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Zweites Kapitel

Die Freundschaft zwischen Franziska, die sich der Schätzung ihres Alters entzog, und Adelina, der gewiß jüngeren, die noch immer wie ein Mädchen aussah, dauerte nun schon sechs Jahre. Sie war also bald nach der Jahrhundertwende entstanden, auf seltsame und fast unwahrscheinliche Art, und hatte ihren besonderen Charakter, ihre Heimlichkeit und gleichsam lichtscheue Neigung beibehalten, obgleich sie zart, gut und dauerhaft war, zugleich mütterlich und schwesterlich. Aber die Umstände waren gegen sie, von Anfang an, und selbst der Umstand ihrer Begegnung war häßlich gewesen.

Ein zwanzigjähriges Mädchen aus adligem Haus, noch dazu verlobt mit einem hohen Staatsbeamten, ein verschwärmtes, blutarmes und gänzlich unerfahrenes Mädchen, so wie es jene Zeit gezüchtet hat, kommt nach kurzem Austausch unsinnig verstiegener Liebesbriefe in die Wohnung des Stadttheatertenors. Sie kommt verschleiert, die Kamelie am jungen Busen, zitternd vor Abenteuerangst und sehr unglücklich über den eigenen Entschluß, sich hinzugeben. Sie ist hübsch wie noch nie und weiß es nicht, blasses süßes Gesicht mit den schwarzen Stirnlöckchen über den blauen Angstaugen, sie trägt weiße Glacéhandschuhe bis hoch zu den schmalen Armen hinauf, und so kalt ist ihr an diesem warmen und sündhaft jubilierenden Frühsommernachmittag, als seien die langen Handschuhe aus Eis, aus dünnem schmiegsamen Froststoff, der in die Haut friert. Dann werden die Augen noch größer und eine heiße Welle Blut steigt ihr in die Stirn, sie sieht den roten Dampf noch vor dem Blick zittern, fühlt genau noch das wehe und abstoßende Gefühl, heiß und kalt zu haben im Körper, nahe beieinander – und schon ist das Entsetzen verschwunden: wenn es überhaupt Entsetzen war und nicht nur Erschrecken. Eine Frau tritt ins Zimmer, eine junge schöne Frau, und lächelt; und Adelina ist es, als habe sie noch niemals in ihrem Leben ein so schönes Lächeln gesehen. Damit aber gibt sie sich zu, was schon ganz dicht unter dem Entsetzen oder dem Erschrecken lauert: nämlich die Erleichterung, daß es nicht der Geliebte ist, mit der entsetzlichen Liebesforderung, sondern eine Frau mit dem schönsten Lächeln – seine Frau, wie sie sofort sagt, Franziska. Sie sagt dann noch vieles, lächelnd und unumwunden: daß sie auf die Liebeskorrespondenz kam wie auf manche ähnliche, daß der Heldentenor ein wahlloser Bock sei, auch zwischen Choristinnen und Dienstmädchen wütend, übrigens zum Schaden seiner Stimme, daß sie, Franziska, die zärtliche Einladung an Adelina abgefangen, geöffnet und mit ihrer anpassungsfähigen Schrift zeitlich korrigiert habe, eben auf die heutige Stunde, wo er Probe habe oder eine andere Liebesstunde, das weiß man nie, und daß sie es getan habe, um sich das Opfer mit dem edlen Familiennamen und der lieblich artigen Mädchenschrift anzusehen und es zu warnen, wenn es sich verlohnt, oder es auf die richtige Stunde zu bestellen, wenn's sich nicht verlohnt. Es verlohnt sich, fügt sie hinzu und lächelt auch mit den schrägen, ganz hellen Augen; und dies nun genügt, um Adelinas Tränen zu entfesseln und das Mädchen in die Arme der großen schönen Schwester zu drängen.

