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IX. Die Rückkehr nach Berlin

Der Friede war geschlossen. Das arme, aus tausend Wunden blutende Vaterland durfte wieder ausruhen von seinen Anstrengungen, und Kräfte sammeln zu neuen Taten und neuen Anstrengungen. Maria Theresias Gemahl war zum Römischen Kaiser erwählt und gekrönt, und zu Dresden waren die Friedensbedingungen von Österreich und Preußen unterzeichnet worden. Österreich entsagte darin für alle Zeiten seinen Ansprüchen auf die Lausitz und Schlesien, Preußen erklärte mit dem bis jetzt wiedereroberten Anteil von Schlesien sich begnügen zu wollen. Siegreich kehrte der König mit seiner Armee in sein Land zurück, und überall zog ihm das Volk jubelnd entgegen, überall begrüßte es ihn als den Retter des Vaterlandes, als den Erlöser und Befreier. Berlin hatte sich zum Empfang des Königs sein herrlichstes Festkleid angezogen, und die Natur war ihm dabei behilflich gewesen, denn sie hatte die Straßen und die Dächer der Häuser mit dem weißfunkelnden schneeigen Feierkleide geschmückt, das in der kalten hellen Dezembersonne mit tausend Sternenkreisen und Brillanten funkelte. Aber niemand fühlte heut, daß die Luft kalt und der Wind schneidend sei, jedermann trug einen Sommer heller Freudenblüten in seinem Herzen, und fühlte deshalb nicht, daß es Winter sei. Überall waren die Fenster geöffnet, und in denselben sah man schöne geputzte Frauengestalten, die mit glänzenden Augen und holdem Lächeln dem schönen angebeteten König entgegensahen, mit eben solcher Ungeduld und Neugierde wie das Volk, welches da unten die Straßen füllte und ganz begierig und heißhungrig darauf war, seinem jungen Heldenkönig seine Vivats entgegenzubrüllen.

