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XII. Trencks erste Flucht

Heute also, heute ist der Tag seiner Befreiung! sagte Prinzessin Amalie zu ihrer Vertrauten, dem Fräulein von Haak. Heut, nach fünfmonatlicher Qual, wird er frei sein, wird er sich das Leben, die Freiheit und das Glück wieder erobern. Und ich werde es sein, der er das alles zu danken hat. Oh, wohl mir, wohl mir, daß Gott mir die Kraft gab, zu leben und alle diese Qualen zu überdauern, wohl mir, daß ich ihn erretten kann. Denn nicht wahr, du zweifelst nicht, daß unser Werk gelingen wird?

Nein, ich zweifle nicht, sagte Ernestine von Haak mit einem glücklichen Lächeln. Der Plan wird und muß gelingen!

Laß uns noch einmal alles überlegen, und sei's auch nur, um die Zeit, welche heute mit so bleiernen Schritten weiterkriecht, ein wenig mit unsern Gedanken zu beflügeln. Wenn der Platzmajor von Doo heute in der Frühe, wie er das an jedem Sonntag zu tun pflegt, in Trencks Gefängnis tritt, um es in allen Winkeln zu durchsuchen und nachzuspüren, ob der gefangene Edelhirsch nicht irgendwo sich eine Gasse zur Freiheit geöffnet habe, so wird Trenck über ihn herfallen, ihm den Degen entreißen und an ihm vorüber aus dem Gefängnis springen. Vor der Tür wird er den Soldaten Nicolai, unfern Vertrauten, finden; statt ihn aufzuhalten, wird dieser sich den Anschein geben, ihn nicht zu sehen, und so wird Trenck weitereilen, so wird er die Pallisaden überspringen und jenseits derselben das Pferd besteigen, welches wir da bereit gestellt. Gedeckt von dem Militärmantel, den man ihm überwerfen wird, in gutem Geleit der geladenen Pistolen, die er in den Halftern seines Sattels findet, wird er auf Windesflügeln der böhmischen Grenze zueilen. Unfern von dort, bei dem Dorfe Lönnschütz, steht ein anderes Pferd bereit, er wird sich hinaufschwingen und weitereilen, immer weiter, bis er die Grenze überschritten hat, bis er frei ist! Oh, mein Gott, Ernestine, mir scheint das alles so sicher, so leicht und so gewiß, daß ich gar nicht an die Möglichkeit des Mißlingens glauben kann.

Auch ich glaube nicht daran, sagte das Hoffräulein. Der Plan ist gut angelegt und wird wirksam unterstützt, er wird gelingen.

Vorausgesetzt, daß er die Pferde bereit findet und den Ort nicht verfehlt, wo sie stehen.

Mein Verlobter wird ihm, wenn er die Wache bei ihm hat, ein Zettelchen zustecken, auf dem die Orte genau angegeben sind, und daß er die Pferde dort findet, dafür bürgt Schnells Treue. Der einzige Zweifel ist nur, ob es Trenck gelingen wird, die Hindernisse in der Festung ganz allein zu überwinden, denn Euere Königliche Hoheit haben nicht gewollt, daß wir ihm unter den Soldaten Mitschuldige und Vertraute anwerben sollten.

Nein, sagte Amalie stolz, ich will Trenck befreien, aber ich will nicht die Soldaten meines Bruders ihrer Pflicht abwendig machen. Das erste zu tun, ist mein Recht und meine Pflicht, denn ich liebe Trenck; täte ich das zweite, so wäre ich eine Hochverräterin gegen meinen König, und das könnte selbst die Liebe nicht entschuldigen. Nur durch mich und durch sich selber soll Trenck befreit werden. Unsere einzigen Bundesgenossen sollen mein Geld und seine eigene Kraft sein! Oh, er ist stark wie ein Riese und tapfer wie ein echter Held! Er wird sich hindurchschlagen durch alle seine Feinde, gleich dem Briareos wird er hundert Arme haben, und seine Feinde werden vor ihm niederfallen, wie das Korn vor der Sense des Schnitters. Kann er sie nicht alle töten mit seinem Schwert, so wird er sie töten mit seinen Blicken, denn in seinen Augen wohnt eine himmlische Kraft, es sind Sonnenstrahlen darin und feurige Blitze. Und schreibt dir nicht außerdem dein Verlobter, daß alle Offiziere auf der Zitadelle ihn lieben, daß alle Soldaten ihn beklagen? Nun denn, wir haben also nicht nötig gehabt, sie mit elendem Geld zu bestechen, Trenck hat sie bestochen mit seiner stolzen Jugendschönheit, seinem Unglück und seiner Liebenswürdigkeit. Niemand wird sich ihm also entgegenstellen, niemand wird ihn zurückzuhalten suchen.

Gebe Gott, daß Euere Königliche Hoheit richtig prophezeien, sagte das Hoffräulein seufzend.

Gebe Gott, daß diese vier Tage, welche wir noch zu warten haben, bis wir die Nachricht seiner Befreiung erhalten, glücklich überwunden sind, rief Prinzessin Amalie. An seiner Befreiung zweifle ich gar nicht, nur daran, daß ich diese vier Tage des Harrens überleben werde. Die Ungeduld wird mich töten! Ich habe Kraft gehabt, dem Unglück zu widerstehen, aber ich fühle, daß schon die Erwartung des Glückes mich bis zum Tode ermattet. Oh, mein Gott, gib nur, daß er wieder frei ist!