Daß sie keine Schwester im Leide war, sondern eine klarsichtige, entschlußkräftige und eigentümlich ungerührte Frau, ihrer warmblütigen und oft hitzigen Art zum Trotz, wurde bald offenbar, schon bei den folgenden Zusammenkünften, zu denen sich das Mädchen in die Tenorwohnung schlich, doch nicht mehr um des Mannes willen, sondern um die Retterin wiederzusehen. Dabei war es nicht Dankbarkeit, was die Jüngere hinzog, sondern ein vielschichtiges Gefühl, das Neugierde, Bewunderung und immer doch auch die Reize des Verbotenen oder sogar des Sündhaften enthielt. Dies war um so verwunderlicher, als Franziska fortfuhr, auf vernünftige, anständige und beinahe nüchterne Weise die Aufklärung zu besorgen, nun auch die des eigenen Verhältnisses zu ihrem Mann. Es kam weder zu einer Enthüllung des Herzens noch zu einem Geständnis des Herzeleids, von Liebe und Liebeskummer war überhaupt nicht die Rede: das Treiben des Mannes war unappetitlich, sein Wesen verächtlich, die Verbindung ein Irrtum, also aufzulösen. Dann aber sagte sie, in ihre kalten Erkenntnisse und Entscheidungen hinein: »Doch ich nehme sein Glück mit.« Sie raunte es nicht unheimlich wie eine rothaarige Hexe, sondern stellte es mit der gleichen Sicherheit und Kühle fest wie die Widerwärtigkeiten seiner Person. Nur lächelte sie hinreißend dabei: und eben dieses Lächeln, einen Ausdruck der Grausamkeit doch, der Schadenfreude, der rätselhaften Genugtuung, wieder bewundern zu müssen, überschauerte Adelina von neuem mit dem Gefühl des Verbotenen und Sündhaften, aber auch der Ratlosigkeit; denn vielleicht war auch Franziskas Lächeln der Begrüßung, als sie nach unverhohlener Schriftfälschung statt des Geliebten vor die kleine Kameliendame hintrat, grausam und schadenfroh gewesen, voller Abgründe. Im gleichen Zuge auch offenbarte es sich, daß das Glück, welches sie mit sich dem Mann zu entführen gedachte, in keinem Sinn mit Glücksgütern zu tun hatte; denn Franziska Spitzeder, geborene Vio, war mittellos, um nicht zu sagen arm, das Kind kleinbürgerlicher Eltern, die, aus dem Süden eingewandert, in einem Bezirksstädtchen des Oberlandes ein Südfrüchtegeschäft betrieben, sie hatte dem Mann nichts anderes in die Ehe mitgebracht als ihre schöne Person und das kleine Opfer einer gerne abgebrochenen Kontoristinnenlaufbahn, und sie hatte für ihre eigene Zukunft bei der Lotterwirtschaft des Tenors, der niemals mit seiner stattlichen Gage auskam, wiederum keinen Lebensunterhalt zu erwarten. Das berufene Glück also konnte nur das Künstlerglück bedeuten, das Sängerglück, Anstellung und Erfolg, und war schwerlich auf die Frau übertragbar, die es ihm doch, wie sie sagte und nachwies, zusammen mit ihrer Person verschaffte. Denn als sie sich kennenlernten – Franziska sagte nicht einmal: als sie sich ineinander verliebten –, war er ein Nichts als Sänger, ein Anfänger mit hübscher Stimme und Statur, dem Konservatorium gerade entwachsen, wenn auch schon ein geübter Draufgänger und Schütze in der Jagd nach Frauen, und daß er sie nicht aufs Geratewohl und nebenbei erlegte, lag an ihrer soliden Forderung, sie nun ratsamerweise auch zu heiraten, wolle er sie nicht ihrerseits zur Jägerin machen, und zwar zur Jägerin des Jägers, zur Revolverschützin – eine feige und unsolide genug erfüllte Forderung. Und kaum daß sie geheiratet hatten, bekam er sein erstes Engagement, dank seiner hübschen Stimme und auf Grund des besonderen Eindruckes, den der Provinztheaterdirekter von der die Verhandlungen lächelnd führenden Sängersfrau gewonnen hatte. Wenn sie nun das Berufsglück, das sie ihm als Mitgift brachte, wieder entführen konnte, so war es ein Schaden für ihn, aber gar kein Nutzen für sie, und ihr Entschluß, ob auch schadenfroh und grausam im bewunderten Lächeln, war mutig und gegen sie selber rücksichtslos. Adelina, die in ihrem umhegten Leben von solchen ausbrechenden und lebensumkrempelnden Entschlüssen keine rechte Vorstellung hatte und nicht einmal bei ihrem Entschluß, das Abenteuer mit dem Sänger zu wagen, an krasse Folgen für das Dasein dachte, nicht einmal an eine Verbeulung der Lebensform – Adelina hoffte, daß sich der Entschluß der Freundin zunächst einmal mit Formulierung, mit starken Worten und grausamem Lächeln zufrieden gebe und die für beide Teile krassen Folgen durch den möglicherweise befriedigenden Schwebezustand zwischen Wille und Tat hinhalte. Sie gab sich nicht weiter Rechenschaft darüber, warum sie es hoffte: ob aus Angst für Franziska oder aus der eigenen Abneigung gegen das Umkrempeln der Lebensform, gegen rohes Tun überhaupt, oder gar aus Angst für den verfehlten Liebhaber, mit dem sie plötzlich in einem Winkel des Herzens Mitleid hatte. Doch nicht viel später bestellte Franziska sie für das nächstemal in eine kleine billige Pension, wohin sie nun zöge.

