Tag nach Lord Courtneys freundschaftlicher Mission war feucht, trübe und neblig. Gervis litt an einem Anfall von Rheumatismus und konnte den ganzen Tag über keinen Platz nahe genug am Kamin finden, der ihn vor dem durchbohrenden Zugwind schützte, bis er am Nachmittag unruhig wurde, seinen Pelz hervorholen ließ und beschloß, nach Beachborough hinüberzufahren zu seiner alten Freundin, der Frau Knowles. Er hatte sich in letzter Zeit angewöhnt, häufig gegen fünf Uhr nachmittags bei ihr vorzusprechen und um eine Tasse Thee zu bitten. Wußte er doch, daß er in South Crescent stets eine herzliche Aufnahme und jene schweigende Teilnahme finden würde, die auch der hartherzigste Mann zuweilen ersehnt. Diese beiden Menschen, so verschieden in ihren Ansichten, Geschmacksrichtungen und Lebensführungen, hatten sich dennoch aneinander angeschlossen. Jedes erkannte in dem anderen einen Schatz von Weisheit, der ein trockener Humor Leben verlieh, jedes fand im anderen ein unterhaltendes Objekt für seine Studien. Sie verstanden sich gegenseitig oder glaubten wenigstens, sich zu verstehen, was der Regel nach dasselbe bedeutet. Das festere Band aber, welches sie zusammenknüpfte, war die Erinnerung an eine ferne, ferne Zeit, wo es noch keine Eisenbahnen gab, wo die Familie etwa alle zwei Jahre einmal in einer schweren Kutsche mit vier Postpferden nach London fuhr, wo eine vergnügte kleine Gesellschaft sich zusammengefunden hatte, deren Mitglieder zum größten Teil schon längst zu ihren Vätern versammelt waren. Von wie vielen närrischen alten Späßen und Streichen, Entzweiungen und Versöhnungen, von wie vielen vergessenen Klatschgeschichten konnten die beiden nicht miteinander reden! Wenn aus keinem anderen Grunde, so mußten sie schon um dieser gleichartigen Erinnerungen willen gute Freunde sein. Es ließ sich auch nicht erwarten, daß das gute Einvernehmen zwischen ihnen gestört werden würde, weder durch auseinander gehende Meinungen noch durch die Verleumdungen guter Freunde, es müßte denn gerade durch eine Grille von seiten der Dame sein, deren Temperament allerdings für nicht sehr zuverlässig galt.

Möglicherweise litt Frau Knowles selber unter einem oder dem anderen der Schmerzen und Gebrechen, die sich mit dem Vorschreiten der Jahre einzustellen pflegen, als Gervis schaudernd vor Kälte und Schmerzen in ihren Drawing-Room trat. Es war klar, daß etwas sie um ihre gute Laune gebracht hatte, und anstatt mit ihrem Besuch Mitleid zu fühlen, warf sie den Kopf nach hinten und schnaufte in der charakteristischen Weise, die bei ihr jedesmal anzeigte, daß die Schwächen ihrer lieben Mitmenschen ihr mehr als sonst im Wege waren.

»Geschieht Ihnen schon ganz recht! Natürlich Rheumatismus! Wie sollte es auch anders kommen, wenn Sie sich keine gesunde Bewegung machen und mit einem Ding wie das da (auf Gervis' Pelzrock zeigend) umherlaufen? Wie viel jünger sind Sie als ich? Zehn Jahre? Fünfzehn Jahre? Ja, ich muß Ihnen fünfzehn Jahre voraus sein, und doch glaube ich, würde eine Lebensversicherungsgesellschaft mich eher aufnehmen als Sie. Mich werden Sie nicht in Lehnstühlen herumlungern sehen; will's Gott, wird das auch in meinem Leben nicht geschehen. Leuten gegenüber, die in der Jugend wild auf ihre Gesundheit losarbeiten und nachher murren, wenn sie mit siebzig Jahren zu nichts mehr nutze sind, habe ich nun einmal keine Geduld.«

»Ach, da bin ich denn doch besser daran als Sie,« bemerkte Gervis gemütlich. »Wenn ich auch weiter nichts aufweisen kann, an Geduld besitze ich einen Ueberfluß. Und das ist ein sehr glücklicher Umstand, denn ihr guten Leute hier herum scheint schier darauf auszugehen, bei jeder Gelegenheit meine Geduld auf die Probe zu stellen. Im übrigen erkenne ich Ihre leibliche und geistige Ueberlegenheit vollkommen an. Ich bin ein bloßes Wrack.«

