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Beeskow-Storkow

Stadt am Rande

Von Alois Wagner.

Wer hätte gedacht, daß die inneren Werte von Epochen einmal so hart aneinander grenzen würden! Daß der verdämmerte Schimmer verflossener Jahrhunderte in seinen Umrissen so klar herüberleuchten würde in das Werden einer in ihren Tiefen erst geahnten Zeit! Daß wir einmal ohne Übertreibung und ohne Empfindsamkeit von einem Ort, über den unser Weg führt, sagen können: Stadt am Rande!

Draußen über die südöstlichen Wälder vor Berlin ragen die Funktürme von Königswusterhausen. Sie ragen schlank; sie ragen steil. Sind Ausdruck und Bild gewordener Geist der Riesenstadt, der Weltstadt. Die stumme Gebärde ihrer Sprache zuckt als Funksprüche über Türme und Dächer der Städte, über Europa, über den Erdball. In Bruchteilen der Zeit. In Minuten. Aber die märkischen Seen zu Füßen der stählernen Antennenträger werfen ihre Wellen wie Jahrhunderte zuvor gegen die heimatliche Erde. Von Ufer zu Ufer spülen ihre Wasser im Sturm. Die sichtbaren Wellen des Elements tragen ihre Gesetze in sich, die längst entdeckten. Sie kommen aus der großen Stille der Zeit und scheinen keine Beziehung zu haben zu jenen technischen Giganten vor den Toren der Weltstadt. Aber unsichtbar zucken ihre Ätherwellen über See und Wald und Hügel. Die Jungen. Die Neuentdeckten und doch schon vom Menschenwillen Geknechteten und Dienstbargemachten.

Es ist eine bescheidene Bahn, die mich am Ufer des Scharmützelsees vorbeiträgt. Fast zu gemächlich ist ihre Fahrt, verglichen mit der Eile der Botschaften, die jene Stahlriesen in Sekundenschnelle um die Welt schleudern. Aber es ist gut, daß es noch Bahnen gibt, die in geruhsamer Fahrt am Seeufer entlangpendeln. Wir hätten sonst der leisen Dinge um uns nicht mehr acht. Die Geschwindigkeit dieser Tage, dieser Zeit rumort in unserem Blut.

Von den Rauenschen Bergen flattern in zerrinnenden Schwaden die ersten Nebel über die weite Platte des Scharmützelsees. Schon sind seine Ufer fahl und entlaubt. Doch in der Ferne stehen die Nebel. Über den Villen von Saarow und Pieskow, über dem Schilf, über dem weiß aus grauem Dunst herüberschimmernden Motorboot.

Eine bleischwere Wolke hängt über den Feldern und schüttet auf die müde Erde einen rieselnden Regen. Die Bahn wirft sich in die Kurve. Da weitet sich der Blick zu unbehinderter Schau. Das Land ist weit und gesegnet. Dem Auge kaum noch erkennbar, steigen die Kulissen ferner Wälder in die Wölbung des Himmels. Doch aus der Mitte der Landschaft ragt Dach und Turm einer Kirche. Ist Schnittpunkt der Ebene, beherrscht die Landschaft diesseits und jenseits der Stadt. Auch über ihrem Dachfirst und Turmkreuz schwingen die Ätherwellen von Königswusterhausen. Sie können diese Kirche und diese Stadt nicht umgehen. Ihr Gesetz treibt sie durch den Raum, ohne eigenen Willen, ohne eigene Wahl. Sie folgen höherer Ordnung.

Nun hängt die regenschwangere Wolke über der Stadt, macht die Straßen noch enger und vertrauter, schließt Häuser und Kirche in die Falten ihres Mantels. Auf die Mauern von Beeskow fällt der kühle Regen. Mein Weg führt mich an der Stadtmauer entlang. Wie ein feines Klingen liegt es über dem alten Gemäuer. Das macht der beharrlich sinkende Regen. Traum verklungener Jahrhunderte hängt in der Luft. Schon bröckelt vermoderndes Gestein, Gras wuchert aus Nischen und Mauerritzen. Hier ist alles gedämpft, ruht im Schoße der Stille. Die Brandung dieser Tage, dieser Stunden, unserer Zeit, scheint hier zu verebben. Der fiebernde Puls der nahen Weltstadt reicht nicht bis hierher. Stadt am Rande der Zeit!