So war es nun geschehen, und die Tat gestaltete sich nicht weiter tragisch, wie es Adelina zu beobachten glaubte. Der Tenor sang nach wie vor im Stadttheater und hatte wahrscheinlich auch nach wie vor seine Lustjagden und Liebesopfer in höheren oder niedrigeren Revieren. Die geschiedene Frau Spitzeder, die sich nun wieder Vio nannte, Frau Franziska Vio, blieb nicht lange in der dürftigen Familienpension, sondern präsentierte sich der Freundin in einer nicht uneleganten Zweizimmerwohnung. Es schien ihr also nicht schlecht zu gehen und dem Tenor noch nicht schlechter, trotz des mitgenommenen Glückes; und dem Augenschein nach erfüllte er sogar seine Unterhaltspflichten, zumal es anders nicht einzusehen war, womit Frau Vio, die doch keiner Beschäftigung oblag, ihre Lebensweise nicht nur aufrecht erhielt, sondern sogar verbesserte. Franziska ließ darüber nichts verlauten, und Adelina, die von Haus aus geneigt war, materielle Sorgen nur im Sinne der Wohltätigkeitsdamen ihrer Kreise zu begreifen und sie um die Weihnachtszeit herum mit selbstgestrickten Pulswärmern und Halstüchern zu bekämpfen, hielt sich an die naheliegende Vermutung, die sowohl ihrer Standesmoral entsprach als auch den Sänger in ihren Augen halbwegs rehabilitierte. Franziska sprach nicht mehr von ihm und wenig von sich, das Problem war gelöst. Sie schien mit dem selbstbereiteten Los vollauf zufrieden, sie war munter und selbstsicher, warmblütig bis zum leicht Hitzigen wie immer, ja, sie war wie immer, und unglücklich war sie gewiß niemals gewesen.

Das Problem der Sängerehe war gelöst, das der Sängerliebschaft mit dem Mädchen hatte dank ihres Zugriffes niemals bestanden: so griff Franziska, als obliege es ihr, die Verhältnisse der seltsamen Freundschaft nach allen Seiten zu bereinigen, die Lebensfrage der Freundin auf und beantwortete sie auch sofort. Sie bewies ihr mit anständigen, vernünftigen und beinahe nüchternen Gründen, daß sie keine bessere Wahl habe treffen können, als sich mit dem gräflichen Ministerialdirektor zu verloben, einem Standes- und Staatsherrn mit vorgeschriebener und gesicherter Laufbahn zur höchsten Würde, einem, den Bildern nach, gutaussehenden Kavalier in den besten Jahren, und die verständigste Methode, die sehr törichte Kleinmädchenangst vor den fünfundzwanzig Jahren Altersunterschied zu überwinden, sei fraglos, den Erwählten nicht zu einem noch älteren Bräutigam werden zu lassen und ihn als guten Vierziger zu heiraten, als einen, der noch ein paar Stufen der Karriere vor sich hat: also jetzt. Sie sprach nicht viel anders wie Adelinas Mutter, Tanten und nobelsteife Familienrätinnen, doch da sie es war, die bewunderte, heimlich eroberte und süß verheimlichte Freundin aus der Welt des Abenteuers, klang es anders und selbst das Hausbackene verlockend. Und wie klingt ihre Antwort auf den Haupteinwand, der vielleicht auch nur die Angst der dummen Gans ist? Zu Hause hatte man dafür das fix und fertige, von Müttern und Tanten verkostete und scheinbar für alle Familienmitglieder zuständige, bei allen wirksame Hausrezept: die Liebe kommt mit der Gewohnheit. Franziska nun nahm den hübschen Kopf des Mädchens zwischen die Hände, so ungefähr, wie es auch die Salbungsvollen zu Hause bei diesem Frage- und Antwortspiel getan hatten. Dann aber lächelte sie bezaubernd über allen möglichen Abgründen und entgegnete: »Du sollst ja heiraten, du arme Hochwohlgeborene, damit du dir endlich auch die Liebe leisten kannst oder was man so heißt …« Das war ja nun eine gänzlich andere Antwort als die hausbackene: eben die lächelnd eigentümliche, die an Verbot und Sünde streifte. Aber sie kam aufs gleiche hinaus und schloß dazu verfänglich den Beweisring. Adelina war umstellt und gehörte bekanntlich nicht zu den Ausbrecherinnen. Sie war auch gar nicht traurig, sondern nur verhalten erregt, und sie lächelte sogar, vielleicht ohne es zu wissen, auf gleichsam neue Art, ein wenig wie Franziska, als sie ihr eines Tages die auf üppiges Bütten gedruckte und mit je einer sieben- und neunzackigen Krone geschmückte Einladung zur Hochzeitsfeier zeigte. Sie zeigte sie ihr nur, sie lud sie nicht etwa ein, es verstand sich von selbst. Franziska freute sich sichtlich; denn es war ja zu einem gewissen Teil ihr Werk. Sie bedauerte in gleichem Atem auch, kein Hochzeitsgeschenk machen zu können, obgleich sie dazu, sogar zu einem sehr würdigen und schönen, die äußeren Mittel und die innere Berechtigung hätte; aber sie wollte nicht damit die Lüge, ob auch nur eine harmlose Notlüge auf die Frage nach dem Spender, auf die Hochzeit bringen und gewissermaßen die späteren Ehelügen präjudizieren – nein, das wollte sie nicht, auch nicht als heimlicher Kirchenbesucher bei dem Trauakt zugegen sein: sie wollte in der gewohnten und gebotenen Heimlichkeit und herzlichen Hinterhältigkeit sich an dem Glück der Freundin freuen. Adelina betrachtete unruhig und von ungewissen Empfindungen überschauert das lächelnde Gesicht, das nun doch schon sehr vertraute und immer noch nicht vertrauliche, und dann dankte sie zaghaft; denn soviel Taktgefühl war wohl dankenswert. Sie hielt sich auch nicht lange auf, ihre Zeit war nun begreiflicherweise bemessen und allein schon ihr Brautkleid ein Meisterwerk, das viel Probenhingabe kostete, von dem Arbeitsaufwand für die Wäscheausstattung und die Möbeleinrichtung ganz zu schweigen. Franziska hielt ihre Hand fest: was sie beiläufig noch nicht wissen könne und was sie nur schamhaft verhüllt in der Presse zu lesen bekommen werde – der Sänger Spitzeder sei in eine schmutzige, also glaubhafte Affäre mit Minderjährigen verwickelt und werde nicht mehr auf der Bühne, höchstens noch im Gerichtssaal bewundert werden können. – »Ach«, machte Adelina und wurde rot, sie brannte vor Röte, sie fühlte es. Es war wohl sehr töricht.

