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III. Der Skandal im Theater

Die Stunde der Aufführung war gekommen. Ganz Halle schien heute in einer freudigen Erregung, und wie bei einer plötzlichen Völkerwanderung sah man ganze Scharen von Menschen durch die Straßen dahineilen, dem kleinen, ärmlichen Schauspielhause zu, durch dessen weitgeöffnete Pforten sich die schwarze Menschenmasse ächzend und stöhnend, kreischend und fluchend, bittend und jammernd langsam vorwärts in das Haus hineinbewegte. Nicht wie in Berlin sah man hier glänzende Equipagen und Diener mit Fackeln die Pforten des Kunsttempels umlagern, sondern bescheiden und unscheinbar nahte sich jeder zu Fuß, und höchstens begleitet von einem Diener, welcher die Stangenlaterne trug, oder einer Magd, welche ihrer alten, die kalte Luft des ungeheizten Theaters fürchtenden Herrin das »Feuerstübchen« In Berlin ward im Jahre 1745 ein Verbot erlassen, keine Feuerstübchen mehr ins Theater mitzubringen, weil mehrmals schon die Kleider der Damen dadurch in Brand geraten waren. Schneider, Geschichte der Berliner Oper, S. 20. mitbrachte, um in dieses düstere, schmucklose und baufällige Gebäude zu treten, das vor kurzem noch ein Kornspeicher gewesen und jetzt zu einem improvisierten Schauspielhaus umgewandelt worden war. Das Publikum von Halle war kein glänzendes, festlich geschmücktes, kein Publikum der Mode und des guten Tons, sondern ein Publikum, welches, indem es kam, seine Vorurteile und Abneigungen überwunden hatte, und im Theater nicht eine müßige Zerstreuung, eine bequeme Erheiterung, sondern einen ernsten Kunstgenuß, eine anregende, geisterweckende Unterhaltung suchte. Um so größer war also die Freude und der Triumph Eckhofs, ein solches Publikum sich erobert und in dieser Stadt ernster Bildung und tiefern wissenschaftlichen Sinnes sich Anerkennung und Bedeutung errungen zu haben. Zumeist verdankte er dies den Studenten, denn die Jugend ist immer kühn genug, das Vorurteil zu verachten, und hat immer ein offenes Auge, das Schöne zu erkennen, ein offenes Herz, seine Freude daran unverholen zu äußern. Eckhof, welcher damit angefangen hatte, der Liebling der Studenten zu werden, hatte damit aufgehört, der Liebling der ganzen Stadt, sogar der ehrsamen Spießbürger und »Philister«, mit Ausnahme der Herren Professoren, zu sein.

Ganz Halle also, wiederum mit Ausnahme der Professoren, wollte heute abend Eckhof seine Liebe und Bewunderung bezeigen, indem es seinem Benefize beiwohnte und sich Billetts löste zu dieser neuen, noch nie gesehenen Tragödie Voltaires, dem Brittannikus. Wäre das Schauspielhaus heute dreimal so groß gewesen, es würde kaum genügt haben, um alle diejenigen aufzunehmen, welche jetzt mit traurigen Gesichtern wieder von der Kasse zurücktraten und verstimmt heimwärts gingen, weil kein Billett mehr zu erlangen gewesen. Desto vergnügter und glücklicher waren diejenigen, welche, bewaffnet mit einem Einlaßbillett und zwei kräftigen Ellenbogen, sich bereits in den Zuschauerraum hineingearbeitet hatten, und jetzt, atemlos auf die Bänke hinsinkend, ausruhten von dem gewichtigen Kampf.

