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Die Zauche

Werder

Wißt ihr, was der Frühling ist für die Mark, der Maienfrühling, die Auferstehungszeit? Unserer Heimat mildes Antlitz strahlt wie ein beglücktes Menschengesicht, glänzt wie von neuem Leben und lacht im Frühling, während es in den anderen Jahreszeiten ernst und schweigsam bleibt. Der Frühling ist nirgends schöner, kann nirgends schöner sein als in der Mark, denn nirgends bleibt ihm mehr zu tun als hier. Nirgendwo tritt der Gegensatz zwischen Winter und Lenz so überraschend hervor wie im seenreichen Flachlande. Doch die Landschaft lohnt dem Frühling seine Liebe auch, und wenn bevorzugtere Gegenden ihren vollen Reiz erst im Juni und Juli oder gar im Herbst entfalten, so bedeuten für uns die Tage der ersten Blüte auch die der höchsten Blüte des Jahres.

Das märkische Frühlings-Lieblingskind aber ist die Havellandschaft um Werder.

Von der stillen Nachbarresidenz Potsdam her führt uns über Wackermannshöhe und den Brauhausberg an der ewig schönen Havel entlang unser Weg gen Caputh. Wir sehen schon aus der Ferne seine Häuser und seine blühenden Bäume weißlich schimmern.

Wie freundlich und dabei voll gemessener Würde grüßt Caputh! Am Ufer der blauen Havel dehnt es sich wohl eine halbe Meile weit, glänzend und traulich dabei. Jedes Häuschen umhegt ein Obstgärtlein, und jedes Gärtlein ist mit vielen Tausenden weißer Kirschblüten geschmückt. O, welche funkelnden kostbaren Geschmeide für die niederen Hütten! Vor den Türen stehen Schiffer in ihren Teerjacken, den Priemstift im Munde, die Hände in den Hosentaschen, und sehen ihren Sprößlingen zu, die sich jauchzend im Sande der Straße sielen. Ein sonderbarer Geruch, aus Teerbrodem und Blütenduft seltsam gemischt, durchzieht das Dorf.

Der Gartenboden von Caputh ist arm, sehr sandig und undankbar. Das Dorf nährt trotzdem seine Bewohner, denn was die Erde an klingendem Gewinn versagt, gibt das Wasser her. Während die Caputher Frauen sich mit der Pflege ihrer Obstbäume befassen und dem hellen Sande so viele Früchte abringen, wie mühevoller Fleiß es ermöglicht, liegen die Männer zumeist dem Schiffergewerbe ob, das hier reichen Lohn abwirft. In Glindow befinden sich große Ziegeleien, deren Erzeugnisse auf Caputher Kähnen zumeist nach Berlin geschafft werden. Dazu kommt, daß in Caputh auch die Kähne anderer Havelstädte gern zu kurzer Rast anlegen und die Reede des Dorfes zuweilen von schwerbeladenen Schiffen wimmelt. Das Bewußtsein seines Wertes aber verleiht dem Caputher ein stolzes Selbstgefühl, und wenn die patrizischen Familien des Handelsemporiums am Schwilow auch mit denen der Kaufmannsstadt Hamburg hinsichtlich des Reichtums und der Prachtentfaltung nicht wetteifern können, an Stolz stehen sie ihnen ganz gewiß nicht nach. Wer im Schoße der Caputher Aristokratie geboren wird, erfährt bald, daß harte und angestrengte Arbeit sein Los ist; die Kleinen werden von frühester Jugend an in den Gärten beschäftigt, die halbwüchsigen Jungen machen sich auf den Werften nützlich oder nehmen an den abenteuerlichen Seefahrten der Alten teil. Und man muß sehen, wie kräftig die schlanken Burschen anfassen, wie unermüdlich sie das Stoßruder gebrauchen und treideln, wie sie die Segel zu handhaben wissen! Aber der Caputher ist auch eingebildet auf sein schwieriges Gewerbe und verachtet die ackerbautreibenden Binnendörfler; auch fragt er, herangewachsen und heiratslustig, immer zuerst nach der Mitgift. Zu Mesalliancen ist er kaum geneigt. Caputh scheint ihm die Krone der Landschaft, der Sitz echter Gesittung und rechter Lebensweise, ganz wie es Hamburg für seine Kaufherren und Schiffskapitäne ist.

Den prächtigen, breit ausgegossenen Schwilow zur Seite, gelangen wir auf birkenbestandenem Wege an der freundlichen Villenkolonie Franzensberg vorbei nach Baumgartenbrück, dem hochberühmten, dem schönsten Dorfe im Land, dessen Name und Ursprung so viel umstritten ist.

Baumgartenbrück lohnt die Mühsale einer Pilgerfahrt. Wer einmal von der Höhe seines Aussichtsturmes hinabgeschaut hat in das Gefild, auf das in Blütenschnee gehüllte Werder, das wie ein großer weißer Blumenstrauß in amethystener Schüssel ruht, auf das schattige Birkicht zu seinen Füßen und auf die einzige Havel, die im Halbkreise das Land umwindet, wessen Blick dann weiterschweifte, über Wäldermassen und Saaten nach Potsdams emporsteigenden Türmen und über die unruhvollen Wellen des stolzen Schwilows – der spottet nicht mehr über unsere Mark.

Eine luftige Brücke führt von Baumgartenbrück ans jenseitige Havelufer. Rechts und links, vorn und hinten glitzert Wasserblau, Blütenweiß und Kieferngrün; von Süden her lugt Ferch aus den Schwilowwogen. Alt-Geltow, laubumkränzt, mit seiner hübschen Kirche, die ihm Kaiser Friedrich schenkte, lacht uns wie eine geschmückte Dorfschöne entgegen. Zu sehen, wie das breit ausgegossene Sonnenlicht über die klare Flut dahinweht, wie der mächtige Feuerball vom Morgen bis zum Abend in ihr sich spiegelt und immer neue Farbenwunder hervorzaubert – es ist ein Schauspiel, daran sich das Herz nicht zu sättigen vermag. Wortlos, spähend und horchend, starrt man in die Pracht hinaus – durch die tiefe Stille zieht ein leises Rauschen, gleich ruhigen Atemzügen der schaffenden Natur.

Linker Hand ragt einsam mitten aus dem Wasser eine fröhlich grünende Weide, die ein Schwanennest birgt. Der Schwilow ist nicht übermäßig tief und kann sich deshalb so artige Spielereien erlauben.

