Henry Murger
Die Bohème
Henry Murger

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X. Ein Zigeunercafé

Gustav Colline, der große Philosoph, Marcel, der große Maler, Schaunard, der große Komponist, und Rudolf, der große Dichter, wie sie sich untereinander nannten, verkehrten damals regelmäßig im Café Momus, wo man sie wegen ihrer Unzertrennlichkeit nur die vier Musketiere nannte.

Sie hatten sich zu ihren Zusammenkünften einen Raum ausgewählt, in welchem für vierzig Personen bequem Platz gewesen wäre. Aber sie blieben immer allein, denn sie verstanden es, diesen Raum den gewöhnlichen Gästen ganz und gar unmöglich zu machen.

Der zufällige Besucher, der sich in diese Löwenhöhle wagte, wurde ohne weiteres das Schlachtopfer dieses wütenden Quartetts und ergriff meistens, ohne seine Zeitung zu Ende zu lesen oder seinen Kaffee auszutrinken, die Flucht, betäubt von den unerhörten Aphorismen über Kunst, Literatur und Sozialpolitik. Die Unterhaltung dieser vier Gesellen war überhaupt eine derartige, daß der Kellner, der sie bediente, in der Blüte seiner Jahre dem Idiotismus verfiel.

Schließlich hatte der Unfug eine solche Höhe erreicht, daß der Wirt eines Tages die Geduld verlor und zu ihnen hineintrat, um eine geharnischte Beschwerde loszulassen, die sich um folgende Punkte drehte:

1. Herr Rudolf kam jeden Morgen frühstücken und schleppte sämtliche Zeitungen in »sein« Zimmer. Er trieb seine Unverschämtheit sogar so weit, daß er wütend wurde, wenn irgend jemand die Streifbänder aufgerissen hatte, so daß alle andern Gäste bis zum Mittagessen der Zeitungen beraubt waren und in trauriger Unkenntnis der wichtigsten politischen Ereignisse verblieben. Die Mitglieder des Stammtischs ›Gemütlichkeit‹ kannten kaum die Namen der Minister der augenblicklichen Regierung.

Herr Rudolf hatte auch das Café gezwungen, auf den ›Castor‹ zu abonnieren, eine monatlich erscheinende Hutmacherzeitung, die jedesmal einen philosophischen Artikel von Gustav Colline brachte. Der Wirt hatte sich anfangs dagegen gesträubt, aber Herr Rudolf und seine Freunde riefen alle Viertelstunden durchs Lokal: »Kellner, den ›Castor‹! Bringen Sie uns den ›Castor‹!«, bis schließlich auch die andern Gäste neugierig wurden und diese Zeitschrift verlangten.

2. Der besagte Herr Colline und sein Freund erholten sich von ihren geistigen Anstrengungen, indem sie von zehn Uhr morgens bis gegen Mitternacht Tricktrack spielten, und da das Café nur ein einziges Tricktrackspiel besaß, konnte sich sonst niemand dieser Unterhaltung widmen. Wenn man es von ihnen verlangte, dann sagten sie einfach: Das Tricktrack wird gelesen, kommen Sie morgen wieder.«

Der Stammtisch ›Gemütlichkeit‹ war auf diese Weise genötigt, sich Liebesgeschichten zu erzählen oder Pikett zu spielen.

3. Herr Marcel, der vergaß, daß ein Café ein öffentliches Lokal ist, erlaubte sich sogar, seine Staffelei, seinen Malkasten und alle sonstigen Utensilien seiner Kunst mitzubringen, und trieb sein ungehöriges Benehmen so weit, daß er Modelle beiderlei Geschlechts kommen ließ. Wodurch die Sittlichkeit des Stammtisches ›Gemütlichkeit‹ in bedauerlicher Weise gefährdet wurde.

4. Dem Beispiel seines Freundes folgend, sprach Herr Schaunard davon, sein Klavier in das Café zu schaffen, und er scheute sich nicht, ein Motiv aus seiner Symphonie ›Der Einfluß der blauen Farbe auf die Künste‹ im Chor singen zu lassen. Herr Schaunard ging noch weiter, er schob in die Laterne, die dem Café als Aushängeschild diente, ein Transparent, auf dem man las:

Unentgeltlicher Unterricht in Vokal- und
Instrumentalmusik.
Für Personen beiderlei Geschlechts.