Im Parterre gewahrte man dichtgedrängt die phantastischen, langbärtigen, jugendfrischen und kräftigen Gestalten der Studenten, deren funkelnde Augen und lachende Gesichter genugsam das Interesse verkündeten, das sie an dem heutigen Abend nahmen. Nur hier und da begegnete man unter ihnen einem ernsten, mißmutigen Gesicht, einem finster blickenden Auge, aber niemand achtete auf sie. Jeder war so sehr beschäftigt mit seiner eigenen, erwartungsvollen Freude, mit dem Anschauen der schönen jungen Frauen und Mädchen, welche allgemach jetzt die Logen füllten und schamvoll und errötend vor den brennenden und dreisten Blicken der Studenten die Augen niederschlugen, mit dem Betrachten des geheimnisvollen Vorhanges, hinter dem das Glück und der Genuß dieses Abends sich noch verbarg, und durch dessen hier und da angebrachte kleine Öffnungen man zuweilen das Auge irgendeines Künstlers oder einer Künstlerin gewahrte, die das wogende und plaudernde Publikum beobachtete, wie dieses den Vorhang beobachtete, beide voller Erwartung der kommenden Dinge, beide in höchster Aufregung und Spannung den nächsten Stunden entgegensehend. Niemand, wie gesagt, achtete auf diese wenigen, unter der Masse verstreuten Studenten mit den ernsten Gesichtern und den finster zusammengezogenen Augenbrauen, niemand außer Lupinus. Er, welcher das Antlitz jedes Studenten vor seinem Forscherblick die Revue hatte passieren lassen, er hatte sehr bald an ihren Gebärden und Augen die vom Professor Franke angeworbenen Studenten erkannt, deren Namen er vorher nicht zu ermitteln gewußt und die man daher vom Besuch des Theaters nicht hatte zurückhalten können. Überdies machten sie, welchen Professor Franke anvertraut, daß auch Lupinus zu den Verschworenen gehöre, ihm Zeichen des Einverständnisses und nickten ihm mit einem geheimnisvollen Lächeln zu. Einmal flüsterte ihm einer dieser Studenten zu: »Es wird ohne alle Frage zu einem heißen Kampf kommen, und ich fürchte sehr für uns, denn wir sind in der Minorität. Hast du für alle Fälle dein Rappier mitgebracht, Bruder Lupinus?« Aber ehe Lupinus antworten konnte, hatte eine neue Woge heranströmender Studenten den Frager von seiner Seite fortgetrieben. Diese neuangekommenen Studenten schienen indes minder harmlos und freudig wie die übrigen. Ihre Blicke schienen drohend in der Menge nach irgendeinem verborgenen Feind zu suchen, und wenn sich ihnen irgendein verdächtiges Gesicht, ein zu beargwöhnender Student zeigte, so flüsterten sie untereinander und blickten mit herausforderndem Lachen nach ihren vermeintlichen Feinden hin. Aber den jungen Lupinus schienen auch sie zu den ihrigen zu rechnen, denn ihm nickten sie freundlich zu und drängten sich zu ihm, um ihm die Hand zu drücken und leise einige Worte des Beifalls und Lobes über seine Anwesenheit an ihn zu richten. Diese Studenten waren die nähern Freunde und vertrauten Joseph Fredersdorfs. Ihnen hatte er die Gefahr mitgeteilt, welche die Schauspieler heute abend bedrohte, sie hatte er zum Beistand derselben aufgefordert, nicht zu einem Beistand der Tatkraft und des Handelns, sondern zu einem Beistand des Stillseins und der Friedfertigkeit. Sie hatte er beschworen, die Ruhe des heutigen Abends aufrecht zu erhalten und dadurch die Intrige der Professoren zu vereiteln, ihre jugendliche Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit zum geduldigen Ausharren zu sänftigen, und die Provokationen der händelsuchenden, von den Professoren angeworbenen Studenten nur mit dem Schweigen der Verachtung zu erwidern. Sie hatten ihm das zugesagt, und es war ihnen wirklich ernst mit ihrem Versprechen gewesen. Das sah man an ihrer stillen ernsten Haltung, das hörte man an den friedfertigen, versöhnlichen Worten, welche sie hier und dort an die ihnen bekannten und nicht in das Geheimnis eingeweihten Studenten richteten, an dem Losungswort, welches sie überallhin verbreiteten: »Kein Skandal heute abend! Um jeden Preis Ruhe gehalten!«

Aber alle diese wogenden und stürmenden Massen beruhigten sich endlich, das Geplauder in den Logen, das Summen und Schwirren, das Lachen und Schieben und Stoßen im Parterre verstummte bei dem scharfen und durchdringenden Schall des kleinen Glöckchens, welches das Beginnen des Schauspiels und das Aufrollen des Vorhangs verkündete.

