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Neuntes Kapitel.
Allerlei Briefwechsel

Eine von den häufigsten und bittersten Klagen der Prinzessin Varinka gegen ihren abwesenden Gatten war, daß er bezahlte Spione halte, die jeden ihrer Schritte überwachen müßten. Im großen und ganzen trug sie diese vergebliche Verfolgung leicht genug, indem sie erklärte, sie habe nichts zu verbergen, und wer ein Interesse daran habe, ihre Lebensweise zu kennen, der möge sich diese Kenntnis verschaffen wie es ihm gefiele. Zuweilen aber ergriff sie eine Art Panik des Mißtrauens und in solchen Anfällen sah sie jedes Glied ihres Haushaltes mit bösen Augen an, ja, es kam nicht selten vor, daß sie in solcher Gemütsstimmunq ihre sämtliche Dienerschaft Knall und Fall entließ. Nicht einmal Fräulein Potts in ihrer unzweifelhaften Unschuld und Ehrenhaftigkeit war vor den grausamsten und unwürdigsten Beschuldigungen geschützt. Die arme Potts aber, die das ihr zugefügte Unrecht tief empfand, konnte sich doch von ihrer heißgeliebten Genoveva nicht trennen und blieb bei alledem in ihrer schwierigen Stellung, wenn sie auch mit roten Augen und herzbrechendem Aussehen umherging, bis Varinka es für gut befand, mit verschwenderischen Liebkosungen die freundschaftlichen Beziehungen zu »ihrer lieben Potts, ihrer guten, treuen Potts« wieder aufzunehmen. Als Beweis ihres wieder hergestellten Vertrauens ging dann die Prinzessin oft so weit, gelegentlich eine Zehnpfundnote von »ihrer guten, alten, treuen Potts« zu borgen; denn in diesem üppigen Haushalt, in dem das große Geld in Strömen floß, gab es häufig vorübergehenden Mangel an kleinem Gelde.

Nun hatte zufällig einer dieser wiederkehrenden Ausbrüche ein paar Tage vor der Abreise der Prinzessin Uranow von Southlands stattgefunden, natürlich nur, um mit der gebräuchlichen Versöhnung zu endigen, und ein Ergebnis dieser letzteren scheint in einer ziemlich umfangreichen Korrespondenz zwischen den beiden Damen bestanden zu haben. Ein Teil dieser Korrespondenz mag zur Vervollständigung unserer Familiengeschichte hier seinen Platz finden.

In der Korrespondenz zwischen Prinzessin Varinka und Fräulein Potts lautet Nr. 1:

 

Southlands, 18. August 187..

»Hochverehrte gnädige Frau!

»Ich beeile mich, den Empfang Ihrer liebenswürdigen Zeilen zu bestätigen, die mir mit dieser Morgenpost zugegangen sind. Ich versichere Sie, daß die schmeichelhaften Aeußerungen Ihres lieben Briefes nicht nötig waren, um mich zu überzeugen, daß Ihr Zweifel an meiner Treue nur ein vorübergehendes Mißverständnis war, das eben nur durch Umstände hervorgerufen wurde, mit denen ich wohl sympathisieren und daher vieles entschuldigen kann.

»Es ist gewiß äußerst natürlich, daß Sie die ausführlichsten Mitteilungen darüber wünschen, wie unsere teure Genoveva ihre Zeit hier verlebt, da sie doch jetzt Ihrer sorgenden Wachsamkeit beraubt ist. Gern stelle ich meine Feder zu Ihren Diensten und bedaure nur, daß ich nicht das Talent habe, die Ereignisse so lebendig und malerisch zu schildern, wie Sie, verehrte Prinzessin, dies in einem so eminenten Grade zu thun vermögen.

