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Viertes Kapitel

Noch während Matthias Bonde das in der überdeckten Auffahrt wartende Elektromobil bestieg, dachte er an seine Frau, in der wohl doch eine Influenza steckte, ihrer etwas fahrigen Ableugnung von Hals- oder Kopfweh zum Trotz. Doch schon als der Wagen das sanft gekrümmte Gefäll zum Gittertor des Vorgartens hinabrollte und, vorbei an dem militärisch salutierenden Hausmeister und mit der Dreiklanghupe warnend, in die belebte Allee einschwenkte, dachte der Minister, auf die Uhr schauend und sich seine sprichwörtliche Pünktlichkeit bestätigend, an den Amtstag, der in gewohnter Ordnung und Übersichtlichkeit vor ihm lag. Er liebte Ordnung und Übersicht – die Ruhmesstraße der Residenz, die jetzt nach der Durchfahrt des Triumphbogens in ihrer klaren Großartigkeit vor ihm lag, breit und baumlos, gleichsam respektvoll gesäumt von der gediegenen Monotonie glatter Hausfassaden, war ihm von je die erhabene und erhebende Zufahrt zu Pflicht und Würde, und in das wohlige Gefühl, lautlos oder mit dreitönigem Signal diese topographische Ordnung und Übersicht zu durchmessen, mischte sich jetzt immer noch das kleine Bedauern, nicht mehr die Equipage zu benutzen und von dem Prachtkilometer der beispielhaften Straße den doppelten Zeitgenuß zu haben. Doch die Vorzüge des kürzlich erworbenen elektrischen Gefährtes standen außer Zweifel – Adelina war sogar für einen Benzinwagen eingetreten, zu dem sich der geruch- und lärmempfindliche Minister allerdings nicht verstehen konnte –; überdies liefen ja alle diese Empfindungen, die Freude an der Straße mit eingeschlossen, nur am Rande mit, in rücksichtsvoller Entfernung von dem Amtsgedanken. Die Fahrt dauerte ein paar Minuten, schon fing der edle Platz in der Umarmung der Ruhmeshalle den Paradelauf der Straße auf, und klösterlich angeschmiegt an die barocke Hofkirche leitete das Amtsgebäude des Grafen Bonde die ziemlich enge Hauptgeschäftsstraße ein und damit die Innenstadt. Jetzt wird das Elektromobil klangreich aufbellen, der Chauffeur Rudolf den betreßten Ärmel warnend nach rechts strecken und das Gefährt mit erfreulicher Geschicklichkeit in den ziemlich engen Torweg hineinlotsen. Oberhauswart Obermayer hat bereits vor dem Portal zu stehen, um die Wagentür zu öffnen, sodann die Drehtür des Windfangs in nicht zu schnelle und nicht zu langsame Bewegung zu setzen und schließlich, während Exzellenz über den dicken roten Treppenläufer lautlos hinanstieg, das elektrische Klingelsignal zu geben – so daß also Regierungsrat Dr. Schmidt bereits im Kabinett stand, wenn der Chef erschien.

Ordnung und Übersicht gehörten sowohl zur Apparatur des Dienstgeschäftes als auch, im weiteren Sinne, zur glatten Laufbahn und zur gemessenen Zielstrebigkeit seines Lebens überhaupt. Das hatte beruflich seine guten Früchte getragen, förderte zugleich aber in der persönlichen Sinnesart eine gewisse Bequemlichkeit, eine übertriebene Neigung zum Reibungslosen, Abneigung also vor Widerständen und eine starke Empfindlichkeit gegen Störungen, die nicht in den Geschäftsbereich gehörten und nicht mit den Mitteln der Amtsgewalt beseitigt werden konnten. Der energische Beamte, der dazu da war, den von ihm verwalteten Bezirk des Staates vor Unordnung zu schützen und von jedem Störenfried zu befreien, hatte ein so starkes Bedürfnis, den Rücken frei und das private Leben konfliktlos zu erhalten, daß er sich zuweilen selber fragte, ob er sogar die unwürdige Fähigkeit aufbringen würde, seine Augen zu schließen, wenn der offene Blick in persönliche Verhältnisse etwas Unordentliches, Unübersichtliches, dem Musterfrieden Abträgliches zu entdecken drohte. Jedoch schon diese Selbstfrage – mochte sie auch selten gestellt und noch niemals entscheidend beantwortet worden sein – zeigte an, daß die Zufriedenheit über seine korrekte und erfolgreiche Existenz nicht so vollkommen war, so niet- und nagelfest, wie sie den Anschein hatte.