Auskunft am Büfett.

Was zur Folge hatte, daß das Büfett jeden Abend von Leuten in höchst zweifelhafter Kleidung belagert wurde, die sich erkundigten, wo der Unterricht stattfände.

Im übrigen traf sich hier Herr Schaunard mit einer Dame, die sich Schminkeuphemia nannte und niemals einen Hut trug.

Ein Mitglied des Stammtisches erklärte bereits, er würde nie mehr einen Schritt in ein Lokal lenken, wo sein Geschmack so beleidigt würde.

5. Nicht zufrieden damit, eine sehr mäßige Zeche zu machen, versuchten sie diese noch geringer zu machen. Unter dem Vorwand, sie hätten den Mokka des Lokals im Ehebruch mit der Zichorie ertappt, brachten sie eine Kaffeemaschine mit, auf der sie sich ihren Kaffee selbst bereiteten. Und sie versüßten ihn mit Zucker, den sie anderswo zu billigem Preise erstanden hatten, was eine Beleidigung für die Küche des Hauses war.

6. Offenbar verdorben durch die Reden dieser Herren, erlaubte sich der Kellner Bergami, unerachtet seiner niederen Herkunft und mit Hintansetzung jedes Anstandgefühls, an seine Prinzipalin ein Gedicht zu richten, in welchem er sie aufreizte, ihre Pflichten als Gattin und Mutter zu vergessen. An dem überspannten Stil des Schreibens war leicht zu erkennen, daß es unter dem verderblichen Einfluß des Herrn Rudolf und seiner Literatur verfaßt war.

Infolgedessen sah sich der Leiter des Etablissements zu seinem Bedauern gezwungen, die Gesellschaft Colline zu bitten, sich ein anderes Lokal zu suchen, um dort ihre revolutionären Zusammenkünfte zu pflegen.

Gustav Colline, der der Cicero des Bundes war, ergriff nunmehr das Wort und bewies a priori dem Wirt, daß seine Beschwerde lächerlich und schlecht begründet wäre. Man täte ihm eine hohe Ehre an, wenn man sein Lokal zu einem Mittelpunkt der Intelligenz machte, und sein und seiner Freunde Auszug würde den Ruin seines Hause herbeiführen, das jetzt zum Range eines Künstler- und Literatencafés erhoben sei. »Aber«, warf der Wirt ein, »Sie und diejenigen, die Sie besuchen, verzehren so wenig.«

»Diese Nüchternheit, über die Sie sich beklagen, beweist unsere moralische Gesinnung«, erwiderte Colline. »Übrigens hängt das ganz von Ihnen ab, ob wir eine bedeutend höhere Zeche machen, Sie brauchen uns nur ein Konto zu eröffnen.«

»Wir werden das Kontobuch liefern«, sagte Marcel.

Der Wirt tat, als habe er von diesem Vorschlag gar nichts gehört und verlangte eine Aufklärung über den lasterhaften Brief, den Bergami an seine Frau gerichtet hatte. Rudolf, dem der Vorwurf gemacht wurde, bei dieser unerlaubten Leidenschaft den Sekretär gespielt zu haben, verteidigte mit lebhaftem Feuer seine Unschuld.

»Übrigens«, fügte er hinzu, »war die Tugend Ihrer Frau Gemahlin ein festes Bollwerk gegen ...«

»Allerdings!« rief der Wirt mit stolzem Lächeln. »Meine Frau ist aber auch im Kloster erzogen worden.«

Kurz, Colline brachte es fertig, ihn vollständig mit seiner geschmeidigen Beredsamkeit einzuwickeln, und zum Schluß einigte man sich dahin, daß die vier Freunde sich nicht mehr ihren Kaffee selbst machen wollten, daß das Lokal in Zukunft den ›Castor‹ gratis bekam, daß Schminkeuphemia sich von nun an einen Hut aufsetzen würde, daß das Tricktrack des Sonntags von zwölf bis zwei dem Stammtisch ›Gemütlichkeit‹ überlassen wurde, und vor allem, daß man in Zukunft keinen weiteren Kredit verlangen wollte.

Und ein paar Tage lang ging alles gut.

Am Abend vor Weihnachten brachten die vier Freunde ihre ›Gemahlinnen‹ mit ins Café.