»Genoveva sagt mir, daß sie selbst Ihnen einen langen Bericht über ihren Besuch in Croft Manor geschrieben hat. Sie scheint sich dort sehr gut amüsiert zu haben, wenn auch nach allem, was ich von ihr und Herrn Claud gehört habe, das Benehmen der Gäste und Familienglieder ein höchst auffälliges ist, wie es sich nach meiner Meinung für Herren und Damen aus der Gesellschaft absolut nicht schickt. Doch haben sich freilich während meiner langen Abwesenheit die Sitten in England so vollständig geändert, daß ich mich nicht mehr für fähig erachte, ein kompetentes Urteil über diesen Punkt abzugeben. Auch muß ich Sir Frederick Croft, der zu meiner großen Ueberraschung an mich dachte und mir die freundlichsten Grüße sandte, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er freilich in manchen Dingen einen etwas fragwürdigen Geschmack zeigt, aber doch meiner innersten Ueberzeugung nach das Herz auf dem rechten Flecke hat. Er ist ein liebenswürdiger, hochherziger junger Mann, nur fürchte ich, ein wenig quecksilberig.

»Seitdem unsere kleine Gesellschaft wieder zu Hause ist, hat kein irgendwie bedeutender Zwischenfall den täglichen Kreislauf unserer Beschäftigungen und Vergnügungen gestört. Das beständig schöne Wetter in hiesiger Gegend, sowie die mannigfachen Zerstreuungen des englischen Landlebens, Ballspiel, Rudern, Cricket, Spazierenfahren und Reiten, haben Genoveva bei gutem Mute erhalten. Ich bin dankbar, sagen zu dürfen, daß ich unser teures Mädchen nie gesünder und heiterer gesehen habe.

»Wir haben hier viel ruhige Geselligkeit und sind so glücklich, mehrere ausnahmsweise angenehme Nachbarn oder besser Freunde zu haben, denn als solche betrachtet unsere Familie sie. Frau Knowles, von der Sie sicher gehört haben, hat die Zuneigung unserer jungen Leute in hohem Maße gewonnen. Sie besuchen sie oft in Beachborough und bringen die drolligsten Berichte mit über ihre excentrischen Reden und Manieren. Ich selbst hatte Gelegenheit, einige Worte mit dieser merkwürdigen Dame zu wechseln. Vor acht Tagen nämlich fuhr sie in einer altmodischen, dunkelgrünen Kutsche bei uns vor, um uns einen förmlichen Nachmittagsbesuch abzustatten. Sie schien jahrelang nicht in Southlands gewesen zu sein und interessierte sich aufs lebhafteste für die mannigfachen Veränderungen, die mit der Zeit an der Besitzung vorgenommen worden sind, bestand auch darauf, durch den ganzen Garten geführt zu werden, obschon sie nur mit Hilfe eines Stockes gehen kann. Sie war gerade im Begriff, wieder in ihre Kutsche zu steigen, als sie meiner ansichtig wurde. Sogleich näherte sie sich mir und fing ein Gespräch an. ›O, Sie sind Fräulein Potts, wie? Wie geht es Ihnen?‹

»Ohne eine weitere Einleitung kam sie mit einer Reihe kurzer, scharfer Fragen hervor, zuerst über Genovevas Erziehung und die Ausfüllung ihrer Mußestunden. Es gefiel mir nicht sehr, in dieser Weise ausgefragt zu werden; doch antwortete ich ohne Rückhalt, denn das Unerwartete des Angriffs und Frau Knowles' durchdringende Augen hatten mich ein wenig außer Fassung gebracht. Als sie aber so weit ging, ihr Urteil über gewisse Familienangelegenheiten abzugeben und von Ihnen, teure Frau, in nichts weniger als achtungsvollen Ausdrücken zu reden, da erkannte ich es als meine Pflicht, zu erklären, daß ich durch Bande der Liebe und Dankbarkeit an die Familie Gervis gekettet sei und mich zu entschuldigen bitte, wenn ich keinerlei Bemerkungen der Art über irgend ein Mitglied der Familie mit anhören könne. Darüber lachte Frau Knowles und sagte, es sei vernünftig von mir, daß ich nicht klatsche, und nach einigen weiteren Bemerkungen, die ich nicht wiedergeben will, stieg sie endlich in ihre Kutsche und fuhr davon. Sie ist, glaube ich, eine gute, wohlwollende Dame; aber offenbar thut sie sich auf ihre Weltklugheit viel zu gute und würde jedem ihre Gunst schenken, der in ihren Sarkasmus einstimmen könnte.