Und endlich schlug die glückliche Stunde, endlich verkündete der Donner der Kanonen, das Läuten der Glocken, das Jauchzen des Volks, das sich wie eine Lawine durch alle Straßen, welche zu dem Königsschloß führten, heranrollte, daß der König wieder eingezogen in seine Residenz, die er in den letzten Tagen noch durch schnelles Handeln und kühnen unerwarteten Angriff vor einem Überfall der Österreicher und Sachsen, welche die Preußen in ihren Winterquartieren zu überfallen und Berlin zu erobern gedachten, gerettet hatte Der König erhielt durch den schwedischen Gesandten in Dresden, Wolfenstierna, die Nachricht, daß die Österreicher unter dem Grafen Grünne, die Sachsen unter General Buchner die Preußen in ihren Winterquartieren überfallen und dann im Sturmschritt nach Berlin rücken wollten, um die Residenz einzunehmen, und dadurch den König zu zwingen, Schlesien an Österreich, Magdeburg, Halberstadt, Halle und das dazu gehörige Gebiet an Sachsen abzutreten. Der König aber rückte mit seiner Armee ganz in der Stille dem Feinde entgegen, schlug den Grafen Grünne von den brandenburgischen Grenzen auf der Höhe von Königsbrück zurück, während Ziethen bei Katholisch Hennersdorf die Sachsen schlug. Berlin, von so naher Gefahr bedroht, hatte alle seine Bürger bewaffnet und vielfache Vorbereitungen zu einem ernsthaften Widerstande getroffen. Um so glücklicher war es jetzt, durch den neuen Sieg des Königs befreit worden zu sein, und es machte daher seinem Übermut und seiner Freude bei der am Tage der Ankunft des Königs stattfindenden Illumination in vielfachen Scherzen und Anspielungen Luft. Besonders zeichnete sich ein Transparent aus, auf welchem der General Grünne nebst vielen österreichischen Generälen auf Krebsen reitend zu sehen war, in weiter Ferne die Stadt Berlin. Darunter stand: »General Grünne will nach Berlin.« – Dem schwedischen Gesandten schenkte der König zum Dank für die erteilte Warnung ein sehr kostbares Meißner Porzellan-Service. – Siehe Preuß, Lebensgeschichte. I, 216. – Rödenbeck, Tagebuch. S. 121.. Überall jauchzte ihm daher das Volk zu, überall aus den Fenstern winkten ihm die Frauen mit wehenden Tüchern entgegen und warfen ihm duftende Blumensträuße in den offenen Wagen, in welchem der König mit seinen Brüdern daherfuhr. Wie er jetzt vorüberfuhr an dem kölnischen Gymnasium, begannen die dort aufgestellten Schüler einen feierlichen Gesang, eine Hymne und ein Gebet für den König, den Helden, den Vater. » Vivat, vivat Fridericus Rex, vivat Augustus, Magnus, Felix Pater Patriae« sangen die Schüler, aber aus der Menge des Volkes rief plötzlich eine Stimme, lauter als der Gesang der Gymnasiasten, lauter als die Trompeten diese vier Worte: Vivat Friedrich der Große! – Das Volk, welches schweigend dem lateinischen Gesang zugehört hatte, den es nicht verstand, das Volk verstand diese heiligen und ruhmvollen Worte, und plötzlich wie aus einer Kehle donnerte und brüllte diese ganze wogende lebensvolle Masse: Vivat Friedrich der Große! Preuß, Lebensgeschichte. I, 220. – Und wie ein Lauffeuer breitete sich dieser Ruf durch alle Straßen und über alle Plätze, und von allen Fenstern tönte er wieder, und stieg hinauf auf die Dächer und zu den in den Bäumen und an den Laternen hangenden Straßenbuben. Vivat Friedrich der Große! rief und schrie, jubelte und jauchzte ganz Berlin, und dieser Ruf, so gewaltig, so riesenstark machte die Luft erzittern, übertönte das Glockenläuten und den Thorgesang der Gymnasiasten, und überhauchte die bleichen Wangen des jungen Heldenkönigs mit einem flüchtigen Rot. Berlin, die Geburtsstadt Friedrichs, Berlin hatte jetzt seinen König aus der Taufe gehoben, und in feierlicher Volksversammlung hatte es ihm einen Namen gegeben, seinen Namen, welcher ihm treu bleiben wird durch alle Jahrhunderte und durch alle Zeiten, seinen Namen: » Friedrich der Große

Der König, wie gesagt, errötete, als er diesen Ruf vernahm. Sein Herz, welches bis dahin düster und traurig gewesen, fühlte sich wie von einem hellen Sonnenstrahl erwärmt; der Ehrgeiz klopfte an die Brust des Königs, und weckte ihn aus seiner wehmutsvollen Trauer um die Freunde. Nein, Friedrich hat jetzt nicht mehr Zeit an die Gestorbenen zu denken, nicht mehr Zeit, heimlich zu klagen, daß er sie, die geliebten, die getreuen, nicht mehr in Berlin finden soll; Kurz vorher, ehe der König nach Berlin zurückkehrte, schrieb er an Duhan: »Ich kann nicht ohne Kummer daran denken, daß Jordan, den ich so sehr geliebt habe, nicht mehr ist. Aus diesem Grunde scheue ich mich vor Berlin, und es wird mir viele Mühe kosten, mich von den Annehmlichkeiten zu entwöhnen, welche mir dort ehemals die Freundschaft und der Umgang Jordans und Kaiserlings gaben, deren Verlust ich mein ganzes Leben hindurch bedauern werde.« der Freund darf nicht mehr klagen um die Freunde, der König in ihm muß größer sein, als der Freund. Sein Volk ist da, um ihn zu begrüßen, um ihn willkommen zu heißen, um ihm die Namenstaufe der Unsterblichkeit zu geben; der König hat kein Recht, sich der Liebe seines Volkes zu entziehen, er muß ihm seine ganze Seele und sein ganzes Herz entgegentragen. Sich dessen jetzt bewußt werdend, richtet Friedrich der Große sich höher empor, und eine schöne Röte flammt auf seinem Angesicht, ein wunderbares Blitzen sprüht aus seinen Augen, und wie er mit freundlichem Neigen das Volk grüßt, vermag er es sogar über sich, zu lächeln.