Jetzt ziehen wir, Alt-Geltow, das seine, am gegenüberliegenden Havelufer nicht mehr aus den Augen lassend, die Landstraße hinauf nach Werder. Nicht lange, und die Obstpflanzungen treten dicht an den Weg heran, Häuser tauchen auf, Kinderstimmen werden laut. Der herrliche Frühlingstag hat uns heute sein Schatzkästchen geöffnet und uns seine Reize insgesamt enthüllt, aber diese augenblendende Schönheit, dies unermeßliche, süß duftende Blütenmeer hätten wir nicht erwartet! Werder im Lenz! Ein märchenhafter, nein mehr als das, ein hinreißender, die Sinne entflammender Anblick! Langsam an den Pflanzungen vorbeischlendernd, aus deren weißem Sand die Obstbaumwälder aufsteigen, Obstbaumwälder von einer Pracht der Blüten und Farben, daß ein einziger Schrei des Entzückens sich dem Herzen entringt, haben wir bequeme Muße, jeden Zweig ins Auge zu fassen und die gebenedeiten Schönheiten dieses Paradiesgärtleins in langen, durstigen Zügen einzuschlürfen. Von Blüten bereift alles, was wir erblicken; kaum hier und da ein grünes Blatt, das dann wie etwas Ungewohntes, Seltsames anmutet, sonnenvergoldete, phantastische Baumformen, dazwischen der Pfirsichblüten seines Rot.

Der Wind weht Wellen eines würzigen Duftes herüber, um den Ceylon Nordland beneiden könnte, und wenn der Weg auf die Höhe führt, sehen wir unten die leise wogenden, schier unendlichen Blütenmassen, unter denen die Dächer der Häuser, ja die Havelfluten fast verschwinden. Wer uns entgegenkommt, trägt einen dichtbeblühten Kirschbaumzweig in der Hand, und unter den breit ausladenden Wipfeln der Bäume sitzen jubelnde, schwatzende Menschenkinder, Kopf an Kopf gedrängt, und alle scheinen trunken von Lust und Sonne und Freude.

Wo sich zwischen zweien der größten Gärten ein schmaler Rain hindurchwindet, ragt eine junge Kiefer in die blaue Luft und unterbricht in eigen reizvoller Weise mit buschigem Grün den Schnee ringsum. Sie ist eben dabei, ihr Winterkleid abzustreifen und neue Nadeln zu treiben, und man sieht's ihr an, wie arm sie sich in dieser gesegneten, farbenfunkelnden Flur vorkommt, und wie sie mit allen Fibern dankbar und bescheiden an der wonnereichen Lenzfeier teilnimmt.

 

Kloster Lehnin

Von Friedrich Herring.

Im Jahre 1180 erschienen die ersten Zisterziensermönche in der Mark Brandenburg.

An wenigen Orten mochten die Vorzüge insbesondere dieses Ordens so in die Augen springend sein wie gerade hier in der Mark, und zwar deshalb, weil sie an keinem Orte nötiger waren, nirgends vielleicht einen passenderen Fleck für ihre Tätigkeit fanden. Wo die Unkultur damals noch zu Hause war, wie hier in der Mark, hatten die Kulturbringer das geeignetste Arbeitsfeld. Rechnen wir die Nonnenklöster dieses Ordens mit ein, die, wenigstens was Bekehrung, Lehre und Unterweisung betrifft, die gleichen Ziele wie die Mönchsklöster verfolgten, so haben wir über zwanzig Zisterzienserklöster in der Mark Brandenburg und der Lausitz zu verzeichnen, von denen die große Mehrzahl vor Ablauf eines Jahrhunderts seit 1180 entstanden war. Weder die Prämonstratenser, noch die Kartäuser mit ihnen, auch nicht später die die Städte suchenden Dominikaner und Franziskaner sind ihnen an Ansehen und rascher Verbreitung gleichgekommen, während die Benediktiner sie an tiefer und gründlicher Gelehrsamkeit, die Jesuiten aber an Macht, Einfluß und Reichtum weit überragten.

Das wichtigste von den mehr als zwanzig märkischen und lausitzschen Klöstern war das Kloster Lehnin: es wurde das Mutterkloster für diese Gegenden, aus welchem Neuzelle in der Lausitz 1230, das Kloster Paradies im Posenschen 1234, Mariensee auf der Insel Pelitz im Parsteiner See zwischen Oderberg und Angermünde in der Uckermark 1273 und endlich das Kloster Himmelpforte, ebenfalls in der Uckermark gelegen, 1299 gegründet, – die genannten waren insgesamt Mönchsklöster – hervorgegangen sind.

Die Klöster sind dahin! – Viele von denen, die hierzulande in alten Klostermauern wohnen, wissen kaum, daß diese jetzt unscheinbaren Mauern einst zu reichen Klöstern gehörten, sicherlich nicht, daß es Zisterzienser waren, die vor ihnen diese Stätte inne hatten. Und hörten sie je dies Wort, so wissen sie nicht, was es meint und bedeutet. Und doch waren diese Mönche einst Pioniere, die hundert und tausend anderen Kolonisten, welche nach ihnen kamen, die Wege bahnten. Die Erinnerung an sie und an all das Schöne und Gute, Dauerbare, das sie geschaffen haben, ist geschwunden; aber es ziemt sich wohl, darauf hinzuweisen, daß noch jetzt an Hunderten von Orten ihre Taten und Wohltaten zu uns sprechen. Überall da, wo in den Barnim- und Teltow-Dörfern, in der Uckermark und in der Grafschaft Ruppin alte Feldsteinkirchen aufragen, mit kurzem Turme und kleinen niedrigen Fenstern, das Ganze fast mehr einer Burg als einer Kirche ähnelnd; überall da, wo die Ostwand einer Dorf- oder Stadtkirche einen chorartigen Ausbau, ein sauber gearbeitetes Sakristeihäuschen zeigt, überall da können wir mit Sicherheit behaupten: hier waren Zisterzienser, hier haben Zisterziensermönche gebaut und der Kultur, dem Deutschtum und dem Christentum das erste Daheim gegründet.