»Ein häufigerer und mir weit angenehmerer Gast in diesem Hause ist Herr Flemyng, ein Mann von hoher Gelehrsamkeit, dessen Unterhaltung nicht nur unterhält, sondern auch belehrt, wenn auch seine Themata oft für gewöhnliche Sterbliche, wie ich, zu hoch sind, und wenn er auch in der Behandlung religiöser Gegenstände eine Neigung zu weitherzigen – um nicht zu sagen freidenkerischen – Ansichten verrät. Das ist allerdings sehr zu bedauern; allein Herrn Flemyngs große natürliche Gaben, sein klarer Verstand und der erhabene Standpunkt, von dem aus er alle Probleme des Lebens betrachtet, die wir oft gedankenlos beiseite setzen, machen ihn zu einem schätzenswerten Mitgliede unseres kleinen Kreises.

»Natürlich ist ein so gearteter Mann eine verführerische Zielscheibe des Witzes gewisser cynischer Personen. Es hat mich mehrmals gekränkt, das schlecht verdeckte Lachen zu beobachten, mit welchem gewisse Manipulationen, die ohne Zweifel sorgsam vorbereitet waren, um ihn in Widersprüche zu verwickeln, begleitet wurden. Nichtsdestoweniger bin ich überzeugt, daß Gesellschaft und Beispiel eines solchen Mannes auf unsere jungen Leute nur wohlthätig einwirken kann.

»Ich wünschte, ich könnte ebenso günstig von seiner Tochter, Fräulein Nina Flemyng, denken und sprechen; aber das kann ich gewissenshalber nicht thun. Ihre Selbstbeherrschung, ihr Aplomb, mag von Herren bezaubernd gefunden werden, und ihre kapriziöse Veränderlichkeit von der extremsten Schweigsamkeit zur rückhaltlosesten Mitteilsamkeit mag manche Leute verführen, sie für ein Wesen zu halten, das nur seinen Impulsen folgt; mich aber hat sie nicht einen Augenblick betrogen, und wenn ich mein ganzes Herz ausschütten dürfte – (hier sind zwei Zeilen des Manuskriptes sorgfältig ausradiert). Die Wahrheit ist, sie ist ein schlaues Mädchen, dessen Absichten mir nur zu offen zu Tage liegen. Ich sage dies nur vertraulich unter uns, teure Frau, und ich bin gewiß, daß Sie es nicht weitertragen werden; aber ich fürchte, daß sie ihren Kopf darauf gesetzt hat, Herrn Claud zu fangen, und, was das Schlimmste ist, daß sie ihre Absicht erreicht hat. Er ist nicht öfter mit ihr zusammen, als morgens, mittags und abends, jetzt unter diesem Vorwand, jetzt unter einem anderen. Ob sie eine Gesellschaft zusammenbringt, einen Nachmittag in der Jacht umhersegeln, oder ob er nach dem ›Hause mit dem Graben‹ hinüberreitet, um Ball zu spielen; ob sie in den tiefen Wasserlachen zwischen den Klippen umherwaten, um Seegarnelen zu fangen (!) oder ob sie nach Farnkräutern botanisieren; eine Entschuldigung für ihr Beisammensein ist immer zur Hand. Ach, wenn die Männer nur die Mädchen so durchschauen könnten, wie wir! Wenn sie nur wüßten, was diese angenommene Kälte heute und die übertriebene Freundlichkeit morgen wirklich bedeuten – mit einem Worte, wenn sie nur eine Spur gesunden Menschenverstandes im Verkehr mit hübschen Frauen hätten, so würden solche Personen wie Fräulein Flemyng nie und nimmermehr einen Mann bekommen. Mir wird heiß und kalt, wenn ich bloß darüber schreibe. Daß der sonst so scharfsichtige gescheite Claud so blind in sein eignes Verderben läuft! Ich bin nur eine arme alte Gouvernante und sollte vielleicht meinen Mund halten und mich nicht in anderer Angelegenheit mischen; aber ich kenne Claud, seit er ein zierliches krausköpfiges Bürschchen war und daß er sich jetzt an so eine Männer angelnde Kokette wegwirft, das könnte mir das Herz brechen. Gestern nachmittag gehe ich auf den Felsklippen spazieren und was sehe ich am Strande unter mir? Claud steht auf einer Felsspitze mit seinem Fischnetze in der Hand und ein paar Ellen von ihm entfernt steht das verwünschte Mädchen und gestikuliert, wie sie sich fürchte, das seichte Wässerchen zu durchschreiten, das sie von ihm trennt. Natürlich plätschert er zu ihr zurück, es setzt Beschwörungen und Protestationen – und dann (kaum wage ich es zu schreiben) nimmt er wahrhaftig das schamlose Geschöpf auf den Arm und trägt sie hinüber!