Während Regierungsrat Schmidt, der persönliche Gehilfe, auf seine erfreulich knappe, wenn auch leicht zur Schärfe neigende Art eine Vorlage des Wege- und Straßenbau-Departements in Erinnerung brachte, geschah das Ungewöhnliche, daß dem Minister wieder die veränderte Adelina in den Kopf kam, in den Nebensinn zunächst, in sonderbarer Assoziation mit der schwarzen Ledermappe, die er gerade öffnete, um ihr die zu Hause bearbeiteten Akten zu entnehmen. Er hatte gestern abend gerade die Akten in die Mappe getan und sie geschlossen, mit dem Schlüsselchen eingeschlossen, als Adelina zu ihm in die Bibliothek kam – die Uhr zeigte zehn Minuten nach halb zwölf. Wie kam sie dazu, zu diesem gänzlich unüblichen Nachtbesuch, wenn nicht aus jener fiebrigen Unruhe heraus, die er seit gestern oder vorgestern an ihr bemerkte? Auch die nicht häufigen Abende ohne gesellschaftliche Verpflichtung waren angenehm und mit höflicher Rücksicht auf den nun einmal bestehenden Gesprächsstoffmangel der Eheleute geregelt: bis zehn Uhr abends wurde Bézique gespielt, und dann war jeder frei, der Herr für seine Akten in der Bibliothek, die Dame in ihren Räumen des Oberstockes für irgendeinen Zeitvertreib, nach dem er sich übrigens, wie es ihm flüchtig durch den Sinn kam, noch niemals erkundigt hatte. Zu welchem Zweck also war Adelina gegen alle Art um halb zwölf nachts in der Bibliothek erschienen, anscheinend aus dem Bett heraus oder vor dem Bettgang, im Peignoir? – zu keinem erkennbaren. Und was redete sie? – zunächst nichts. Sie beugte sich über den Schreibtisch, mit aufgelehnten Ellbogen, und sah ihn auf eine Weise an, die man verstört nennen konnte und ihn zu dem Vorschlag berechtigte, Baldriantropfen zu nehmen. Sie antwortete darauf mit einer Grimasse des Lächelns, so weit die sanfte Ordnung und übersichtliche Hübschheit ihres Gesichtes sich verzerren konnte – nun ja, es war wohl nur ein vergewaltigtes Weinen, also ein weiteres Zeugnis ihres krankhaft erregten Zustandes, und Graf Matthias war sofort bereit, Geheimrat Pollack, den Hausarzt, telefonisch herbeizurufen. Daraufhin endlich sagte sie ein Wort, aber ein geradezu irres: »Ach ja, ach ja, den Arzt kann man anrufen – aber dich, aber dich?« Und als er sie begütigend, wie es einer Kranken gebührt, und auf ihren Fieberwahn eingehend, dennoch aber sehr peinlich berührt fragte, ob sie sich, wenn möglich, hinsichtlich der als mangelhaft beklagten Kommunikationsmöglichkeit des näheren äußern könne, hatte sie nur, wie verlegen, mit dem Nickelverschluß der Aktenmappe gespielt und dabei geflüstert: »Verschlossen wie der Herr …« Das war alles, eine Fieberangelegenheit, wenn auch von unangenehmer Anzüglichkeit. Den Arzt verbat sie sich mit ganz vernünftigen Worten, und dann ging sie, sich artig entschuldigend.

 

»Exzellenz, zehn Uhr fünfzehn«, erinnerte Dr. Schmidt.

Die erste Amtsstunde war nun schon verrollt – keine Zeit lief für Graf Bonde so schnell wie die geregelte und planvolle des Dienstes –, der Nebengedanke an Adelina und ihre bedauerliche Verkühlung war längst mit der Aktenmappe abgelegt, Dr. Schmidt hatte bereits den allmorgendlichen Wunsch- und Merkzettel der Departements vorgetragen, und der Minister selber war damit beschäftigt, eine Verfügung zum Geschäftsbereich des Grundbuchamtes zu revidieren. »Schon bereit«, nickte er jovial, »also die Besucherliste für heute.«

»Erfreulich«, meinte Dr. Schmidt und reichte ihm ein Blatt, »nur diese Wohltätigkeitsdame, die sich vorgestern telefonisch hat anmelden lassen, um des guten Zweckes willen angenommen wurde und übrigens schon seit neun Uhr fünfzig zur Stelle ist.«

Der Minister überflog das Blatt: »Aha … na ja, Wohltäterinnen wollen sich sehen lassen. Also bitte.«

»Übrigens, Exzellenz«, meinte Dr. Schmidt, »man könnte wohl, da es sich doch nur um die eine Audienz handelt, den Regierungsrat Krieger von der Polizeidirektion auf zehn Uhr fünfzig befehlen.«

»Wie war disponiert?« fragte Bonde.

