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XVII. Sanssouci

In der Frühe des andern Morgens hielt vor dem großen Eisengitter des neuen Parks bei Potsdam eine einfache, königliche Equipage. Niemand war darin als der König und der Marquis d'Argens. Der König hatte jede weitere Begleitung, sogar die eines Lakaien, verboten.

Als der Wagen hielt, öffnete er selbst den Schlag und sprang leicht hinaus, dann reichte er seinem ältern und weniger beweglichen Freunde den Arm, um ihm beim Aussteigen behilflich zu sein, und als der Marquis, schamvoll errötend wie ein junges Mädchen, sich sträubte, diesen Dienst von dem König anzunehmen, sagte Friedrich lächelnd: Vergessen wir doch heute, daß ich König bin. Gönnen Sie mir heute die Freude, ganz ohne Zeremonien mit Ihnen zu sein, der Freund mit dem Freunde. Kommen Sie, Marquis, lassen Sie uns mein Paradies betreten, und ich bitte Sie, ein wenig andächtig dabei zu sein.

Wissen Sie wohl, Sire, daß ich ein so beklommenes und zugleich erhabenes Gefühl habe, wie es den Griechen gewesen sein mag, wenn sie den delphischen Hain betraten! sagte der Marquis, als er Arm in Arm mit dem König die kleine schattige Seitenallee dahinging, durch welche der König ihn absichtlich führte, um ihn dann auf einmal mit dem Anblick des auf der Höhe sich erhebenden Schlosses zu erfreuen.

Nun, ich denke, es sollen von hier aus auch manche Orakel an die Welt ergehen, sagte der König, nur sollen sie weniger zweideutig und dunkel sein, wie die delphischen, nur sollen sie keine schillernden Lügen, sondern große, leuchtende Wahrheiten enthalten! Auch mir ist es feierlich und groß zumute, und mir scheint, als sähe ich da vor mir durch die Bäume eine majestätische, riesengroße Luftgestalt schweben, welche mit erhobenem Arm mir winkt, ihr zu folgen. Das ist die Weltgeschichte, Freund, sie trägt ihr goldenes Buch im Arm, und in der erhobenen Rechten, welche mir winkt, hält sie den diamantenen Griffel, mit welchem sie meinen Namen und den dieses Ortes auf ihre Tafel graben will. Deshalb, mein heiliger Vater und Priester, habe ich Sie hierher geführt, damit Sie meinen Weinberg taufen sollen. Kommen Sie, die große Gestalt da winkt schon wieder! Sie erwartet die Taufe mit Ungeduld!

Jetzt traten sie aus der kleinen Allee in den großen Hauptgang. Ein Ausruf der Bewunderung entfuhr den Lippen des Marquis, mit strahlendem Auge blickte er umher auf dieses so reizende und so majestätische Ensemble, das plötzlich ihn umgab. Hier dicht vor ihnen dieses von Marmor eingefaßte Bassin, umgeben von herrlichen Marmorgruppen, dicht dahinter diese hochaufsteigenden Terrassen, auf deren sechs Abstufungen sich Alleen wundervoller, riesengroßer Orangenbäume erhoben, welche ihre vollen, dichten Kronen leise im Morgenwind schaukelten, um dem König zur Begrüßung den herrlichen Duft ihrer Blüten zu senden. Und oben auf der Spitze dieser Terrassen, zwischen Marmorgruppen und springenden Kaskaden, dieses in seinen Formen so einfache und doch so schöne kleine Schloß, und auf dessen mittlerer Kuppel die goldene Königskrone, welche im Sonnenglanz funkelte und leuchtete.

Der König deutete auf die Krone hin. Sehen Sie, sagte er, die Krone leuchtet im Goldesglanz und wirst ihre Schatten auf das, was unter ihr ist. So ist's mit meinem ganzen Leben. Es ist beschattet und dunkel! Möge nur meine Krone glänzen!

Der Marquis drückte des Königs Hand zärtlich an seine Brust. Sie wird leuchten und strahlen durch alle Zeiten hindurch, sagte er begeistert. Der Sonnenschein, der dort auf jener Krone liegt, von dem werden Enkel und Urenkel noch erzählen, und wenn sie von Preußen sprechen, werden sie sagen: Als Friedrich der Zweite lebte, schien die Sonne und das Licht!

Beide schwiegen sie jetzt und stiegen Arm in Arm die marmornen Stufen der Terrassen hinauf. Tiefe, heilige Stille umgab sie, leise plätscherten die Kaskaden, leise rauschten die Gipfel der hohen Bäume, welche zu beiden Seiten die Terrassen begrenzten, dann und wann hörte man das melodische Flöten irgendeines Vogels; kein Geräusch der Welt, kein lauter Mißton unterbrach diesen heiligen Gottesfrieden der Natur. Die Welt schien hinter ihnen abgeschlossen, und mit heiligen Schauern traten sie in ein neues Dasein ein.