»Hm, ich will Ihnen nicht widersprechen. Sie haben es aber nur sich selber zu danken. Wenn Sie ein anständiges, respektables Leben geführt hätten, wie es einem englischen Gentleman zukommt, so wären sie jetzt imstande, an einer Hetzjagd teilzunehmen, wie so viele hier zu Lande. So aber, glaube ich, haben Sie an nichts mehr Freude.«

»Außer an einer Tasse Ihres Thees und an Ihrer Konversation, ich weiß ja, wie vorzüglich beide sind. Sie waren bereits so gütig, mich mit einer köstlichen Probe von der einen zu erfreuen, würden Sie mich nun nicht völlig glücklich machen durch eine Tasse vom anderen?«

»O ja, Sie sollen Ihren Thee haben.« Frau Knowles zog die Glocke. »Es ist ein armseliges Getränk für einen Mann, aber immerhin schützt es Sie vor schlimmeren Angewohnheiten. Sie sagten, es habe jemand Ihre Geduld auf die Probe gestellt?«

»Nicht jemand – jedermann. Wenigstens haben sich alle die größte Mühe gegeben. Es ist freilich wahr, daß sie nicht viel Erfolg dabei gehabt haben, aber nur, weil ich einen Panzer von Gleichgültigkeit trage, den zu durchbohren ich dreist jede Unverschämtheit herausfordern kann. Ein gewöhnlicher Mensch würde es aber sicher überraschend finden, daß in einem Radius von fünfzehn Meilen jeder Mensch es sich herausnimmt, ihm über seine häuslichen Angelegenheiten Vorstellungen und Ratschläge zu machen.«

»Ei, durchaus nicht überraschend. Soll man zusehen, daß einer im Schlaf seinen Wagen in den Morast fährt, ohne ihn aufzuwecken?«

Gervis erwiderte, daß einer, der durchaus nicht schlafe, sondern nur seine Pferde nach seiner eigenen Weise antreibe, mit Recht sehr ungehalten werden dürfte, wenn ihn jemand durch höchst unnötige Zurufe erschreckte.

»Mag sein, aber wissen Sie, mich fertigen Sie in dieser Weise nicht ab. Was haben Sie mit Ihrem Sohne vor? Beantworten Sie mir diese Frage.«

»Ich habe gar nichts mit ihm vor,« antwortete der Gefragte langsam. »Ich habe vor, ihn innerhalb bestimmter Grenzen thun zu lassen, was ihm beliebt, er ist mündig.«

»So sagten auch die Eltern des Blindgeborenen im Evangelium, als sie die Verantwortlichkeit von sich abwälzen wollten. Die Wahrheit ist, Vincenz, daß Sie Ihr lebenlang ein Egoist gewesen sind und daß Sie bald die Frucht von dem ernten werden, was Sie gesäet haben, wie es nur recht und billig ist. Ich sage nichts über Ihre Tochter, denn man kann natürlich von Ihnen nicht erwarten, daß Sie ein Mädchen sollten erziehen können, und Sie haben sie wenigstens den guten Händen der alten, würdigen Potts anvertraut. Ueberdies bin ich ziemlich sicher, daß Genovevas Wille so stark ist, wie der Ihrige, und daß sie sich ihren Gatten seiner Zeit selbst aussuchen wird, ob Sie es gern haben oder nicht. Aber ich muß Ihnen mit dürren Worten sagen, daß Sie gegen Claud Ihre Schuldigkeit nicht gethan haben. Sie brauchen einen Begleiter auf Ihren Jachtfahrten nach Honkong oder Yokohama oder solchen heidnischen Oertern, und siehe da, Sie nehmen den Knaben in der kritischsten Zeit aus der Schule, unterbrechen seine Ausbildung, stopfen ihm den Kopf voll von cynischen Maximen, zeigen ihm die Welt, ehe er sie verstehen kann, und erklären ihn schließlich für mündig, ohne daß er einen Beruf oder eine Beschäftigung hat, die ihn vor bösen Gedanken bewahren könnte. Ich möchte wohl wissen, was Sie denken, daß aus ihm werden soll. Wenn er moralisch untergeht, so werden Sie es sich zuschreiben dürfen, mein Freund. Sie sind gegen ihn gütig gewesen nach Ihrer Weise, vermutlich, weil Sie mit ihm ganz gut auskommen konnten. Meiner Ansicht nach schuldet er Ihnen aber nichts, und wenn Sie von ihm verlangen, daß er seinen Vater ehren soll, so verlangen Sie zu viel und werden höchst wahrscheinlich enttäuscht werden.«

