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Von Willibald Alexis.
Kein guter Mann reitet gern durch eine Heide, wenn der Abend anbricht und Schneewolken am Himmel stehn. Das ist noch itzt so, wo vieles besser ist als ehedem. Denn an den Kreuzwegen stehen Pfähle mit hölzernen Armen dran, die weisen rechts und links, oft auch vorwärts und zurück; und kann man's auch nicht mehr lesen, was dran steht, man kann's doch denken. Aber in alten Zeiten, da waren die Heiden anders, und zumal die in den Marken, nach der Ostsee zu und nach der Nordsee. Da konnte man meilenlang reiten und sah keinen Pfahl und keinen Menschen, und die Wege schnitten sich im Sande nicht anders, als wie die Karren gefahren und die Rosse ihre Hufe im Boden gelassen. Es suchte jeder sich seinen Weg, der ihm gefiel. Und kein Dorf und kein Haus und keine Heidewärterhütte; kein Rauch wirbelte auf und kein Hund schlug an. Das war eine Einsamkeit, die kein Menschenherz liebt; auch hat's in den Marken wenig Einsiedler gegeben. Die, wenn sie auch die Menschen scheuen und ihre Stimme, wollten doch den Gott sprechen hören, der Himmel und Erde schuf; und seine Stimme tönt im Murmeln des Quells, der von den Steinen fällt, im Gesang der Vögel, die in den grünen Bäumen nisten, und im Rauschen der Laubwälder, was gar mächtig auf die Seele wirkt. Aber hier gab's keine Quellen und Felsen, und der Sturm, so er in die meilenlangen Kiefernwälder sich wirft, das ist kein Rauschen wie Gottes Allmacht, auf dessen Fittichen, wo er zerstört, sein Segen fliegt. Das knarrt und stöhnt und ächzt und heult als wie der ewige Jammer, der in der Natur ist und nach Erlösung seufzt und sie nicht findet. Da ist kein Wechsel in den Stimmen, es ist das ewige Einerlei, und das Herz, das warm schlägt, fröstelt und sehnt sich hinaus.
Und so einsam es ist und still, es spricht doch laut ein Geist durch diese Wälder, wo die Stämme sonder Büsche in die Höhe starren, und über diese öden Felder, wo das Heidekraut in allerhand Farben blüht. Das ist der große Klagegeist der untergegangenen alten Geschlechter und Völker, die ehedem hier gehaust, und nun sind sie nicht mehr. Die Wälder schallten wider von ihrem Hörnerklang und lustigem Jagdgetön, die Flüsse und Seen vom Gesang der Fischer und Fischerinnen, der Rauch schlängelte sich von ihren gastlichen Hütten durch die Kieferwipfel, und jeder Fremde, der an ihre Schwelle trat, war willkommen. Da floß Milch und Honig und Met, und der Kaufmann zog befreundet und sicher durch ihre Gauen. Die sind nicht mehr; der eherne Fuß des Deutschen trat sie nieder. Ihre Götterbilder zerschmetterte seine Axt, ihre Wohnungen verbrannte er; er machte sie zu Sklaven oder scheuchte sie in die Sümpfe. Ihre laute Stimme verhallte; sie tönt nur noch wie das nächtlich schrillende Geheul der Eule. Und ihre Augen blinzeln scheu, sie schlagen sie nicht mehr auf, und ihre Väter, die große Helden waren, haben sie vergessen. Das ist der Klagegeist, der durch diese Heiden streift und das Herz bang macht. Der Sturm ist sein Gesang. Er fragt, wo die sind, die ehedem waren? Er zählt die runden Hügel auf den Höhen, und ihrer sind so viele, und unter jedem schlafen Geschlechter.
Da zumal sind die Heiden lang und öde und unfreundlich, wo die Marken an die Lausitz stoßen. Kaum benarbt mit dürrem Heidekraut ist auf lange Strecken der unfruchtbare Boden, und die Kiefern starren traurig in die Wolken. Hierhin folgte kaum der Zorn des Sachsen dem flüchtigen Wenden. Er ließ ihn sitzen in den Sumpfwäldern der Spree und auf den Sandflächen, wo nur der Buchweizen gedeiht. Es ist ein Land für Verstoßene, und lange noch ward hier wendisch gesprochen weit und breit, und noch itzt sitzt ein zerstreutes, vereinzeltes Völklein dort, hangend an den alten Sitten und der alten Sprache. Es singt selbst noch alte Lieder bei der Ernte, und auf dem Leiterwagen, wenn sie mit bunten Bändern geschmückt zur Hochzeit ziehen und die Braut holen. Sie sind wieder froh worden, haben die alte Zeit vergessen.