»Teure Frau, ich fühle, daß ich ein wenig indiskret gewesen bin, indem ich dies schrieb, worüber ich mich sonst gegen niemanden geäußert habe. Aber es wird Ihnen zeigen, daß ich vollen Grund zur Besorgnis habe. Obgleich ich mit unserer lieben Genoveva kein Wort über den Gegenstand gewechselt habe, so weiß ich doch, daß sie meine Angst teilt. Wieviel hiervon von gewissen anderen Leuten gebilligt oder gemißbilligt wird, davon habe ich keine Idee. Aber ich kann mir schwerlich denken, daß es irgend jemand, der an Clauds Wohlfahrt ein Interesse hat, gleichgültig sein sollte, wenn er sich in so jugendlichem Alter mit einer so wenig wünschenswerten Dame verheiraten sollte.

»Aber es ist Zeit, daß ich diesen Brief schließe. Ich hätte nicht gewagt, ihn nur halb so lang zu machen, hätten Sie mich nicht gebeten, Ihnen eine genaue Beschreibung unserer Lebensweise und der mit uns verkehrenden Freunde zu schicken. In der Hoffnung, daß ich mich dieses Auftrages zu Ihrer Zufriedenheit entledigt habe, zeichne ich, verehrte Prinzessin,

in vorzüglicher Hochachtung und Ergebenheit
als
Ihre unterthänigste
Mathilde Potts.«

 

Nr. 2.

Villa Beausite, Trouville, 15. August 187..

» Allons, voyons, ma très chère Potts, qu'est-ce que vous me chantez là? Habe ich Sie um eine Beschreibung jenes unerträglichen alten Flemyng gebeten? Stellen Sie sich auch nur entfernt vor, daß ich mich für die Klatschereien der Frau Knowles oder für Clauds Liebesgeschichten interessiere? Lassen Sie ihn meinethalben alle junge Mädchen der Nachbarschaft in seinen Armen durch das Wasser tragen. C'est ›shocking‹, wenn Sie wollen, aber es ist seine Sache. Parlez-moi plutôt de notre jeune baronet. Wie geht es dem? Kommt er oft zu euch zum Besuch? Wird er freundlich aufgenommen? Und Genoveva – sieht sie ihn mit liebevollen Augen an? Das, meine gute Potts, ist es, was ich zu hören wünschte; das übrige ist mir höchst gleichgültig. Wenn Sie irgendwie wichtige Neuigkeiten mir zu berichten haben, dann werden Sie mir sogleich schreiben, nicht wahr? Aber um Gottes willen, plagen Sie mich nicht mit Ihren kleinstädtischen Klatschereien! Ich langweile mich dabei zu Tode und habe nicht die leiseste Neugier, zu erfahren, was man über mich denkt. Aber am Ende mag es Ihnen leichter werden, mir Ihre ganze Geschichte zu erzählen, als einen Teil derselben für sich zu behalten. Fahren Sie denn also nur fort, meine gute, ehrwürdige Potts, fahren Sie immer fort und seien Sie meiner Dankbarkeit versichert.

Ihre Varinka.«

 

Nr. 3.

Southlands, 19. Aug. 187..

»Verehrte gnädige Frau!