Man stirbt nicht mit so roten Wangen und so glänzenden Augen, wie Euere Königliche Hoheit sie heute haben, lächelte Fräulein von Haak. Ich habe oft im geheimen gebangt, weil Sie immer bleicher und immer zarter wurden, weil der Gram an Ihnen zehrte, wie der Wurm an der Rose, jetzt aber bange ich nicht mehr, denn Sie sind genesen, seit Sie wieder hoffen! Und was diese vier Tage anbetrifft, welche wir noch zu warten haben, so werden wir sie töten mit heiterm Lachen, mit Festen und Tänzen. Ist nicht heute Ball bei der Königin, morgen Maskerade im Opernsaal? Nun, Euere Königliche Hoheit haben seit fünf Monaten an diesen Festen nur teilgenommen, weil Sie mußten, jetzt werden Sie es tun, weil Sie wollen, Sie werden nicht mehr tanzen, weil der König es befohlen hat, sondern weil Sie jung und heiter sind und wieder dem Glücke vertrauen. Sie werden also viel tanzen, und sich in diesen zwei Tagen so sehr ermüden, daß Sie das Glück haben werden, den dritten Tag sehr viel zu schlafen. So wird der vierte Tag kommen und mit rosigem Finger Ihre müden Augen öffnen, und Ihnen zuflüstern, daß Trenck frei ist, und daß Sie es sind, welche ihn befreit hat.

Ja, laß uns heiter sein, rief Prinzessin Amalie, laß uns lachen und tanzen. Oh, mein Bruder soll mit mir zufrieden sein. Er wird nicht mehr nötig haben, mich so finster und drohend anzusehen, ich werde lachen und tanzen, ich werde mich schmücken und alle Damen überstrahlen mit meinem Putz und meinen glänzenden Augen. Komm, Ernestine, komm! Wir wollen meine Toilette für diesen Abend ordnen. Oh, es soll eine prachtvolle Toilette sein, ich will Blumen in meinem Haar, Blumen an meinem Busen tragen, keine Perlen, denn das bedeutet Tränen, und ich will nicht mehr weinen!

Fröhlich wie ein Kind hüpfte sie durch das Zimmer und zog ihre Freundin mit sich fort in das Toilettenzimmer, und fröhlich blieb sie während dieser drei folgenden Tage der Erwartung, fröhlich schlief sie am Abend des dritten Tages ein, um im Traum ihren Geliebten zu sehen, wie er zu ihren Füßen kniete und ihr dankte für seine Befreiung, und ihr ewige Liebe schwur.

So kam der vierte Tag, und Amalie begrüßte ihn mit freudiger Zuversicht, gar nicht zweifelnd, daß er ihr gute Botschaft bringen werde. Aber die Stunden vergingen, und das Fräulein von Haak kam immer noch nicht! Amalie hatte ihr gesagt: morgen will ich Sie nicht eher wiedersehen, als bis Sie mir eine Freudenbotschaft zu bringen haben. In der Frühe schon wird diese anlangen, und Sie sollen mit derselben in mein Zimmer flattern, wie die Taube mit dem Ölblatt.

Und Fräulein von Haak kam immer noch nicht! Doch, da öffnet sich die Tür, da ist sie, aber ihr Gesicht ist bleich, ihre Augen sind verweint, und neben ihr diese blasse Frau in den schwarzen Trauerkleidern, mit dem schönen edlen Angesicht, das Amalien mit so wunderbaren, köstlichen Erinnerungen entgegenleuchtet, wer ist das? Was will sie hier? Warum eilt sie mit überströmenden Augen zu der Prinzessin hin, warum beugt sie vor ihr das Knie und hebt flehend ihre Hände zu ihr empor und flüstert: Erbarmen, Prinzessin, Erbarmen!

Prinzessin Amalie, bleich und zitternd, erhebt sich von ihrem Sitz und starrt mit weitaufgerissenen, tränenlosen Augen zu der Knienden nieder und fragte leise, mit vor Entsetzen gelähmter Zunge: Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?

Und die bleiche Frau zu ihren Füßen ruft mit schneidendem Wehelaut: Ich bin die Mutter des unglücklichen Friedrich von Trenck, und ich bin gekommen, Euere Königliche Hoheit um Mitleid anzuflehen. Mein Sohn wollte entfliehen, aber Gott war seinem Unternehmen nicht günstig. Nachdem er alle Hindernisse überwunden, nachdem er schon die Freiheit, die Rettung dort jenseits der Pallisaden vor sich sah, klammerte sich das Unheil noch an seinen Fuß und hielt ihn fest, bis seine Verfolger ihn erreichten und mit ihren Schwertern über ihn herfielen, und ihn verwundet, blutend, ohnmächtig vor Wut und Schmerz, in seinen Kerker zurückführten! Trencks Memoiren, I, 80.

Ein Schrei des Entsetzens tönte von Amaliens Lippen, dann sank sie bleich, atemlos, kaum ihrer Sinne mächtig, auf ihren Sitz zurück. Fräulein von Haak eilte zu ihr hin, um sie sanft in ihre Arme zu nehmen, um ihr unter Tränen Worte des Trostes, der Teilnahme und der Hoffnung ins Ohr zu flüstern. Aber Amalie hörte nicht auf sie; sie blickte starr hernieder auf die blasse, weinende Frau, die immer noch vor ihr kniete, und immer noch die Hände flehend zu ihr emporhob.

Haben Sie Erbarmen, Prinzessin, Erbarmen, sagte sie. Sie allein können mir beistehen, Sie allein können mir zur Rettung meines unglücklichen Sohnes behilflich sein. Deshalb komme ich zu Ihnen, deshalb habe ich Fräulein von Haak so lange mit Tränen und Bitten beschworen, bis sie mich zu Ihnen führte, bis sie, aller Etikette und allem Zeremoniell zum Trotz, mir erlaubte, Ihre Knie zu umklammern und zu Ihnen zu sagen: helfen Sie mir, weil Sie ein Engel der Güte und des Erbarmens sind, helfen Sie einer unglücklichen Mutter, welche ihren Sohn erretten will!