An der Wegkreuzung habe ich gestanden, da, wo die Straße breit und gepflegt von Westen in die Stadt einfällt. Bürgersicherheit baute sich hier Tor und Wall. Aber heute ist es Spiel der Vergangenheit, Nachhall verklungener Wirklichkeit, flüchtige Zeichnung und Spiegelbild früherer Tage. Breit springt die Straße durch die Mauer. Kommt von Westen, von des Reiches Hauptstadt, von der riesenhaft gewachsenen. Am Markt läuft sie vorbei an der thronenden Kirche. Die reckt sich hoch mit altem Giebel über Häuser und Mauer. Einst war sie rhythmischer Schwung und sammelndes Ziel der Gemeinde. Nun läuft die Straße dort unten an ihr vorüber, wirft die Gehetzten, die Müden zu flüchtiger Besinnung aus den Brandungen der Großstadt an diesen stillen Strand. Irgendwo verläuft diese Straße, weit nach Osten sich dehnend, über Frankfurt, über die Oder, zur nahen Grenze, ostwärts.

An solchen Straßenkreuzungen erhascht man die immer flüchtige Zeit, hört man das Räderwerk der betriebsamen Geschichte. Einst zogen die Heere des Großen Friedrich diese Straße zu blutigem Werk bei Kunersdorf. Aber das alles liegt nun im Schöße der Zeit, ruht im Sammelwerk der Geschichte. Wenn an hellen Sommertagen vom mondänen Saarow und Pieskow am Scharmützel der Autos lange Reihen Säulen von Staub Hochwirbeln, das Rattern der Motoren in diese Stille schlägt, dann klingt plötzlich der Takt der Maschinen in diese Verzauberung, dann hallen die alten Mauern vom Rhythmus der neuen Zeit, dann ist der Zauber gebrochen. Das verwunschene Schloß versinkt in seine Märchenwelt, Geschichte wird Spiel, ist ein buntes Märchenbuch, in dem man blättert, gewährt Rückblick und Nacherleben einer fernen Wirklichkeit. Aber dem Fernversunkenen aber reckt sich gewaltig das Haupt einer neuen Zeit. Aber den alten Mauern tauchen plötzlich schlank und steil die Stahltürme von Wusterhausen auf, werden Wegweiser und Künder der nahen Zukunft.

Wer hätte sich nicht schon einmal dem Zauber dieses Widerspieles zwischen Vergangenheit und aufkeimender Zukunft hingegeben? Quer über den Erdball gehen die Botschaften des Äthers, über die Parklandschaften Englands, über die zerfallenen Burgen Deutschlands, über die unbegrenzten Wälder Rußlands, über Steppen und Tundren bis zum fernen Osten. Der Raum zerfällt, und die Zeit ist in Brüche aufgeteilt. Aber in solchen Städten am Rande der Zeit träumen die Jahrhunderte, wird Geschichte zum heimlich wispernden Leben. Es ist schon wahr, daß die letzten Beziehungen der Menschheitsgeschichte aufgedeckt werden durch die Denkmäler der Zeit.

Der Abend stand kühl und klar über der Landschaft. Längst waren die tausend Lichter der Nacht von einer unsichtbaren Riesenhand entflammt. Im dunklen Gewölbe des Himmels hing die silberne Scheibe des Mondes. Alle Farben des Tages waren erstorben. Aber die leuchtende Nacht spiegelte sich in den Stahlriesen der Funktürme, gab ihren Glanz der stillen Stadt hinter träumenden Mauern, erhellte die nächtlich verdämmernden Seen. Wie stille Wächter am Tore der Zeit standen die schlanken Türme und glänzten mächtig.

 

Der Scharmützel

Das ist nun allerdings eine sehr sandige Gegend.