Dann sah es aus, als sei dies der Abschied gewesen – nicht der des Mädchens Adelina, das dann als junge Ministerialdirektorin und Gräfin Bonde wieder auftauchte, sondern die Trennung, das plötzliche oder vielleicht nicht so ganz unvorhersehbare Aufhören der Freundschaft, die vollkommene Bereinigung und Erledigung der Probleme, die die beiden Frauen abenteuerlich und nicht gerade erquicklich zueinander geführt hatten. Der einst der frivole Anreger und unfreiwillige Förderer der Freundschaft gewesen war: der verfehlte Liebhaber und abgedankte Sängergatte kam aus dunklen Gründen um die Prozessierung herum und verschwand ziemlich sang- und klanglos, hinter sich eine dürre Entlassungsnotiz im Theaterfeuilleton der Zeitungen und eine rasch vergehende Spur von Gerüchten. Adelina zog zu ihrem Mann in die Landeshauptstadt und schrieb der Freundin nicht, vielleicht ihrerseits aus Taktgefühl, um nicht erst geschehen zu lassen, daß die Korrespondenz einseitig bleiben müsse, ein lahmer Monolog. Es war möglich – Franziska wußte es nicht, aber glaubte es nicht –, daß Adelina bei einem ihrer Besuche im Elternhaus, nicht beim ersten oder zweiten, einen Gang zur Freundin machte und da einen anderen Namen an der Wohnungstür fand. Denn auch Frau Vio war etwa ein halbes Jahr nach Adelinas Heirat in die Residenz übergesiedelt, im Zuge eines wohlhabenden alten Herrn, der sie bereits in jener Zweizimmerwohnung subventionierte und dem sie Glück gebracht hatte, zuerst Börsenglück und dann geschäftliches Glück im aktiveren Sinne. Der alte Herr nämlich war zwar dem Stande nach Rentier, betrieb aber im angenehmen Schatten dieser sozialen Position – angenehm vor allem im Hinblick auf die Steuerbehörde – recht einkömmliche Darlehensgeschäfte, vom Börsenspiel ganz abgesehen. Und da er über ein ehrwürdiges Aussehen verfügte, mit weißem geteiltem Bart, gerändertem Einglas an schwarzer Schnur und einem Ordensbändchen, so wahrten auch seine Geschäfte ein respektables und altväterliches Gesicht, obgleich sie es nicht eigentlich waren. Als es sich nun zeigte, daß Franziska nicht nur als reizvoll eleganter Talisman von Glückswert war, sondern auch durch ihre gelegentliche Anwesenheit bei den leicht gesellschaftlich angeschminkten Verhandlungen eine bemerkenswert anregende und geschäftsförderliche Wirkung ausübte, begann der alte Herr ihre Begabung planmäßiger zu verwenden. Er zog sie hinzu, wenn mehr gefühlsmäßige Schwierigkeiten zu überwinden waren, kleine Hemmungen des Gewissens, und überließ ihr schließlich jene Seite des Geschäftes, die ohnedies nicht ganz leicht mit seiner Eigenschaft als Alterswürdenträger zu vereinen war. Da sie es gerne tat und vorzüglich verrichtete, gewiß nicht ohne Eigennutz, aber vielmehr doch zum Vorteil des Geschäftes, wählte er für sie und sich die Residenz als größeres und freieres Betätigungsfeld; denn in der Provinzstadt war sie selbst als geschiedene Frau des bereits vergessenen Tenors noch zu bekannt und konnte nur vage und mit Vorsicht als entfernte Verwandte des Ehrwürdigen gerechtfertigt werden. In der Landeshauptstadt aber war sie ohne weiteres seine Nichte, bewohnte ein luxuriöses Quartier in den noch etwas neuen Prunkhäusern der noblen Allee, in die der Stadtpark auslief, und verhexte dort verstockte Geizhälse zu waghalsigen Bürgen oder grundsätzliche Schweiger zu Enthüllern und Verrätern eigener oder fremder Finanzgeheimnisse.