Und Sie sagen, daß ich das kann? fragte Amalie atemlos.

Sie allein, Königliche Hoheit, haben das Mittel in fänden, meinen Sohn vom Tode zu erretten!

Nennen Sie mir das Mittel, Gräfin, und müßte ich es mit meinem Herzblut erkaufen, ich werde es tun!

Führen Sie mich zum König, Prinzessin, das ist alles, was ich von Ihnen erflehe. Noch weiß er nichts von dem unglücklichen Fluchtversuch meines Sohnes. Ich selber also will es sein, die ihm diese Nachricht bringt, ich selber will ihm gestehen, daß ich es war, welche meinem Sohn zur Flucht behilflich gewesen, welche den Unteroffizier Nicolai mit Schmeichelworten und Tränen, mit Geld und Versprechungen bestochen hat, damit er sich meinem Sohn nicht widersetzte, daß ich es war, welche das Pferd mit den geladenen Pistolen an der äußeren Pallisade bereit hielt, daß ich meinem Sohn die tausend Dukaten zugeschickt, welche man bei ihm gefunden, daß ich jenen Brief geschrieben, in welchem ihm ewige Liebe und Treue gelobt wird. Oh, der König wird einer Mutter verzeihen, welche ihren Sohn befreien will, und deshalb kein Mittel unversucht läßt.

Ah, Sie sind eine edle, eine großmütige Frau, rief die Prinzessin mit leuchtenden Augen, Sie sind es wert, Trencks Mutter zu sein. Sie sagen, daß ich Sie erretten soll, und Sie sind gekommen, um mich zu erretten. Aber ich werde dieses Opfer nicht annehmen, ich werde nicht feig und schüchtern schweigen, wo Sie den Mut haben, zu reden. Möge der König denn alles erfahren, möge er wissen, daß es nicht Trencks Mutter ist, sondern Trencks Geliebte, welche ihn befreien wollte, und daß diese Geliebte –

Oh, wenn Sie ihn erretten wollen, so schweigen Sie, Prinzessin, der König kann Erbarmen üben, wenn es die Mutter war, die ihren Sohn befreien wollte, er wird unnachsichtig sein, wenn es eine andere gewesen, und wenn er diese andere nicht strafen kann, so wird er meinen Sohn doppelt strafen!

Oh, hören Sie auf ihre Worte, Prinzessin, flüsterte das weinende Hoffräulein, tun Sie, wie die Gräfin sagt, erhalten Sie sich dem unglücklichen Trenck, schützen Sie mit Ihrem Schweigen seine Freunde, und wir werden noch die Hoffnung bewahren können, bessere und glücklichere Mittel zu seiner Flucht zu ersinnen!

Nun denn, es sei, sagte die Prinzessin schmerzlich. Ich bringe ihm auch dieses Opfer. Ich schweige. Gott allein weiß, daß ich bereitwilliger noch mein Leben, mein Herzblut für ihn hingeben würde, und daß ich das minder schwer finden würde, als mich und meine Liebe in Schweigen und Feigheit zu verhüllen. Kommen Sie, ich führe Sie zum König!

Aber ich sagte Euerer Königlichen Hoheit noch nicht, daß der König in seinem Bibliothekzimmer ist, und daß er streng befohlen hat, niemand vorzulassen.

Er wird mich einlassen, oder vielmehr, ich werde Sie über den geheimen Korridor und durch die Wohnzimmer des Königs, nicht durch den großen Vorsaal zu ihm führen, kommen Sie!

Sie faßte heftig der Gräfin Hand und führte sie mit sich fort.

Der König war allein in seinem Bibliothekzimmer. Er saß vor seinem mit Büchern und Papieren bedeckten Tisch und war eifrig mit Schreiben beschäftigt. Von Zeit zu Zeit hielt er inne und blickte nachdenklich auf das Geschriebene nieder. Der Anfang wäre also gemacht, sagte er leise, der Anfang zu einem neuen Werk, das hoffentlich eine ebenso gute Schlacht auf dem Felde der Wissenschaft werden soll, wie ich deren einige auf anderm Felde mit dem Degen gewonnen habe. Ich bin mir bewußt, was ich will, und kenne genau meine Aufgabe, und wahrlich, es ist eine schöne und lohnende Aufgabe, welche ich mir da gestellt habe. Ich will die » Geschichte meiner Zeit« schreiben, nicht in Form von Memoiren und nicht als Kommentar, sondern als freies, selbständiges, unparteiisches Geschichtswerk. Ich will darin den Umsturz von Europa im großen schildern, und mich bemühen, die Lächerlichkeiten und Torheiten, die in dem Benehmen seiner Herrscher sichtbar sind, zu zeichnen Des Königs eigene Worte. Oeuvres posthumes: Correspondance avec Voltaire.. Nun meine ehrenwerten Kollegen, die Könige und Fürsten haben mir da sehr reichliches Material zu einem komischen Narrenbilde geliefert. Ich wünschte mir den Pinsel eines Höllenbreughel und die Feder eines Thucydides zu meinem Werk, damit es das erreiche, was ich von ihm fordern will. Ach, ach, der Ruhm ist eine so pikante Speise, daß man, je mehr man davon genießt, immer durstiger wird nach neuem Genuß. Warum lasse ich es mir nicht genügen, daß man mich einen guten Feldherrn nennt, warum gelüstet es mich, auch ein wenig auf dem Kapitol gekrönt zu werden? Nun, Se. Heiligkeit der Papst wird es jedenfalls nicht sein, der mich krönt oder zu dem Rang eines Heiligen erhebt, und wahrlich, ich trage nach solchem Titel auch kein Gelüste. Ich bin es zufrieden, wenn mich die Nachwelt einst einen guten Fürsten, einen tapfern Soldaten, einen guten Gesetzgeber nennt, und es mir verzeiht, daß ich zuweilen auch statt des Schlachtrosses den Pegasus ein wenig herumgetummelt habe!

