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VII. Nach der Schlacht

Sie ruheten aus von ihrer Arbeit, nicht auf weichen Kissen und in friedlichem Zelt, sondern auf hartem Erdboden, ohne Schutz gegen die Sonne und den Wind, der ihnen vom Schlachtfeld das Klagegestöhn der Sterbenden herübertrug.

Aber selbst diese Jammertöne waren für die siegreichen Preußen doch nur eine Jubelhymne der eroberten Schlacht und erfüllten diejenigen, welche die Stunden des Blutes und des Todes überlebt hatten, mit Dank und Entzücken.

Nach den Stunden furchtbarer Aufregung, fieberischer Glut folgte jetzt eine allgemeine Abspannung, ein tiefes rein physisches Bedürfnis nach Ruhe. Aber es war da etwas, welches dieses Bedürfnis nicht aufkommen ließ, welches den Schlummer von den Augenlidern verjagte, und doch die Ermattung des Körpers noch vergrößerte.

Dieses Etwas war der Hunger! Die Panduren hatten so gut aufgeräumt im preußischen Lager, daß sie den armen Soldaten nicht bloß ihre Bagage, sondern auch ihr Brot und ihr Getränk genommen, und die Wagen mit Gemüsen und Fleisch fortgeführt hatten.

Die preußische Armee also, welche die Morgenstunden mit einem so glänzenden Siege gefeiert hatte, sah einem Tage des Hungers und der Entbehrung entgegen, während die Österreicher, trotz ihrer verlorenen Schlacht, sich trösteten bei dem preußischen Brot und mit den preußischen Eßwaren und Getränken.

Glücklich diejenigen, welche ein Stückchen Brot in ihre Tornister gesteckt hatten oder deren Lagerstätte von den Panduren war übersehen oder vergessen worden! Mit welchen neidischen Blicken schauten die Kameraden auf diese wenigen glücklichen Soldaten, welche sich laben konnten an ihrem Brot und in dem Egoismus ihres Hungers durchaus nicht geneigt waren, mit irgend jemandem, und sei's ihr genauester Freund, ihr köstliches Besitztum zu teilen.

Der König gehörte nicht zu diesen Glücklichen! Er war Sieger in der Schlacht gewesen, aber der Lorbeerkranz ließ sich nicht umbilden zu einem Stück Brot, seinen Hunger zu stillen.

Der König hatte vergeblich zu seinen Generalen und Adjutanten gesagt: »Wir wollen speisen.« Es war nichts da, um den König, welcher hungerte, zu speisen.

Als der General Rothenburg mit traurigem Gesicht dem König diese Nachricht brachte, sagte Friedrich mit einem heitern Lachen: Wir wollen uns also einbilden, mein Freund, wir wären Katholiken, und da ist es denn ganz in der Ordnung, daß wir an einem hohen Festtag, wie der heutige Tag es doch gewiß ist, keine Fleischspeise essen dürfen. Ich bin's also zufrieden, wenn ich ein Stück Brot bekomme, und das, denke ich, wird man doch irgendwo für den König von Preußen auffinden können.

Aber General Rothenburg forderte von dem königlichen Küchenmeister vergeblich ein Stück Brot. Es war nichts da, weder Fleisch, noch Obst, noch Brot. Die Panduren hatten alles fortgeführt.

Ich werde nicht ohne Brot zu dem König zurückkehren, sagte Rothenburg mit Tränen in den Augen zu sich selber, indem er entschlossen hinauswanderte in das Lager. Ich werde meine letzten Dukaten dem ersten Soldaten geben, der ein Brot hat, und das werde ich dem König bringen.

Und mit spähenden Blicken ging der General durch die Reihen der Soldaten, welche hier und dort in einzelnen Gruppen lagerten und von den blutigen und schweren Morgenstunden schwatzten und plauderten. Ah, da drüben endlich gewahrte er einen Soldaten, welcher nicht plauderte und schwatzte, sondern mit liebäugelnden Blicken das Brot betrachtete, von welchem er sich eben mit dem Taschenmesser ein Stück absäbelte.