Jetzt hatten sie die Höhe erreicht, jetzt blickten sie umher auf dieses wundervolle Panorama, das sich da zu ihren Füßen hinlagerte, und das in seiner üppigen Frische, mit seinen malerischen Formen, mit dem Blauen, zierlich gewundenen Fluß, der sich sanft durch die grüne, von bewaldeten Höhen eingefaßte Ebene hinschlängelte, einen herrlichen Anblick darbot.

Nicht wahr, das ist schön? sagte Friedrich, und sein Antlitz strahlte vor Freude. Nicht wahr, hier werden wir ausruhen können von den Leiden und Sorgen der Welt?

Das ist ein Stückchen Paradies! rief der Marquis, und indem er in freudiger Ekstase seine beiden Arme ausbreitete, als wolle er dieses ganze schöne Bild an seine Brust drücken, blickte er zum Himmel empor und rief: Gott, Gott! Laß meinen König hier glücklich sein!

Glücklich! wiederholte Friedrich mit leisem Achselzucken. Sagen Sie zufrieden, Marquis, das ist, glaube ich, das Höchste, was ein Mensch auf diesem Stückchen Erdenkloß erlangen kann. Lassen Sie uns jetzt ins Haus eintreten!

Er nahm wieder den Arm des Marquis und schritt mit ihm über den gelben Kiessand, der unter ihren Füßen knarrte, zu den großen Glastüren, die in den länglichrunden Salon führten. Als der König die Tür öffnete, heftete er seine großen blauen Augen auf seinen Freund. Beten Sie, Marquis, beten Sie! Wir stehen hier an der Schwelle eines neuen Daseins, das seine geheimnisvollen Pforten vor uns auftut!

Sire, jeder meiner Gedanken ist ein Gebet für Sie, sagte d'Argens innig.

So traten sie in den oblongen Saal ein.

Das hier ist das Vermittelungszimmer zwischen mir und meinen Freunden, sagte der König. Hier auf dieser Stelle des Hauses werde ich wohnen, dort auf jener Seite meine Freunde, also vor allen Dingen Sie, lieber Marquis. In diesem Saale werden wir zusammentreffen, und hier wollen wir unsere Symposien feiern. Jetzt will ich Ihnen zuerst meine Zimmer zeigen, dann die übrigen.

In den mit ebenso viel Pracht als Geschmack ausgestatteten Empfangszimmern verweilte der König nur flüchtig. Kaum gestattete er dem kunstsinnigen Freunde eine rasche Schau dieser herrlichen Gemälde, welche überall an den Wänden hingen, und zu deren Ankauf der König den Kaufmann Gotzkowsky eigens nach Italien geschickt hatte; kaum durfte er einen Blick auf diese schönen Marmorstatuen und Vasen aus der Poniatowskyschen Galerie werfen, die der König für viermalhunderttausend Taler angekauft hatte.

Sie sollen zuerst mein Arbeitszimmer sehen, sagte Friedrich, nachher mögen Sie sich alles übrige anschauen.

Jetzt stieß er eine Tür auf und führte den Marquis in dieses reizende runde Bibliothekzimmer, das keinen Schmuck weiter hatte, keinen als den höchsten, – den Schmuck der Bücher. In hohen Schränken standen sie ringsumher in diesem Tempel des Geistes und der Wissenschaft, und selbst die Tür, welche sie hierher geführt und die der König leise zugedrückt, war verschwunden hinter den Büchern, mit denen die innere Seite derselben bekleidet war.

Sie sehen wohl, sagte der König lächelnd, wer einmal in diesen Zauberkreis hier eingetreten ist, kann nicht wieder hinaus. Auch will ich es nicht! Von heute an beginnt für mich ein neues Dasein, und mit dem Schritt über diese Schwelle ist die Vergangenheit von mir abgefallen wie eine überreife Frucht.

Sein Antlitz war jetzt ernst und traurig, der Glanz seiner Augen umdüsterte sich. Mit einem leisen Seufzer legte er die Hand auf die Schulter des Marquis und blickte ihn lange schweigend an.

Ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, sagte er endlich leise. Ich glaube, mein Herz ist mir gestern gestorben, und gestehe ich es Ihnen nur, es war ein harter Todeskampf! Jetzt ist's vorüber, aber die Stelle da, wo einst das Herz schlug, ist noch wund von Schmerzen und blutet noch aus tausend Wunden. Sie werden alle heilen, und ich werde dann ein harter, vernarbter Mann sein. Sprechen wir nicht mehr davon!

Nein, Sie sollen nicht sagen dürfen, Sire, daß Sie jemals verhärten könnten, rief d'Argens tief gerührt. Sie sollen Ihr Herz nicht verleumden und sagen, daß es gestorben sei. Es lebt mit uns, mit den Freunden, mit der ganzen Welt, mit allem, was groß, edel, ruhmvoll und erhaben ist!