Lehnin wurde auf Befehl des Markgrafen gebaut, vor allem die Klosterkirche. Sie bestand in ihrer ursprünglichen Form bis zum Jahre 1262. – In diesem Jahre nun ließ die rasch wachsende Bedeutung des Klosters das, was da war, nicht länger als ausreichend erscheinen, und es wurde deshalb ein Anbau beschlossen. Er fiel in die erste Blütezeit der gotischen Baukunst, und mit der ganzen Unbefangenheit des Mittelalters, das ja immer baute, wie ihm gerade ums Herz war und keine Rücksichtnahme auf den Bau zurückliegender Epochen kannte, wurde nunmehr das romanische Kurzschiff der ersten Anlage durch ein gotisches Längsschiff erweitert. Dieser gotische Erweiterungsbau hat der Zeit und sonstigem Wechsel schlechter zu widerstehen vermocht als jener älteste Teil der Kirche – das Alte steht, der Anbau liegt oder vielmehr lag in Trümmern.

Es sei jetzt gestattet, noch einiges über das innere Leben des Klosters zu berichten. Die Äbte von Lehnin, die fürstlichen Rang einnahmen und das Recht hatten, den Hermelin zu tragen, standen an der Spitze ihres »Klosterkonvents«, d. h. ihrer Mönchsbrüderschaft, aus der sie, sobald eine Vakanz eintrat, durch freie Wahl hervorgingen. Ihnen zur Seite oder doch eigentlich unter ihnen stand der Prior, der Subprior, ein Präzeptor, ein Senior und ein – Cellarius (zu deutsch Kellermeister), der, wie es scheint, im Lehniner Kloster auch die Stelle des Bursarius, d. h. des Schatzmeisters, vertrat. An diese schlössen sich dann 20–30 Fratres, Ordensbrüder, teils wirkliche Mönche, teils Novizen, teils Laienbrüder oder dienende Brüder genannt. Ein kleiner, fest geordneter, kraftvoller Staat!

Das Ansehen und die Gewalt des Abtes waren außerhalb und innerhalb des Klosters von großem Belang. Im Jahre 1450, unter der Regierung des Kurfürsten Friedrich II., des Eisernen, des zweiten Regenten aus dem Hause Hohenzollern, wurde den Äbten zu Lehnin vom Papste der bischöfliche Ornat zugestanden. Seitdem trugen sie bei feierlichen Gelegenheiten die bischöfliche Mitra, den Krummstab, das Pallium und den Ring. Auf den Landtagen saßen sie auf der ersten Bank, unmittelbar nach den drei vornehmsten Prälaten des Kurfürstentums, nämlich den Bischöfen von Brandenburg, Havelberg und Lebus. Innerhalb des Klosters war der Abt selbstverständlich der oberste Leiter des ganzen Haushaltes in weltlicher und kirchlicher Beziehung. Er sah auf strenge Ordnung in dem täglichen Leben und Wandel der Mönche; er beteiligte sich möglichst an jedem Gottesdienst und beaufsichtigte ihn; er kontrollierte die Verwaltung des Vermögens, die Einkünfte des Klosters, er allein vertrat es weltlichen und geistlichen Mächten gegenüber. Er allein regierte, deshalb sprach man auch vom »regierenden Abte«. Aber diese Regierung war weit davon entfernt, eine absolute verantwortungslose Herrschaft zu sein. Wie er über dem Konvente stand, so stand auch der Konvent über ihm, und Klagen über den Abt, wenn sie von außerhalb des Klosters Stehenden erhoben wurden, kamen vor den Konvent und wurden von diesem entschieden. Waren die über einen Abt zu erhebenden Klagen aber Klagen des Konvents selbst, so konnte dieser nun freilich in seiner eigenen Angelegenheit nicht Richter sein, und es mußte ein anderes Tribunal entscheiden. Dies Tribunal, der Fälle zu geschweigen, in denen es der Landesherr selbst bildete, war entweder das Mutterkloster, also für Lehnin das Kloster Sitichenbach bei Mansfeld, oder das große Kapitel des Mutterklosters zu Citeaux in Frankreich, oder der Erzbischof von Magdeburg oder endlich der Papst selbst. Solche Auflehnungen des Konvents gegen den Abt, und infolge der Auflehnungen Appellationen an höhere Instanzen, zählten keineswegs zu den Seltenheiten, wenngleich die Lehniner Verhältnisse im allgemeinen durch alle Zeit hin als ruhige, ja mustergültige geschildert werden. Mehrere Urkunden tun solcher Appellationen direkt an das Generalkapitel Erwähnung, und auch anderes spricht dafür, daß unser märkisches Kloster in Frankreich, in Citeaux selbst, einen guten Namen gehabt habe. Schon die Lage Lehnins, damals an der Grenze aller Kultur, kam ihm ungemein zustatten. Die näher an Citeaux gelegenen Klöster waren eben in ihrer Bedeutung und ihrem Werte nach ziemlich gleich, während allen denen eine erhöhte Bedeutung beigelegt werden mußte, die als vorgeschobene Posten in die kaum bekehrte slawisch-heidnische Welt hineinragten.

Wie bereits erwähnt, hatten die Lehniner Äbte fürstlichen Bischofsrang, und sie wohnten und lebten demgemäß. Das Lehniner Abtshaus, das, an der Westfront der Kirche gelegen, noch jetzt steht, zeigt zwar keine großen Verhältnisse, dies darf uns aber nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Es war damals überhaupt nicht die Zeit der großen Häuser und Paläste. Überdies hatten die Lehniner Äbte, ebenso wie die Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Lebus, »ihr Stadthaus« in Berlin, und es scheint, daß das der Lehniner Äbte dort von größeren Raumverhältnissen war. Ursprünglich stand es wahrscheinlich da, wo sich jetzt das dreibogige Schloßportal Eosanders von Göthe erhebt. Der Schloßbau unter Kurfürst Friedrich dem Eisernen (1440–1470), um das Jahr 1450 (denn 1451 wird die neugegründete Burg zu Kölln an der Spree stetige Residenz), führte zu einer tauschweisen Änderung des Besitzes, und »das Stadthaus der Lehniner Äbte« ward in die Heiligegeiststraße verlegt, dorthin, wo die kleine Burgstraße torartig in die Heiligegeiststraße einmündet, ehemals dicht neben dem nun auch längst ausgewanderten Joachimstaler Gymnasium. In Brandenburg aber haben die Äbte von Lehnin ebenfalls »ein Stadthaus«, ihr Absteigequartier, gehabt. Es lag in der nach ihnen benannten Abtstraße und dient jetzt mit seinen weiten Räumen als Landwehrzeughaus und zu Militärwerkstätten. Es ist heute weder an seinem Äußeren noch in seinem Innern mehr eine Spur in Wappen, Emblemen und dergleichen von seiner ehemaligen Bestimmung zu entdecken.