Mit einem Sprung, wie ein Löwe, war der General an seiner Seite und legte die Hand auf das Brot, welches ihm schöner duftete, wie sonst die herrlichste Rose.

Gebt mir das Brot, Freund, sagte er atemlos. Ich bezahle es Luch mit zwei Dukaten!

Der Soldat brach in ein spöttisches Lachen aus. Zwei Dukaten! Was soll ich mit zwei Dukaten? fragte er. Eure Dukaten kann ich nicht essen, Herr General, aber mein Brot kann ich essen, und darum ist's mir jetzt lieber wie eine ganze Randvoll Dukaten. Behaltet also Euer Gold, ich behalte mein Brot!

Nun, wenn Ihr's nicht für Gold geben wollt, so gebt es aus Liebe! rief General Rothenburg heftig. Aus Liebe zu Eurem König, welcher hungrig ist, wie Ihr selber, und nicht einmal ein Stück Brot hat, seinen Hunger zu stillen.

Das vorher so lachende Gesicht des Soldaten ward jetzt ernsthaft. Der König hat kein Brot, sagte er nachdenklich vor sich hin.

Der König hungert! rief der General fast bittend.

Der König hungert, murmelte der Soldat und senkte traurig seine Blicke auf dieses Brot, welches ihm so lieblich entgegenlächelte. Dann, mit einem herzhaften Entschluß, schnitt er das Brot in zwei Hälften, und, dem General die eine Hälfte darreichend, sagte er: Ich will Euch mein halbes Brot geben! Das ist aber auch alles, was ich für den König tun kann! Nehmen Sie, Herr General, und nun ist's abgemacht. Mehr geb' ich nicht!

Und ich verlange auch nicht mehr, rief der General, und, das eroberte Brot hoch in die Luft schwenkend, eilte er jubelnd den Weg zu dem neuerrichteten Zelt des Königs zurück.

Der Soldat schaute ihm lächelnd nach, plötzlich ward sein Gesicht ernsthaft, ein fürchterlicher Gedanke peinigte ihn. Wie, wenn der General ihn getäuscht hätte, wenn das Brot nicht für den König bestimmt wäre?

Er mußte das wissen und sich selber von der Wahrheit überzeugen! Wie ein Pfeil flog er hinter dem General her, bald hatte er ihn eingeholt und trabte hinter ihm her, bis zum Zelt des Königs.

Der General hatte ihn wohl gewahrt und begriff sehr wohl, weshalb er ihm nachgekommen. Lächelnd und mit freudeglänzenden Augen trat er zum König ein.

Mein König, da bin ich endlich und bringe, was Euere Majestät verlangten, ein Stück Brot.

Das heißt, ein Stück neue Lebenskraft, sagte der König, indem er das Brot nahm und mit sichtbarem Behagen davon zu essen begann. Ach, Freund, ich denke, ein Stück Brot nach einer gewonnenen Schlacht schmeckt köstlicher als ein Goldfasan nach einem Tage des Müßigganges! Wo hast du diesen köstlichen Leckerbissen erbeutet, Freund?

Sire, ich bekam es von einem Soldaten, der es nicht verkaufen wollte, aber es mir bereitwillig gab, als er hörte, daß es für den König bestimmt sei. Nachher freilich ist ihm das Mißtrauen gekommen, ob ich ihn nicht um dieses kostbare Gut betrogen, und für mich selber genommen hätte, was ich für den König gefordert. So ist er mir denn nachgelaufen, um zu sehen, wohin ich ginge, und ich wette, er steht noch draußen und möchte mit seinen Blicken die Leinwand des Zeltes durchbohren, um zu sehen, ob der König sein Brot auch wirklich ißt.