Nur nicht mehr mit der Liebe, sagte der König, das ist eine entblätterte Rose, die ich von mir geworfen habe, denn die Rosen vertragen sich nicht mit der Krone, sie überwuchern entweder die Krone oder sie werden von dieser erdrückt. Ich aber bin es meinem Volke schuldig, daß ich meine Krone glanzvoll und frei erhalte; ich will nicht, daß es eines Tages mich einen schlechten und saumseligen Beamten nennen soll, ich will ihm dienen mit meinem ganzen Leben und meiner ganzen Kraft! Aber hier, Freund, hier in meinem Kloster, das wie die Karmeliterklöster niemals von einem weiblichen Fuß soll entweiht werden, hier wollen wir zuweilen das Königtum und all das eitle Flitterwerk vergessen, und hier auf meinem Weinberg will ich nicht der König sein, sondern nur der Freund und Philosoph!

Und der Dichter! rief d'Argens mit innigem Liebeston, und dem Dichterkönig will ich jetzt ein Wort zurufen, das er mir einst gesagt, als ich traurig und verstimmt gewesen:

Nous avons deux moments à vivre;
Qu'il en soit un pour le plaisir. –

Sie glauben, daß wir diesen einen Moment noch nicht erschöpft haben, Marquis? fragte Friedrich mit einem traurigen Lächeln. Dann aber, nach einer kleinen Pause, erhellten sich seine Züge, sein Auge leuchtete wieder in dem gewohnten Feuer, und eine kühne, freudige Entschlossenheit strahlte von seinem Angesicht.

Versuchen wir's, Marquis, ob Sie recht haben, sagte er, und suchen wir den Moment pour le plaisir so lange als möglich auszudehnen, und dann, wenn's zum Sterben kommt, dann –

Finissons sans trouble, et mourons sans regrêts
En laissant l'univers comblé de nos bienfaits.
Ainsi l'astre du jour, au bout de sa carrière
Repand sur l'horizon une douce lumière
Et les derniers rayons, qu'il darde dans les airs,
Sont ses derniers soupirs, qu'il donne à l'univers. Poesies diverses. Edit. de Berlin. P. 318.

Der Marquis hatte mit staunendem Entzücken dieser Improvisation des Königs zugehört, und als er jetzt geendet, rief der feurige Provenzale mit glühendem Enthusiasmus: Sie sind kein Mensch, Sire, Sie sind ein Held, ein König, ein Halbgott!

Ich will Ihnen da etwas zeigen, was eine zu genaue Widerlegung Ihrer Schmeichelworte ist, als daß ich sie glauben könnte, sagte der König lächelnd, indem er den Marquis an das Fenster führte. Schauen Sie dorthin. Was sehen Sie da, hier gerade meinem Fenster gegenüber?

Meinen Euere Majestät diese wundervolle Marmorgruppe da?

Die meine ich. Was denken Sie, daß das sei?

Was das sei? Die liegende Statue einer Flora!

Nein, Freund, – es ist mein Grab!

Ihr Grab, Sire? sagte der Marquis zusammenschauernd. Und das haben Sie gerade vor dem Fenster Ihres Lieblingszimmers aufgestellt?

Gerade da, auf daß ich niemals des Todes vergessen möchte! Kommen Sie, Marquis, wir wollen mein Grab in der Nähe betrachten!

Er führte den Marquis hinaus auf den freien Vorplatz und seitwärts zu dem Rondel, wo die Marmorgruppe aufgestellt war.

Hier unter dieser Statue befindet sich das Grabgewölbe, in dem ich einst ruhen werde, sagte Friedrich. Ich begann den Bau meines Weinberges mit dieser Gruft, und legte dem Baumeister strenges Geheimnis auf. Bewahren auch Sie es, Marquis, die wenigsten, welche leben, haben genug Ehrfurcht und heilige Scheu vor dem Tode, als daß man ihnen davon reden möchte.

D'Argens Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Oh, Sire, möchte es noch lange sein, bis diese Flora von ihrer Stelle gerückt wird und sich das Grab unter ihr öffnet! rief er tief gerührt.

Der König schüttelte leise das Haupt, und ein heiliger Friede strahlte von seinem Angesicht. Warum wünschen Sie das? fragte er, und indem er mit der Hand niederdeutete auf die Gruft, setzte er hinzu: Quand je serais là, je serai sans souci. Nicolai. Anecdoten von König Friedrich II. Heft II, 203.

Sans souci! wiederholte d'Argens leise und tief gerührt, niederstarrend auf die Gruft.

Der König reichte ihm lächelnd die Hand. Ich will's versuchen, auch im Leben sans souci zu sein, und zum Beweise dessen nenne ich dies Haus von heute an:

Sanssouci!

 

Ende des dritten Bandes.


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