Das Interesse an Adelina schien mit der Trennung der Wege erloschen zu sein, wie es überhaupt zu ermessen schwer war, welche Rolle die Anhänglichkeit an Menschen in Franziskas Gemüt spielte. Sie hatte Glück bei Menschen und übte es aus, warmen Blutes, aber wohl nicht warmen Herzens, und die Anhänglichkeit oder besser gesagt: die Gefügigkeit, die sie erzielte, genügte ihr: sie selber hing sich nicht an. Wen sie abhalfterte oder, in seltenen Fällen, wer sich von ihr losmachte, den hielt sie nicht einmal mehr in Gedanken – den vergaß sie. So mochte sie Adelina vergessen haben wie ihren geschiedenen Mann, an dem sie einmal in ihrem Dogcart vorbeifuhr, an einem Spätsommernachmittag, im berühmten Park, der sich von ihrer Straße aus weit nach Norden streckte bis in die ländliche Hochebene, mit erstem Herbstgold in den alten Bäumen und Silberschwaden des ersten Wiesennebels, und alte Leute saßen längs des Fahrweges auf melancholischen Bänken. Dort saß auch er, kein alter Mann, aber ein heruntergekommener, und starrte ihr nach. Eine solche Kraft des Vergessenkönnens war in ihrem geradeaus blickenden Gesicht gewesen, daß der Mann nicht hochzuckte, sondern die Vorbeirollende von unten herauf musterte und ihr oder eigentlich den Staubwölkchen der beiden hohen dünnen Räder nachschaute wie nebenan die Alten, die noch dazu Mißgünstiges brabbelten – er aber schwieg. Die beiden Lebensfelder waren sorgsam voneinander geschieden, die drei Lebensfelder; denn Franziska traf auch hin und wieder Adelina, der Dogcart kreuzte die gräfliche Equipage, beim ersten Delikatessenhändler und Hoflieferanten kam man einmal vor dem Forellenbassin nebeneinander zu stehen, im Hoftheater konnte man sich zwei- oder dreimal von der Proszeniumsloge zur Parkettloge sehen; aber man sah sich nicht, die junge Gräfin war niemals allein, Franziska sah sie nicht, Adelina brauchte nicht rot zu werden und das Herz klopfen zu fühlen, die getrennten Felder erleichterten das Vergessen.

So hätte es bleiben und aus dem willentlichen, dem künstlichen Vergessen allmählich das echte werden können. Franziska hatte es wohl darauf angelegt, eine Virtuosin der Gefühlsunabhängigkeit, nicht der Gefühllosigkeit. Adelina war anders und keine Meisterin, sie war immer abhängig, selbst von dem nur zu ahnenden Scheidungsprozeß der Freundin gegen sie; sie war also eigentlich nur insgeheim gehorsam, wenn sie sich nicht rührte und ihren Vergessenspart erfüllte – und dann war es ja auch bequem für sie oder geziemend, es kam auf ein ähnliches hinaus. Als sie es sich schließlich wieder unbequem oder ungeziemend machte – ach, machen mußte, kam zu allererst die alte Angst, nicht über Franziska Bescheid zu wissen. Hatte sich die Freundin gleichsam aus Freundschaft von ihr abgelöst, aus Einsicht für ihre andere Welt, aus dem bekannten Takt- und Hilfsgefühl, oder doch aus Überdruß und auf Nimmerwiedersehen? Und wie nun würde sie es aufnehmen, daß man sich in die Erinnerung zurückruft – nach einem vollen Jahr des Schweigens – und gar noch mehr verlangt als die alte und eigentümliche Heimlichkeit, so innig und fatal die neue Forderung auch damit zusammenhängt?

Sie ließ den Wagen bei der »Pagode« warten, einem Parkrestaurant mit vieldächigem Aufbau, der ungefähr einem chinesischen Tempelturm glich, und tat, als wollte sie sich im winterlichen Stadtpark ergehen. Sie schritt aber, dem Blick des Kutschers kaum entschwunden, der nahen Parkgrenze zu, eben jener breiten und vornehmen Straße, deren Häuser bereits hinter den kahlen Bäumen zu sehen waren und in der nach dem Adreßbuch die Freundin wohnte. Was wird sie für ein Gesicht machen? Ob sie lächelt, wenigstens zur Begrüßung oder vielleicht doch auch später noch? Denn ihr Lächeln reicht weit und tief, die eilig Schreitende wußte es und lächelte, zur Übung gleichsam, nicht frohen Sinnes, in den Muff hinein, den sie ans Gesicht hob, wenn ihr Leute begegneten. Damals war es ein Schleier, heute ein Muff: sie lächelte nun in der Erinnerung oder über das Requisit, sie machte sich Mut. Aber als sie vor der Wohnungstür stand, verlor sie den Mut und die Erinnerung und wußte nicht, daß sie, klingelnd, genau das gleiche wünschte wie damals mit dem Schleier: nämlich daß ihr nicht aufgemacht werde. Es öffnete ein Hausmädchen oder Zöfchen mit weißem Häubchen und zierlichem Spitzenschürzchen: ja, Frau Vio sei zu Hause und wer zu melden sei? Wer war zu melden, welcher Name dem hübschen, flinkäugigen und wahrscheinlich schwatzhaften Wesen auszuliefern? – »Madame Adelina«, antwortete sie dann, sogar mit einem leicht ausländischen Akzent, und dies nun wurde ihr Deckname im Hause Vio.