»Bitte, vergeben Sie mir, wenn mein voriger Brief zu weitschweifig geworden ist und wenn ich mich hinreißen ließ, Ihnen über Dinge und Personen zu schreiben, für die Sie keine Teilnahme hegen. Meine Entschuldigung möge sein, daß ich immer für Claud, den Bruder meiner teuren Genoveva, das lebendigste Interesse empfunden habe, auch wenn seine immer gleiche Herzensgüte ihm nicht meine Dankbarkeit gewonnen hätte. Entschuldigen Sie mich auch, teure Frau, wenn ich glaube, daß Sie selbst weniger gleichgültig gegen sein Glück sind, als Sie es mich wollen glauben machen. Ich will heute jedoch Ihre Zeit damit nicht mehr in Anspruch nehmen, als um Ihnen zu sagen, daß er sich noch ebenso emsig um Fräulein Flemyng bemüht, und daß wir hier wenig von ihm sehen, außer zum ersten Frühstück und zum Diner.

»Von Sir Frederick Croft hätte ich Ihnen in meinem vorigen Briefe ohne Frage ausführlicher berichtet, wäre er nicht längere Zeit bei irgend welchen Wettrennen gewesen und erst in den letzten Tagen zurückgekehrt. Jetzt jedoch ist er beständig in unserem Hause und hat sich die Liebe aller erworben.

»Teure Frau! Nur mit einigem Zögern wage ich es, über einen Gegenstand zu schreiben, der, so nahe er unser beider Herzen stehen mag, doch noch nie in klaren Worten zwischen uns erörtert worden ist. Ihr Brief kam gerade an dem Abend des Tages an, an dem Sir Frederick wieder hier eingetroffen war, und er befand sich in demselben Zimmer, wo ich Ihr Schreiben las. Es war mir wie eine plötzliche Offenbarung. Daß ich die Meinung Ihres liebevollen Herzens nicht früher erraten habe, nimmt mich selbst wunder; aber ich bildete mir ein (zu meiner Freude sehe ich jetzt, irrtümlich) daß Sie andere Absichten mit meinem geliebten Kinde hätten, daß Sie sie nicht gerne in einem englischen Hause untergebracht sähen.

»Nun, meine teure Frau, ich kann Ihnen berichten, daß, was ihn angeht, Sie keine Sorge zu haben brauchen. Ich habe ihn natürlich von dem Augenblick an, wo Ihr Wink mir die Augen öffnete, genau beobachtet, und ich zweifle nicht, daß er, wenn ich mir den Ausdruck erlauben darf, bis über die Ohren in Genoveva verliebt ist. Alles beweist es. Nicht nur, daß er jeden Morgen herübergeritten kommt, zum zweiten Frühstuck gewöhnlich hierbleibt und sich manchmal auch zum Diner nötigen läßt; nicht nur, daß er ihr einen jungen Dachshund geschenkt hat – ein lästiges Tier, das stets hinter mir herläuft, mich in die Hacken beißt und schon zwei Sofakissen verdorben hat –; nicht nur daß er sie verfolgt wie ihr Schatten und ihrem Violinspiel so andächtig zuhört, als hörte er die Engel im Himmel musizieren: dies alles würde nur zeigen, daß sie in seiner Phantasie lebendig wäre, und nach allem, was ich gesehen und gehört habe, ist Sir Frederick leicht verliebt, um nicht zu sagen wankelmütig. Aber es ist mehr als dies. Eine unverkennbare Veränderung ist mit dem jungen Manne vorgegangen. Er ist bei weitem nicht mehr derselbe, der er vor wenigen Wochen war. Sein Wesen ist melancholisch, oft förmlich abwesend, er ist sichtlich magerer geworden, und wahrhaft auffällig ist mir seine Ehrerbietung gegen Genoveva, deren leisester Wunsch ihm ein Gebot zu sein scheint. Möge es bis an das Ende ihres Lebens so bleiben!