Durch diese Heiden führte der alte Weg ins Sachsenland und nach Böhmen. Wer ihn zog, sah sich wohl vor. Der Herbergen gab es kaum eine, auch Schlösser und Grenzburgen wenige. Die Städte liegen weit voneinander und schirmen sich zwischen Sümpfen, durch hohe Mauern, Türme und Gräben. Und wenn ein einzelner Wandersmann, ein Reiter allein des Weges zog, war ihm doch die Einsamkeit fast lieber, als wenn er im Busch das Laub rascheln hörte und fern vom Waldessaum ein Schatten ihm begegnete. Er kreuzte sich und spitzte die Ohren und mit verhaltenem Atem schritt er vorsichtig zu. Wie schauten sich zween Wanderer, die sich begegneten, jeder den andern von fern an, ehe sie näher traten, und so sie mit'nander sprachen, wogen sie die Worte ab. Und war's geschehen, und sie einander vorüber, dann nahm jeder wohl noch die Hacken in die Hand. Wer war sicher, ob der andere nicht hinter ihm kehrtmachte und hinterrücks ausführte, was er Stirn gegen Stirn nicht gewagt. Und die rohen Holzkreuze hie und da am Weg, wo einer erschlagen war, und fromme Leute hatten es ihm errichtet, gaben Grundes genug zu solcher Furcht. Da bleichte wohl gar im Dickicht ein weißes Gebein, und es waren keines Pferdes, keines Hundes und keines Wolfes Knochen. Oder sie hatten, wenn gute Leute einen Schnapphahn fingen, und er gerichtet ward, an Ketten ein Glied von ihm am Baum aufgehängt. Auch Steinhaufen sah man dort. Wo ein Mann unter schlimmen Händen blutete, ist's jedes, der vorübergeht, fromme Pflicht, daß er ein Steinlein hinwirft; denn wer errichtet dem armen Wicht einen Leichenstein! So werden aus den Steinlein große Haufen, und der fromme Wandersmann betet ein Ave Maria still für die Seele, und weiß doch nicht, wem es gilt, ob es ein Feind ihm war oder ein Freund.
Ach schon zu Mitsommers Zeiten, wenn der Himmel klar ist und die Mittagssonne niederbrennt auf die Kiefern und die Heidefelder, ist die Einsamkeit dort gar schaurig. Wenn sich so kein Lüftchen regt, und die Kiefern schwitzen Harzdüfte aus, die die Sinne befangen, und die Wespen und Bienen summen um die violetten Heideblüten. Und ringsum weit kein Ton als der Specht, der gegen die Stämme hämmert, und dein eigner Fußtritt, lieber Wandersmann, der auf den glatten Kiefernadeln glitscht, und der Sand ist so heiß, und du kommst nicht weiter. Dann wird dir recht bange in der märkischen Heide, und du horchst, wenn ein Lüftchen geht und die Kieferwipfel wiegt, wenn die ausgedörrten, roten Stämme knarren und ein Eichhörnchen von Ast zu Ast raschelt. Dein Gaumen ist trocken und du beißest in die Spitzen der frischen Kiefernadeln, die eine betäubende Würze haben. Es ist aber keine Erquickung. Und das Wasser, wenn dein Auge es wo sieht, bietet dir auch keine Labung. Rot, grün und gelb schillert es aus der Tiefe entgegen, von Schilf und Binsen umkränzt, und weiße Mummeln schwimmen auf dem tückischen Wasserspiegel, und darunter singen die Frösche einen unheimlichen Gesang. Es wird da alles unheimlich, aber das süße Märlein weilt hier nicht.