Friedrich lächelte. Wir wollen ihm das bequemer machen, sagte er, indem er rasch das Zelt durchschritt und den Vorhang zurückschlug.

Richtig, da stand der Soldat und starrte zu dem Zelt hin, und fuhr in jähem Schreck zusammen, als er den König gewahrte, dessen großflammende Augen auf ihn gerichtet waren.

Der König nickte ihm lächelnd zu und führte die Hand, deren Weiße wunderbar abstach gegen das schwarze Brot, das zwischen seinen Fingern hervorschaute, zum Munde.

Ich danke Euch für Euer schönes Brot, Freund, sagte der König dann, nachdem er gegessen. Ich danke Euch, und Ihr könnt Euch für die Zukunft eine Gnade bei mir erbitten. Besinnt Euch schnell und sagt mir, was Ihr Euch wünschet.

Ach, darauf habe ich gar nicht nötig, mich zu besinnen, rief der Soldat mit fröhlichem Lachen. Wenn ich mir was wünschen soll, so ist's eine Schulzenstelle in meinem Vaterlande in Preußen.

Wenn wir Frieden haben, sollt Ihr die Schulzenstelle in Preußen haben, sagte der König zu dem vor Freude laut aufjauchzenden Soldaten, indem er ihm gnädig zunickte und dann wieder in sein Zelt zurücktrat. Friedrich der Große, von Karl Müchler. S. 62.

Und jetzt, mein Freund, mein Pylades, sagte der König, jetzt wollen wir uns eine Stunde der Ruhe und Erholung gönnen. Ich denke, wir haben sie uns heute wohl verdient, und dürfen uns jetzt wohl eins Stunde in unser behagliches Zimmer nach Potsdam versetzen. Komm, Freund, setze dich neben mich und lies mir vor.

Was soll ich Euerer Majestät vorlesen? fragte Rothenburg verlegen.

Hole mir den Horaz, Freund, und laß uns träumen von Bandusiens Quell.

Euere Majestät wissen also nicht? – fragte Rothenburg zögernd.

Was soll ich wissen?

Daß die Panduren auch die Feldbibliothek mitgenommen haben?

Wie, auch meine Bücher? fragte der König, und eine leichte Wolke flog über seine Stirn. Was wollen denn die Panduren und Kroaten mit meinen armen Büchern? Konnten sie sich nicht genügen lassen an meiner Kriegskasse und meinem Silberzeug? Mußten sie mir auch nehmen, was für sie ganz wertlos und für mich so kostbar ist?

Mit gerunzelter Stirn, die Hände auf dem Rücken gefaltet, ging er hastig einige Male in dem engen Raum auf und ab. Dann blieb er stehen und blickte in dem Zelte umher, als suche er etwas.

Die Biche ist nicht da, sagte er leise, hole mir die Biche, mein Freund.

Aber General Rothenburg rührte sich nicht.

Nun? fragte der König.

Sire, die Biche haben sie auch mitgenommen.

Die Biche auch? Meine liebste, treueste Freundin, mein Lieblingstier? rief der König schmerzlich, indem er wieder hastig auf und ab zu wandeln begann. Dann aber näherte er sich dem General, und ihm die beiden Hände auf seine Schultern legend, schaute er ihm mit einem Ausdruck unendlicher Zärtlichkeit ins Angesicht.

Bist du mir gut, Freund? fragte er ganz milde und weich. Ich seh's an deinen Augen, daß du Ja sagen willst. Nun denn, was kümmert mich dann die Feldbibliothek und die Biche. Die Bücher werde ich mir wieder aus Berlin kommen lassen, und die Biche sollen sie mir schon wieder herausgeben, ich werde heute noch zum General Nadasti senden und mir meine Biche loskaufen. Nicht wahr, Freund, du denkst doch, daß sie mir das treue Tier wiedergeben werden?

Es lag ein Ausdruck so schmerzlicher Angst in den Zügen des Königs, daß Rothenburg tief davon ergriffen warb.