Länger als drei und ein halbes Jahrhundert gab es Äbte von Lehnin. Es sei mir gestattet, bei dem Lebenslaufe des ersten und des letzten einige Augenblicke länger verweilen zu dürfen.

Siebold hieß der erste Abt von Lehnin, der von 1180–1190 regierte. In derselben Weise wie der älteste Teil des Klosters des nun halb in Trümmern liegenden Baues am besten erhalten geblieben ist, so wird auch von dem ersten und ältesten Abte am meisten und eingehendsten erzählt. Die Erinnerung an ihn lebt noch heute im Volke fort. Freilich gehören wohl alle diese Erinnerungen der Sage und Legende an, historisch verbürgt ist davon wenig oder nichts; aber ob Sage oder Geschichte, mag hier gleichgültig für uns sein, da wir ja der einen so gern nachforschen wie der andern.

Abt Siebold, so erzählen sich die Lehniner bis auf diesen Tag, wurde von den umwohnenden Wenden erschlagen, und im Einklänge damit lesen wir auf einem alten halbverwitterten Bilde im Querschiffe der Kirche: » Seboldus primus abbas in Lenyn, a Slavica gente occisus« (Sebold, der erste Abt in Lehnin, wurde vom slawischen Volke getötet). – Ich führe nun wörtlich das an, was Theodor Fontane in dem dritten Bande seines bekannten Buches »Wanderungen durch die Mark« von der Ermordung des ersten Abtes erzählt:

»Abt Siebold wurde also erschlagen, gewiß eine ernsthafte Sache; die Geschichte seines Todes wiederzugeben, ist nicht ohne eigentümliche Schwierigkeiten, da sich neben dem Ernsten und Poetischen auch Tragikomisches und selbst Zweideutiges mit in diese Geschichte hineinmischt. Und doch ist über diese bedenklichen Partien nicht hinwegzukommen, sie gehören mit dazu: es sei also gewagt, Abt Siebold und seine Mönche gingen oft über Land, um in den umliegenden Dörfern zu predigen und die wendischen Fischersleute, die zäh und störrisch an ihren alten Götzen festhielten, zum Christentum zu bekehren. Einstmals hatte Abt Siebold in Begleitung eines einzigen Klosterbruders in dem Klosterdorfe Prützke gepredigt und, über Mittag bei drückender Hitze heimkehrend, beschlossen der Abt und der Mönch, in dem nahe bei dem Kloster gelegenen Dorfe Nahmitz zu rasten, das sie eben müde und matt passierten. Der Abt trat in eins der ärmlichen Bauernhäuser ein – die Scheu aber, die hier sein Erscheinen einflößte, machte, daß alles auseinanderstob. Die Kinder versteckten sich in Küche und Kammer, während die Frau, die ihren Mann samt den anderen Fischern am See beschäftigt wußte, ängstlich unter den umgestülpten – Backtrog kroch, der nach damaliger und wohl auch noch nach heutiger Sitte nichts als ein ausgehöhlter Baumstamm war. Abt Siebold, nichts Arges ahnend, setzte sich ermüdet auf den Trog, die Kinder aber, nachdem sie allmählich aus ihren Schlupfwinkeln hervorgekrochen waren, liefen jetzt an den See und riefen dem Vater und den übrigen Fischersleuten zu: »Der Abt ist da!« zugleich beschreibend, in welch eigentümlicher Situation sie die Mutter und den Abt verlassen hatten. Die versammelten Fischersleute gaben dem Worte die schlimmste Bedeutung, und der bittere Groll, den das Wendentum überhaupt gegen die deutschen Eindringlinge unterhielt, brach jetzt in hellen Flammen aus. Mit wildem Geschrei stürzten sie alle ins Dorf, umstellten das Haus und drangen auf den Abt ein, der sich, als er wahrnahm, daß ihm dieser Angriff gelte, samt seinem Begleiter durch die Flucht zu retten suchte. Der nahe Wald bot vorläufig Schutz, aber die verfolgenden Dörfler waren ausdauernder als der ältliche und wohlbeleibte Abt, der es endlich vorzog, einen Baum zu erklettern, um, gedeckt durch das dichte Laubgebüsch, seinen Verfolgern zu entgehen. Der Mönchsbruder eilte inzwischen voraus, um Hilfe aus dem Kloster herbeizuholen. Abt Siebold schien gerettet, aber ein Schlüsselbund, das er beim Erklettern des Baumes verloren hatte, verriet sein Versteck und brachte ihn ins Verderben. Wohl kamen endlich die Mönche und beschworen den tobenden Volkshaufen, von seinem Vorhaben abzulassen – der Säckelmeister bot Geld, der Abt selbst aus seinem Verstecke heraus versprach ihnen Erlaß des Zehnten, dazu Feld und Heide – aber die wilden Burschen bestanden auf ihrer Rache. Sie hieben, da der Abt sich weigerte, herabzusteigen, die Eiche um und erschlugen endlich den am Boden liegenden Prälaten. Die Mönche, die den Mord nicht hatten hindern können, kehrten unter Mißhandlungen von seiten der Fischersleute in ihr Kloster zurück und standen bereits auf dem Punkte, wenige Tage später die Mauern des Klosters für immer zu verlassen, als ihnen, so erzählt die Sage, die Jungfrau Maria erschien und ihnen zurief: » Redeatis! Nihil deerit vobis!« (Kehret zurück, es soll euch an nichts fehlen!), Worte, die allen Mönchen neues Gottvertrauen einflößten und sie zu mutigem Ausharren vermochten.« – Soweit die Erzählung Fontanes.

Ich sprach früher von dem Stückchen Poesie, das mehr oder weniger mit dem Tode des Abtes Siebold verknüpft sei, und diese poetische Seite ist wirklich da. Doch zeigt sie sich mehr in den gespenstischen Folgen der Untat als in dieser selbst. In dem mehrmals genannten Dorfe Nahmitz bezeichnet die Überlieferung auch heute noch das Gehöft, in das damals der Abt Siebold eintrat. – »Das Haus hat längst einem andern Platz gemacht, aber ein Unsegen haftet seit jenem Unglückstage an der Stelle. Die Besitzer wechseln, und mit ihnen wechselt die Gestalt des Mißgeschicks, doch das Mißgeschick selber bleibt: das Feuer verzehrt die vollsten Scheunen, böse Leidenschaften nehmen den Frieden, oder der Tod nimmt das liebste Kind hinweg usw.« So berichten mit ernstem Gesichte die Leute aus dem Dorfe Nahmitz.