Jetzt ist er in Wahrheit Friedrich der Große, denn er hat sein eigenes Herz besiegt, und auf die offene Wunde seines Privatkummers hat er als köstlichen Balsam die Liebe seines Volks gelegt.

Da hält der Wagen vor dem Schloßportal. Der König erhebt sich von seinem Sitz und nimmt den Hut ab, um mit einem wundervollen Lächeln nach allen Seiten hin das Volk zu grüßen, welches wieder und immer wieder seine mächtige Orgelstimme erhebt und ruft: Vivat Friedrich der Große!

Als es jetzt einen Moment still wird, ruft eine einzelne volle gebieterische Stimme dicht neben ihm: Es lebe Friedrich der Große!

Der König erbebt in süßem Schreck und blickt um sich. Er hat die Stimme erkannt, es war die Stimme seiner Mutter! Da steht sie hoch und stolz aufgerichtet im Schloßportal, da steht sie funkelnd von Brillanten, umgeben von den Prinzessinnen des königlichen Hauses, aber höher als die Brillanten in ihrem Haar leuchten ihre Augen, köstlicher als die Perlen um ihren Hals sind diese zwei Perlen, welche ihre Wangen herabrollen, diese zwei Tränen, welche die Mutterliebe geweint hat im Übermaß ihres stolzen Glückes. Denn sie hat den Ruf des Volkes vernommen, sie hat gehört, mit welchem erhabenen Namen es eben ihren Sohn getauft hat, mit einem Namen, den kein Kaiser und kein König, und sei er der mächtigste und der größte, sich jemals selber verleihen, den er immer nur als Belohnung von seinem Volk empfangen kann. Sie ist Zeuge gewesen, wie diese beiden Souveränetäten sich einander gegenüberstanden, und wie das Volk, als die mächtigste und größte von beiden, seinem Vasallen einen Namen gab, und ihm die Gnadenkette unsterblichen Ruhmes um die Schultern hing. Die Königin hat gehört, daß das Volk ihren Sohn »Friedrich den Großen« genannt hat, und das Herz der Mutter ist davon mit dem reinsten, dem stolzesten Glück erfüllt, und mit lautem Jubelruf wiederholen ihre Lippen den Ruf, den sie das Volk gelehrt: Es lebe Friedrich der Große!

Der König hat ihre Stimme erkannt, mit einem Sprung ist er aus dem Wagen und eilt zu ihr hin und wirft sich in ihre geöffneten Arme und legt sein Haupt an ihre Brust, wie er als Kind getan, und weint an ihrem Halse heiße Tränen, Tränen, welche niemand sieht, welche nur die Mutter brennend heiß ihren Busen netzen fühlt. Die Glocken läuten, die Kanonen donnern, der König hält immer noch seine Mutter umfangen und ruht an ihrem Herzen, und das Volk, welches mit überfließenden Augen diesem Schauspiel zusieht, ruft leiser und mit vor Rührung zitternder Stimme seinen erhabenen Jubelgruß, und leise in ihrem Herzen, aber nicht mit ihren Lippen wiederholt ihn Elisabeth Christine, die Gemahlin des Königs, und ihre von Tränen umdüsterten Augen richten sich zum Himmel, nicht zürnend und vorwurfsvoll, sondern nur andachtsvoll flehend für das Glück dessen, den sie liebt, für ihren Gemahl!

Er hat sie nicht gesehen, oder doch nicht beachtet. Er hat seiner Mutter den Arm gegeben und steigt mit ihr die breite mit Teppichen belegte Treppe hinan, und hinter ihm her geht seine Gemahlin mit den Prinzen und Prinzessinnen, und die Glocken läuten noch immer, und die Kanonen donnern, und das Volk ruft und schreit, und langsam wallt der glänzende Zug die Schloßtreppe hinauf, langsam durch die Säle vorwärts.