Mit einem heitern Lächeln nahm der König die Feder zur Hand und begann wieder zu schreiben.

Hinter dem König öffnete sich jetzt leise die nach seinem Wohnzimmer führende Tür, und Prinzessin Amalie schaute forschend und mit bleichem, traurigem Antlitz herein. Als sie sah, daß der König immerfort schrieb, klopfte sie leise an die geöffnete Tür.

Der König wandte sich hastig und mit gerunzelter Stirn um. Habe ich nicht gesagt, daß ich allein sein will? fragte er unwillig; als er aber seine Schwester gewahrte, stand er auf, und ein angstvoller Ausdruck sprach aus seinen Zügen.

Ah, meine Schwester, ich sehe aus deinen schmerzlichen Zügen, daß du mir eine schlimme Nachricht zu bringen hast, sagte er, und dringend muß sie gewesen sein, da du so unangemeldet bei mir eintrittst.

Mein Bruder, das Unglück hat immer das heilige Vorrecht, unangemeldet zu den Fürsten eintreten und zu ihnen um Hilfe und Erbarmen flehen zu dürfen, sagte die Prinzessin. Ich nehme dieses heilige Vorrecht auch für die unglückliche Dame in Anspruch, welche mich um Fürsprache bei meinem erhabenen Bruder gebeten hat. Sire, wollen Sie die Gnade haben, ihr eine Audienz zu gewähren?

Wer ist sie? fragte der König verdrießlich.

Sire, es ist die Gräfin Lostange, sagte Amalie kaum hörbar.

Die Mutter des rebellischen Leutnants von Trenck? rief der König mit fast drohendem Ton, und ein zorniger Blitz seines Auges traf das bleiche Antlitz seiner Schwester.

Ja, die Mutter des unglücklichen Leutnants von Trenck ist es, welche es wagt, Euerer Majestät Gnade anzuflehen, rief die Gräfin, an der Tür auf ihre Knie niedersinkend.

Der König trat einen Schritt zurück, und sein Gesicht ward noch finsterer. In der Tat, Sie haben eine seltsame Art, sich eine Audienz zu verschaffen, sagte er, Sie erobern Sie sich und machen die Prinzessin, wie es scheint, zu Ihrem Herold!

Sire, ich habe die Diener vergeblich um Einlaß gefleht, sie verweigerten es mir. Da, in der Angst meines Herzens, wandte ich mich an die Prinzessin, welche großmütig genug war, für mich dem Zorn ihres erhabenen, königlichen Bruders zu trotzen.

Und war denn das, was Sie mir zu sagen hatten, so dringend?

Sire, seit fünf Monaten schmachtet mein Sohn im Kerker, und Euere Majestät fragen, ob es dringend war, daß seine Mutter zu Ihnen kam? Mein Sohn hat den Zorn Euerer Majestät erregt, und ich weiß nicht weshalb, er ist ein Gefangener, und ich kenne sein Verbrechen nicht. Oh, üben Euere Majestät Gnade, lassen Sie mich das Verbrechen meines Sohnes kennen, damit ich es zu sühnen trachte!

Ah, Madame, eine Mutter ist nicht verantwortlich für die Verbrechen ihres Sohnes, eine Frau kann nicht sühnen, was ein Mann verschuldete. Überlassen Sie daher Ihren Sohn seinem Schicksal, das sich vielleicht noch eines Tages für ihn aufklären und lichten kann, wenn er klug und besonnen ist und die Warnung versteht, mit welcher es jetzt an sein lichtscheues Herz geklopft hat.

Des Königs Blick streifte bei diesen Worten das Antlitz der Prinzessin, als sei diese Warnung zugleich an sie selber gerichtet gewesen.

Ach, Euere Majestät wollen einem armen Mutterherzen also Hoffnung gewähren? fragte die arme Gräfin. Diese unglückselige Gefangenschaft meines armen Sohnes wird also vorübergehen, Euere Majestät werden ihm eines Tages Verzeihung gewähren für dieses Verbrechen, das ich nicht kenne und das Euere Majestät nicht die Gnade haben, mir zu nennen?

Wollen Sie es wissen, Madame? fragte der König strenge. Er hat eine unvorsichtige und verräterische Korrespondenz geführt, und wenn ich ihn vor ein Kriegsgericht stellte, würde es ihn als einen Hochverräter strafen. Aber, in Anbetracht seiner Jugend, seines Leichtsinns und einiger nur mir bekannter Milderungsgründe, werde ich schonend mit ihm verfahren. Möge Ihnen diese Versicherung genügen, Madame: in einem Jahre wird Ihr Sohn frei sein, und wenn ihn die Einsamkeit zum Nachdenken über sich selber und zur Erkenntnis seines Verbrechens gebracht hat, wenn er sich bessert und alle seine Torheiten aufgibt, werde ich ihm wieder ein gnädiger König sein Trencks Memoiren. I, 82.. Schreiben Sie das Ihrem Sohn, und somit Gott befohlen!

O Sire, Sie kennen noch nicht alles, um was ich Euerer Majestät Gnade zu erbitten habe. Ich habe noch ein Bekenntnis zu machen, und –

Ein leises Klopfen an der nach dem Vorsaal füllenden Tür unterbrach sie, und eine Stimme von außen rief: Sire, ein Kurier mit wichtigen Depeschen aus Schlesien!

Treten Sie in mein Wohnzimmer zurück, und warten Sie dort, sagte der König, indem er der Prinzessin winkte. Die beiden Damen entfernten sich.

Depeschen aus Schlesien, flüsterte die Gräfin. Der König wird jetzt alles erfahren, fürchte ich.