Und wie die Überlieferung im Dorfe selber das Haus bezeichnet, so bezeichnet sie auch im schönen Eichwald zwischen Nahmitz und Lehnin die Stelle, wo der Baum stand, unter dem die Untat geschah. Der Stumpf war noch Jahrhunderte lang zu sehen. Daneben lag der abgehauene Stamm, über den keine Verwesung kam und den niemand berühren mochte, weder der Förster noch die ärmsten Dorfleute, die da Reisig im Walde suchen. Der Baum lag da, wie ein herrenloses Gut, gesichert durch die Scheu, die er einflößte. Erst im vorigen Jahrhundert kam ein Müller, der lud den Stamm auf und sagte zu den Umstehenden: »Wind und Teufel mahlen gut!« Aus dem Stamme aber machte er eine neue Mühlwelle und setzte die vier Flügel daran. Es schien auch alles nach Wunsch gehen zu sollen, und die Mühle drehte sich gar lustig in dem Winde, aber der Wind wurde immer stärker, und in der Nacht, als der Müller gerade fest schlief, da schlugen plötzlich die hellen Flammen auf: die Mühlwelle, in immer schnellerem Drehen, hatte Feuer an sich selber gelegt, und alles brannte nieder. »Wind und Teufel mahlen gut!« raunten sich am anderen Tage die Leute zu.

Der Grundbesitz Lehnins war von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen und umfaßte in den Jahren, die der Reformation unmittelbar vorausgingen, 2 Marktflecken, 64 Dörfer, 54 Fischereien, 6 Wasser- und 9 Windmühlen, 14 große Forsten, dazu weite Äcker und Wiesen und Weinberge. Jeder Zweig des landwirtschaftlichen Betriebes stand in Blüte? die Wolle der reichen Schafherden wurde im Kloster selbst verarbeitet, und die treffliche Wasserverbindung mittelst der Seen in die Havel und von ihr in die Elbe sicherte dem Kloster Markt- und Absatzplätze.

siehe Bildunterschrift

Kloster Lehnin.

Der letzte Abt des Klosters, Valentin (von 1509 bis 1542), führte es noch einmal auf stolze Höhe. Valentin ging viel zu Hofe; aber wenn er auch häufiger in dem Abthause zu Berlin als in dem des Klosters Lehnin residiert haben mag, so war er doch nicht gewillt, um des Hofes und der Politik willen den unmittelbaren Obliegenheiten seines Amtes, der Fürsorge für das Kloster selbst, ans dem Wege zu gehen. Wir sehen, wie er sich das Wachstum, die Gerechtsame, vor allem aber auch die Schönheit und Ausschmückung seines Klosters angelegen sein ließ: er schenkte Glocken aus eigenen Mitteln, errichtete Altäre. Ganz besonders zog er die unter Albrecht Dürer, Lukas Cranach und Hans Holbein eben erst geborene deutsche Kunst heran und zierte die Klosterkirche mit jenem prächtigen Altarschreine, der bis auf diese Stunde als ein Kunstwerk ersten Ranges erhalten und jetzt das Hochaltar des Brandenburger Domes schmückt, damals der Wohlbegründete Stolz des Klosters und die Bewunderung der es besuchenden Fremden. Die wohlerhaltene Unterschrift: » anno domino 1318 sub domino Valentino Abato« hat in aller Sichtlichkeit den Namen des Abtes Valentin bewahrt. –

Über fünfundzwanzig Jahre waren die Wirren der Zeit an Abt Valentin vorübergegangen, das Ausharren seines kurfürstlichen Herrn im katholischen Glauben hatte ihn vor den schwersten Bekümmernissen bewahrt – da kam fast unmittelbar nach dem Regierungsantritte Kurfürst Joachims II. Hektor im Jahre 1535 die Kirchenvisitation. Auch das Kloster Lehnin wurde ihr unterworfen. Man verfuhr nicht ohne Milde, nicht ohne Rücksicht der Form, aber in Wahrheit erschienen die Visitatoren zu keinem anderen Zwecke, als um dem Kloster den Totenschein zu schreiben. Man stellte es zuerst einmal unter Kuratel, wogegen das Kloster nur einen passiven Widerstand ausüben konnte. Der alte Abt Valentin, zu hofmännisch geschult, um dem Sohn und Nachfolger seines Heimgegangenen kurfürstlichen Freundes eine ernste Gegnerschaft bereiten zu wollen, zu schwach für den Kampf selbst, wenn er ihn auch hätte kämpfen wollen, beugte sich ergebungsvoll unter das neue Regiment, und schon zu Neujahr 1542 bittet er den Kurfürsten nicht nur, »ihm und seinem Kloster auch bei veränderten Zeitläuften allezeit ein gnädigster Herr zu sein«, sondern fügt auch noch den Wunsch bei, »daß seine kurfürstliche Durchlaucht ihm und seinen fratribus wie bisher etzliches Wildpret verehren möge«.

So verlief der Widerstreit fast in Gemütlichkeit, bis im Laufe eben dieses Jahres 1542 der alte Abt Valentin das Zeitliche segnete. Sein Tod machte den Strich unter die Rechnung des Klosters, keine Rücksichten auf den »alten Gevatter des Vaters« hemmen länger die Tätigkeit des Sohnes, und so ergeht denn der Befehl an die Mönche, »keinen neuen Abt zu wählen«. Den Mönchen selber wird freigestellt, ob sie »bleiben oder wandern wollen«, und die Mehrzahl – alles, was jung, gescheit und tatkräftig ist – wählt das letztere und wandert aus, den Klostermauern den Rücken kehrend. Die an Lebensjahren älteren Mönche blieben damals im Kloster. Ob sie in Lehnin selbst ruhig weiter lebten oder aber in dem drittehalb Meilen entfernten, dicht bei Paretz gelegenen Klosterdorfe Neu-Töplitz sich häuslich niederließen, wie von einigen behauptet wird, ist nicht mehr mit voller Gewißheit zu erkennen. Gleichviel aber auch, wo die den Rest ihrer Tage beschlossen, sie beschlossen sie ruhig, friedfertig, ergeben, ohne jede Spur von Märtyrerschaft, ohne den kleinsten Schimmer von jenem Goldglanz um ihr Haupt, den zu allen Zeiten das Einstehen für eine Idee verliehen hat.