»Nun aber zu ihr. Hier kann ich nicht so positiv sprechen. Wenn irgend jemand ihre Gedanken lesen könnte, so müßte ich es sein; ich aber bin noch nicht einmal sicher darüber, ob sie die Bedeutung von Sir Fredericks Anhänglichkeit schon erfaßt hat, noch weniger, ob sie in ihrem Herzen ein Echo derselben empfindet. Sie wissen, wie zurückhaltend sie ist und daß alle ihre Gefühle tief liegen und nicht leicht an die Oberfläche kommen. Heute morgen jedoch, als ich im Frühstückszimmer die Blumen ordnete, während sie mit Sir Frederick am Fenster saß, wurden einige Worte zwischen ihnen gewechselt, die mir viel zu denken gaben. Sie drängte ihn, ein würdiges Ziel zu suchen, dem er seine Muße und Energie widmen könne, und er gab zu, daß sein Leben ein zweckloses sei, klagte aber, daß er keine Möglichkeit sehe, daran etwas zu ändern. Für die parlamentarische Laufbahn fühle er sich nicht berufen und, fügte er in seiner spaßhaften Weise hinzu, ›außer etwa Straßenpredigten zu halten und bei Mäßigkeitsversammlungen den Vorsitz zu führen, wisse er von keiner würdigen Aufgabe für einen vermögenden jungen Mann.‹ ›Aber‹, sagte sie, ›Sie haben ja Ihr Gut; ganz gewiß würden Sie doch darin etwas Interessantes und Befriedigendes zu thun finden, wenn Sie sich nur danach umsehen.‹ Und dann fing sie zu meiner großen Ueberraschung an, ihm ganz kaltblütig ihre Ansichten über die Aufgaben eines idealen englischen Grundbesitzers auseinanderzusetzen.

»Als ich sie nun so geläufig über Pachtrechnungen und Landbau und die Lage der ackerbauenden Bevölkerung reden hörte, da mußte ich mich doch fragen, wie und warum sie alles dies gelernt hatte – Dinge, in denen sie vor vierzehn Tagen noch so unwissend war, wie ich heute. Ob es das Interesse an Southlands ist, was sie so viel Mühe nicht scheuen ließ, muß ich denn doch sehr bezweifeln. Kurz, ich hege den Argwohn oder vielleicht besser die Hoffnung, daß Ihr Wunsch sich verwirklichen wird. Ich hoffe von ganzem Herzen, daß die Wahl meiner geliebten Genoveva auf einen Mann fallen wird, der sie so hingebend liebt, wie Sir Frederick, und der so achtungswert und wohlmeinend ist, wie ich aufrichtig glaube, daß er es ist. Nur – (hier finden sich wieder mehrere Linien ausradiert, und die Schreiberin beginnt mit dem Folgenden eine neue Seite.)

»Aber ich hoffe, teuerste Frau, daß Sie einer thörichten alten Gouvernante verzeihen werden, wenn sie sich mancher üblen Vorgefühle nicht ganz erwehren kann. Die ganze veränderte Sachlage ist zu schnell über mich gekommen. Ich kann mich an den Gedanken nicht gewöhnen, daß ich mich so bald von meinem Herzenskinde trennen soll, noch kann ich vergessen, daß Sir Frederick sich erst ganz vor kurzem mit einer anderen Dame, jenem abscheulichen Fräulein Lambert, eingelassen hat. Wenn ich also meinen Brief etwas kürzer schließe, als ich es beabsichtigt habe, um meiner Wehmut nicht freien Lauf lassen zu müssen, so zürnen Sie, teure Frau, nicht

Ihrer aufrichtig ergebenen
Mathilde Potts.«

P. S. Was die Absichten und Wünsche einer gewissen Person über die von uns ins Auge gefaßte Möglichkeit betrifft, so habe ich darüber keine Ahnung. Er kann das, was vorgeht, nicht übersehen; aber er äußert weder Billigung noch Mißbilligung darüber. Zuweilen beobachtet er sie mit einer Art belustigten Lächelns und zieht dabei die Augen in seiner bekannten Manier zusammen; vielleicht wegen seiner Kurzsichtigkeit, meinem Gefühl nach aus verhängnisvoll spöttischer Ueberlegenheit.«

 

Nr. 4.

Trouville, 22. Aug. 187..