Möge er es, sagte Prinzessin Amalie fast trotzig, wir sind hier, um ihn zu retten, und wir werden es tun!

Eine kurze Zeit verging, dann ward die Tür heftig aufgerissen, und der König, bleich und mit zornblitzenden Augen, erschien auf der Schwelle.

Madame, sagte er, auf die Papiere deutend, welche er in Händen hielt, aus diesen Depeschen habe ich erfahren, was Sie ohne Zweifel mir zu sagen kamen. Ihr Sohn hat wie ein feiger Verbrecher, ein schuldbelasteter Übeltäter, seinem Gefängnis zu entspringen gesucht. Er hat dabei Soldaten getötet und verwundet, er hat den Festungskommandanten entwaffnet, und in der Frechheit und dem Wahnsinn seiner feigherzigen Angst hat er mitten am hellen Tage über die Pallisaden entspringen wollen. Ah, Madame, man muß sich sehr schuldig fühlen, um solche verwegene Flucht zu wagen, und sehr verbrecherische Komplizen muß er gehabt haben, die ihm solchen Rat erteilen konnten. Denn er hatte Komplizen, er hatte Mitschuldige, welche die Schildwache vor seiner Tür bestachen, welche heimlich ihm Geld zusteckten, welche Pferde zu seiner Flucht bereit hielten. Wehe ihnen, wenn ich jemals ihren Namen erfahre, wenn ich diese Verbrecher kennen lerne, welche meine Soldaten und Offiziere zu verräterischem Treubruch ihres Eides verleiteten.

Ich, Majestät, ich war diese Verbrecherin, sagte die Gräfin. Eine Mutter darf es wohl wagen, um jeden Preis die Freiheit ihres Sohnes zu begehren, und jede Waffe ist ihr recht, wenn sie ihn damit verteidigen kann. Ich habe die Soldaten bestochen, die Pferde bereit gestellt und meinem Sohn Geld gesandt, ich wollte meinen Sohn befreien!

Und Sie haben ihn doch nur in tieferes und hoffnungsloseres Elend gebracht! Denn jetzt, Madame, jetzt gibt es keine Gnade mehr. Der Ausreißer und Deserteur hat die Gnade seines Königs verwirkt, er ist der Schande, dem Elend und der ewigen Gefangenschaft verfallen. Das ist mein letztes Wort! Hoffen Sie nicht mehr auf Gnade. Nach Den Kriegsgesetzen ist der Deserteur dem Tode verfallen, ich will ihm das Leben schenken, aber ich kann ihm die Freiheit nicht geben, denn ich weiß jetzt, daß er sie mißbrauchen würde. Leben Sie wohl!

Gnade! Gnade! flehte die Gräfin. Erbarmen Sie sich meines Sohnes, Sire, er ist so jung, er hat noch ein so langes Leben vor sich.

Ein Leben der Reue und der Buße, sagte der König strenge. Ich werde ihm kein anderes bewilligen! Gehen Sie! –

Er wandte sich um, und war im Begriff in sein Studierzimmer zurückzukehren. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und als er sich umwandte, sah er hinter sich das bleiche Antlitz seiner Schwester.

Mein Bruder, sagte die Prinzessin mit fester Stimme, erlauben Sie mir, Sie einen Augenblick allein zu sprechen. Gehen Sie voran, ich folge Ihnen.

Es lag etwas Stolzes, fast Gebieterisches in ihrem ganzen Wesen; sie hatte einen festen heldenmütigen Entschluß gefaßt, das sagten ihre stolzen strengen Mienen, das leuchtete von ihrer klaren, ernsten Stirn. Sie war nicht mehr das junge Mädchen, welches schüchtern und mit gefalteten Händen um ihre Liebe weint, sie war das heldenkühne Weib, welches ihre Liebe verteidigen oder mit ihr sterben will. – Der König las das in ihrem Angesicht, er erkannte das an ihrer königlichen Haltung, und mit der Ehrfurcht und Anerkennung, welche große Seelen immer für das Unglück empfinden, neigte er sich vor dieser Frau, zu der er in sympathetischem Mitleid sich hingezogen fühlte.

Kommen Sie, meine Schwester, sagte er, ihr die Hand darreichend.

Aber Amalie nahm diese Hand nicht an, sie schritt neben ihm her in das Bibliothekzimmer und schloß langsam und leise die Tür hinter sich. Dann lehnte sie sich einen Moment, wie um Kraft zu sammeln, an die Wand, während der König, hastig das Zimmer durchschreitend, sich an das Fenster stellte und seine heiße Stirn an den Scheiben kühlte. Als er hinter sich das Rauschen ihres Gewandes hörte, wandte er sich um und ging der Prinzessin entgegen. Sie blickte ihn mit großen, kalten, tränenlosen Augen an.

Genügt es, wenn ich verspreche, ihn niemals wiederzusehen? fragte sie.

Das Versprechen ist überflüssig, denn ich werde ein Wiedersehen unmöglich zu machen wissen.

Sie nickte langsam mit dem Kopf, als habe sie diese Antwort erwartet.

Genügt es, wenn ich schwöre, niemals wieder an ihn zu schreiben, ihm kein Zeichen meiner Liebe mehr zu geben?

Ich würde diesem Schwur nicht glauben, und wenn ich ihm die Freiheit gebe, wird er Sie und Ihre Familie kompromittieren, indem er sich einer Liebe rühmt, welche nur den Verhältnissen und der Notwendigkeit, nicht aber der Vernunft und dem Überdruß gewichen ist. Ich will Ihnen in dieser Stunde keine Vorwürfe machen, denn ich denke, Ihr Gewissen tut das ohne mich. Aber ich sage Ihnen nur dies: ich werde ihn nicht freigeben, solange er noch an Ihre Liebe glauben darf!