Die Biche wird wiederkommen, Sire, sagte er, ich zweifle gar nicht daran. Euere Majestät darf wohl auf diese Belohnung des Schicksals nach einer so glorwürdigen Schlacht hoffen.

Der König wiegte lächelnd sein Haupt. Ich will dir ein Geheimnis anvertrauen, Freund, sagte er. Ich hätte in dieser Schlacht verdient, geschlagen zu werden, weil ich mich durch Detachements zu sehr geschwächt hatte; nur die Geschicklichkeit meiner Generale und die Tapferkeit meiner Truppen haben mich von einer Niederlage gerettet Des Königs eigene Worte. Siehe Preuß, Lebensgeschichte. I, 214.. Ein wenig auch die Habgier der Panduren und Kroaten. Ein Stengelchen von unserm Lorbeerkranz gebührt dem Nadasti und dem Trenck. Nun, wir wollen ihnen denselben bei nächster Gelegenheit ins Antlitz schleudern. Ein Glück für uns, daß dieser Kurier, welcher die neuesten Depeschen und Nachrichten aus Berlin gebracht hat, nicht schon vor der Schlacht im Lager eingetroffen war. Die Panduren würden sie auch genommen haben, während sie jetzt wohl geborgen sind. Siehst du, Freund, wie mich das Schicksal gleich mit ernstem Fingerzeig auf meine Pflicht hinführt. Ein König soll niemals träumen und sich selber leben wollen, siehst du, und das wollte ich doch heute tun. Ich wollte nur eine Stunde mir selber leben, und statt die Depeschen und Briefe zu lesen, wollte ich mit dir am Horaz mich ergötzen und mit der Biche spielen. Jetzt ist's vorüber, und da wir denn unser Mahl beendet haben, wollen wir arbeiten. Gib her die Tasche dort. Da ist der Schlüssel, schließe sie auf und nimm die Briefe heraus.

Der König setzte sich auf den Feldstuhl und breitete die Briefe und Papiere auf dem hölzernen einfachen Feldtisch vor sich aus. Die Depeschen und Zeitungen lesen wir nachher; zuerst die Briefe von Freundeshand. Da sind Briefe vom lieben d'Argens und von Knobelsdorff. Wie? und keiner von Duhan, keiner von Jordan und Kaiserling? Das macht mich bang und unruhig, und meine Seele ahnt nichts Gutes! Da ist ein Brief an dich, Freund, und er ist von Duhans Hand. An dich also schrieb er, und nicht an mich. Lies also, Freund, und dann sage mir, was darin steht. Er reichte dem General den Brief dar und erbrach dann hastig die an ihn gerichteten Briefe. Aber seine Augen schossen nur flüchtig über die Zeilen hin und richteten sich immer wieder auf Rothenburg, der noch mit dem Lesen seines Briefes beschäftigt war.

Der König hatte sehr wohl bemerkt, daß der General gleich beim Beginn des Lesens erbleicht war, und daß das Papier in seinen Händen zitterte, er hatte sehr wohl den Ausdruck tiefen Schmerzes gesehen, der sich wie ein Trauerflor über Rothenburgs Antlitz ausgebreitet hatte.

Er konnte dieses Schweigen, diese Stille nicht mehr ertragen; sich hastig von seinem Sitz erhebend, trat er zu Rothenburg, und indem er ihm die Hand auf die Schulter legte, sah er ihm mit seinen großen, durchbohrenden Augen fest ins Angesicht.

Der General schlug die Augen nieder, und seine Lippen zitterten.

Rothenburg, sagte der König, Duhan hat dir etwas geschrieben, was er mir nicht schreiben wollte. Es ist eine traurige Nachricht, ich seh's an deinem Gesicht.

Euere Majestät hat recht, es sind traurige Nachrichten, seufzte der General.