Es waren Fräulein Dudelsack, Fräulein Mimi, die neue Geliebte Rudolfs, ein entzückendes Geschöpf mit glockenheller Stimme, und Schminkeuphemia, das Ideal Schaunards. Schminkeuphemia trug an dem Abend einen Hut. Nur Fräulein Colline, die man überhaupt nie sah, fehlte wie immer. Nach dem Kaffee, der von einer außerordentlich großen Anzahl Likörgläschen begleitet war, verlangte man Punsch. Der Kellner, der an ein so nobles Auftreten nicht gewöhnt war, ließ sich die Bestellung zweimal wiederholen. Euphemia, die noch niemals in einem Café Schnaps getrunken hatte, war entzückt über die zierlichen Gläschen. Marcel machte Fräulein Dudelsack Vorwürfe wegen eines neuen Hutes, dessen Herkunft ihm sehr verdächtig vorkam. Mimi und Rudolf, die sich noch in den Flitterwochen ihres Liebesglücks befanden, hielten stumme Zwiesprache miteinander, die von hörbaren Zärtlichkeiten unterbrochen wurde. Colline aber ging von einer Dame zur andern und flüsterte ihr mit gespitzten Lippen galante Stilwendungen aus dem Musenalmanach zu.

Während sich so die lustige Gesellschaft dem Lachen und der Unterhaltung hingab, saß im Hintergrund des Zimmers an einem einzelnen Tisch ein Fremder und beobachtete mit seltsamen Blicken das bewegte Schauspiel, das sich vor ihm abspielte.

Seit ungefähr vierzehn Tagen kam er so jeden Abend, er war von allen Gästen der einzige, der dem schrecklichen Lärm der Zigeuner hatte widerstehen können. Die furchtbarsten Sticheleien waren an ihm abgeglitten. Den ganzen Abend saß er mit stieren Augen da und rauchte seine Pfeife, während seine Ohren auf alles lauschten, was um ihn gesagt wurde. Im übrigen schien er gutmütig und wohlhabend zu sein, denn er besaß eine Uhr, die noch dazu von einer goldenen Kette festgehalten wurde. Ja, eines Abends, als Marcel ihn zufällig am Büfett traf, sah er zu seinem Staunen, daß der Fremde beim Bezahlen seiner Zeche ein Goldstück wechselte. Von diesem Augenblick an nannten ihn die vier Freunde nur den ›Kapitalisten‹.

Plötzlich bemerkte Schaunard, der ausgezeichnete Augen hatte, daß die Gläser leer waren.

»Zum Teufel auch«, sagte Rudolf. »Heute ist heiliger Abend. Wir sind alle gute Christen, wir müssen uns etwas Besonderes leisten.«

»Du hast recht«, stimmte ihm Marcel zu. »Verlangen wir einmal etwas ganz Überirdisches.«

»Colline,« fügte Rudolf hinzu, »klingle mal schnell dem Kellner.« Colline begann wie ein Wahnsinniger zu klingeln.

»Aber was sollen wir nehmen?« fragte Marcel.

Colline machte eine Verbeugung wie ein Regenbogen und sagte: »Das wollen wir den Damen überlassen.«

»Ich«, sagte Fräulein Dudelsack und ahmte mit dem Mund das Knallen der Pfropfen nach, »würde mich durchaus nicht vor Champagner fürchten.«

»Bist du verrückt?« fragte Marcel. »Champagner ist doch überhaupt gar kein Wein.«

»Um so besser, ich liebe es, wenn er knallt.«

»Und ich«, sagte Mimi mit einem zärtlichen Blick auf Rudolf, möchte gerne Beaunewein in einer kleinen Korbflasche.«

»Hast du den Kopf verloren?« fragte Rudolf.

»Nein, ich will ihn noch verlieren«, antwortete Mimi, auf die der Beaune einen eigentümlichen Reiz auszuüben pflegte.

»Ich«, sagte Schminkeuphemia und ließ sich auf dem gepolsterten Sofa auf und nieder schnellen, »wünsche mir Parfait Amour. Dieser Likör ist gut für den Magen.«

Schaunard warf ihr mit seiner nasalen Stimme einige so grobe Worte an den Kopf, daß sie mitsamt dem Polster erzitterte.