Ich bin einmal vor Jahren, von der ehrwürdigen Bischofsstadt Fürstenwalde aus, durch das Revier gewandert, an Rauen vorbei, dem schwarzen, verstaubten Braunkohlenneste, um den ganzen Scharmützelsee herum. Bei Rauen liegen die beiden größten Felsblöcke, deren Brandenburg sich rühmen darf, die Markgrafensteine. Wirklich ganz hübsche Findlinge. Der größere von ihnen guckt etwa fünf, der kleinere vier Meter hoch aus dem Sande empor. Die Umgegend ist stolz auf diese Ungeheuer, die wie zwei Klumpen Unglück mitten in der Kiefernheide liegen, und wer aus minder begnadeten Bezirken der Mark hierher gepilgert kommt, der versinkt allemal in ehrfürchtiges Staunen. Daß es so riesengroße Steine in der Welt gibt, das sollte man eigentlich gar nicht glauben. Anderswo liegen ja auch Feldsteine die Menge auf den Äckern herum, und sie machen uns Ärger genug, aber solche Riesen! Hört man nun erst einen Rauener erzählen, daß der Fünfmeter-Stein noch im Jahre 1827 dreimal so groß war, daß aber in diesem Jahre König Friedrich Wilhelm III. die prächtige Granitschale aus ihm herausschneiden ließ, die jetzt im Berliner Lustgarten und im Baedeker steht, Vgl. Seite 15: F. Wahnschaffe, Die großen Steine. dann weiß man sich vor Verwunderung nicht zu fassen. Und andachtsvoll klettert man auf den runden Zyklopentisch, der aus einem abgesprengten Teile des Wundersteines herrührt, und erquickt sich an dem erfreulichen Fernblick in die Ebene. Berlins Türme steigen im Westen aus braunem Dunst auf, südwärts blitzt hinter dunklen Wäldern und gelben Sandflächen ein blaues, langgestrecktes Gewässer auf, das rotdächerige Dörfer umstehen. Blendender Sand ist in breiten Massen in die Landschaft ausgestreut, aber das macht sie malerisch und stört einstweilen nicht.

Welcher Fußwanderer klug ist, der kehrt von den Markgrafensteinen schleunigst wieder nach Fürstenwalde zurück. Ich war es nicht. Ich folgte entschlossen dem breiten Sandweg, den kümmerliche Kiefern begrenzten und der als einzige Abwechslung unheimlich rotschillernde Giftpilze aufwies. Plötzlich klang munteres Wellenklatschen ins Schweigen der märkischen Einsamkeit, und im blendenden Licht, flimmernd von Sommerlust, lag der sagenhafte Scharmützelsee vor mir. Ich habe ihn später noch oftmals grüßen dürfen, aber nie von diesem Wege aus: und reizvoller ist mir seine saphirene Flut niemals erschienen als nach dieser Wanderung, durch Armut und Dürftigkeit. Wie arm und wie dürftig das Land ist, davon macht sich keinen Begriff, wer im Boot den stolzen, von Höhenzügen und Wäldern umschlossenen See befährt und nichts sieht als sein üppiges Geleucht, als das hohe Schilf und die Föhren rundum. Diese Föhren muß man aus der Nähe betrachten. Traurig breiten sie ihre mageren Äste; offenbar würden sie lieber heute als morgen aus der Welt scheiden. Streckenweise hört der Wald völlig auf, weil ihm das Fortkommen beim besten Willen nicht mehr möglich ist. Alles, was blüht und sproßt, sieht so merkwürdig hungrig aus. Begegnet man zufällig einem Hasen im Geläuf, so ist es sicher ein Auswanderer. Er weiß, der Bauer hat hier alle Hände voll zu tun, um sich mühsam durchzuschlagen; da wäre es unrecht, ihm seine schmale Kost zu verringern.

Wo nicht der blanke Sand hervorgrinst, deckt niederes, dürres, braungraues Gewächs den Boden. Erika und Wolfsmilch, kurzes, halbwelkes Gras, Brombeergerank in Vertiefungen. Der Weg bietet keine Erquickung und keinen Schatten. Die Nadelstreu ist längst vom Boden fortgeharkt und ersetzt in den Ställen das kostbare, teure Stroh. Steht man in dieser Wüstenei, blendende Weiße zu Füßen, der Kiefern durstiges, verkommenes Grün und den funkelnden, heißen Himmel zu Häupten, dann überkommt's einen wie Rührung, wie herzliche Liebe zu dem wackeren Volksstamme, der trotz tausendfältigen Ungemachs festhielt an der kargen, undankbaren Scholle. Dann versteht man, warum die Landwirte hier arm und verschuldet, aber auch stolz auf Armut und Verschuldung sind. Ohne seinen Sand und seine kümmerlichen Äcker wäre Brandenburg sicherlich niemals groß geworden. Anderer Länder Kraft mag in ihrem Reichtum liegen; unsere steckt in unserer Armut. Das hübsche Wort, das Friedrich Wilhelm IV. von den Teupitzern sagte: »Sie sind meine Treuesten, denn sonst wären sie längst ausgewandert«, dies Wort gilt von allen Beeskow-Storkowern. Der Feind drang selten in das sandverwehte Revier, aber wenn er schon kam, vermochte er doch tödliche Wunden aus leicht ersichtlichen Gründen nie zu schlagen. Die zerstörten dürftigen Hütten waren bald wieder aufgebaut, die zerstampften Felder bald wieder bestellt. Der Sand machte den Märker fähig, so furchtbare Leiden zu ertragen, wie sie der Dreißigjährige, der Siebenjährige Krieg und die Franzosenzeit mit sich brachten ...