»Daß nach den Audienzen telefonischer Bescheid erfolge.«

»Na also«, meinte der Minister, »dann lassen wir es dabei. Umdisponierungen ohne zwingenden Grund sind mir ja immer ein bißchen zuwider, lieber Doktor. Und nun die Wohltäterin.«

 

Als die Dame, die für eine Wohltäterin ziemlich junge Dame in einem einfachen, dunklen, aber – wie Graf Matthias sehr wohl beurteilen konnte – ausgezeichnet gearbeiteten Schneiderkostüm eintrat, übrigens recht unbefangen oder geradezu forsch, erhob sich der Minister von seinem hochlehnigen Arbeitssessel, ohne jedoch hinter dem Schreibtisch hervorzutreten, deutete eine Verbeugung an und blieb dann gleich, die Hände auf die Schreibtischplatte stützend, geneigten Kopfes in unauffälliger Leseverbindung mit der vor ihm liegenden Besucherliste: »Frau Franziska Spitzeder, nicht wahr? Guten Tag, gnädige Frau. Sie kommen wegen des neuen Tuberkulosenheims auf der Alberthöhe, nicht wahr? Bitte nehmen Sie Platz.«

Er wies auf den braunledernen Klubsessel, der vor dem Schreibtisch stand. Die Dame hatte zweimal »Jawohl« gesagt, mit dunkler und angenehmer Stimme, und jetzt setzte sie sich. Der Minister nahm seinen Platz wieder ein und warf einen raschen Blick auf die Besucherin. Fast alle Menschen, die dieser Sessel trug, saßen mit ehrfurchtssteifem Rücken auf der Kante: die Wohltäterin aber setzte sich tief in den Sessel hinein und verstand es dennoch, eine anmutig gesammelte Haltung zu bewahren. Sie streifte langsam den Handschuh von der rechten Hand, schlug die überraschend hellen Augen auf und fragte: »Darf man hier rauchen, Exzellenz?«

– Vielleicht Amerikanerin, dachte Bonde, wenn auch kein Akzent feststellbar. Er sagte mit gemessener Höflichkeit: »Bitte sehr.« Die Dame öffnete ohne Hast die Handtasche und entnahm einer kleinen goldenen Tabatiere eine Zigarette – sie wartete einen Augenblick, vielleicht weil sie erwartete, daß der Minister ihr Feuer reichen würde: dann ließ sie ein goldenes Feuerzeug entflammen. Bonde hatte die Augen auf der Liste. »Sie ließen verlauten, gnädige Frau, daß Sie bereit wären, dem Baufonds eine Summe beizusteuern. Ich bin der Vorsitzende des Kuratoriums, wie Sie wissen, und stehe Ihnen in jeder Weise zur Verfügung. Es wird mir eine Freude sein, Ihr edelmütiges Hilfswerk der allerhöchsten Stelle bekanntzugeben und natürlich auch, wenn Sie nichts dagegen haben, der Öffentlichkeit …« Er blickte auf; denn er hörte von der Dame einen hellen Laut, der wie der Anschlag eines Gelächters klang, und er sah auch, daß sie zum mindesten lächelte oder noch lachte, nur lautlos, mit schrägen grünen Augen, Wangengrübchen unter den hohen Backenknochen und mit blendend weißen Zähnen; er vermerkte ferner, daß sie eigentümlich schön war.

»Ob ich etwas gegen die Öffentlichkeit habe«, sprach sie, und auch ihre Stimme vibrierte wie im lautlosen Lachen, »davon später, Exzellenz. Zunächst nur, daß ich unter Umständen zwanzigtausend Mark gebe, vielleicht auch mehr …«

Die Antwort gefiel ihm nicht, der recht hohen Summe zum Trotz und obgleich er wußte, daß es nicht nur Wohltäter gab, die sich sehen und ministeriell rühmen lassen wollten, sondern auch solche, denen wunderliche Bedingungen und launische Geheimnistuerei die notwendige Befriedigung verschafften. Ihm gefiel das unterirdische Gelächter nicht, das zu keiner noch so bizarr gearteten Wohltat paßte und als Antwort auf seine höflich und würdig vorquittierte Dankbarkeit, der Staatsdankbarkeit doch, unziemlich genannt werden mußte. »Unter Umständen?« fragte er pedantisch (er hätte ohne das Mißfallen und als kluger Kurator gewiß zuerst die stattliche Ziffer begrüßt und die bedingende Kaprize in einen Nebensatz abgedrängt); »verzeihen Sie, Frau …« Er suchte in der Liste, als besäße er nicht nächst Dr. Schmidt das beste Namensgedächtnis im Amt, und die Dame ließ ihn suchen. »Frau Spitzeder, bedeuten diese Umstände sozusagen die Vorbedingung für das großzügige Geschenk oder beeinflussen sie nur den Zeitpunkt der Auszahlung?«

Die Dame ließ sich für die Antwort Zeit. Sie rauchte ein paar hastige Züge und sah den Dampfwölkchen nach, sie lächelte auch nicht mehr und sprach dann viel leiser als bisher, sogar ein klein wenig kurzatmig: »Die Umstände bedeuten allerlei, Exzellenz, sie sind beträchtlich, sie bedingen dies und das. Der Name Spitzeder zum Beispiel gehört zu meiner Ehe, die geschieden ist. Jetzt trage ich wieder meinen Mädchennamen …« Sie zögerte, ihre Hände wurden unruhig und die Zigarettenasche fiel auf ihr Kleid. »Gibt es hier einen Aschenbecher?« fragte sie.