Ja, Franziska hatte für sie das alte Lächeln, ihr warmes Gesicht zeigte nicht das kleinste Zögern nach der Jahresspanne der Trennung, sie fragte: »Geht's gut, Kindchen?« und es war keine Neugier dahinter, es war die gewohnte Empfangsformel, so als habe man sich erst gestern gesehen und sei auf dem Laufenden. Es enthob beide von Bericht und Rechtfertigung, eine peinliche Aufgabe für Adelina, die sich davor gefürchtet hatte, eine Überflüssigkeit für Franziska; denn, daß es ihr gut ging, sah man mit einem Blick auf die Eleganz ihrer Person und ihres Raums. Franziska war eine Zauberin der Selbstverständlichkeit, Inhalt und Geheimnis des Trennungsjahres gingen in ihrem Lächeln auf – was kann sie aus ihrer Lebenssicherheit bringen oder auch nur in Erstaunen versetzen? Adelina hatte es plötzlich leicht, sie war sogar über Einleitung und Anlauf hinweggehoben und sagte, die Hand der Freundin streichelnd: »Mir geht es leidlich, Ziska; aber René geht es schlecht.« René war nicht Graf Bonde. Franziska fragte nicht, wer René sei, so gut sie vergessen konnte. Eigentlich hieß der Tenor Artur, Artur Spitzeder, den Nachnamen übernahm er unversehrt in die Kunst, trotz seiner merklichen Bürgerlichkeit, nur den Vornamen opferte er, und mit dem sylphenhaften Klang des neuen und modischen zog er denn auch den Bürgersnamen genügend hinauf ins Bühnensphärische. Franziska zwar hatte es nicht mitgemacht und ihn beharrlich mit dem abgelegten Namen gerufen; in den Gesprächen mit dem Mädchen Adelina nannte sie ihn Spitzeder. Adelina hatte nur in ihren törichten Liebesbriefen den Sphärennamen geschrieben: jetzt nannte sie ihn René, mit Geläufigkeit. Franziska fragte nicht, sie fragte nichts, sie hörte zu, lächelnd, obgleich es ihm doch schlecht ging, so schlecht, daß er ein ihm angebotenes Engagement an ein Vorstadtvarieté nicht annehmen konnte, weil er keinen Frack hatte, keine Wäsche, keine Lackstiefel. »Das wäre doch die Rettung für ihn!« rief Adelina dringlich. Franziska schwieg. »Ich kann ihm wohl hin und wieder zwanzig Mark oder auch fünfzig Mark geben«, sagte Adelina, »aber mein: nicht, das wäre auffällig.«

Franziska fragte: »Also wieviel?«

Adelina antwortete: »René bat mich um fünfhundert.«

Franziska stand auf, ging ins Nebenzimmer – Schlüssel klingelten, ein Schloß schnappte, eine Schublade wurde aufgezogen, stählern Schepperndes klappte auf und zu – sie kam zurück, fünf blaue Scheine in der Hand, und lächelte immer noch. »Bedingung«, sagte sie, »daß er die Quelle nicht erfährt, auch ein andersmal nicht – nie!« Ob sie eine Quittung verlangen wird? fragte sich Adelina; es war die letzte ihrer zahlreichen Ängste (oder Vorängste; denn das Wiedersehen selber entband sie ja jeder Schwierigkeit oder sogar jeder Hemmung), und auch diese Sorge war vergeblich.