Der Wasserweg zum Scharmützel, dem Juwel dieser Landschaft, die er vor dem Geschicke der Sahara bewahrt hat, ist bei weitem reizvoller, doch in mancher Beziehung nicht interessanter. Zum mindesten nicht für den, der auf seinen Wanderungen das Volk gern kennen lernt und sich gern mit einem alten, die schwere Kiepe schleppenden Mütterlein über ihr »Enkeldöchting« und die »fiefundtwintig blanke, harte Dhoaler« betragende Mitgift der jungen Dame unterhält. Aber den Ruderer treibt ja auch anderes Verlangen hierher. Und wahrlich – ihm blüht Freude ohn' Unterlaß, und einen besseren Tummelplatz für ihn gibt es nicht. Hinter Dolgenbrodt zweigt die Einfahrt ab, die am Stammsitz der berühmten märkischen Queisses, dem stillen Blossin, vorbei zum runden Wolziger See führt, dessen hohe Ufer Sandschichten ersten Ranges darstellen. Sie sind leider zum Teil versumpft, wie die Gräben, die von ihm ausgehen. Das Wasser rinnt unermüdlich in die Wiesen hinein; mehrere hundert Schritte zum Wald hinauf noch erzählt das Riedgras von ihrer Feuchtigkeit. Allenthalben weißgefleckte Birken, verdächtige Erlen. Dann und wann überspringt eine niedrige Zugbrücke den Kanal, dann und wann treffen wir märkische Bauernmädchen beim Heumachen. Sonst kein Zeichen menschlicher Kulturarbeit, sonst alles noch wie in den versunkenen Jahrhunderten, wo es hier außer dem Heu wirklich nichts zu holen gab. Weltabgekehrt, weltfern, ahnungslos, daß wenige Meilen nördlich eine Viermillionenstadt fiebernd hastet und lärmt, so sitzt im Erlenbusch verträumt das märkische Märchen ... Storkows Kirche am Markt blitzt auf.

Noch einmal streichen wir über stattliche Seen hin, die sich im Waldesdunkel verbergen, still und scheu, wie Riesenkinder, die vor den Menschen Angst haben. Sie verstehen sich auf phantastische Zauberkunststücke, und wer sie gerade beim Spiel überrascht, so wenn sie das über Storkow verbrennende Abendrot auffangen und sein Spiegelbild in tausend kleinen Wellen grotesk verzerren, oder wenn sie die Flut in bunt flackernde Glasflüsse zu verwandeln scheinen, der kriegt Respekt vor ihrem künstlerischen Können. Bei Wendisch-Rietz, wo Wöllner begraben liegt, der mit Spuk und Gespenstern wohlvertraute Minister, öffnet sich in Pracht und Glanz der Scharmützelsee.

Wöllner hat sich hier mit Recht begraben lassen. Für einen Geisterbeschwörer gibt es keinen besseren Platz. Die ganze Gegend ist verhext und verzaubert. Man muß nämlich wissen, daß der Scharmützelsee auf einer versunkenen Stadt steht. Einmal sahen zwei Bauern, die am Ufer Gras mähten, aus den Wassern Rauch aufsteigen, und einer sagte zum anderen: »Da backt der Nix Kuchen! Wenn er uns doch auch welchen brächte!« Nicht lange, so erscheint der Nix mit einem bildschönen Napfkuchen. Und die Bäuerlein wischen sich die Mäuler, denn Napfkuchen ist hierzulande ein großer Leckerbissen. »Esset ihn ganz auf, aber lasset ihn ganz, sonst kostet's euch den Hals!« rief der Nix und machte sich wieder davon. Die Grasmäher, klug und bedacht wie alle Märker, schnitten den Kuchen in der Mitte völlig aus und ließen nur den Rand übrig. »Das hat euch der Teufel gelehrt!« rief der Nix, als er zurückkommend sich betrogen sah. Die Nixen ähneln kleinen Kindern; sie kleiden sich in funkelndes Rot und tragen grüne Mützen. Um den Scharmützelsee herum klingt es von ihren Schelmenstreichen, und die Nähe des Wassers macht sie bei allen Müttern gefürchtet. Der Nix liebt es nämlich, in Gestalt eines fremden Jungen mit den Dorfkindern zu spielen und sie immer näher an den See zu locken, bis ihm eines zum Opfer fällt. Erst im vergangenen Jahre erkannte ihn ein ganz besonders kluger Bengel an dem nassen Saum seines Rockes, von dem unaufhörlich Wasser niedertropfte, und rettete sich durch schleunige Flucht. Einmal um die Mitternachtsstunde gingen Bauern auf verbotenen Fischfang und fingen einen Nix im Netz. Sie wollten ihn ans Land ziehen und brachten ihn auch bis zum Ufer; aber da sträubte er sich und schrie so entsetzlich, daß sie erschreckt davon rannten und Netz und Fang im Stich ließen. Die Nixe sind übrigens wirklich sehr frech. Sogar in die Häuser wagen sie sich, und es legt deshalb jede Mutter, wenn sie zur Arbeit muß, dem Kind in der Wiege ein Gesangbuch unter das Kopfkissen oder hält einen Vogel im Zimmer. Dann haben die Unholde keine Gewalt über das Nesthäkchen.