Es gab hier keinen Aschenbecher; denn der Minister rauchte nicht, den Beamten war es verboten und von den Besuchern wagte es nur der Herr Kollege von der Justiz, die Kette seiner zwölf Zigarren täglich auch hier nicht zu unterbrechen, den Teppich als Aschenbecher und das Bodenblech vor dem Kachelofen als Abwurfstelle für seine übelriechenden Tabakstummel zu benutzen. Möglicherweise hing die ständige leichte Spannung zwischen den beiden Ministerien mit diesem unordentlichen Verhalten des dienstjüngeren Juristen zusammen. Bonde war etwas in Verlegenheit, da er die Dame, so sonderbar sie war und so unübersichtlich sich das Gespräch über die Wohltätigkeit anließ, nicht auffordern konnte, ihre Zigarette auf dem Ofenblech zu deponieren. »Das hat seine Schwierigkeit«, meinte er, über die Gegenstände des Schreibtisches den Blick führend, »mit dem Aschenbecher nämlich. Denn ich bin Nichtraucher, Frau … gnädige Frau, und das ganze Haus hier ist sozusagen eine Abteilung für Nichtraucher, also ohne Aschenbecher …« Er schmunzelte über seinen Witz und beschloß, einen temperierten Humor auch weiterhin gegen die Wohltäterin anzuwenden – man dürfte so mit dem geringsten Zeitverlust zur umständlichen Liebesgabe kommen. »Es bleibt also nichts übrig«, fuhr er fort und erhob sich, »als mir, dem Kurator, auch den Zigarettenstummel anzuvertrauen.« Er trat auf die Dame zu, die leidigerweise ernst geblieben war, so daß also jetzt ihre Humorlosigkeit als audienzmäßige Indezenz zu gelten hatte wie vorhin ihre Lachlust. Die Dame reichte ihm den Zigarettenrest, kaum aus dem tiefen Stuhl sich vorneigend, und sagte nur: »Danke.« Aber sie hatte das Gesicht zu ihm aufgehoben und sah ihn genau an, mit ungehöriger Genauigkeit, in ernster Musterung. Die Zigarette war von ihren Lippen rot gefärbt – alles rundete sich zum mißlichen Bilde; denn man kommt nicht geschminkt zur Audienz. Der Minister trug mit abgespreiztem Arm und spitzen Fingern den Stummel zum Ofen: da er ihn nicht anfassen wollte, wo die roten Male waren, versengte er sich leicht die Finger. Aber ihre roten Haare waren echt: Graf Matthias verstand sich sehr wohl darauf.

Er kehrte auf seinen Platz zurück, ohne sie anzusehen, und rieb die beiden brennenden Finger gegeneinander. Er sprach mit Humor: »Dagegen hat es gar keine Schwierigkeiten, unter einem anderen Namen Gutes zu tun, gnädige Frau, sei er ehelich oder nicht. Sie können sich sogar im Falle äußerster Enthaltsamkeit mit Ihren Initialen bezeichnen oder sogar mit XY oder, wenn Sie Spaß an Märchenhaftem haben, mit ›Gute Fee‹ …«

»Sehr schön«, unterbrach die Dame und verbarg nicht einmal ihre Gleichgültigkeit gegenüber seinem Frohsinn; »doch ich heiße nun einmal so, daß diese Audienz schwerlich zustande gekommen wäre. Da mir aber an dem Gespräch mit Ihnen viel mehr liegt als an dem Tuberkulosenheim, ganz offen gesagt, waren die paar Maßregeln notwendig.«

Graf Bonde vereiste auf seine in der ganzen inneren Staatsverwaltung gefürchtete Art. Er bekam ein steifes Genick und ein aufgereckt erstarrtes Kinn, die dünnen Lippen und die schmale Nase wurden blaß vor Kälte, die Augen, plötzlich von der Farbe blauen Eises, vermochten den Fehlbaren, den sie anschauten, gleichzeitig auch zu übersehen, so unerbittlich groß und frosthart war schon der Abstand geworden, und selbst seine Finger waren jetzt so klamm, daß ihnen der goldene Crayon entglitt und wie ein Eiszapfen auf die Tischplatte schlug. Die Stimme aus den erfrorenen Lippen kam zugleich sonderbar dünn und klirrend, höflich und bedrohlich: »Sie belieben zu scherzen, gnädige Frau, zum mindesten hoffe ich es sehr …«

»Ich heiße«, sagte die Dame, gleichgültig selbst gegen seine verwandelte Form und die Ungnade, die sie ankündigte, »ich heiße nämlich Vio, Franziska Vio.«

Der Minister saß noch einen Augenblick in seinem starren Panzer, dann stand er auf, nicht etwa schnell, sondern eher langsam, mit aller gesammelten Kälte, unwiderruflich, etwa wie ein Richter, der das Urteil verkündet. Und was er nicht zu laut und nicht zu leise sagte, mit überaus deutlicher Aussprache, Wort neben Wort gesetzt, das war auch so etwas wie eine Spruchverkündigung: »Falsche Angaben über Person und Besuchszweck verwirken natürlich die Audienz. Sie wollen bitte unser Gespräch als beendet betrachten.«

»Nein«, sagte die Dame und rührte sich nicht aus ihrem tiefen Sitz.