Und ist's schon so im Mitsommer, wie erst im Herbst, wie im Winter, wo das sparsame Laubholz sein grün Kleid abgeworfen und der Sturm die braunen Blätter über die Heiden fegt! Der klare, frische, frostige Wintertag, das ist freilich ein Weihnachtsfest, und auch die Heiden feiern es mit. Da strecken aus der weißen Schneedecke die Kiefern ihre dunkelgrünen Arme und Häupter empor und schütteln sich in Hoheit. Aber es ist nicht immer Weihnachten im Winter. Das Himmelslicht ist mit düsteren Schneewolken gedämpft, es rieselt kalt und naß herab, es droht unheimlich, und kalte Stürme reißen durch die Wolken und peitschen sie. Dann ist's in den Heiden schauerlich, und wen der Wind treibt und der Schnee ereilet, und er hat den Weg verloren und sucht nach einem Obdach, das er nicht weiß, und die Nacht kommt über ihn, dem sei Gott barmherzig.
Aus: W. Alexis, Der Roland von Berlin.
Von Ernst von Schönfeldt.
In welch wahrhaft fürchterlicher Weise der Dreißigjährige Krieg unser deutsches Vaterland verheert und verwüstet hat, ist aus der Geschichte hinlänglich bekannt. Wo ganze Dörfer niedergebrannt, die Einwohner ausgeplündert, vertrieben oder totgeschlagen waren, da hielt es auch nach dem Frieden schwer, in geordnete Zustände zurückzukehren. Scharen von arbeitsentwöhntem Gesindel zogen durch das Land, und der Mangel einer starken Staatsgewalt machte es unmöglich, mit kräftiger Faust durchzugreifen. Vergebens waren die Landesherren bemüht, die Herumziehenden an die Scholle zu fesseln, aus Landstreichern Bürger und Bauern zu machen. Niemals ist der Grund und Boden in solchem Umfange fast umsonst zu haben gewesen, wie in der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts. Im Jahre 1602 – also vor dem Kriege – hatte Kurfürst Johann Georg in den Marken eine Landrolle anfertigen lassen; ihr zufolge zählten die ritterschaftlichen Dörfer des Kottbuser Kreises (in seinem alten Umfange) 1336 selbständige Wirte. Aber trotz harter Arbeit des Großen Kurfürsten war man volle 50 Jahre nach dem Kriege erst soweit gekommen, die angesessene Bevölkerung der Dörfer im Kreise – wie die »spezifikation derer Dörffer Anno 1699« nachweist – auf 5/6 des vorigen Standes: 1124 statt 1336 zu bringen.
1713 gelangte in Preußen König Friedrich Wilhelm I. zur Regierung. Es war eine seiner hauptsächlichsten Bestrebungen, für die »Peuplierung von Dero Lande« eingehende Sorge zu tragen. Bereits unterm 29. Juni 1714 erließ er ein dahin zielendes Patent, infolgedessen im Kottbuser Kreise 20 Bauern- (nämlich 3 Großbauern-, 13 Kossäten-, 4 Büdner-)höfe mit Eigentümern neu besetzt wurden. Dem Könige genügte dies nicht; er verlangte unterm 21. Juli 1717 eingehenden und spezifizierten Bericht, bei Vermeidung von 100 Talern Strafe, innerhalb vier Wochen. Aber zu so detaillierten Angaben, wie der König sie befahl – namentliche Angabe in jedem einzelnen Dorfe! – war nirgends das Material vorhanden, und die Schulzen waren damals wohl auch noch nicht so schön ans Berichteschreiben gewöhnt wie heutzutage. Der Landrat Adam Jobst von Löben auf Krieschow rief eiligst einen »extraordinären Kreis-Convent« nach Kottbus zusammen, und dieser beschloß, zwei Deputierte auf sämtliche Dörfer der Ritterschaft herumzusenden, mit den Leuten weiter zu verhandeln und über die genaue Lage der Dinge an den König zu melden. Am 9. August 1717 brachen die beiden, Heinrich Wilhelm von Pannwitz auf Babow und Müschen und der Advokat, nachmalige Bürgermeister von Kottbus, Emanuel Pyra, auf; am 28. September kehrten sie wieder zurück, 50 Tage waren sie unterwegs; wofür sie alsdann eine Kostenentschädigung von Summa Summarum 25 Talern (!) einreichten. Würden heute 2500 