Das Stück begann, und nie hatte Eckhof mit solchem Feuer, mit solcher Begeisterung und so hinreißendem Schwung gespielt, nie indes waren die Studenten ruhiger, geräuschloser und ernster gewesen wie an diesem Abend. Und doch waren sie nicht gleichgültig oder teilnahmlos, das sah man an ihren blitzenden Augen, an ihren vor Freude geröteten Wangen, das hörte man an dem dann und wann aus diesen schwarzen Massen aufrauschenden Gemurmel des Entzückens, welches oft für den Künstler eine schmeichelhaftere und anfeuerndere Musik ist als das laute Händeklatschen, das jauchzende Bravogeschrei. Dieses unterbricht in seiner egoistischen Freude den Künstler, jenes unterdrückt und bezwingt sich selber und gönnt sich nicht den lauten Ausbruch, um nicht eine Bewegung, ein Wort des Künstlers dadurch zu verlieren und zu verdecken.

Aber es kam doch ein Moment, wo der Sturm des Beifalls sich nicht mehr unterdrücken ließ, wo die Studenten ihrer angenommenen Klugheit und Vorsicht vergessend laut aufjauchzten vor Entzücken, schallend ihre Hände ineinander schlugen, wie junge siegestrunkene Stiere brüllten nach ihrem Lieblinge, und jauchzend und schreiend und stampfend und polternd Eckhof, welcher eben die Bühne verlassen hatte, riefen und sein Erscheinen bei offener Szene verlangten.

Der Kampf wird jetzt unvermeidlich sein, sagte Lupinus zu sich selber, aber was tut das? Eckhof hat es wohl verdient, daß man um seinetwillen alle kleinlichen Rücksichten und Erbärmlichkeiten vergißt. Für ihn zu sterben, das müßte ein seliger Tod sein.

Als Eckhof jetzt, dem stürmischen Rufen und Poltern nachgebend, auf der Bühne erschien, da leuchteten die Augen des jungen Lupinus vor Entzücken und Freude; gleich all den andern klatschte er in die Hände, und ein glückliches Lächeln überstrahlte sein bleiches Angesicht.

Es war ein köstlicher Moment des Triumphes für Eckhof, dieses begeisterte Publikum zu sehen, welches so freudig ihm zujauchzte, diese Studenten zu gewahren, welche in der Ekstase ihrer Leidenschaft und der Glut ihrer Jugendbegeisterung alle Ruhe und Besonnenheit fahren ließen, um trotzig und kühn der Gefahr mit ihrem Entzücken ins Angesicht zu schlagen.

Eckhof verneigte sich und dankte mit lächelnden Gebärden für die Ehre dieses Moments, das Publikum jauchzte und schrie, als plötzlich dieses Bravorufen und dieses Händeklatschen durch jenes furchtbare, widerliche Geräusch unterbrochen ward, das für den Bühnenkünstler die eigentliche Trompete des Weltgerichts ist. Ein grelles, durchdringendes Pfeifen ließ sich hören, es übertönte den Jubel der Menge, es ward stärker, heulender, vielfältiger, je mehr die Studenten bemüht waren, es unter neuen, gewaltigeren Explosionen ihres Beifalls zu ersticken.

Wie auf einen Zauberschlag veränderte sich jetzt die Physiognomie des Parterres. Die jugendlichen, frischen Gesichter, welche bis jetzt den Ausdruck der Heiterkeit und des Glückes gezeigt, wurden drohend und trübe, die reinen Stirnen verfinsterten sich, die vor Zorn zitternden Lippen öffneten sich nicht mehr zum Bravorufen, sondern zu Ausrufen der Verwünschung und der Drohung. Jeder schaute mit wutsprühenden Blicken umher, um diejenigen zu erspähen, welche es gewagt, die allgemeine Freude durch ihr freches Pfeifen und Zischen zu stören. Aber hier und dort sah man einzelne Studenten, welche sich bemühten, ihre zornigen Kommilitonen zu beruhigen und ihre Wut zu beschwichtigen, indem sie ihnen Ruhe und Besonnenheit zur Pflicht machten. Einen Moment versuchten es auch die empörten jungen Männer, aber neues Pfeifen und Zischen machte sie wieder aufbäumen, wie junge Rosse, welche der scharfe Sporn verwundet hat.

Sie haben gezischt, mein Herr, hörte man jetzt eine mächtige Stimme rufen, ich verbiete Ihnen das Zischen.