Sie sagte einfach Nein und blieb sitzen. Eine solche Antwort auf amtliches Begehren, auf höchstinstanzliche Entscheidung war so regelwidrig und ungültig, so unerklärlich schlechthin, daß sie möglicherweise doch durch ungenaue Interpretation verschuldet worden war. Der Minister, mit dem Zeigefinger neben sich auf die Tischplatte stoßend, als drücke er auf eine Klingel, sagte: »Ich wiederhole: ich ziehe die Genehmigung für die Audienz, um die Sie vorgestern telefonisch nachsuchten, zurück, weil Sie falsche Angaben über sich und den Zweck Ihres Besuches gemacht haben, und fordere Sie auf, die Folgerung daraus zu ziehen, das heißt: sich zu entfernen.«

»Nein, ich gehe nicht«, versetzte Franziska, wieder vibrierenden Tones, als lachte sie inwendig – oder die Stimme bebte doch aus Erregung und Widerspenstigkeit; denn die Frau drückte sich noch tiefer in den Sessel und klammerte sich mit den Händen, der behandschuhten und der nackten, an die Seitenlehnen. »Und jetzt bin ich neugierig, ob Sie die Polizei holen, oder was Sie sonst an Gewalten zur Hand haben …«

Was tut man jetzt, wenn man sich und diesem Raum die ungeheure Peinlichkeit ersparen will, die Gewalt, über die man verfügt, gegen eine Frau anzuwenden? Selbst der Landtagspräsident, ein gewiß nicht kleinmütiger Standesgenosse, hatte im vorigen Jahr, als die zerschossenen Moskauer Barrikaden quer durch Europa schwelten, den in der parlamentarischen Geschichte des Landes einzigartigen Exzeß der Kammeropposition nicht mit der verfügbaren Gewalt beantwortet, obgleich es sich doch um renitente Schreier, Pultdeckeltrommler und veritable Raufbolde handelte, nicht um eine Dame, sondern er hatte einfach, die Sitzung aufhebend, seinen hohen Stuhl verlassen. Man konnte ein Gleiches tun, aus dem Zimmer gehen und dem scharfen Regierungsrat Schmidt das weitere überlassen. Aber entsprach es der Amtswürde, das Feld zu räumen? Keinesfalls entsprach es dem persönlichen Gefühl, nun je, dem Ehrgefühl, und außerdem meldete sich noch eine Empfindung, die vielleicht nur Neugierde war, sich zunächst aber als die alte Vorliebe für Übersicht und Ordnung vorstellte. Denn von Amts wegen war die Identität der Dame mit der gleichnamigen Inkulpatin, deren Akt gestern abend auf dem häuslichen und jetzt hier auf dem amtlichen Schreibtisch lag und heute noch Gegenstand der abschließenden Besprechung mit dem Sachbearbeiter Krieger sein wird, nicht festgestellt. Der Minister fragte streng: »Sie sind doch die Inhaberin des sogenannten ›Volkskredits Vio‹?«

Franziska lockerte die Hände, gleich als ob die Gefahr, man würde sie gewaltsam aus dem Sessel reißen, nun geringer geworden sei. »Allerdings«, sagte sie sehr ruhig; »aber Sie vergewissern sich etwas spät, scheint mir. Wenn ich zum Beispiel schon fortgegangen wäre, dann hätten Sie doch eigentlich nur die eine Gewißheit haben können, gegen eine Frau denkbar grob gewesen zu sein.« Grob zu einer Frau – nun, diesen Vorwurf hörte er zum erstenmal. Er verkniff ein Lächeln – er ein Grobian? Er, der kein Dienstmädchen anfahren konnte und sich als Beamter gezwungen sah, aus seiner Wohlerzogenheit, die wie ein Nessushemd an ihm klebte, um der notwendigen Autorität willen jenen Kältepanzer von Höflichkeit zu gewinnen, der zurechtwies, schreckte und strafte wie ein vulgäres Donnerwetter? Die aggressive Dame konnte ihn nicht kränken, und das laufende Band ihrer Ungebührlichkeiten verlor erstaunlicherweise sogar an der Wirkung, Ärgernis zu erregen. Denn war es nicht geradezu vergnüglich zu bemerken, mit welcher wendigen Anmut und Geistesgegenwart sie ihn bei der bürokratischen Unlogik seiner Frage packte? Hatte sie ihn vorher nicht eindeutig genug auf die notorische Bedeutung ihres Namens verwiesen? Hatte sie also nicht recht, seine überflüssige Identitätssucht mit der hübschen Volte des Kausalzusammenhanges zu parieren? »Ich glaube, Frau Vio«, sagte er, »wir brauchen uns nicht um Akzente zu streiten, da wir in der Tat nichts miteinander zu besprechen haben.«

»Ach«, meinte Franziska und hob verwundert das Gesicht, »woher wollen Sie das wissen? Sie ahnen gar nicht, wieviel ich mit Ihnen zu besprechen habe und wie gut ich darauf vorbereitet bin.