Diese letzten Lehniner Mönche standen nun für nichts mehr ein als für sich selbst, und das letzte Lebenszeichen, das wir von ihnen überliefert besitzen, ist eine »untertänigste Bitte des Priors, Subpriors und Seniors, so zu Lehnin verharren«, worin sie ihren gnädigsten Herrn und Kurfürsten ersuchen, unter vielen anderen Dingen jedem einzelnen auch folgendes zu gewähren: »Zum Mittagessen vier Gerichte, zum Abendessen drei Gerichte, eine Tonne Bier wöchentlich, acht Tonnen Wein jährlich, außer diesem aber zu Neujahr und zu Mitfasten einen großen Thorner Pfefferkuchen!« –

So erlosch Lehnin. Das vierhundertjährige Klosterleben, das mit der Ermordung des Abtes Siebold begonnen hatte, schrieb zum Schluß einen »Bitt- und Speisezettel, es dabei den Räten ihres gnädigen Herrn Kurfürsten überlassend, an den obgemeldeten Artikeln zu reformieren nach ihrem Gefallen«!

Fr. Herring. Kloster Lehnin. Ein Geschichts- und Landschaftsbild. Brandenburg a. H., Verlag von J. Wiesike.

 

Dietrich Kagelwit und die Schweinsohren

Von Willibald Alexis.

Eines Tages stattete Kaiser Karl IV., der Lützelburger, nach einer Jagd mit seinem fürnehmen Gefolge dem Kloster Lehnin völlig unerwartet seinen Besuch ab. War Kirmes gewesen, oder eins Schatzung von Schnapphähnen, kurz, es war auch nicht ein Pfund Fleisch im Hause, und der Kaiser war sehr hungrig. Da war der Abt ganz außer sich; aber er hatte einen treuen Mann, der oft für ihn dachte und manches Mal für ihn handelte. Dietrich Kagelwit hieß der Mann; er hatte wohl die Weihen, aber mit seiner Gelahrtheit soll's nicht weit her gewesen sein; er machte sich lieber in der Küche zu schaffen, als in der Bibliothek. Da wußte er Kunststücke, daß den Konviktualen das Wasser über die Zunge lief, und alle hatten ihn sehr lieb.

»Kagelwit, du mußt mir helfen!« sagte der Abt.

»Ja, wie denn?«

»Ein gut Gericht, eine Kraftsuppe, wie sie ein Weidmann, der ausgehungert ist, liebt.«

» Domine Abba!« sprach Kagelwit, »erst Fleisch her, dann eine Suppe. Hat der Kaiser einen Damhirsch oder einen Rehbock in der Tasche?«

»Ach, er hat nur Böcke geschossen!« erwiderte der Abt.

»Davon kocht Schmalhans nur eine Windsuppe,« sagte Kagelwit.

»Ach, Kagelwit, allerliebster Kagelwit, hilf mir,« sprach der Abt. »Wenn er hungrig abzieht, trägt er's uns nach, und er ist ohnedem denen in Chorin holder als uns.«

»Da wären also nur unsere Schweine!« antwortete Kagelwit.

»Maria Josef! Kagelwit, wovon sollen wir den Winter leben? Wo hast du auch je gehört, daß eine Suppe von Schweinefleisch gut schmeckt? Das sage ich dir, daß du mir auch nicht ein Schwein schlachtest!«

Da rieb sich Kagelwit die Stirn, aber er kriegte es raus. Bald brodelte ein Kessel mit Erbsen überm Feuer, die quollen und hülseten sich, und er fuhr mit dem Quirl darin um und streute ganze Hände voll Pfeffer, und dann ging er doch in den Schweinestall, aber heimlich und ein Messer unter dem Habit. Und die Suppe schmeckte dem Kaiser und seinen Grafen und Herren und dem Abt und allen über die Maßen: alle lobten sie, daß sie so kräftig und würzig und nahrhaft, und zum Trinken rechten Appetit machte. »Aber was ist das für ein Fleisch, das so süß und so zart schmeckt, und darin herumschwimmt?«

»Kaiserliche Majestät halten zu Gnaden, das ist kein Fleisch,« sagte Kagelwit.

Da rieten sie umher, was es sein könne. Einige meinten, es sei eine Quappe, andere eine Art Schnecken; noch andere, es sei wohl ein besonder Tier aus der Vorzeit, das sich hier erhalte, und sie kannten seine Art nicht, bis einer den Kopf schüttelte: »Das schmeckt nach Schwein!«