»Ich bin nicht so unverständig, das zu verlangen,« erklärte Gervis, seinen Thee schlürfend. »Ihre Beschreibung von mir, meine teure Frau Knowles, stimmt überraschend. Es wird Ihnen angenehm sein zu hören, daß ich kein Wort zu meinen Gunsten vorzubringen weiß. Ich glaube selbst, daß nichts so notwendig gewesen wäre, als daß ich Claud einen Beruf hätte ergreifen lassen. Ich will mich nicht sträuben, Ihnen, als einer alten Freundin, zu erzählen, was mich bewog, ihn damals aus Eton hinwegzunehmen. Ich befand mich damals unter dem Eindruck, daß ich kein Jahr mehr zu leben hätte. Mein Arzt gab es mir zu verstehen, und natürlich nahm ich an, daß er wüßte, was er redete. Unter diesen Umständen hielt ich es für ratsam, daß Claud etwas von der Welt sähe (nebenbei gesagt, führte ich ihn nicht mit nach Yokohama), ehe er mit einem beträchtlichen Vermögen und anderen nicht näher zu erörternden Bürden allein auf sich angewiesen wäre. Ich sehe ein, daß ich ihn um Verzeihung bitten muß, weil ich trotzdem noch so lange gelebt habe, aber eigentlich ist das doch nicht meine Schuld, nicht wahr?«

»Nun, eigentlich nicht,« versetzte die alte Dame, die sich durch Gervis' Nachgiebigkeit etwas milder gestimmt fühlte. »Und ich hoffe ja auch, daß Sie noch ein hübsches Stück Lebensweg zu durchlaufen haben. Aber das muß sich doch vor ungefähr fünf Jahren zugetragen haben.«

»Ganz recht. Ich verstehe, was Sie meinen, und bekenne mich schuldig. Indessen, was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt kann ich ihn in kein Kavallerie-Regiment mehr stecken und ihn ebensowenig mehr Jura studieren lassen – die einzigen Dinge, die ein junger Mensch aus anständiger Familie heute noch unternehmen kann, Notabene, wenn er Geld hat – und da ergreife ich denn den Notbehelf, ihn machen zu lassen, was er will, wie ich bereits sagte; aber eben auch nur innerhalb gewisser Grenzen. Können Sie mir einen besseren Vorschlag machen?«

»Ich wüßte nicht, wie. Es fragt sich, was er will und welches die Grenzen sind, die Sie ihm zu ziehen denken.«

Gervis legte den Kopf auf eine Seite und lächelte, ohne zu antworten. Darüber fühlte Frau Knowles ihre vorherige Gereiztheit von neuem erwachen.

»Schön, schön, ich bin nur eine alte Frau und werde schwerlich etwas Gutes ausrichten, wenn ich mich in Ihre Sachen hineinmische. Lassen wir den Gegenstand fallen. Wie lange denken Sie in Southlands zu bleiben? Warum lassen Sie sich nicht von Ihrer Jacht irgendwo anders hinführen, da Ihnen dieses Klima so unangenehm ist?«

»Ich werde keine Jachtfahrt mehr unternehmen. Man wird nachgerade zu alt, um sich gern von einem Ort nach dem anderen verschlagen zu lassen. Ich werde bleiben, wo ich bin, oder falls es hier ganz unerträglich wird, werde ich auf einige Zeit nach London gehen. Indessen kann ich Claud in jedem Augenblick wegschicken, wenn Sie das damit sagen wollen. Wir verstehen uns gegenseitig ganz gut, und ich kann Ihnen sagen, er hat mehr gesunden Menschenverstand, als Sie ihm zutrauen.«

Frau Knowles schüttelte den Kopf und murmelte, daß diese Dinge keine Sache des gesunden Menschenverstandes wären, sie erklärte sich aber nicht über die Natur der Dinge, die sie im Auge hatte, und Gervis ersuchte sie um keine Erklärung. Etwas anderes aber fragte er sie.