Es braucht gewiß nicht alles heute vormittag und in diesem Raum zu sein.«

Bonde erlaubte sich zu lächeln, genauer gesagt, er befahl sich zu lächeln; denn die Unverfrorenheit der Dame, er spürte es, war nicht Taktik allein, sondern besaß noch andere Substanz, und zwar nicht nur die gute Vorbereitung, die ihr nach alledem durchaus zuzutrauen war, sondern auch noch irgendeine geheime Kraftreserve. Beides gehörte für gewöhnlich zu den administrativen Tugenden des Ministers, und daß er jetzt den Part des Übersichtslosen und Unsicheren spielen sollte, etwa die Rolle des senilen Ministerpräsidenten im Kabinettsrat, war verdrießlich, wenn auch jedenfalls mit ein bißchen Strategie in die richtige Front zurückzubringen. Er lächelte also spöttisch und sagte: »Das eine aber erlauben Sie mir doch, Gnädigste, Ihr Recht auf diese ganz erstaunliche Verfügung über meine Person und meine Zeit ein wenig anzuzweifeln. Sie sehen, ich will die Sache von der komischen Seite nehmen, die sie zweifellos hat.«

»Zweifellos«, bekräftigte Franziska, »es gibt immer eine gewisse Komik der Situation, wenn der eine sehr viel und der andere gar nichts weiß …«

»Wie Sie meinen«, warf Bonde ein und zeigte ein ironisch belustigtes Gesicht, »aber wie sollten Sie auch über behördliche Maßnahmen Bescheid wissen können?«

»Auch das werde ich noch beantworten, Exzellenz«, entgegnete Franziska unbeirrt. »Und wenn ich kein Recht auf Sie und Ihre Zeit habe, so muß ich es mir eben verschaffen, dieses Recht. – Klingt Ihnen das komisch? Mir nicht; denn ich weiß ganz genau, worum es geht, Exzellenz, ganz genau!«

»Sehr interessant«, meinte Bonde steif, »wenn auch etwas unklar. Also worum geht es denn nun eigentlich?«

»Endlich!« rief Franziska und richtete sich im Sessel auf. »Ich bin jedenfalls endlich so weit, daß Sie fragen, was ich will, und mich nicht hinauswerfen! Sie würden mir noch einen besonderen Gefallen tun, Exzellenz, wenn Sie sich wieder hinsetzten.«

– Warum soll ich mich nicht wieder hinsetzen? fragte sich der Minister, warum soll ich nicht ein bißchen Psychologie treiben und sachte aus dieser sonderbaren Audienz ein recht nützliches Inquisitorium machen, zu Nutz und Frommen des Aktes? Denn mit dem Krieger-Referat bin ich sowieso nicht recht einverstanden: der informatorische Teil läßt die soziologische Seite des Erfolgsphänomens durchaus vermissen und die vorgeschlagene Deliktkonstruktion behagt mir wenig; denn sie ist zu grob … Er setzte sich lächelnd. Ich befleißige mich ja nun gebührend der Reaktion auf ihren Grobheitsvorwurf, dachte er und sagte humorig: »Also ich sitze wie gewünscht, Frau Vio, Ihre Energie gefällt mir schon deshalb, weil sie mir einigermaßen Ihre … na sagen wir: Ihre geschäftlichen Erfolge erklärt. Außerdem bedeuten Sie in jedem Fall eine Abwechslung in der Monotonie des Dienstbetriebes.«

Franziska nickte ihm zu. »Davon bin ich überzeugt«, meinte sie; »und um gleich zur Sache zu kommen: darf ich fragen, warum es eigentlich behördliche Maßnahmen gegen mein Unternehmen gibt?«

»Natürlich dürfen Sie fragen«, entgegnete Bonde verbindlich; »ich aber darf leider nicht antworten.«

»Gut, Exzellenz, ich werde nicht mehr fragen. Was also jene Warnung betrifft, die die Regierung in Form einer Verordnung an die Bezirksämter des Oberlandes und an die Magistrate der drei Kreisstädte am fünften dieses Monats herausgegeben hat …« Sie machte eine Pause, um die Wirkung ihrer Kenntnisse auf den Minister festzustellen; doch Bonde verzog nicht das hoffärtige Gesicht und gefiel sich darin, seine Fingerspitzen zu betrachten. »Sie sind doch wohl im Bilde, Exzellenz?« fragte sie ärgerlich. Bonde ließ die Fingerspitzen in spielerischem Rhythmus sich berühren und wieder trennen. »Oder soll ich Ihnen die Journalnummer des Geheimerlasses nennen, Exzellenz?« fragte sie böse. Der Minister faltete die Hände und lächelte gleichsam behaglich; aber er sprach nichts. Franziska schluckte erregt; doch sie nahm sich zusammen. »Was also diese Warnung vor dem ›Volkskredit‹ betrifft, Exzellenz, so ist sie nicht nur ungerechtfertigt und ungerecht, sondern auch wirkungslos und nur schädlich für den Staat selbst, der Unruhe unter die mit mir geschäftlich und persönlich verbundene bäuerliche Bevölkerung bringt. Ich bin gekommen, um es Ihnen zu beweisen und Sie zu bitten, die Warnung zu widerrufen oder doch wenigstens nicht mehr zu wiederholen.«