Ach, also mehr als eine! murmelte der König, und als fehle es ihm jetzt schon an Kraft, diese schlimmen Dinge zu vernehmen, ließ er Rothenburg los und wandelte hastig in dem Raum auf und ab. Rothenburg sah ihm mit traurigen, verdüsterten Blicken zu. Eine bange schmerzliche Pause trat ein.

Dann sagte der König, vor dem General stehen bleibend: jetzt sage mir deine Nachrichten. Meine Mutter, meine Geschwister sind gesund?

Sire, die ganze königliche Familie ist gesund!

Es betrifft also meine Freunde, murmelte der König vor sich hin. Zwei von ihnen sind krank. Zwei! Wie steht's mit Jordan? Du antwortest nicht? Du weinst? Wie steht's mit Jordan? sage ich.

Sire, Jordan ist tot!

Tot! rief der König mit einem Ausdruck tiefer Wehklage, indem er sich ganz erschöpft und taumelnd auf den Feldstuhl setzte und das Haupt in seine Hand stützte. Tot! Mein teuerster, bester Freund, Jordan ist tot!

Sein Tod ist so schön, so heiter und friedlich gewesen, wie sein Leben, sagte Rothenburg. Sein letztes Wort war ein Gruß an Euere Majestät, das letzte, was er tat, bevor seine Kräfte schwanden, daß er an Sie schrieb. Hier ist der Brief, Sire!

Der König nahm den Brief, welchen Rothenburg vor ihn hingelegt hatte, und betrachtete schweigend die zitternden, schwankenden, fast unleserlichen Schriftzüge, die ihm besser als alle Schilderungen ein Bild seines kranken, todesschwachen Freundes gaben. Zwei große Tränen rannen langsam über seine Wangen nieder. Der König schämte sich ihrer nicht. Er sah sie herniederfallen auf diesen Brief seines Jordan, und dort die Schriftzeichen auflösen und verlöschen.

So ist es, sagte er leise, die Tränen verwischen die Majestät. Jordans Hand hat da zum letzten Male diesen eitlen Titel »An Se. Majestät« geschrieben, und meine Tränen waschen diesen Flittertand hinweg. Jordan, Jordan, du löschest meine Majestät aus, ich bin kein König mehr, ich bin nur noch ein armer, schwacher Mensch, welcher trauert und klagt um den verlornen Freund.

Er preßte das Papier mit leidenschaftlicher Inbrunst an seine Lippen, dann steckte er es in seinen Busen und hob seine Blicke wieder zu Rothenburg empor.

Sage mir deine andern Nachrichten, Rothenburg. Ich bin jetzt auf alles gefaßt.

Sire, sagten Sie nicht vorher, daß Euere Majestät zwei kranke Freunde in Berlin zurückgelassen?

Jordan und Kaiserling! Kaiserling! Du willst doch nicht sagen, daß mein Cäsarion auch – oh nein, nein, das ist unmöglich. Jordan ist tot, und ich wußte, daß er sterben mußte, aber Cäsarion wird genesen. Ich weiß es, ich fühle es. Nicht wahr, Kaiserling lebt, Kaiserling muß genesen?

Sire, wenn ich ein frommer Priester wäre, würde ich antworten: Kaiserling ist genesen! Denn seine Seele ist zu Gott zurückgekehrt!

Ah, Kaiserling auch tot! Oh, Rothenburg, wie konntest du den Mut finden, mir das zu sagen! Zwei Freunde auf einmal tot!

Der König sagte nichts weiter. Er schlug seine Hände vor sein Angesicht und weinte bitterlich.

Dann nach einiger Zeit ließ er die Hände wieder herabgleiten und starrte, wie in tiefen Träumen verloren, zur Erde hin.