reichen? Die Berichte aus den Magistrats- und Amtsdörfern liegen nicht vor, wir haben es hier nur mit den Ritterschaftsdörfern zu tun. Der Erfolg war, daß Pannwitz und Pyra abermals 33 Höfe mit Eigentümern (3 Bauern, 19 Kossäten, 11 Büdnern) besetzten, es indes nicht erreichen konnten, für fernere 71 Höfe (35 Großbauern, 34 Kossäten, 2 Büdner), zu welchen 49 4/6 Hufen Landes (1500 Morgen) gehörten, Leute zu finden, welche sich erboten, sie als Eigentum in Besitz zu nehmen. In jedem einzelnen Dorfe wurde die Gemeinde zusammenberufen, befragt und zu Protokoll genommen; ebenso die Gutsherrschaft. Es verlohnt sich der Mühe, aus diesem Protokoll die Gründe zu ersehen, weshalb es mißlang, für 71 Höfe einen Besitzer zu ermitteln. Die angeführten Gründe – meist trafen mehrere zugleich zusammen – waren:
1. Mangel an Menschen im Dorfe (Gosda, Drieschnitz, Groß- und Klein-Oßnig, Krieschow); in den beiden letztgenannten Dörfern sowie in Trebendorf waren die wüsten Höfe zweimal öffentlich ausgeboten. In Krieschow hatte der Landrat von Löben eine Prämie demjenigen geboten, der den Hof übernehme; in Bahnsdorf hatte der Hauptmann v. Buchner erklärt, wenn sich keiner melde, würde er einen zum Besitzer ernennen, »welcher, im Fall er es refusierte, nach Peitz auf die Festung gebracht werden solle«.
2. Mangel an ausreichender Viehweide (Drieschnitz, Bahnsdorf, Klein-Oßnig, Reinpusch). Die Ernährung des Viehes fand fast ausschließlich durch Hutung statt, Stallfütterung und Anbau von Futterkräutern waren unbekannt; jede Vermehrung der Hofstellen brachte daher eine wesentliche Benachteiligung der schon vorhandenen Besitzer mit sich. In Reinpusch, welches gänzlich wüst lag, wurde der Wiederaufbau u.a. deshalb für völlig unmöglich erklärt, weil es keine Viehweide habe. Sie war von Klein-Oßnig annektiert worden.
3. Vielfach hatten die vorhandenen Wirte im Dorfe die zu den wüsten Höfen gehörigen Acker bereits unter sich geteilt (Bresinchen, Frauendorf, Gablenz, Klein-Oßnig, Papitz, Trebendorf) und derjenige, welcher etwa einen Hof annahm, hätte sich unfehlbar die Feindschaft aller zugezogen.
4. Mehrfach waren die Wüstungen vom Gute in Besitz genommen worden, teils mit landesherrlicher Genehmigung (Gahry), teils ohne sie; in jedem Falle lag dem Gutsherrn die Übernahme der auf dem Hofe lastenden Steuern und Abgaben ob. Ausnahmslos (in Gosda, Leuthen, Milkersdorf) erboten sich die Besitzer, die Wüstungen gegen Wiederabnahme der Lasten herauszugeben.
5. In mehreren Dörfern konnten oder wollten die Leute nicht aufbauen, meist, weil der dazu gehörige Acker nicht genügte und es an Kapital fehlte (Bresinchen, Frauendorf, Geisendorf).
6. Aus bösem Willen! Es war eine lebhafte Agitation im Schwunge, und »der Erzrebell Hans Lehmann« hatte die Forderung gestellt, die Leute sollten sich nur dann zur Ansiedlung bewegen lassen, wenn vorher sämtliche Ritterhufen (Gutsländereien) unter die Gemeinden verteilt wären. Besonders in der Drebkauer Gegend hatte er die Gemüter erregt. In Bahnsdorf weigerten sich die Leute, obgleich ihnen freies Holz zum Bau bewilligt war; in Görik, obgleich ein Teil der Gebäude bereits da war; in Geisendorf, Lindchen, Ranzow und Müschen standen Wohnhaus, Stall und Scheune bereits fertig da, und der dazu gehörige Acker war angewiesen. Vergeblich! Und in Kalkwitz gaben sie zu Protokoll, daß sie nur dann einen Hof anzunehmen sich bequemen wollten, wenn sämtliche Gebäude fix und fertig mit vollem Inventarium an Vieh und Gerät und die Ländereien beackert und besät ihnen übergeben würden.
E. v. Schönfeldt. Aus alter Zeit. Beiträge zur Geschichte der alten Herrschaften Kottbus und Peitz. Kottbus, Verlag von E. Kühn.