»Sagen Sie doch, Frau Vio«, ließ sich jetzt Graf Bonde vernehmen und strich mit dem Handrücken über das erhobene und hochmütige Kinn, »warum bieten Sie die zwanzigtausend Mark nicht lieber gleich mir an als den Tuberkulosen?«

»Warum?« fragte Franziska zurück, »weil ich nichts Unrechtes getan und also auch kein schlechtes Gewissen habe. Und wenn ich Angst habe und warne, dann ist es nicht allein meinetwegen. Denn mit mir würde der Staat Tausende von Existenzen ruinieren, zumeist bäuerliche, aber auch etliche aus anderen sozialen Lagern …« Sie schob die Brauen hoch. »... Sogar ein paar Hochwohlgeborene.« Sie wechselte den Ton. »Außerdem haben Sie Geld nicht nötig.«

Bonde hüstelte. »Sehr verbunden. Sie scheinen, wie es recht und billig ist, über meine Verhältnisse Bescheid zu wissen.« Er fand seinen Dialogpart lächerlich.

»Oh«, sang Franziska mit überzeugtem Alt, »ich beschäftige mich mit Ihnen nicht erst seit gestern.«

»Trotzdem muß ich Sie bitten«, schnarrte Bonde, der Ärger machte seine Stimme ganz eng, »von nun ab meine Person aus dem Spiel zu lassen.«

Franziska beugte sich vor, mit einem Ruck, und lächelte von der anderen Seite her über den Schreibtisch mit blanken Zähnen, vertieften Wangen und schrägen Augen. Das ist die Farbe, dachte Bonde, nervös blinzelnd, ich hab's: verblichenes Moosgrün … »Da ist der springende Punkt«, sagte Franziska wie fröhlich, »oder, in meinem Jargon, der Umrechnungskurs: Sie lassen die amtliche Vernunft ins Spiel, in meinem Sinne und meiner Warnung gemäß, verfügen also die vernünftige Abstinenz von weiteren Amtsausschweifungen in Sachen ›Volkskredit‹ – und ich lasse dafür Ihre Person aus dem Spiel …«

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, Frau Vio«, unterbrach Bonde, seine Nase war weiß geworden, »daß wir hier ein ganzes Dezernat für Erpressungen haben.«

Franziska sah ihn aufmerksam an. »Eben war es noch Bestechung«, meinte sie, »man fällt bei Ihnen von einem Verbrechen ins andere. Ich kann also auf keine Weise weder durch Wohltätigkeit noch durch Konsortialgeschäft verhindern, daß am Ende meine staatlich geprellten Einleger nicht nur das staatlich geschlossene Banktor einschlagen werden, sondern auch Ihre Ministeriumsfenster, und daß nun der zweite unvernünftige Schritt auf diesem Wege erfolgen und die amtliche Warnung vor dem ›Volkskredit‹ als Auflagenachricht in allen Zeitungen zu lesen sein wird.«

Der Minister legte die Hände flach auf die Tischplatte und straffte das Kreuz. Auch das weiß sie? Wie kann sie das wissen, woher, von wem? Und wie blitzschnell und blitzhell und zugleich wie anstößig kann die Frage nach ihrem Wissen alle Menschen, die paar Menschen heimsuchen, die es wissen? Und nun soll man auch noch antworten, amtlich und würdig, während die Gedanken dem traurigen Geschäft obliegen, den Verräter festzustellen. Bonde stieß den Atem durch die Nase, deren Flügel erregt vibrierten. »Wie kommen Sie nur zu der absurden Idee, Frau Vio, daß staatliche Maßnahmen durch irgendwelche Machenschaften beeinflußt oder gar verhindert werden könnten? Wenn der Staat einen Krebsschaden erkannt hat, so ist er verpflichtet, ihn auszumerzen, rücksichtslos.« Und die Frau lächelt immer noch, sie lacht jetzt gar leise und wohllautend, und die Gedanken fahnden immer betroffener, immer verräterischer nach dem Verräter, und hier sitzt man und schwätzt immer noch seinen unterlegenen Würdepart? Der Minister sprang auf. »Damit ist alles gesagt, meine ich!«

Die Frau erhob sich anmutig. »Verzeihen Sie, Exzellenz, daß ich gelacht habe. Ich dachte an einen andern, etwas roheren Vergleich aus der Medizin, wie er eigentlich nicht recht zu Ihnen paßt. Die Publikation sei nur die Vorbereitung zur Operation; dann werde zugepackt und geschnitten, ohne Chloroform. Hieß es nicht so?«

»Woher …«, flüsterte Bonde; dann preßte er die Lippen zusammen, so daß sie weiß wurden wie die Nase.

