Henry Murger
Die Bohème
Henry Murger

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VII. Der Goldstrom

Es war am 19. März. Und wenn Rudolf das Alter eines Methusalem erreichen würde, nie würde er diesen Tag vergessen. Denn es war an diesem selbigen Tage, am Fest des heiligen Josephs, als er des Nachmittags um drei Uhr ein Bankgeschäft verließ, in dem er in guter und klingender Münze fünfhundert Franken abgehoben hatte.

Der erste Gebrauch, den Rudolf von diesem gewaltigen Goldschatz machte, war der, daß er vor allem damit keine Schulden bezahlte, denn er hatte sich geschworen, von jetzt ab äußerst sparsam zu leben und sich keine Ausschweifungen zu gestatten. Überhaupt wollte er nur noch an die notwendigsten Dinge denken und kaufte sich zunächst einmal eine türkische Pfeife, nach der er sich schon lange sehnte.

Mit diesem köstlichen Gegenstand bewaffnet, richtete er seine Schritte nach der Wohnung seines Freundes Marcel, der ihn seit einiger Zeit beherbergte. Als Rudolf das Atelier des Malers betrat, klingelte es in seinen Taschen wie in dem Glockenturm einer Kirche an einem hohen Feiertag. Marcel, der dieses ungewohnte Geräusch hörte, glaubte, einer seiner Nachbarn, der manchmal an der Börse spekulierte, mache es, und vertiefte sich, ohne nur aufzublicken, unwillig in sein Gemälde ›Der Durchgang durch das Rote Meer‹, das schon seit drei Jahren auf seiner Staffelei stand.

Rudolf, der noch kein Wort gesagt hatte, wollte sich einen Spaß mit seinem Freund machen und ließ ein Fünffrankstück zur Erde rollen.

Jetzt erst erhob Marcel seinen Blick und betrachtete Rudolf, der ein äußerst ernstes Gesicht machte. Dann ergriff er schnell das Geldstück und steckte es hocherfreut in seine Tasche. Er wußte übrigens, daß Rudolf ausgegangen war, um Geld zu holen, hatte aber durchaus nicht geglaubt, daß er irgendeinen Erfolg haben würde.

Marcel schwieg also ebenfalls und arbeitete weiter daran, einen Ägypter in den Fluten des Roten Meeres zu ertränken. Gerade als er mit diesem Mord fertig war, ließ Rudolf ein zweites Fünffrankstück fallen und brach zugleich in ein lautes Lachen aus, als er das verblüffte Gesicht des Malers sah.

»Wie,« rief Marcel, der durch den hellen Klang des Silbers wie elektrisiert war, »dein Lied hat noch eine zweite Strophe?« Ein drittes Geldstück rollte zur Erde, dann ein viertes und noch eins, und endlich tanzte eine ganze Quadrille von Fünffrankstücken im Zimmer herum.

Bei Marcel machten sich deutliche Zeichen einer beginnenden Geisteszerrüttung bemerkbar, bis Rudolf, der immer lauter lachte, plötzlich seine Taschen mit vollen Händen leerte, und die Silberstücke ein fabelhaftes Steeplechase durch das Zimmer begannen. Es war wie eine Überschwemmung des goldhaltigen Paktolusstromes, wie der Goldregen Jupiters, der sich in den Schoß der Danae ergießt.

Marcel stand unbeweglich und stumm mit starren Augen da. Das Staunen schien auf ihn zu wirken, wie einst die Neugierde auf Lots Weib wirkte, und als Rudolf seine letzten Geldstücke zu Boden warf, war er mindestens zur Hälfte schon zur Salzsäule geworden.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die beiden Freunde so weit wieder zur Besinnung kamen, daß sie vernünftig miteinander reden konnten.

»Dieses Geld ist die Frucht meiner Bemühungen«, sagte Rudolf, indem er die Silberstücke aufraffte und sie auf den Tisch legte. »Jetzt endlich kann ich meine Träume verwirklichen.«

»Es müssen mindestens sechstausend Franken sein«, dachte Marcel, indem er ehrfurchtsvoll das Geld betrachtete. »Ich habe eine Idee. Ich werde Rudolf veranlassen, meinen ›Durchgang durch das Rote Meer‹ zu kaufen.«

Plötzlich nahm Rudolf eine theatralische Haltung an, und mit großer Feierlichkeit in den Bewegungen und in der Stimme sagte er zu dem Maler:

»Höre mich an, Marcel, der Reichtum, den du hier strahlen siehst, ist von mir ehrlich erworben worden. Eine edelmütige Hand gab ihn mir, und ich habe dafür den heiligen Schwur abgelegt, mit seiner Hilfe und durch meine Arbeit mir eine geachtete Stellung in der Welt zu erobern. Die Arbeit ist die heiligste aller Pflichten.« »Und das Pferd ist das edelste aller Tiere«, unterbrach ihn Marcel. »Hast du noch mehr solcher Gemeinplätze zur Hand?«

»Unterbrich mich nicht mit deinen seichten Scherzen«, antwortete Rudolf. »Sie prallen übrigens an dem festen Panzer meines unerschütterlichen Willens ab. Folgendes sind meine Pläne: Jetzt, da ich über die materiellen Sorgen des Lebens hinaus bin, werde ich ernsthaft arbeiten. Ich werde ein großes Werk schreiben und mir die öffentliche Meinung erobern. Vor allen Dingen löse ich mich von dem Zigeunertum los. Ich kleide mich, wie es sich gehört, ich schaffe mir einen schwarzen Frack an und besuche die feinere Gesellschaft. Wenn du den gleichen Weg einschlagen willst, können wir weiter zusammen wohnen, aber du mußt meine Grundsätze annehmen. Vor allen Dingen muß die äußerste Sparsamkeit bei uns Platz greifen. Wenn wir uns einrichten, können wir uns drei Monate ohne Sorgen der Arbeit widmen.«

»Mein Freund,« sagte Marcel, »die Sparsamkeit ist die Grundlage der Nationalökonomie. Wenn du mir sechs Franken gibst dann werde ich dafür ein Lehrbuch darüber kaufen ... Übrigens, du hast ja da eine türkische Pfeife?«

»Ja,« sagte Rudolf, »ich habe sie für fünfundzwanzig Franken gekauft.«

»Wie, du verschwendest fünfundzwanzig Franken für eine Pfeife und sprichst von Sparsamkeit?«

»Sicher war das Sparsamkeit«, antwortete Rudolf. »Sonst zerbrach ich täglich eine Pfeife zu zwei Sous, was auf das Jahr berechnet noch eine viel größere Summe ausmacht. Ich habe also dabei gespart.«

»Da hast du allerdings recht«, sagte Marcel. »Daran hatte ich nicht gedacht.«

In diesem Augenblick schlug eine Uhr in der Nachbarschaft die sechste Stunde.

»Wir wollen schnell essen,« sagte Rudolf, »ich will noch heute abend mit meinem Plan beginnen. Übrigens fällt mir gerade ein, daß wir jeden Tag eine Masse Zeit mit dem Einholen und Zubereiten des Essens verschwenden. Zeit bedeutet aber für den Arbeitenden Geld, und wir müssen doch sparsam sein. Wir werden also von heute ab in der Stadt essen.«

»Ja,« meinte Marcel, »zwanzig Schritte von hier befindet sich ein ausgezeichnetes Restaurant. Es ist zwar etwas teuer, aber da es so nahe liegt, sparen wir an Zeit, indem wir nicht so weit zu gehen haben.«

»Wir wollen heute hingehen«, sagte Rudolf. »Aber morgen oder übermorgen müssen wir eine noch sparsamere Maßregel ergreifen ... statt ins Restaurant zu gehen, werden wir uns eine Köchin nehmen.«

»Nein, nein!« unterbrach ihn Marcel. »Lieber nehmen wir einen Bedienten, der dann zugleich unser Koch ist. Das bietet unendliche Vorteile. Unser Essen wird immer fertig sein, er wichst unsere Stiefel, er wäscht meine Pinsel aus und besorgt uns alle Gänge. Ich werde ihm sogar etwas Kunstverständnis beibringen, dann kann er mir als Lehrling behilflich sein. Wir sparen auf diese Art täglich jeder sechs Stunden, die wir mit großem Nutzen auf unsere Arbeit verwenden können.«

»Nun ja«, meinte Rudolf. »Übrigens habe ich noch eine andere Idee ... aber wir wollen erst essen gehen.«

Fünf Minuten später saßen die beiden Freunde in einem in der Nähe gelegenen Restaurant und setzten ihr Gespräch über die Sparsamkeit fort.