Zwei Freunde auf einmal, sagte er mit einer Stimme, welche noch in Tränen zitterte. Oh, wie unglücklich ich bin, zu gleicher Zeit meinen guten Jordan und meinen lieben Kaiserling verloren zu haben. Sie waren meine Familie, und ich werde jetzt verwaist sein, und in einer Trauer des Herzens, die finsterer und ernster ist, als die mit schwarzen Kleidern Des Königs eigene Worte. Rödenbeck, Tagebuch. S. 118.. Der Kummer wird aus meinem Herzen eine Wüste machen, und die Menschen werden mich eines Tages herzlos und kalt finden, aber sie werden nicht wissen, daß da drinnen in meiner Brust ein großer Kirchhof mit den Leichensteinen meiner Freunde ist, und daß ich an diesen vor Kummer erkaltet bin.

Und wie er leise diese Totenklage murmelte, rannen die Tränen langsam über seine Wangen nieder. Ein so tiefer Gram, ein so zerschmetternder Kummer sprach aus dem Angesicht, der zerbrochenen Haltung des Königs, daß Rothenburg es nicht länger zu ertragen vermochte. Er stürzte zu dem König hin, und vor ihm in die Knie sinkend, riß er seine Hände an die Lippen und bedeckte sie mit seinen Tränen und seinen Küssen.

Oh, mein König und mein Held, sagte er schluchzend, hören Sie auf zu klagen, wenn Sie nicht wollen, daß ich zu Ihren Füßen sterben soll vor Schmerz.

Der König schüttelte mit einem traurigen Lächeln das Haupt. Wenn man vor Schmerz sterben könnte, wäre ich in dieser Stunde gestorben.

Oh, was würde die Welt sagen und denken, wenn sie sähe, wie der König, welcher eben als Sieger aus einer ruhmvollen Schlacht hervorgeht, seines Triumphes vergißt und um zwei Freunde trauert.

Du willst mich trösten, sagte der König, trösten mit dieser eitlen Erinnerung an den erlangten Sieg. Glaube mir aber, ich bin Philosoph genug, um solchen Triumph zu verachten. Ich freue mich, daß ich mein Land vor dem grausamsten Unglück gerettet, und den Ruf meiner Truppen, den meine Feinde bei der Welt zu verdunkeln suchten, wieder hergestellt sehe. Aber meine persönliche Eitelkeit findet keine Nahrung dabei. Das Wohl und das Glück meiner Völker ist es allein, was mir am Herzen liegt, nicht aber denke ich an mein bißchen eigenen Ruhm dabei. Flüchtiger, nur eine kurze Zeit währender Ruhm muß einen Menschen nicht stolz machen Des Königs eigene Worte. Rödenbeck, Tagebuch S. 116..

Aber meines Königs Ruhm wird nicht flüchtig sein, sondern er wird glänzend und hell auf die Nachwelt übergehen, rief der General.

Der König zuckte fast verächtlich die Achseln. Nur der Tod, sagte er, bestimmt den Ruf der Könige und Staatsmänner, und da ich wahrscheinlich das nicht hören werde, was man einen Tag nach meinem Absterben von mir sagen wird, so will ich mich nur einfach damit begnügen, meine Pflichten so gut zu erfüllen, wie meine Kräfte es erlauben Des Königs eigene Worte. Rödenbeck, Tagebuch S. 119.. Glaube mir nur, um ein rechter König und Fürst seines Volkes zu sein, muß man zunächst resignieren auf alles persönliche Glück und alles persönliche Wohlbehagen. Der Fürst, der nicht, wie Polykrates den Ring, sein eigenes Glück hineinwirft in das Meer, der kann sich nicht loskaufen von dem Mißgeschick, und die Götter werden es ihm nie vergeben, daß er zugleich ein glücklicher Mensch sein will. Und ich, mein Rothenburg, ich hatte jetzt noch mein Leben an einem matten Sonnenstrahl des Glücks erwärmt, ich hatte viele Freunde! Nun kommt das Schicksal, und an dem Tage, wo es mich als König glücklich macht, fordert es von dem Menschen Friedrich zwei seiner teuersten Freunde. So muß der Mensch des Königs Glück bezahlen. – Aber genug jetzt der Klagen, fuhr der König nach einer Pause fort. Gott wollte dies Opfer, ich muß es bringen und mich schweigend unterwerfen. Ach, ich wollte, mein Herz wäre erst für immer zum Schweigen gebracht. Ich will dir etwas sagen, Freund. Ich glaube fast, ich habe dem Macchiavelli unrecht getan mit meinem Anti-Macchiavell. Der Mensch hat recht: nur ein Mann mit einem steinernen Herzen kann ein guter Fürst sein, denn nur er wird es vermögen, einzig und allein das Wohl seines Volkes zu bedenken.