»Sehen Sie, Graf Bonde«, sagte Franziska erregt, »jetzt haben wir die komische Seite der Angelegenheit ganz und gar verloren.« Sie machte eine Bewegung, als wollte sie ihm die Hand reichen; aber sie drehte sich schon um und ging zur Tür. Dort wandte sie sich ihm nochmals zu: »Mir ist dabei ganz gewiß so wenig wohl zumute wie Ihnen, Exzellenz«, sagte sie traurig. Auch ihr trauriges Gesicht war hinreißend.

 

Das Mädchen Adelina, damals – die kühle Braut war in den gelben, steifen und vor lauter Schonung zu Benutzern unwirschen Empiresalon getreten, in dem der korrekte Bräutigam mit der Brautmutter, einer sich niemals anlehnenden Frau, saß, und hatte dies gesagt: »Na, dann seien wir also die gehorsame Tochter.« Das war die Einwilligung gewesen, Hochzeit zu machen. Das war an irgendeinem Tag gewesen, und sie war in Hut und Mantel, von irgendwo herkommend, und eben noch hatte die rückgratfeste Mutter die Heiratsscheu der Braut mit höflichem Bedauern als zur Zeit noch unüberwindlich dargestellt. Adelina aber hatte bei ihren Worten und seit ihrer Entscheidung ein neues, fremdes und fremdartiges Lächeln aufgelegt, das ihr nicht zukam und sie dennoch kleidete, als ob sie sich zum erstenmal geschminkt hätte oder – nicht wahr – als ob sie von sehr kundiger Hand geschminkt worden wäre.

Bonde stand noch immer neben dem Schreibtisch und schaute ins Leere. Daß ihm Dr. Schmidt eine gewisse Zeit ließ, seinen Gedanken nachzuhängen, war so ungewöhnlich wie die Geistesabwesenheit des Chefs selber. Schließlich aber erinnerte der Regierungsrat auf seine knappe, wenn auch etwas scharfe Art: »Exzellenz, elf Uhr fünfzehn!« – und Bonde erwachte aus der Versunkenheit. Er fuhr sogar zusammen und streifte den Gehilfen mit einem wirr erschrockenen Blick. Dr. Schmidt aber schaute in einen Akt und sah ein wenig verlegen aus, so als wollte er durchaus nicht die Zerstreutheit des Vorgesetzten bemerkt haben. Er hob auch nicht das Gesicht, als er sagte: »Ich bitte Exzellenz nun um den Bescheid für Regierungsrat Krieger.« Er fragte also nicht nach der Wohltäterin, er hielt sich mit keinem Wort bei der Audienz auf, die ihn ja auch dienstlich nicht unmittelbar anging – ein angenehmer Beamter.

»Ja«, sagte Bonde, der sich gesetzt hatte und die Mundwinkel mit seinem Taschentuch betupfte, »telefonieren Sie Krieger … – Offengesagt, Doktor, ich bin mit seinem Referat in Sachen ›Volkskredit‹ nicht restlos einverstanden …« Bonde stockte und sah seinen Gehilfen an. Dr. Schmidt trug einen Klemmer, der auf der ohnehin knolligen Nase an der Wurzel eine kleine Geschwulst herausdrückte. An dieser Stelle nun, als ob sie blutunterlaufen wäre, zeigte sich zuerst die plötzliche Röte, die dann in die kahle Stirn stieg. »Es ist meine Pflicht«, sagte er jetzt mit einer Stimme, die dem Minister unbekannt war, mit einer vor Erregung oder Verlegenheit geborstenen Baßstimme, »Eurer Exzellenz dies hier zu zeigen.« Er öffnete die Hand, und in der Hand lag eine kleine Visitenkarte. »Die Dame«, sprach er weiter, »ließ sie fallen, als sie durch mein Büro schritt. Die Dame verlor sie nicht, sondern öffnete, mitten im Zimmer einen Augenblick stehen bleibend, die Handtasche, entnahm ihr die Karte, ließ sie fallen und ging stumm weiter.« Dr. Schmidt legte die Karte auf den Schreibtisch. Bonde las »Franziska Vio, i/Fa. ›Volkskredit Vio‹.« Er sagte: »Interessant«, sonst nichts, und schob die Karte an den Tischrand. Er fuhr fort: »Telefonieren Sie Krieger, daß ich den Akt noch einmal durcharbeiten muß und daß er morgen Bescheid erhält.«

Dr. Schmidt ging stumm hinaus, seine Stirn war noch rot, sogar sein Nacken, der in zwei Wülsten über den hohen Stehkragen hing.


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