Werden Sie ihn freigeben, wenn ich ihm den Glauben an mich raube? Wenn ich ihm die gelobte Treue wie ein zerfetztes Stück Papier ins Antlitz schleudere? Wenn ich ihm sage, daß die Furcht und die Feigheit meine Liebe ausgelöscht hat, und daß ich ihm für immer Lebewohl sage?

Schreiben Sie ihm das, und ich verspreche Ihnen, daß er in einigen Monaten frei sein soll, aber, verstehen Sie mich wohl, frei, um zu gehen, wohin er will, außer nach Berlin, frei, aber aus meinem Königreiche verbannt.

Soll ich hier schreiben? fragte sie mit einem völlig gleichgültigen Gesicht und mit eiseskalter Ruhe.

Schreiben Sie. Sie finden auf meinem Schreibtisch alles, was Sie bedürfen.

Sie ging ganz gelassen zu dem Schreibtisch und setzte sich. Als sie zu schreiben begann, überdeckte eine Leichenblässe ihr Antlitz, und ihr Atem ging keuchend und stöhnend aus ihrer Brust hervor.

Der König stand unfern von ihr und betrachtete sie mit tieftraurigen Blicken.

Sind Sie schon fertig? fragte er, als sie das Papier, auf welchem sie eben geschrieben, beiseite schob.

Nein, sagte sie ruhig, es war nur eine Träne auf jenes Papier gefallen. Ich muß also von neuem beginnen.

Und sie nahm ganz gelassen ein anderes Blatt Papier und begann wieder zu schreiben. Der König wandte sich seufzend ab, er fühlte, daß, wenn er länger noch dieses bleiche, resignierte, todesmutige Antlitz anschaute, er seiner Vernunft, seiner Pflicht zum Trotz, sie begnadigen und ihr ihren Geliebten zurückgeben würde.

Er trat wieder ans Fenster und schaute gedankenvoll zum Himmel empor. Ist es möglich, kann es sein? fragte er sich selber. Darf ich meiner Pflichten als Haupt meiner Familie vergessen und mich nur erinnern, daß sie meine Schwester ist, und daß sie leidet und weint? Müssen wir denn alle diese eitle Größe und diesen Flittertand irdischer Herrlichkeit mit unserm wärmsten Herzblut und unsern schönsten Hoffnungen bezahlen? Und wenn ich sie jetzt ihres geträumten Glückes beraube, was habe ich ihr dafür zu bieten? Womit kann ich ihr ihre Hoffnungen, ihre Liebe, ihr Jugendglück ersetzen? Höchstens mit ein wenig irdischem Glanz, mit einem Purpur und einer Krone, und endlich vielleicht mit meiner Liebe. Ja, ich will sie lieben, treu und innig, sie soll dem Bruder verzeihen müssen, daß der König ihr nicht verzeihen kann. Sie –

Ich bin zu Ende, sagte hinter ihm die traurige sanfte Stimme seiner Schwester. Der König wandte sich um. Amalie stand an dem Schreibtisch, das beschriebene Papier in der einen Hand haltend, während sie sich mit der andern Hand auf den Tisch stützte.

Lesen Sie, sagte der König, sich ihr nähernd und sich ihr gegenüberstellend.

Die Prinzessin neigte leise ihr Haupt und las:

»Ich beklage Sie, aber Ihr Mißgeschick ist unabänderlich, und ich darf und will nicht versuchen, es zu lindern, denn ich würde fürchten, mich selber zu kompromittieren. Dies ist daher mein letzter Brief, ich darf nichts weiter mehr für Sie wagen. Suchen Sie mir nicht zu schreiben, denn ich würde Ihre Briefe uneröffnet zurückschicken. Unsere Trennung muß für ewig sein, aber ich werde Ihnen immer gewogen bleiben, und wenn ich Ihnen später nützlich sein kann, so werde ich es gern tun. Leben Sie wohl, unglücklicher Freund, Sie verdienen ein besseres Schicksal.« Trencks Memoiren. I, 86.

Das ist alles? fragte der König, als die Prinzessin schwieg.

Das ist alles, Sire!

Und Sie meinen, daß, wenn er diesen Brief erhält, er nicht mehr an Ihre Liebe glauben wird? fragte der König mit einem traurigen Lächeln.

Ich bin dessen gewiß, denn ich sage ihm darin, daß ich nichts mehr für ihn wagen, daß ich nicht einmal versuchen will, sein Unglück zu lindern. Das tut man nur, wenn man feig und erbärmlich genug ist, dem Unglück seine Liebe zu opfern. Ich werde seine Freiheit mit seiner Verachtung erkauft haben!

Was würden Sie ihm denn geschrieben haben, wenn Sie Ihrem Herzen folgen dürften? fragte der König.

Ein rosiger Schimmer flog über ihr Antlitz hin, und in ihren Augen blitzte ein heller Liebesstrahl. Ich würde ihm geschrieben haben: »Hoffen Sie auf mich, glauben Sie an mich! Denn hinfort hat mein Leben nur noch dies eine Ziel: Sie zu befreien! Möge ich sterben, wenn ich das erreicht habe, aber sterben in dem Bewußtsein, Sie errettet zu haben und meiner Liebe treu gewesen zu sein!«

Das würden Sie ihm geschrieben haben?

Das würde ich ihm geschrieben haben, sagte sie ganz stolz und freudig. Und an der Wahrheit jenes Briefes würde er nicht gezweifelt haben.

O Frauenherz, unerschöpflicher Quell der Liebe und Hingebung, murmelte der König, indem er sich abwandte, um seiner Schwester seine Rührung zu verbergen.

Genügt dieser Brief, fragte die Prinzessin. Werden Sie Trenck jetzt freigeben?