»Sie abscheuliche Potts! Sie herzlose heuchlerische Potts! Wie können Sie sich erdreisten, mir eine so schauerliche Nachricht in das Gesicht zu schleudern und sich dabei noch zu stellen, als glauben Sie, mir eine Freude zu verursachen? Daß Sie mich betrügen und hinter meinem Rücken ein Komplott gegen mich schmieden, das überrascht mich nicht, das habe ich Ihnen zugetraut; daß Sie mit meinen Feinden unter einer Decke stecken und mich dabei fortwährend Ihrer Treue versichern, das ist nicht mehr, als ich von jeher von Ihnen erwartet habe. Aber daß Sie die Unverschämtheit besitzen, nur Ihre Schliche aufzudecken und mir noch zuzumuten, daß ich – ich – den Wunsch gehabt hätte, eine Verbindung zwischen Genoveva und einem Engländer, den ich auch noch nicht einmal gesehen habe, zustande zu bringen – mais ça n'a pas de nom! Sie treiben es zu arg, Potts! Sie sprechen sich recht behaglich darüber aus, wie diese Heirat, diese Trennung von Ihrem ›geliebten Kinde‹ Ihnen zu Herzen geht. Et moi donc? Ist sie nicht mein Kind ebensogut wie das Ihre? Hat sie nicht unter meinem Dache ihr Leben zugebracht? Und jetzt – jetzt kommen Sie mit den anderen dahin überein, sie in England zu verheiraten, wo Sie wissen, daß ich nicht atmen kann, und wo sie mir so verloren ist, als wäre sie tot!

» Mais il n'en sera rien. Noch mit dieser Post erhält Gervis einen Brief von mir. Ich erinnere ihn an sein Versprechen, an seinen Eid. Ich verlange, daß Genoveva mir unverzüglich zurückgegeben wird, und ich decke Ihre Heuchelei auf, Sie schändliche Potts! Wahrscheinlich werden Sie mit ihr kommen. Es ist Ihre Schuldigkeit, und Ihr Zimmer wird in Ordnung gebracht werden. Aber reden werde ich nicht mit Ihnen. Und erlauben Sie sich nicht, mir noch einen Brief zu schreiben. Sie haben mir einen Dolch ins Herz gestoßen und ich kann Ihnen nie vergeben.

Varinka, Prinzessin Uranow.«

 

Nr. 5.

Southlands, 26. Aug. 187..

»Gnädigste Prinzessin!

»Trotz des Verbots, das Sie mir auferlegt haben, sehe ich mich gezwungen, Ihren gestrigen Brief zu beantworten, der, wie ich kaum zu sagen brauche, mir viel Kummer verursacht hat. Vielleicht rette ich meine Würde am besten dadurch, daß ich die beleidigenden Anklagen und Schimpfnamen, die Sie gegen mich schleudern, unbeachtet lasse und es Ihrem eigenen Gewissen anheimstelle, Ihnen zu sagen, ob ich dieselben verdient habe oder nicht. Was ich versehen habe, ist erstens: daß ich den Sinn Ihres vorigen Briefes mißverstanden, und zweitens, daß ich unvorsichtigerweise Eindrücke, die vielleicht ganz trügerisch waren, dem Papier anvertraut habe.

»Ich muß nun sagen, daß ich eine Bestellung von Herrn Gervis an Sie zu machen habe. Allein ich kann diese Aufgabe nicht erfüllen, ohne erst eine kurze Erklärung vorauszuschicken.

»Heute morgen nach dem Frühstück saß ich allein im Garten, als ich Herrn Gervis mit einem offenen Briefe in der Hand auf mich zukommen sah. ›Sie haben heute Nachricht von der Prinzessin erhalten?‹ sagte er. Ich nickte bejahend. ›Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen,‹ sagte er, denn ich war nicht imstande, die Bewegung, in der er mich überraschte, ganz zu unterdrücken. ›Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir. Ich bin auch mit einer Sündflut von Schimpfreden bedacht worden, ganz so gewichtig, wie die, welche auf Sie gefallen sein kann, und Sie sehen, mich hat es vollkommen ruhig gelassen.‹