»Folgendes ist meine Idee«, sagte Rudolf. »Wie wär's, wenn wir uns statt eines Dieners eine Geliebte hielten?«

»Eine Geliebte für zwei!« rief Marcel entsetzt. »Das hieße den Geiz doch auf die Spitze treiben, und wir würden unser Geld verschwenden, indem wir uns bald Messer kauften, um uns gegenseitig die Hälfte abzuschneiden. Ich ziehe einen Bedienten vor; außerdem verleiht uns das Ansehen.«

»Ja, das ist wahr!« sagte Rudolf. »Aber dann müssen wir auch einen intelligenten Burschen wählen. Wenn er einen Schimmer von der Orthographie hat, bringe ich ihm das Redigieren bei.«

»Das würde später eine Erwerbsquelle für seine alten Tage sein«, stimmte Marcel zu, indem er die Rechnung nachsah, die sich auf fünfzehn Franken belief. »Eigentlich etwas teuer. Gewöhnlich haben wir zusammen für dreißig Sous gespeist.«

»Ja,« meinte Rudolf, »aber das Essen war schlecht, und wir mußten nachher noch einmal soupieren. Im ganzen gerechnet ist es also doch eine Ersparnis.«

»Du hast heute immer recht«, murmelte der Maler. »Und wie ist es nun, arbeiten wir heute?«

»Nein, heute nicht, ich besuche meinen Onkel, um ihn über meine neue Lage aufzuklären. Er ist ein tüchtiger Mensch und kann mir gute Ratschläge geben. Was machst du, Marcel?«

»Ich, ich gehe zum alten Medici und frage ihn, ob er keinen Auftrag zum Restaurieren von alten Bildern hat. Übrigens, gib mir doch fünf Franken.«

»Wozu?«

»Ich komme über den Pont des Arts und besuche vielleicht ein Lokal.«

»Das ist eine überflüssige Ausgabe, und wenn es auch nicht viel ist, so verstößt es doch gegen unsere Grundsätze.«

»Ja, du hast recht«, sagte Marcel. »Ich werde also über den Pont Neuf gehen ... doch dann nehme ich eine Droschke.« Die beiden Freunde trennten sich, indem sie verschiedene Richtungen einschlugen. Aber durch einen seltsamen Zufall trafen sie sich in demselben Lokal.

»Sieh da, du hast also deinen Onkel nicht angetroffen?« fragte Marcel.

»Und du hast Medici nicht gesehen?« fragte Rudolf.

Sie begannen beide zu lachen. Trotzdem kehrten sie zu früher Stunde ... am nächsten Morgen wieder heim.

Zwei Tage später waren Rudolf und Marcel vollständig verwandelt. In ihren eleganten neuen Anzügen sahen sie beide so strahlend und vornehm aus, daß sie, wenn sie sich auf der Straße trafen, sich kaum zu grüßen wagten.

Ihr System der Sparsamkeit war jetzt in vollem Schwung, nur mit dem Arbeiten hatte es noch nicht so recht begonnen. Sie besaßen jetzt einen Diener, einen langen Burschen von vierunddreißig Jahren, der aus der Schweiz herstammte und hervorragend unintelligent war. Im übrigen schien er nicht zum Diener geboren zu sein, denn wenn ihm einer seiner Herren ein etwas auffälliges Paket zu tragen gab, dann errötete er vor Unwillen, und sie mußten für die Besorgung einen Dienstmann nehmen. Doch besaß er auch seine Vorzüge, und wenn man ihm einen Hasen gab, dann brachte er ein einigermaßen eßbares Hasenragout fertig. Im übrigen war er früher Destillateur gewesen und hatte eine große Vorliebe für seine Kunst bewahrt. Einen großen Teil der Zeit, die er seinen Herren hätte widmen sollen, verwandte er darauf, einen neuen Likör zusammenzustellen, dem er seinen Namen geben wollte. Auch gelang ihm ein guter Nußbranntwein. Am weitesten brachte Baptiste es aber in der Fertigkeit, Marcels Zigarren aufzurauchen und dabei Rudolfs Manuskripte als Fidibusse zu verwenden.

Eines Tages wollte Marcel ihn im Kostüm des Königs Pharao als Modell für sein Gemälde ›Durchzug durch das Rote Meer‹ benutzen. Diesen Vorschlag wies Baptiste energisch zurück und verlangte seinen Abschied.