Ich habe es Ihnen versprochen, und ich werde Wort halten. Falten Sie den Brief zusammen und adressieren Sie ihn. Ich werde ihn dann heute sogleich befördern.

Und wann wird er frei sein? fragte Amalie, indem sie tat, wie ihr der König geheißen hatte.

Ich darf ihn nicht sofort entlassen, denn das würde ein schlimmes Beispiel für meine Offiziere sein. Er hat gewagt, entfliehen zu wollen, er muß dafür seine Strafe erleiden. In drei Monaten aber soll er frei sein.

In drei Monaten also. Hier ist der Brief, Sire.

Der König nahm den Brief und steckte ihn in seinen Busen. Und jetzt, meine Schwester, jetzt komm an mein Herz, sagte er, ihr die Arme entgegenstreckend. Der König hat dir gezürnt, der Bruder will mit dir weinen. Komm, Amalie, komm an ein treues Bruderherz!

Aber Amalie warf sich nicht in seine geöffneten Arme, sie blieb ruhig stehen und schien seine Worte gar nicht gehört, nicht verstanden zu haben.

Ich bitte Euere Majestät, mich jetzt zu entlassen, sagte sie. Unser Geschäft ist beendet, und ich denke, wir haben nichts mehr miteinander zu tun!

Der König ließ seine Arme sinken und seufzte schmerzlich. Oh, meine Schwester, sagte er traurig, bedenke was du tust, laß dein Herz sich nicht verhärten, wende es nicht von mir. Glaube mir, ich leide mit dir, und wenn es nur darauf ankäme, dir meine persönlichen Wünsche zu opfern, so würde ich es mit Freuden tun. Aber ich muß meinen Ahnen, der Geschichte meines Hauses, den Vorurteilen der Welt Rechnung tragen. Amalie, ich darf, ich kann nicht anders handeln! Vergib es mir, meine Schwester. Und jetzt noch einmal, Amalie, laß uns in Liebe zueinander halten, komm in deines Bruders Arms!

Er trat dicht zu ihr heran, und streckte die Hand aus, um sie an sich zu ziehen, aber die Prinzessin trat langsam einen Schritt zurück.

Erlauben mir Euere Majestät, Sie daran zu erinnern, daß dort in jenem Zimmer eine arme unglückliche Frau auf ein Trosteswort hofft, sagte sie, und daß diese Frau Trencks Mutter ist. Sie wenigstens wird glücklich sein, wenn ich ihr sage, daß ihr Sohn bald frei sein wird. Erlauben Sie mir also, Sire, daß ich mich beurlaube und zu ihr gehe!

Sie machte dem König eine feierliche und tiefe Verbeugung und durchschritt dann langsam das Gemach. Der König suchte sie nicht mehr zurückzuhalten. Er schaute ihr mit trüben und fragenden Blicken nach, immer noch hoffend, daß sie sich umwenden, daß sie zu ihm zurückkehren werde.

Jetzt stand sie an der Tür, jetzt wandte sie sich um. Der König tat rasch einige Schritte vorwärts. Aber Prinzessin Amalie machte nur eine zeremoniöse Abschiedsverbeugung und verschwand dann durch die Tür.

Verloren, ich habe sie verloren! seufzte der König. Oh, mein Gott, muß mich denn alles verlassen, was ich liebe? War es nicht genug, daß ich meine Freunde durch den Tod verliere, muß ich noch eine geliebte Schwester durch dieses harte und kalte Leben verlieren? Ach, ich bin ein armer Mann, und doch nennen sie mich einen König!

Und der König ließ sich auf einen Stuhl nieder gleiten und schlug seine beiden Hände vor sein Angesicht. So saß er lange Zeit, und nur seine Seufzer unterbrachen die tiefe Stille um ihn her. Dann ließ er langsam die Hände wieder herabgleiten und stand auf.

Arbeiten, ich will arbeiten! sagte er, sich stolz aufrichtend. Das ist immerhin ein Trost und lehrt vergessen!

Er ging mit hastigen Schritten zu seinem Schreibtisch hin und setzte sich, indem er mit prüfendem Blick die Akten und Papiere überschaute, welche da aufgehäuft lagen.

Er nahm eins dieser Aktenstücke zur Hand und begann zu lesen. Aber bald legte er es unwillig wieder beiseite. Es geht nicht, die Buchstaben schwirren mir vor den Augen. Mein Gott, wie schwer ist es doch, seine Pflicht zu tun.

Er stützte das Haupt in seine Hand und blickte lange gedankenvoll empor. Und allmählich erheiterten sich seine Züge, ein wunderbares Leuchten war in seinen Augen, und wie in einer Verklärung strahlte sein Angesicht.

Ja, sagte er endlich mit einem köstlichen Lächeln, ja, so soll es sein! Ich habe in dieser Stunde eine Schwester verloren, und ich habe sie sehr geliebt. Nun denn, denen, die man liebt, und die uns gestorben sind, pflegt man ein Denkmal zu setzen, ein Denkmal der Erinnerung und der Liebe. Arme, gestorbene Schwester, ich will dir ein Denkmal setzen! Der König hat seine Schwester unglücklich machen müssen, dafür soll der König versuchen, sein Land glücklich zu machen, und wenn es denn kein Gesetz gibt, welches eine Prinzessin gegen den König anrufen kann, so soll es wenigstens für alle meine Untertanen Gesetze geben, die sie schützen, und der Vernunft, dem Recht und dem göttlichen Gleichheitsprinzip der Menschen entsprechen! Ja, ich will meinem Lande ein neues Gesetzbuch, ich will meinem Volke ein allgemeines Landrecht geben Rödenbeck, Tagebuch. S. 157.. Das, Amalie, sei das Denkmal, welches ich dir in meinem Herzen errichte. Und jetzt gleich, in dieser Stunde will ich an Cocceji schreiben und ihm den Auftrag geben, ein solches Gesetzbuch, ein solches allgemeines Landrecht zu entwerfen!