»Ach ja,« rief jetzt plötzlich Marcel aus, »geben wir einmal hunderttausend Franken aus!«

»Außerdem«, fügte Rudolf hinzu, »beklagt sich der Wirt, weil wir zu wenig verzehren. Setzen wir ihn in Erstaunen!«»

Ja,« sagte Colline, »feiern wir ein glänzendes Fest. Außerdem schulden wir den Damen den unbedingtesten Gehorsam. Die Liebe lebt von der Hingabe, der Wein ist die Würze des Vergnügens, das Vergnügen ist die Pflicht der Jugend, die Frauen sind Blumen, die man begießen muß. Begießen wir sie! Kellner! Kellner!«

Und Colline begann von neuem wie ein Wahnsinniger zu klingeln. Der Kellner eilte auf Windesflügeln herbei. Als er von Champagner, Beaune und verschiedenen Likören hörte, verzog sich sein Gesicht zum höchsten Erstaunen.

»Ich habe Löcher im Magen,« sagte Mimi, »ich möchte gerne Schinken haben.«

»Und ich Sardinen und Butter«, fügte Fräulein Dudelsack hinzu.

»Und ich Radieschen,« meinte Euphemia, »mit etwas Fleisch darumgelegt.«

»Sagt doch gleich, daß ihr soupieren wollt«, rief Marcel.

»Das wäre uns allerdings angenehm«, antworteten die Damen. »Kellner, bringen Sie uns alles, was zu einem Souper gehört«, sagte Colline gewichtig.

Das erstaunte Gesicht des Kellners spielte jetzt in allen Farben. Langsam stieg er zum Büfett hinab und teilte dem Leiter des Cafés mit, was für unglaubliche Dinge man ihm bestellt hatte.

Der Wirt glaubte zuerst, es sei ein Scherz, als es aber von neuem klingelte, ging er selbst hinauf und wandte sich an Colline, für den er eine gewisse Achtung hegte. Colline erklärte ihm, daß man bei ihm den Vorabend von Weihnachten feiern wollte, und er sollte nur das Bestellte kommen lassen.

Der Wirt antwortete nichts und ging ganz verwirrt hinunter. Eine Viertelstunde lang beriet er mit seiner Frau, die schließlich, da sie wegen ihrer Erziehung im Schwesternpensionat eine gewisse Vorliebe für Bildung und Kunst besaß, ihren Gatten überredete, das Souper auftragen zu lassen.

»Schließlich«, meinte der Wirt, »können sie ja auch zufällig einmal Geld haben.« Damit gab er dem Kellner Befehl, den Gästen zu liefern, was sie bestellten, und vertiefte sich mit einem alten Stammgast in eine Partie Pikett. Es war ein verhängnisvoller Leichtsinn von ihm!

Von zehn Uhr ab bis Mitternacht konnte der Kellner nur die Treppe hinauf- und hinabsteigen. Jeden Augenblick verlangte man etwas neues von ihm. Euphemia ließ sich auf englische Art auftragen und nahm von jeder Platte abwechselnd einen Bissen; Mimi trank alle Weine durcheinander aus allen Gläsern; Schaunard schien die Wüste Sahara in seiner Kehle zu haben; Colline warf ein Kreuzfeuer von Blicken um sich, zerbiß seine Serviette mit den Zähnen und kniff das Tischbein, das er für das Knie von Fräulein Dudelsack hielt. Nur Marcel und Rudolf verloren nicht ihre Besinnung und sahen nicht ohne Unruhe der Stunde der Abrechnung entgegen.

Der Fremde betrachtete die Szene mit ernster Aufmerksamkeit. Von Zeit zu Zeit öffnete sich sein Mund wie zu einem Lächeln, dann hörte man ein Geräusch wie von einem Fenster, das knirschend geschlossen wird. Es war der Fremde, der innerlich lachte.

Ein Viertel vor zwölf schickte die Dame vom Büfett die Rechnung. Sie belief sich auf die wahnsinnige Höhe von fünfundzwanzig Franken fünfundsiebzig Centimen.

»Wir wollen losen,« sagte Marcel, »wer mit dem Wirt unterhandeln soll. Es wird eine ernste Sache werden.«

Sie nahmen das Dominospiel und deckten auf, wer die größte Augenzahl hatte.