»Gut,« sagte Marcel, »wir werden heute abend mit Ihnen abrechnen.«

Als Rudolf nach Hause kam, erklärte ihm sein Freund, man müßte Baptiste wegschicken. »Er nützt uns zu gar nichts«, sagte er. »Das ist wahr«, antwortete Rudolf. »Er ist der reine Kunstgegenstand.«

»Stiefelwichsen versteht er nicht.«

»Er ist faul.«

»Man muß ihn hinauswerfen.«

»Werfen wir ihn hinaus.«

»Trotzdem hat er einige Vorzüge. Sein Hasenklein ist eßbar.«

»Sein Nußlikör ist ausgezeichnet. Er ist der Raffael des Nußlikörs.«

»Ja, aber das ist auch alles, und das kann uns nicht genügen. Wir verlieren unsere ganze Zeit, indem wir mit ihm diskutieren.« »Er hindert uns am Arbeiten.«

»Er ist schuld, wenn ich mit meinem ›Durchzug durch das Rote Meer‹ nicht mehr für den Salon zurechtkomme. Er hat sich geweigert, mir als Pharao zu sitzen.«

»Ihm verdanke ich es, daß ich eine mir aufgetragene Arbeit nicht beenden konnte. Er wollte nicht zur Bibliothek gehen, um mir die nötigen Notizen zu suchen.«

»Er richtet uns zugrunde.«

»Entschieden, wir können ihn nicht mehr behalten.«

»Schicken wir ihn fort ... aber dann müssen wir ihn bezahlen.« »Wir werden ihn bezahlen, aber er soll gehen! Gib mir Geld, damit ich mit ihm abrechne.«

»Wie? Geld? Aber ich führe doch nicht die Kasse, das tust du doch?« »Unsinn, du hast sie. Du hast die oberste Leitung übernommen«, sagte Rudolf.

»Aber ich versichere dir, ich habe kein Geld!« rief Marcel.

»Was, es sollte kein Geld mehr da sein? Das ist unmöglich! Man kann nicht in acht Tagen fünfhundert Franken ausgeben, besonders wenn man, wie wir es getan haben, mit der äußersten Sparsamkeit lebt und sich auf das Allernotwendigste beschränkt. Wir müssen die Rechnungen durchsehen, dann werden wir den Fehler finden.«

»Ja,« sagte Marcel, »aber wir werden kein Geld finden. Trotzdem können wir das Ausgabebuch durchsehen ... Also am 19. März. Einnahmen: Fünfhundert Franken. Ausgaben: Eine türkische Pfeife fünfundzwanzig Franken, Diner fünfzehn Franken, verschiedene Ausgaben vierzig Franken.«

»Was waren denn das für Ausgaben?« sagte Rudolf zu Marcel, der vorlas.

»Das war doch der Abend, da wir erst des Morgens nach Hause kamen. Übrigens haben wir dadurch Holz und Licht gespart.«

»Weiter – fahr' fort.«

»Am 20. Frühstück ein Frank fünfzig; Tabak zwanzig Centimen; Diner zwei Franken; ein Lorgnon zwei Franken fünfzig. Oh, das war für dich. Wozu brauchtest du ein Lorgnon? Du siehst hieran ...«

»Du weißt ganz gut, daß ich für den ›Regenbogen‹ einen Bericht über den Salon schreiben mußte. Es ist unmöglich, eine Kritik über Gemälde zu liefern, wenn man kein Lorgnon hat. Die Ausgabe war also wohl berechtigt. Weiter!«

»Ein Spazierstock ...«

»Aha, der war für dich«, sagte Rudolf. »Einen Spazierstock brauchtest du wirklich nicht.«

»Das sind alle Ausgaben vom 20.«, meinte Marcel, ohne auf den Spazierstock weiter einzugehen. »Am 21. haben wir im Restaurant gefrühstückt und außerdem auch zu Mittag und zu Abend gegessen.«

»Aber das kann doch nicht so viel gekostet haben.«

»Viel nicht ... kaum dreißig Franken. Es steht unter ›Verschiedene Ausgaben‹.«

»Eine unbestimmte und niederträchtige Bezeichnung.«

»Am 22. kam Baptiste. Wir gaben ihm fünf Franken Vorschuß, für die italienische Drehorgel fünfzig Centimen, Sammlung zum Loskauf kleiner Chinesenkinder, die von ihren barbarischen Eltern sonst in den Gelben Fluß geworfen worden wären, zwei Franken vierzig.«

»Na, ich habe ja nichts gegen die Drehorgel«, sagte Rudolf. »Aber was gehen uns die Chinesenkinder an?«

»Ich bin nun einmal mitleidig!« antwortete Marcel.