»Er machte dann verschiedene Bemerkungen über die Gefahr und die Thorheit des Briefschreibens, dem er selber deshalb seit Jahren entsagt habe; höchstens schreibe er noch Geschäftsbriefe. ›Aus diesem Grunde,‹ setzte er hinzu, ›will ich Sie bitten, in Ihre Antwort an die Prinzessin meine Antwort einzuschließen.‹

»Ich wagte zu erwidern, daß mir ein solcher Auftrag über die Maßen verhaßt sein würde, worauf er meinte, mit eigener Hand zu schreiben, würde ihm ebenso verhaßt sein, und dem Selbstleiden ziehe er schließlich doch vor, mich leiden zu lassen. Danach diktierte er mir die Botschaft, die ich Ihnen übermitteln sollte. ›Erinnern Sie die Prinzessin erstens, daß ich ihr durchaus kein bestimmtes Versprechen gegeben habe. Erinnern Sie sie zweitens, daß ich ihr meine Meinung entschieden gesagt habe, und daß es dabei bleibt. Teilen Sie ihr drittens mit, daß es nicht meine Absicht ist, Fräulein Gervis jetzt nach Frankreich zu senden, daß aber die Summe für ihren Unterhalt, die bis jetzt vierteljährlich bei dem Banquier der Prinzessin eingezahlt worden ist, auch fernerhin einlaufen soll, ob der Besuch meiner Tochter verlängert wird oder nicht. – Das, hoffe ich, wird ihr zur Beruhigung dienen,‹ äußerte er und wandte sich weg, um zu gehen. Angst und Aufregung machten mich kühn genug, ihn noch einige Minuten festzuhalten, während welcher ich ihm meine Besorgnisse wegen Genoveva auseinandersetzte und ihn anflehte, das teure Kind doch nicht der Gefahr einer ernsten Liebe auszusetzen, wenn doch beschlossen sei, daß nichts daraus werden solle. Er hörte mir sehr geduldig zu und sprach in Ausdrücken, die ich, wenn sie aufrichtig gemeint waren, nur sehr anerkennend nennen kann, von meiner Anhänglichkeit an meinen ehemaligen Zögling. Aber er gab mir auf meine Frage keine bestimmte Antwort, sondern hob nur hervor, daß die Welt für uns alle voll von Gefahren sei, und daß er sein Haus weder vor Sir Frederick Croft noch vor anderen jungen Männern verschließen könne, bloß weil die Möglichkeit vorliege, daß einer um die Hand seiner Tochter anhalten und von ihm etwa eine abweisende Antwort bekommen könne. Ich sah mich gezwungen, die Richtigkeit dieser Bemerkung anzuerkennen und damit hatte unsere Unterredung ein Ende.

»Ich habe Ihnen, gnädigste Prinzessin, hiermit einen ausführlichen, wahrheitsgetreuen Bericht über diese Unterhaltung gegeben. Ich enthalte mich aller Bemerkungen darüber, da dieselben in Ihrem gegenwärtigen unglücklichen Gemütszustande doch nur auf Widerstand bei Ihnen stoßen würden. Ich halte es jedoch für meine Pflicht, hinzuzufügen, um späteren Anklagen Ihrerseits zu entgehen, daß Sir Frederick Croft sich augenblicklich in diesem Hause aufhält, wo er eine Einladung für drei Tage erhalten hat, da in Beachborough eine Regatta stattfindet und seine eigene Familie sich jetzt nicht in dieser Gegend befinden soll.

»Ich bin, während ich dies schreibe, allein im Hause, da die ganze Gesellschaft schon am frühen Morgen nach Beachborough gefahren ist, um dem Wassersport beizuwohnen. Die jungen Leute waren gütig genug, mich dringend zu bitten, daß ich sie begleiten solle; ich fühlte mich aber nicht in der Gemütsverfassung, ihren freundlichen Bitten nachzugeben, und wollte den Frohsinn der Gesellschaft nicht durch meine Gegenwart dämpfen, da ich nie imstande bin, eine heitere Außenseite anzunehmen, während ich inwendig unter dem unverdienten Mißvergnügen derer leide, denen ich für immer mit Treue ergeben bin.

Ich habe die Ehre, gnädigste Prinzessin, zu sein
Ihre gehorsame Dienerin Matilda Potts.«



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