»Sind Sie jemals zufällig auf Ihren Wohlthätigkeitsbesuchen mit einer Art Amphibium in Berührung gekommen, Namens Burvill?«

»O ja, mehr als zu oft. Er ist ein faulenzender, hirnloser, alter Taugenichts. Hat er Sie beschwindelt?«

»Das gerade nicht. Es traf sich aber, daß ich vor einiger Zeit in der Lage war, ihm einen kleinen Dienst zu erweisen, und um mir seine Dankbarkeit zu bezeigen, kam er jüngst zu mir und schwärzte mir einige meiner Freunde an, warnte mich auch feierlich davor, Vipern an meinem Busen zu nähren. Es scheint, als wäre ich ein Gegenstand der Fürsorge aller Klassen.«

»That er das? So viel richtiges Gefühl hätte ich dem Manne in meinem Leben nicht zugetraut. Sie mögen sich's auslegen, wie Sie wollen, mir aber spricht es sehr für ihn, daß er sich überhaupt mit der Sache behelligt. Es war recht aufmerksam von ihm.«

»Nicht wahr? Er hätte nicht mehr thun können, wenn er auch der Lord-Lieutenant selber gewesen wäre. Ich sagte ihm das auch. Nur – da er nicht der Lord-Lieutenant war und also ungestraft beschimpft werden konnte – fügte ich hinzu, er sei ein unverschämter Lümmel und wahrscheinlich ein Lügner obendrein. Danach gab ich ihm eine halbe Krone und schickte ihn zum Teufel.«

»Was für gottlose Redensarten! Mich wundert, daß er Ihnen nicht eins versetzt hat.«

»Ja sehen Sie, ich gab ihm erst die halbe Krone.«

»Und, bitte, was sagte er Ihnen?«

»Nun, ich glaube, er brachte ein paar Anschuldigungen gegen Fräulein Nina Flemyng vor.« Gervis erhob sich dabei langsam und zwängte sich in seinen Pelzrock hinein. »Wenn ich mich recht erinnere, so hatte er gesehen, wie sie jemanden küßte – ohne Zweifel ihren Vater oder einen ihrer Brüder, die sich gegen Weihnachten hier immer in großer Zahl versammeln sollen. Aber die Wahrheit zu gestehen, Frau Knowles, ich war bei der Sache nicht interessiert genug, um recht hinzuhören. Ich sehe leider ein, daß ich mich jetzt von Ihnen losreißen muß, meine liebe Freundin. Vielen Dank für Ihren Thee und Ihre wohlverdienten Strafpredigten. Es wird Sie interessieren, wenn ich Ihnen sage, daß mir vom Kopf bis zum Fuß alles weh thut und daß ich die schönste Aussicht auf eine schlaflose Nacht habe, um Ihre Worte noch gründlich nachwirken zu lassen.«

Damit entfernte sich der alte Diplomat.

Frau Knowles hat eine alte schätzbare Dienerin, die sie seit ungefähr einem halben Jahrhundert aus- und angezogen hat und der sie vor dem Schlafengehen einige der am Tage erfahrenen Unannehmlichkeiten anzuvertrauen pflegt. An diesem Abend redete sie die treue Dienerin folgendermaßen an: »Forbes, ich bin unruhig in meinem Herzen. Ich kenne da einen sehr liebenswürdigen jungen Mann, der sich stark in eine junge Dame verliebt hat. Sie mag ihre Fehler haben, kann aber sonst für eine ganz leidliche junge Dame gelten – nach dem Maßstab von heutzutage. Er ist zu jung zum Heiraten, und wenn etwas daraus geworden wäre, hätte ich mich jedenfalls recht gegrämt. Nun aber wird wahrscheinlich nichts daraus werden, und nun gräme ich mich noch mehr.«

»O, o! Hat die junge Dame ihm einen Korb gegeben?« fragt die alte Kammerfrau teilnehmend.

»Sie nicht, aber siehst du, Forbes, mein junger Gentleman hängt von einem Vater ab, der nicht so viel Herz in sich hat als ein Schellfisch. So wird es denn viel Jammern und Klagen geben und alles wird schief gehen. Ja, ja! Aber ich denke, sie werden schließlich auch darüber hinwegkommen.«

»Das thun sie ja meistens!« bemerkt die kluge Forbes und zieht sich zurück, ohne eine Frage zu stellen. Wahrscheinlich hätte ihre Gebieterin ihr nichts erzählen können, was sie nicht schon längst wußte.



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