Und ich verbiete Ihnen das lächerliche Applaudieren, schrie eine andere Stimme. So lange Sie applaudieren, werde ich zischen! Richten Sie sich danach.

Ein allgemeiner, einstimmiger Wutschrei war die Antwort. Jetzt war es vorbei mit aller Ruhe und Gelassenheit. Die jungen Gemüter, so furchtbar provoziert, brausten aus wie das vom Sturm gepeitschte Meer. Man sah nur noch geballte Fäuste, flammende Blicke, man hörte nur noch Worte der Verwünschung und des kecken Hohns.

Der Kampf begann, ein entsetzlicher hitziger Kampf mit Fäusten und Rapieren, eine Schlägerei im großartigen Stil, wie sie damals unter den zwanglosen, ungebundenen Musensöhnen keine seltene Erscheinung war.

Die Damen flohen angstvoll und entsetzt aus ihren Logen, der Theaterdirektor gab Befehl, den Vorhang niederzulassen, die Lichter und Lampen auszulöschen und die Polizei zu Hilfe zu rufen, um mit Gewalt dieser furchtbaren Studentenrauferei, welche nach dem Aufhören des Dramas auf der Bühne, als Drama im Zuschauerraum weiterspielte, ein Ende zu machen. Es war wirklich ein Drama im ernsten Stil, ein Drama, bei welchem es an Flüchen und Seufzern, an Wunden und Blut nicht fehlte, und welches, wenn nicht mit dem Tode derselben, doch mit bedeutenden Verwundungen und einigen, durch die Polizei und die Pedelle vorgenommenen Arretierungen endete.

Lange bevor es zu dieser letzten Katastrophe gekommen war, hatte Lupinus sich aus dem unter den Flüchen und dem Geschrei erbebenden Hause entfernt. Mit hastigen Schritten durcheilte er die Straßen und begab sich zu der Wohnung Joseph Fredersdorfs. Vor der Tür stand eine Postkalesche, ein Diener verließ eben das Haus, um das Reisegepäck in den Wagen zu legen; ihm folgte Fredersdorf im Reisegewand und ganz bereit zur sofortigen Abreise.

Als er eben in den Wagen steigen wollte, legte Lupinus seine Hand auf des jungen Schauspielers Arm.

Wohin wollen Sie, Herr Fredersdorf? fragte er.

Nach Berlin, zum König.

Aber der König ist nicht in Berlin, sondern in Schlesien bei der Armee.

Nein! Ich habe heute Briefe von meinem Bruder erhalten. Der König ist auf einige Tage nach Berlin gekommen, und mein Bruder ist bei ihm. Es wird mir also gar nicht schwer werden, den König zu sprechen, und ich werde ihm alles der Wahrheit gemäß berichten. Er wird einsehen, daß nicht wir, sondern die wohlweisen Herren Professoren zu diesem Skandal die Veranlassung gaben, und er wird demzufolge nicht dulden, daß man uns aus Halle verweist. Leben Sie wohl, mein Freund! In vier Tagen bin ich zurück und melde Ihnen dann sogleich das Resultat meiner Reise.

Nicht doch, mein Freund, ich begleite Sie! sagte Lupinus.

Sie begleiten mich?

Nun, bedürfen Sie nicht vielleicht eines Zeugen, um der Wahrheit Ihrer Aussage Nachdruck zu geben? Ich werde also bereit sein, Zeugnis abzulegen, und ich meine, das wäre unter uns eine abgemachte Sache gewesen, und Sie hätten fest auf mich rechnen müssen.

Ah, wie hätte ich vermuten können, daß der gelehrte Student der Medizin, welcher in einigen Wochen sein Doktorexamen machen will, daß Herr Lupinus sich aus den Armen seiner einzigen Geliebten, welches die Wissenschaft ist, losreißen würde, um einen Komödianten zu begleiten und für die verachteten und geschmähten Schauspieler das Wort zu führen.

Lieber Freund, sagte Lupinus mit einem trüben Lächeln, wenn Sie die Wissenschaft meine Geliebte nennen, so werden Sie mich vielleicht bald einen treulosen Liebhaber schelten müssen.

Wie sagen Sie? Auch Sie –

Lassen Sie uns forteilen, mein Freund. Im Wagen wollen wir das alles besprechen!


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