»Weiter, bis jetzt sind wir eigentlich noch gar nicht verschwenderisch gewesen.«

»Am 23. und 24. ist nichts notiert. Am 25. an Baptiste drei Franken gezahlt. Es scheint, daß er oft Geld bekommen hat.« »Desto weniger schulden wir ihm«, sagte Rudolf. »Weiter!«

»Am 25. März verschiedene für die Kunst notwendige Ausgaben sechsunddreißig Franken vierzig Centimen.«

»Was können wir denn da so Notwendiges gekauft haben? Ich erinnere mich nicht.«

»Wie, du erinnerst dich nicht? ... Das ist doch der Tag, wo wir auf den Notre-Dame-Turm gestiegen sind, um Paris aus der Vogelschau zu betrachten.«

»Aber das kostet doch nur acht Sous«, meinte Rudolf.

»Ja, aber nachher haben wir in Saint-Germain zu Mittag gegessen. Am 27. ist nichts notiert. Am 28. erhielt Baptiste auf sein Gehalt sechs Franken.«

»Ja, jetzt bin ich sicher, daß wir ihm nichts mehr schulden, wir bekommen höchstens noch Geld heraus.«

»Am 29. ist nichts. Am 30. hatten wir Gäste zum Essen, macht dreißig Franken fünfzig Centimen. Der 31. das ist heute, wo wir noch nichts ausgegeben haben. Du siehst also, wie genau ich Buch geführt habe. Zusammen sind das noch keine fünfhundert Franken.«

»Dann muß also noch Geld in der Kasse sein.«

»Wir können nachsehen«, sagte Marcel und zog eine Schublade auf. »Es ist nichts darin, nur eine Spinne.«

»Spinne am Morgen, Kummer und Sorgen«, sagte Rudolf.

»Wo, zum Teufel, kann dann aber das ganze Geld hingekommen sein?« fragte Marcel und starrte verzweifelt die leere Kasse an.

»Ganz einfach«, sagte Rudolf. »Baptiste hat alles bekommen.« »Warte einmal!« schrie Marcel und holte ein Papier aus der Schublade. »Die letzte Mietquittung! Hast du das bezahlt?« »Ich? Ich werde doch nicht so dumm sein!« meinte Rudolf.

»Es ist ein Rätsel!« sagte Marcel. »Wir wollen Baptiste fragen.«

»Jawohl«, sagte der herbeigerufene Diener nachlässig, als ihm Marcel die Quittung zeigte, »ich habe ganz vergessen, Ihnen zu sagen, daß der Hauswirt heute früh kam, als Sie fort waren. Ich habe es bezahlt, um ihm die Mühe des Wiederkommens zu ersparen.«

»Wo haben Sie denn das Geld gefunden?«

»O, in der Schublade, die gerade offen stand. Ich dachte sogar, die Herren hätten sie absichtlich zu dem Zweck offen gelassen, und glaubte so Ihren Befehlen nachzukommen.«

»Baptiste«, sagte Marcel bleich vor Zorn. »Sie haben sich eine Eigenmächtigkeit zuschulden kommen lassen, Sie sind aus unserem Dienst entlassen. Geben Sie uns Ihre Livree zurück.«

Baptiste nahm die Wachstuchmütze ab, aus der seine Livree bestand, und reichte sie Marcel hin.

»Gut«, sagte dieser. »Sie können gehen.«

»Und mein Lohn?«

»Was sagen Sie? Lohn? Sie haben mehr erhalten, als wir Ihnen schuldig sind. Ich habe Ihnen für weniger als vierzehn Tage vierzehn Franken bezahlt. Was haben Sie mit all dem Gelde angefangen? Sie unterhalten wohl eine Tänzerin?«

»Eine Seiltänzerin!« fügte Rudolf hinzu.

»So werde ich also hinausgestoßen,« sagte der unglückliche Diener, »ohne eine Kopfbedeckung!«

»Behalten Sie Ihre Livree«, erwiderte Marcel, der wider Willen Mitleid empfand, und gab ihm die Mütze.

»Trotzdem hat dieser Unglückliche unser Vermögen vergeudet«, sagte Rudolf, als er den armen Baptiste davonziehen sah. »Aber wo werden wir heute zu Mittag speisen?«

»Das werden wir morgen wissen!« antwortete Marcel.


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