Da fuhr der Abt auf: »Kagelwit, hast du mir das getan!«

»Hochwürdigster Herr, wie könnt' ich Euch das tun. Höret doch, wie Eure Schweine in den Koben grunzen und zählet sie, so werdet Ihr sehen, Euch fehlt keines.« Da wurden alle neugierig und gingen mit dem Kaiser und dem Abt in den Stall, und die Schweine grunzten furchtbar, und sie zählten sie, und wie er gesagt, es fehlte keines; es war aber auch keines, das auch nur ein Ohr gehabt. Kagelwit hatte alle Ohren abgeschnitten und in der Suppe verkocht. Da war ein Lachen und eine Lustigkeit, wie man selten gesehen, und die Keller mußten herhalten, und Kagelwit hörte viel Lobes und Rühmens. Denn bis dahin hatte man in Deutschland nicht gewußt, daß man die Schweinsohren essen kann, sondern sie auf den Mist geworfen. Also war Kagelwit ein großer Erfinder. Wenn ihn sein Abt hätte schelten wollen, so kam's zu spät, denn der Kaiser, der nie in seinem Leben eine so schmackhafte Suppe gegessen, nahm ihn aus dem Kloster und an seinen Hofhält. Und seitdem ist in der Mark Brandenburg die Erbssuppe aufgekommen mit Schweinsohren und heißt Türkensuppe. Man schlachtet aber jetzt die Schweine und schneidet ihnen dann erst die Ohren ab. Denn was die in Chorin geglaubt, die auf Lehnin immer neidisch waren, das traf nicht zu. Nämlich sie meinten, die Ohren wüchsen nach, wie das Grummet auf der Wiese, und man möge des Jahres zwei- oder dreimal sie den Schweinen abschneiden, was einen guten Profit gäbe. Da sie die Schweine von den Itzenplitzens auf der Mast hatten in ihren Eichwäldern, so versuchten sie's, aber die Ohren wuchsen nicht wieder, und statt Vorteils hatten sie Schaden und Ärgernis, als die Itzenplitze im Herbst ihre Schweine holten. Da ging's den fürwitzigen Brüdern in Chorin fast an die eigenen Ohren, und die Leute sagten: Was einem gut steht, das kleidet noch nicht den anderen. Will's aber nicht verschweigen, was einige meinen, der Kagelwit selbst wär's gewesen, der das einem Choriner gestochen, der hergeschickt worden, um auszuspüren, woher es denn käme, daß der Kaiser dem Kloster Lehnin so gewogen. Denn er war ein Schelm und hatte ein gut Lehninsch Herz. And kam beim Kaiser in große Ehren, weil er sagte, der weiß zu raten und zu treffen, und mußte ihm bei manchem Gericht, was er braute, kochen und zuschneiden helfen. Soll ihm auch bei der goldenen Bulle geholfen haben, denn, sagte der Kaiser, wer es versteht, eine Herde zu scheren ohne Geschrei und Ohren zu stutzen, und man merkt es nicht, der ist einem Fürsten mehr wert als einer, der Gold macht. Und er ging selbst in Seiden und Gold. Als ihn aber ein alter Bekannter fragte: »Kagelwit, wie hast du's angefangen, du wußtest doch nie, wie's am Hofe zuging?« Da antwortete er: »Das kommt daher: Den anderen ging ich um die Ohren, aber meine hielt ich auf!«

 

Die Weissagung von Lehnin

Von R. Lutter.

siehe Bildunterschrift

Der Klostersee bei Lehnin.

Wer kennt nicht die Weissagungen des Bruders Hermann von Lehnin, wer zweifelt noch daran, daß sie eine offenbare Fälschung sind! Sie haben viel Staub aufgewirbelt, immer wieder und wieder, sind gebraucht und gemißbraucht worden tendenziös-politisch, und eine bändereiche Bibliothek könnte man aus den Schriften darüber zusammenstellen. Aber sie haben wohl nun ihre Zeit erfüllt. Dennoch bleiben sie merkwürdig und verdienen immerhin unsere Aufmerksamkeit um so mehr, wenn es uns vielleicht glückt, etwas noch nicht Beobachtetes darin zu entdecken.

Bekanntlich hat Hefter in seiner Geschichte des Klosters den Verfasser fast sichergestellt: es war ein mit dem derzeitigen Regiment Unzufriedener, der zu Ausgang des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts lebte. Wie dem auch sein mag, sicher ist jene Zeit die der Entstehung der die Weissagung enthaltenden lateinischen Verse. Denn alles was darin von einer Zeit vor der Wende des 17. Jahrhunderts als Weissagung auftritt, trifft unbedingt zu, aus manchen Wortwendungen lassen sich sogar die geschichtlichen Schriften erkennen, denen der Verfasser seine Weisheit entlehnt. So bleibt in der Tat als eigentliche Weissagung – oder Hirngespinst – nur ein Teil des Gedichtes, der die Zeit nach dem Anfang des 18. Jahrhunderts betrifft, und das sind seine letzten 20 Verse, vom 81.–100. Klangvolle Verse übrigens, mit ihren schönen Binnenreimen!

Der Verfasser behandelt, wie bekannt, die Schicksale des Staates unter der Regierung der einzelnen Glieder des Hohenzollerngeschlechts, doch läßt sich durchaus nicht erkennen, daß es unbedingt immer seine Absicht war, jede Regierungszeit zu berücksichtigen oder streng zu sondern. Nachdem der Unzufriedene von seiner eigenen Zeit gesprochen, freilich in sehr dunklen, unverständlichen Worten, hebt er, also weit nach Anfang des 18. Jahrhunderts, von neuem an:

81. Mox juvenia fremit, dum magna puerpera gemit.

Wir folgen der Übersetzung Hefters:

»In kurzem toset ein Jüngling daher, während die große Gebärerin seufzt.«

Wir deuten: Der junge Friedrich setzt die Welt in Erstaunen durch seine kühne Tat, in Schlesien einzubrechen, und allerdings hatte die große Maria Theresia allen Grund zu seufzen.

82. Sed quis turbatum poterit refingere statum?

»Aber wer wird vermögen, den zerrütteten Staat wieder herzustellen?«

83. Vexilla tanget, sed fata crudelia planget.

»Er wird das Banner erfassen, allein grausame Geschicke zu beklagen haben.«

Wie oft hat sich Friedrich der Große selbst über sein Schicksal beklagt – aber in allem Unglück hielt er das Banner seiner Ehre und seines Staates fest und hoch, allen Stürmen trotzend.

84. Flantibus hic austris, vult vitam creder claustris.

»Er will beim Wehen der Südwinde sein Leben den Festungen anvertrauen.«

Wie schön klingt auster der Südwind mit austria, Osterreich zusammen! Die Winde daher waren dem großen Könige oft bedenklich genug, was aber claustrum die Festung anbetrifft, so kann der Seher nur das befestigte Lager bei Bunzelwitz gemeint haben.

Die folgenden Verse lauten in der Hefterschen Übersetzung:

85. »Wer nun folgt der Schlechteste, ahmt den schlechten Ahnen nach.