Die schöne Mär von dem Schwanenmädchen stammt aus der Mark und ist am Scharmützel lebendig. Ein Knabe sah einst, südwärts von Pieskow rudernd, drei Schwäne auf dem Wasser. Er fuhr ihnen nach, und weil es Mittag war und die Sonne sommerlich niederschien, senkte er schließlich müde die Arme und schlief ein. Bei seinem Erwachen fand er sich in einem gläsernen Feenpalast auf dem Grunde des Sees, und neben seinem goldenen Bette standen drei wunderschöne Schwestern. Es gefiel ihm wohl bei den holden Jungfräulein. Unter Sang und Klang, bei beladenem Tische flohen die Tage. Als aber die Damen einmal fern waren und der Pieskower sich allein im Palaste sah, da packte ihn das Heimweh, daß er zu weinen begann und nach seiner Mutter rief. Sofort stand ein altes Weib vor ihm, das ihn nach dem Dorf zurückbrachte. Doch wer einmal die Herrlichkeiten des Feenreichs gekostet hat, dem gefällt es nimmer aus der Erde. Bon nun an schlich der Bursche in jeder freien Minute an den Scharmützel und schaute sehnsüchtig nach den drei Schwänen aus. Sie kehrten indes niemals wieder.

Der junge Rudersmann aus Pieskow ist eben ein echter Märker gewesen. In der Phantasie träumt dies Volk von goldenen Bergen und füllt den Bauch der Erde mit Edelsteinen. Kommt aber zufällig einmal das Glück daher und nimmt ihn mit sich, dann vergeht der Brandenburger vor Sehnsucht nach seiner Dürftigkeit, seinem mageren Acker und seinen dünnen Kiefern. Übrigens weiß er genau, daß auf Märchen- und Sagengold wenig zu geben ist; mit solchen Dingen befaßt er sich nur nach Feierabend. Bei Tage gilt ihm der Scharmützel als ein fischreicher See wie andere mehr, und wenn er ihn kaufen sollte, mit all seinen versunkenen Städten und Schätzen, mit all seiner geisterhaften Bevölkerung beiderlei Geschlechts, dann würde er es am liebsten wie der Junker Löschebrand machen. Der erstand den großen See, den zu umwandern zwölf Stunden nötig sind, im Anfang des 19. Jahrhunderts für 2000 Taler vom Fiskus, für 2000 Taler wohlgemerkt in Bons und Lieferungsscheinen, die man ihm aufgedrängt hatte. Als sich bei der Nachzählung der Summe ergab, daß es nur 1998 Taler waren, da holte er mit lächelnder Überlegenheit noch zwei Silbertaler aus der Tasche. »Es kommt mir nicht drauf an«, sagte der Löschebrand dabei. Denn er war ein Grandseigneur. Am Scharmützel wird man das von selber.

Ganz im Ernst! Saarow und Pieskow, einst die verlorensten Nester der Mark, sind heute in, wie man so sagt, mondäne Gaststätten verwandelt, Kraftwagen drängen zu Hunderten an, feinfeine Segel- und Motorregatten wühlen die Wasser des Scharmützelsees auf. Er ist, ach Gott, Wochenendgebiet und Samstagskolonie der Leute vom Berliner Kurfürstendamm geworden.


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