Friedrich der Große! hallt es herauf von der Straße, und die Fenster des Königsschlosses beben und klirren von diesem neuen stolzen Namen, und vor dem König her durch die Säle geht dieser Name mit dem leisen unhörbaren Geisterschritt der Weltgeschichte, und es öffnen sich die Türen des weißen Saales, und wie der König eintritt, scheinen alle die Statuen und Bilder der Hohenzollern sich zu beleben und die toten Augen leuchten auf, und die starren Lippen lächeln, und die unbeweglichen Köpfe neigen sich, denn die Weltgeschichte mit ihrem Geisterschritt ist auch vor ihm her in diesen Saal seiner Ahnen gegangen, und hat sie aus ihren Gräbern wachgerufen, mit diesem Namen, den nur ein Hohenzoller vor ihm getragen, und der an dem Stammbaum der stolzesten Fürstengeschlechter eine so seltene Blüte ist, wie die Blüte der Aloe, zu deren Erzeugung ihr Stamm hundert Jahre der Ruhe und Erholung bedarf.

Und der König grüßt seine Ahnen mit einem freudigen Lächeln, denn er fühlt, daß er ihrer wert ist. Keine Trauer, kein Schmerz und keine Mißstimmung ist in ihm, er hat alles vergessen, alles überwunden, in dieser Stunde ist er nur der König und der Held!

Und der König bleibt er den ganzen Tag, aber wie die Schatten der Nacht sich herniedersenken, wie ganz Berlin widerstrahlt im Glanz der Kerzen, wie alle Straßen und alle Häuser flammen und leuchten, und inmitten dieses Feuers das Volk in schwarzen ewig beweglichen Strömen auf und nieder wogt und braust, da legt der König alle seine Herrlichkeit beiseite, und der Mensch, der Freund, der Liebende tritt wieder in seine Rechte.

Durch die erleuchteten Straßen wogt das Volk und jubelt seine Vivats auf Friedrich den Großen. Wo ist der König? Zeigt er sich auf dem Balkon seinem Volke, genießt er vom offenen Wagen aus des Anblickes dieser glanzvollen Illumination? Nein, nur die Königinnen und die Prinzen fahren durch die Straßen, der König sitzt am Krankenbett eines Freundes, an Duhans, seines Erziehers Sterbebett.

Draußen jauchzt das Volk. Der König achtet nicht darauf, mit angstvollem Herzen hört er auf die schweren Atemzüge seines Freundes, und mit leiser, wehmutsvoller Stimme spricht er zu ihm Worte des Trostes und der Liebe!

Dann geht er von dannen. Und jetzt leuchtet sein Auge höher auf, und ein köstlicher Glanz ist über sein jugendvolles schönes Antlitz ausgebreitet. Jetzt ist er nicht der König und nicht der trauernde Freund, jetzt ist er der junge Mann, und mit Jünglingshaft schlägt das Herz in seiner Brust, hüpft und braust das Blut durch seine Adern.

Der König geht zu seinem Liebling, zum General Rothenburg. Dort will er zur Nacht speisen, dort will er sich eine Stunde des Glückes, des Frohsinnes erhaschen, dort will er eine Stunde vergessen, daß er König ist.

Rothenburg hat dies auch schon vergessen, denn er kommt seinem königlichen Gaste nicht entgegen. Er empfängt ihn nicht an der Schwelle. Niemand empfängt ihn, aber der Flur und die Treppe ist erleuchtet, der König eilt die Stiegen hinan, und da öffnet sich eine Tür und ein Weib schwebt heraus, schön wie ein Engel, mit Augen, so strahlend wie Sterne, mit Lippen, so glühend wie purpurroten, mit einem Lächeln, so wunderbar und leuchtend wie Morgenröte. Ist es ein Engel oder ist es ein Weib? Wie Musik der Sphären klingt dem König ihre Stimme, welche ihn den Willkommensgruß flüstert, und einen Engel glaubt er zu sehen, wenn er sie anschaut, sie, die Barbarina!


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