Und indem der König so sprach, nahm er hastig die Feder und begann zu schreiben, und so ganz erfüllt war er von seinen Gedanken, daß er halblaut, als gelte es, die Feder in seiner Hand mit seinen Worten zu beflügeln, sich selber diktierte und vorsprach, was er schreiben wollte.

»Die Richter,« sagte er jetzt, indem er mit fliegender Hast weiter schrieb, »die Richter müssen allen Menschen, ohne Ansehn der Person, Großen und Kleinen, Reichen und Armen, gleiche und unparteiische Justiz administrieren, so wie sie gedenken, solches vor dem gerechten Richterstuhl Gottes zu verantworten, damit die Seufzer der Witwen und Waisen und anderer Bedrängten nicht auf ihr und ihrer Kinder Haupt kommen mögen. Sie sollen auch auf keine Reskripte, wenn solche auch aus unserm Kabinett herrühren, die geringste Reflexion nehmen, wenn darin etwas wider die offenbaren Rechte sub- und obregiert worden, oder der strenge Lauf des Rechtes dadurch gehindert und unterbrochen wird, sondern sie müssen nach Pflicht und Gewissen weiter verfahren.« Diese Worte des Königs stehen in dem Publikationspatent des Projektes des Codex Fridericianus Marchicus. Rödenbeck, Tagebuch. 154.

Der König schrieb immer weiter, und sein Antlitz strahlte immer freudiger, während seine Feder mit fliegender Eile über das Papier hinglitt.

So ganz erfüllt war der König von seinen Gedanken, daß er gar nicht hörte, wie hinter ihm leise die Tür geöffnet und die Portiere zurückgehoben ward, daß er gar nicht sah, wie das heitere und geistvolle Antlitz seines Lieblings, des Generals Rothenburg, hereinschaute.

Der König schrieb immerfort weiter. Rothenburg bückte sich und ließ etwas aus seinen Armen auf den Fußboden niedergleiten, und indem er's tat, lächelte er ganz vergnügt und heiter und schaute wieder hinüber zum König und dann nach dem zierlichen schlanken kleinen Windspiel hin, das er auf die Erde gesetzt, und das kein anderes war als die Biche, das verlorene und in Gefangenschaft geratene Lieblingshündchen des Königs Das Windspiel, die Biche, war, wie weiter oben gesagt, in der Schlacht bei Sohr in österreichische Gefangenschaft geraten und vom General Nadasti seiner Gemahlin als Kriegsbeute geschenkt worden. Als die Generalin Nadasti erfuhr, daß Biche das Lieblingshündchen des Königs gewesen, behielt sie es bei sich und wollte sich gar nicht wieder von ihm trennen. Erst nach mannigfachen Verhandlungen und mehrmaligen Aufforderungen entschloß sie sich, dem Könige die Biche wiederzusenden. Rödenbeck, Tagebuch. S. 126..

Einen Moment stand die Biche und schaute mit gehobener, schnuppernder Schnauze und klugen, funkelnden Augen umher, dann sprang sie leicht und unhörbar über den Teppich hin, und mit einem Satz stand sie oben auf dem Schreibtisch vor dem König und legte ihre Vorderpfötchen um seinen Hals.

Biche, meine treueste Freundin, meine Biche, bist du wieder da, meine Biche! sagte der König, die Feder wegwerfend und das Tierchen in seine Arme nehmend.

Und jetzt begann die Biche zu heulen vor Entzücken und schmiegte sich an ihren wiedergefundenen Herrn und bohrte ihr spitzes Köpfchen in seine Brust und schaute ihn mit den glänzenden Augen so liebevoll und zärtlich an! Und der König?

Er neigte sein Antlitz auf den Kopf seines treuen Hündchens nieder, und zwei Tränen rannen langsam über seine Wangen hin MüchIer, Friedrich der Große. S. 350. – Rödenbeck, Tagebuch. S. 127..

Meine Biche, flüsterte er leise, du hast mich also nicht vergessen? Ach, wenn die Menschen so treu wären und mich so liebten, wie du es tust, mein treues Hündchen, wahrlich, dann wäre ich ein reicher und glücklicher König!

Der General Rothenburg stand immer noch an der Tür und schaute durch die halbzurückgeschlagene Portiere herein.

Sire, sagte er jetzt, hat nur die Biche die grandes und petites entrées, oder ich auch?

Ah, du warst es also, der mir die Biche gebracht? fragte der König, den General näherwinkend.

Ich war es, Sire, aber fast bereue ich es, denn ich sehe es wohl, die Biche ist eine gefährliche Rivalin, und ich bin eifersüchtig auf sie!

Der König lachte. Du bist mein treuester Freund, sagte er, die Biche aber ist meine treueste Freundin! Ich werd's ihr nie vergessen, daß sie mich hätte einst an die Österreicher verraten können, und daß sie nicht tat, was Tausende von Menschen an ihrer Stelle getan haben würden, daß sie ihren Herrn nicht verriet. Hätte sie damals, als ich mit ihr mich unter die Brücke geflüchtet hatte vor den Panduren, die über die Brücke hinzogen, hätte sie damals gebellt, so war ich verloren. Aber sie tat's nicht! Aus Liebe zu mir verleugnete sie ihre Natur und schwieg, und schmiegte sich an mich, indem sie mit ihren hellen klugen Augen mich immerfort ansah und mir die Hände leckte. Ach, Freund, glaube mir, die Hunde sind viel besser und treuer als die Menschen, und die sogenannten Ebenbilder Gottes könnten sehr viel von den Hunden lernen!


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