Oh, wie krank und gramerfüllt muß mein König sein, um so sprechen zu können, rief Rothenburg traurig. Sie klagen, daß Sie zwei Freunde verloren haben, Sire! Nun, sie waren auch meine Freunde, und ich habe sie auch verloren. Aber ich habe mehr an ihnen verloren, als nur sie selbst, denn ich habe in dieser Stunde gesehen, daß ich selber dem König gar nichts bin! Ich habe den Glauben an die Freundschaft meines Friedrich verloren!

Und tief aufseufzend senkte er sein Haupt auf seine Brust. Aber jetzt stand der König schon neben ihm, jetzt schaute er ihn an mit Blicken unendlicher Liebe, jetzt legte er ihm die beiden Hände auf die Schultern, und mit einer Stimme, so zärtlich und weich, wie die eines jungen Mädchens, sagte er: Mein Rothenburg, sieh mich an, und jetzt sage mir einmal, wie nennen dich die Menschen, wenn sie von dir und mir sprechen?

Ich hoffe, sie nennen mich Euer Majestät treuesten und verehrungsvollsten Diener.

Nein, sie nennen dich meinen Liebling, und wenn die Menschen das sagen, so ist es wahr. Vox populi, vox dei. Komm an mein Herz, mein Liebling!

Oh, mein König, mein Fürst, mein Freund, rief Rothenburg begeisterungsvoll, indem er sich an des Königs Brust warf.

Lange ruhten sie so, Herz an Herz, und wer sie so gesehen hätte, die beiden kräftigen Gestalten, den König und den Helden, die Sieger des heutigen Tages, wer hätte da glauben mögen, daß die Tränen in ihren Augen nicht dem Triumph und der Freude, sondern dem Schmerz und der Liebe angehörten.

Und nun, sagte der König nach einer langen Pause, indem er sich aus des Freundes Armen emporrichtete, nun laß mich wieder König und Beamter sein. Wir sind noch nicht zu Ende mit den Depeschen und Briefen.

Er setzte sich wieder auf seinen Feldstuhl neben dem Tisch, und der General nahm wieder die Postmappe zur Hand.

Er nahm einige große, mit amtlichen Siegeln versehene Briefe hervor, aber er legte sie beiseite, und indem er sich tief verneigte, hielt er dem König ein zierliches, duftendes, rosiges Briefchen entgegen.

Hier, Majestät, sagte er mit einem schalkhaften Lächeln, hier finde ich ein Briefchen, das vielleicht doch Euere Majestät noch verhindern möchte, König und Beamter zu sein.

Aber der König nahm den Brief nicht an, nur flog ein leises Rot über seine Wangen, und seine Augen leuchteten höher auf.

Lege das weg, sagte er, ich kann es jetzt nicht lesen. In meinem Herzen tönen noch die heiligen Orgelklänge des Schmerzes und die dürfen nicht von einer Opern-Arie unterbrochen werden. Jedes hat seine Zeit, und wenn meine Seele vor Särgen kniet, sollen meine Augen sich nicht mit der reizenden Gestalt eines Weibes, und sei sie selbst eine Houri des Paradieses, ergötzen! Lies mir die Depeschen, Freund!


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