Die Verbindung zwischen den beiden Frauen war nun wieder hergestellt, es ging so zärtlich glatt und wunderlich einfach zu wie einst bei ihrem ersten Zusammentreffen, mit der besonderen Variante des unschönen Anlasses. Es war wieder so, daß Abenteuerliches, Verbotenes und Sündhaftes um das heimliche Gehäuse ihrer Freundschaft spukte, ihrer schwesterlichen Gefühle füreinander. Die gleichsam mütterliche Beratung der ersten Zeit zwar kam nicht wieder, die Zeit verging und Adelina war kein törichtes Mädchen mehr. Sie war eine Frau geworden, die den Rat nicht suchte und allerlei von der Älteren gelernt hatte, zum Beispiel den Unterschied von Vertrautheit und Vertraulichkeit, die Grenzziehung vor dem inneren Hof der Erlebnisse. Sie erschien übrigens nur in größeren Abständen bei der Freundin, so daß es allein dadurch schon zu keinen fortlaufenden Berichten kommen konnte; aber sie erschien keineswegs nur dann, wenn sie Geld für René aufnehmen wollte. Über ihre Ehe wurde nichts gesprochen; daß es damit nicht zum besten bestellt sei, bewies zur Genüge jener fatale Kunstvorname, mit dem die Freundschaft wieder begonnen hatte. Aber ablehnender noch verhielt sich Franziska gegen Adelinas altes Abenteuer, gegen jede Andeutung über die Geschichte seiner Wiederkehr, gegen jede Mitteilung über seinen Verlauf, so daß Adelina selbst dann den Namen René nicht mehr aussprach, wenn sie um Geld kam. Die Freundin brauchte hin und wieder Geld, sie bekam es, weil man zu geben in der Lage war, und mochte damit tun, was sie wollte. So wurde es gehalten. Daß dieser René, laut Zeitungsreklame nun gänzlich verkünstelten Namens als René Brio zum ständigen Conférencier und Vortragskünstler des bekanntesten Bohèmekabaretts der Landeshauptstadt aufgerückt, die Schamlosigkeit besaß, als Klangreim auf Franziskas Namen aufzutreten und sich durch Adelinas Zuwendungen die auskömmliche Gage erhöhen zu lassen, konnte freilich für die beiden Frauen keinen Gesprächsstoff abgeben. Manchmal zwar sah Adelina aus, als trüge sie ein schwer bepacktes Herz; aber sie erleichterte sich es nicht, und Franziska konnte ihr nicht helfen – oder sie wollte es nicht.

Die Zeit verging, und nicht nur der fehlbare René rückte auf, in seiner Sphäre; eines Tages war Adelina eine kleine Exzellenz; denn Graf Bonde kam aus dem Schloß als Minister, mit dem Portefeuille des Innern. Es stand in allen Zeitungen, durch Druckanordnung und Letterngröße herausgehoben, die illustrierten Blätter brachten sein Bild, und Franziska sah es sich an, genauer und interessierter als einst die Fotografie von Adelinas Verlobtem. Nun ja, es war das Gesicht eines adligen Mannes, der gleichzeitig ein hoher Beamter war, und auf dem Bilde, wahrscheinlich auch im Leben, beherrschte die Korrektheit das etwas Hoffärtige und Selbstherrliche der feudalen Miene. Unter der hohen und bereits kahlen Stirn blickten helle, amtsstrenge Augen, dem Bilde nach kalte Augen, die Nase war lang, schmal und gerade, über dem dünnen und verschlossenen Mund saß ein angegrautes Bärtchen, ein sichtlich gepflegtes und täglich gestutztes englisches Bärtchen, das die sehr lange Oberlippe günstig verkleidete, das schmale und zarte Kinn stand angehoben über dem hohen würdigen Eckkragen und der soliden Perle im Krawattenknoten, die hochgeschlossene schwarze Weste ließ kaum etwas vom Oberhemd sehen, wohl aber einen weißen Piquee-Vorstoß, und der blinkend seidene Aufschlag des Gehrockes war von stumpfer Borte eingefaßt: das Bild konnte nicht ministerieller sein. Nur die schönen schmalen dünnwandigen Nasenflügel zeugten parteiisch für die alte Rasse und gegen die Bürokratie und sahen aus, als vibrierten sie nervös und leicht angewidert von der amtlichen Gemessenheit. Franziska legte lächelnd das Blatt aus der Hand und sagte halblaut vor sich hin: »Armes Kind …« Das arme Kind war in den Zeitschriften der guten Gesellschaft abgebildet, zu Pferd, im Wagen, im palmenstarrenden Wintergarten ihres Hauses und im Säuglingsheim zwischen steiflächelnden Schwestern und weißen Kinderbettchen: Gräfin Adelina Bonde, die anmutige junge Frau des neuernannten Innenministers. Als sie vierzehn Tage später zur Freundin kam, etwas abgespannt und vielleicht auch bedrückt, legte Franziska den Arm um ihre dünnen Schultern und fragte: »Geht's gut, kleine Exzellenz?« Das war zugleich auch die Gratulation. Adelina antwortete wie von fern her: »Ach ja, ach ja, und in zehn Jahren ist er so Gott will Ministerpräsident.« Dann bat sie um fünfhundert Mark, wie zum Trotz.

Ob etliche Zeit später die Veränderungen im Lebensfeld Franziskas ebenfalls als ein Aufrücken zu bezeichnen waren, bleibe dahingestellt. Zunächst sah es eher wie ein Abgleiten aus; denn der alte wohlhabende Herr starb plötzlich, wenn auch sanft und schmerzlos, und sein letzter Wille war so ehrwürdig wie sein nunmehr erloschenes Gesicht und zugleich auch ein wenig fragwürdig wie seine irdischen Geschäfte. Er vermachte nämlich seiner Darlehensnichte ihre eigene Wohnungseinrichtung, sonst aber nichts, und seinen Besitz der Kirche. Er rechnete ihr jedenfalls die eingeheimsten Gewinnanteile an, womöglich auch die potentiellen Werte der mit ihr geteilten Geschäftspraktiken und -geheimnisse, oder er vernachlässigte sie bewußt im Drange seines nicht einwandfreien Gewissens und über den bestürzenden Gedanken an sein Seelenheil. Franziska lavierte geschickt, verführerisch und ungerührt wie immer. Aber es kam doch ein Tag, wo sie der Freundin sagen mußte: »Im Augenblick kann ich dir nichts geben, Kindchen, der Augenblick ist schwierig für mich selber.«

»O Gott!« flüsterte Adelina mit blassen Lippen. Franziska sah plötzlich böse aus, rothaarig, grünäugig, zum Fürchten.