Das Los traf unglücklicherweise Schaunard, der zwar ein ausgezeichneter Musiker, aber ein schlechter Diplomat war. Er kam gerade zum Wirt, als dieser nacheinander drei Partien verloren hatte und sich in einer abscheulichen Laune befand. Schon bei den ersten Worten Schaunards geriet er in einen heftigen Zorn, und Schaunard, der leider keinen milden Charakter hatte, antwortete mit doppelt so starken Unverschämtheiten. Der Streit wurde natürlich sehr lebhaft, und der Wirt ging hinauf, um seinen Gästen mitzuteilen, daß keiner das Lokal verlassen dürfte, ehe nicht alles bezahlt sei. Colline wollte mit seiner begütigenden Beredsamkeit vermitteln, aber der Wirt erblickte jetzt zufällig die Serviette, die der Philosoph zu Scharpie zerzupft hatte, und geriet in eine doppelte Wut. Um sich sicherzustellen, wagte er sogar, mit seinen profanen Händen nach dem geheiligten braunen Mantel Schaunards und nach den Umhängen der Damen zu greifen.

Ein Schnellfeuer von Beleidigungen entspann sich zwischen den Zigeunern und dem Wirt, während die Damen von Liebesgeschichten und Putzsachen sprachen.

Der Fremde trat jetzt plötzlich aus seiner Zurückhaltung hervor. Langsam erhob er sich, machte einen und dann noch einen Schritt und näherte sich dem Wirt, dem er leise einige Worte zuflüsterte.

»Gewiß bin ich einverstanden, Herr Barbemuche«, sagte der Wirt. »Machen Sie es mit ihnen ab.« Damit verließ er das Zimmer.

Der Fremde trat jetzt langsam an den Tisch der Zigeuner heran, grüßte die Herren, verneigte sich vor den Damen, und nachdem er sein Taschentuch hervorgezogen und sich noch einmal geschneuzt hatte, begann er mit schüchterner Stimme:

»Verzeihen Sie mir meine Zudringlichkeit. Schon seit langem verzehrt mich die Sehnsucht, Ihre Bekanntschaft zu machen, aber mir fehlte bisher eine passende Gelegenheit, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Gestatten Sie, daß ich die Gelegenheit benutze, die sich mir heute bietet?«

»Gewiß, gewiß«, sagte Colline, und Rudolf und Marcel grüßten stumm.

Aber das allzu große Feingefühl Schaunards hätte beinahe alles verdorben.

»Verzeihen Sie, mein Herr,« sagte er lebhaft, »Sie haben nicht die Ehre, uns zu kennen, und es schickt sich nicht, daß Sie ... Übrigens wären Sie wohl so freundlich, mir etwas Tabak zu geben? ... Sonst stimme ich völlig mit meinen Freunden überein ...«

»Meine Herren,« fuhr Barbemuche fort, ich bin wie Sie ein Jünger der schönen Künste. Auch haben wir, wie ich aus Ihren Gesprächen entnahm, die gleichen Neigungen, so daß ich das lebhafte Verlangen spüre, einer Ihrer Freunde zu sein und Sie hier jeden Abend treffen zu dürfen ... Der Wirt dieses Hauses ist ein ungeschliffener Mensch, aber ich habe ihm zwei Worte gesagt, und Sie können ungehindert gehen ... Ich hoffe, daß Sie mir nicht die Möglichkeit verweigern, Sie hier wiederzusehen, indem Sie den kleinen Dienst annehmen, den ich ...«

Die Röte des Unwillens stieg in Schaunards Gesicht.

»Er spekuliert auf unsere Verlegenheit«, sagte er. »Er hat unsere Rechnung bezahlt. Aber ich werde mit ihm um die fünfundzwanzig Franken Billard spielen und ihm dabei einige Points vorgeben.«

Barbemuche nahm den Vorschlag an und war klug genug, zu verlieren. Dieser schöne Zug gewann ihm die Achtung der Zigeuner, und man verließ sich mit dem Versprechen, sich am nächsten Tag wiederzusehen.

»Auf diese Weise schulden wir ihm nichts«, sagte Schaunard zu Marcel. »Unsere Würde ist gerettet.«

»Im Gegenteil,« wir können eigentlich noch ein neues Souper verlangen«, fügte Colline hinzu.


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