86. Seinem Geiste wohnt nicht Kraft, seinem Hause nicht göttlicher Segen inne.

87. Der, dessen Hilfe er anfleht, stellt sich ihm ein Gegner gegenüber.

88. Und er, der das Oberste zu unterst kehrt, kommt in den Wellen um.«

Luther will diese vier Zeilen wohl auf Friedrich Wilhelm II. beziehen, den er allerdings diskreterweise nicht beim Namen nennt. Vers 85 und 86 passen allerdings sehr gut auf den übelsten der Hohenzollern; wenn man aber das schon von Fontane betonte Recht des Sehers anerkennt, gelegentlich Einzelheiten und Einzelpersonen zu überspringen und andererseits in unmittelbarem Anschluß zusammenzufassen, was den Nachgeborenen trennt, so darf Vers 87 für Friedrich Wilhelm III. gelten, der ja sehr lange Zeit in Napoleon etwas wie einen wohlwollend Gesinnten erblickte und gelegentlich auf seine Hilfe rechnete. Eben dieser Napoleon, der das Oberste zu unterst kehrte, kam allerdings nicht in den Wellen, sondern auf der kleinen Insel St. Helena in der unendlichen Südsee um. Daß sich der Prophet in Nebensächlichkeiten irrt, weil ihm ja der Zukunft Geschehnisse schattenhaft-verworren vorübergleiten, und sein immerhin irdischer Blick die Fülle der Geschichte nicht streng auseinanderzuhalten vermag, könnte eher für die Echtheit der Weissagung sprechen. Sie fährt dann, Vers 89, fort:

Natus florebit: quod non speresset habebit.

»Der Sohn wird blühen; was er nicht gehofft, wird er besitzen.«

Ist Wilhelms I. Hoffen und Erfolg knapper und genauer zu kennzeichnen?

»Allein das Volk wird in diesen Zeiten traurig weinen.«

Drei immerhin verlustreiche Kriege haben ihm dazu gerechten Anlaß gegeben, wenn sonst wohl auch Traurigkeit unter Wilhelm I. nicht gerade deutschen Lebens Regel war.

91. »Es scheinen Geschicke zu kommen sonderbarer Art,
Und der Fürst ahnt nicht, daß eine neue Macht im Werden ist.«

Die neue Macht, die schließlich, nach jahrzehntelangem Wachstum, den 9. November 1918 heraufgeführt hat.

93. Tandem scepta gerit, qui stemmatis ultimus erit.

»Endlich führt das Szepter, der der Letzte seines Stammes sein wird.«

Eine unheimlich zielsichere Prophezeiung, wie sie die Geschichte kaum zum zweitenmal kennt. Wilhelms II. Schicksal!

Und nun die seltsamen, unendliche Perspektiven erschließenden, drohenden und verheißungsvollen Verse, die für sich sprechen müssen, weil jede Erläuterung ein frevelnder Versuch wäre, an den Schauern der Ewigkeit herumzudeuten.

94. Israel infandum scelus audet morto piandum,

95. Et poster gregem recepit, Germania, regem.

»Israel wagt eine unnennbare, mir durch den Tod zu sühnende Tat; Und der Hirt empfängt die Herde, Deutschland einen König wieder.

Daraus wie Glockensang nach dem letzten, endgültigen Sieg:

96. »Die Mark vergißt gänzlich aller ihrer Leiden,

97. Und wagt die ihrigen allein zu hegen, und kein Fremdling darf mehr frohlocken.

Aus dem Empfinden des Mönches heraus, physiologisch sehr verständlich, sehr echt und deshalb wirkungsvoll:

98. »Die alten Mauern von Lehnin und Chorin werden wieder erstehen,

99. Und die Geistlichkeit steht wieder da nach alter Weise in Ehren,

100. Und kein Wolf stellt mehr dem edlen Schafstall nach.«

 

Markgraf Ludwig der Bayer und Treuenbrietzen

Von Willibald Alexis.

Die Ratleute standen schon längst, um den verbündeten sieghaften Landesherrn anzureden, als es sich gebührt, und konnten doch nicht zur Rede kommen. Da hob sich Ludewig mit dem Leib aufrecht und saß als ein Fürst, ob es auch kein Thron war, nur ein Bund Stroh, er streckte den Arm aus, daß er ihre Rede hinderte; er liebte es nicht, lange Reden zu hören, und fiel den Bürgermeistern immer ins Wort, wo sie erst anfingen.

»Spart eure Worte, ihr treuen Männer von Brietzen, eure Taten haben besser für euch geredet, als euer Mund könnte. So lieb' ich's. Das ist brandenburgisch. Privilegien sollt ihr haben, daß die anderen Städte vor Neid bersten, und euer Schade werde euch doppelt ersetzt. And als ihr meinen Namen in euren Herzen bewahrtet, will ich euren in meinem hegen, und soll Brietzen soviel heißen als Treue, und der Name soll eins werden mit eurem.«

»Das danken dir, Herr, die Bürger deines treuen Brietzen,« Hub der Bürgermeister an, und wollte nun doch die Rede halten.

Aber der Fürst fiel schnell ein: »Heißt nicht noch eine Stadt so in meinem Lande?«

»Ja, Herr, das Brietzen an der Oder, das zum falschen Woldemar hält.«

»So tauf' ich dich um, du treue Stadt,« sagte er, und spritzte, was Weins im Becher war, über das Stadtwappen vorm Rathaus. »Von Stund' ab sollst du heißen zum Unterschied nicht Brietzen, sondern Treuenbrietzen in Ewigkeit, hört ihr's! Die Brietzener verstoß' ich, und die Treuenbrietzener drück' ich ans Herz. Ihr Herren, das sind meine gute» Freunde, versteht mich. Nun ruft mit euerm Markgrafen ein Hoch dem guten Treuenbrietzen!«

Die Drommeten schmetterten und die Pauken wirbelten, und wer schreien konnte, der schrie ans Leibeskräften mit dem Herzog, dem es gar sehr behagte, wie die Bürger fast außer sich waren vor Freude. Ja, in dem Augenblick war's, als hätten sie ihr groß' Leid vergessen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären sich um den Hals gefallen, und wo die Flammen ihrer Häuser den Platz beleuchteten und das Blut ihrer Brüder die Steine netzte, da hätten die jungen Burschen die Mädchen umfaßt und einen Tanz aufgeführt vor großer Lustigkeit.

So sind die Brandenburgischen, von gutem Herzen. Und wenn ein Fürst nur ein freundlich Wort zu ihnen spricht, fließen ihnen die Augen über. Und darum, daß Ludewig zween Silben in ihrem Namen getan, es kostete ihm nicht einen roten Heller, aber wenn er's verstanden und hätte itzt Steuer von ihnen gefordert, deren beste Habe doch brannte, und die Armut stand vor der Tür, sie hätten ihm alles bewilligt und wären noch glücklich Wesen.

Die bayrischen Herren lachten im Bart; meinten, solch ein Land läßt sich leicht regieren, wo die Leute zufrieden sind mit einem Namen. Bei uns geht's nicht so.

W. Alexis. Der falsche Waldemar.


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