»Man droht dir wohl …«, sprach sie hitzig, es war keine Frage, sondern schon selber eine Drohung.

»O nein! O nein!« rief Adelina und riß die Augen auf. Sie bekam das Geld acht Tage später. Der schwierige Moment schien also überwunden, die Freundschaft lief weiter zwischen den Dämmen, die sie vor dem Innenhof der Erlebnisse schützten oder umgekehrt: das eigene Lebensfeld vor der Freundschaft, und solche Verfehlungen und Ausbrüche wie Adelinas lippenblasses Angstgeständnis und Franziskas Hexendrohung kamen nicht mehr vor. Frau Vio brachte offenbar weiterhin anderen Partnern Glück, sowohl mit ihrer Person als auch mit den ererbten Praktiken; denn ihr Aufwand nahm zu und die Umstände ihres Lebens verrieten sich als immer angenehmer. Daß sie schließlich ihre Geschäfte ohne Partner betrieb, auf eigene Faust und für eigene Rechnung, und den letzten Teilhaberaspiranten, Herrn Leitschuh, durch eine Doppelohrfeige zugleich desillusionierte und zum Knappen schlug, zum brauchbaren Angestellten, gehörte zum Geschäftsgeheimnis, auf das am allerwenigsten die Freundin neugierig war – so wenig doch wie Franziska auf Adelinas Teilhaberschaft am Leben der höchsten Bürokratie einerseits und niedriger Bänkelsängerei andererseits.

Auch als die Gräfin Bonde dann Frau Vio als Herrin des »Volkskredits«, des gelben Hauses und der »Goldquelle« fand, lief es ohne viele Erklärungen und großes Erstaunen ab, wie alle Veränderungen jenseits des Dammes, die auch nach außen hin in Erscheinung traten. Ob Exzellenz oder Betriebsleiterin, es kam nun einmal zu diesem und zu jenem Leben, es ragte über den Damm, der Untergrund blieb verborgen, man gratulierte sich nebenbei und spöttisch leichtfertig und kümmerte sich nicht weiter darum. Adelina sah und wußte vom Treiben des »Volkskredits« nicht viel mehr als früher von den Geschäften der Darleherin Vio; denn sie kam ja nur in Franziskas Privatwohnung, zumeist nach Geschäftsschluß, und sie brauchte nicht einmal die mißlich gewordene Straße zu betreten (nicht ahnend doch, daß die Straße in Verruf gekommen sei), weil der Eingang zur Privatwohnung in der still und brav gebliebenen Parallelgasse lag. So völlig von der Fieberluft des gelben Hauses abgeschlossen und unberührt wäre die Freundschaft auch geblieben, wenn es nicht jemanden gegeben hätte, der sich eine sehr genaue Vorstellung vom Sinn und Zweck des tropisch aufblühenden »Volkskredits« machte. Denn Adelina, die längere Zeit keinen Geldbedarf geäußert hatte, wartete plötzlich und engen Tones mit einem Geschäftsvorschlag auf, mit einem sichtlich ihrem ahnungslosen Munde eingelernten Kreditunternehmen: mit 25 000 Mark das Betriebskapital an dem bekanntlich gutgehenden Künstlerkabarett »Die Guillotine« gegen Verzinsung und Gewinnanteil zu erweitern. Sie schwieg und sah die Freundin ängstlich an, die durchaus nicht lächelte, wohl weil es sich um Geschäftliches handelte. Doch überraschend fragte Franziska: »Läßt man dich dann mit Geldforderungen in Ruhe?«

Adelina antwortete leise: »Man hat es mir versprochen.«

Das besagte zwar wenig, meinte Franziska, und erforderlich sei, daß Adelina bereits bei der Prüfung des Kreditansinnens und natürlich bei der Kreditierung selber aus dem Spiel bliebe, während andererseits sie, Franziska, keine Lust verspüre, sich mit der Sache persönlich zu befassen: aber sie habe da den geeigneten Mann. Der geeignete Mann war Herr Leitschuh, und er verzog das verteufelte Gesicht geringschätzig, als er von dem Geschäft hörte. Aber Franziska sagte: »Ich möchte dem da, wenn nötig, die Kehle zuschnüren können.« Eine grausame Äußerung, aber womöglich Volkskredit-Jargon.

Das Geschäft wurde gemacht, ein recht unbedeutendes. Die Freundinnen sprachen nicht mehr davon, die Freundschaft kehrte in die Klausur zurück, die nicht einmal mehr von Geldforderungen gestört wurde. Das Leben ging weiter.


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