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X. Die Hiobspost

Berlin jauchzte und schrie und sang und illuminierte und tanzte und deklamierte drei Tage lang zur Feier des erkämpften Friedens, zur Feier der Rückkehr des Königs, jedermann schien glücklich, freudevoll und befriedigt, jedermann, – nur die Prinzessin Amalie nicht. Sie teilte nicht die stolze Freude ihrer Familie, und der laute Jubel des Volkes fand keinen Widerhall in ihrem Herzen. Kummervoll und mit von Tränen umdüsterten Augen ging sie in ihrem Boudoir auf und ab. Drei Tage hatte sie diese unermeßliche Qual, diese trostlose Ungewißheit nun schon ertragen, drei Tage hatte sie heiter erscheinen müssen, mit vor Angst und Entsetzen zitterndem Herzen, drei Tage hatte sie allen diesen Festlichkeiten, diesen Galadiners, diesen Theatervorstellungen, diesen Maskeraden und Bällen, diesen Illuminationen und Spazierfahrten beiwohnen und immer sich zwingen müssen, heiter zu erscheinen, denn immer hatte sie gefühlt, wie das Auge des Königs prüfend und zürnend auf ihr ruhte, und immer, wenn sie, ganz überwältigt und erschöpft von dieser Anstrengung, heimlich aus dem Geräusch der Feste sich zurückziehen wollte in ihre Gemächer, war der König zu ihr getreten und hatte sie leise und unvermerkt wieder zu ihrem Sitz neben ihrer königlichen Mutter zurückgeführt, indem er mit ihr scherzte und plauderte, während seine Augen ihr zu drohen schienen. Einmal indes hatte sie nicht die Kraft gehabt, seinen heitern Scherz mit einem Lächeln zu erwidern, sondern mit flehenden, von Tränen umdüsterten Blicken hatte sie zu ihrem Bruder emporgeschaut. Da hatte der König sich zu ihr geneigt, und mit drohendem Ton gesagt: »Ich befehle Ihnen heiter zu sein. Eine Prinzessin hat nicht das Recht zu weinen, wenn das ganze Volk fröhlich ist.«

Heute endlich waren die Feste vorüber, heute endlich durfte Amalie auf einige Stunden des Alleinseins, der ungestörten Muße hoffen, heute durfte sie weinen, durfte sie diese Klagen, die in ihrem Herzen brannten, auf ihre Lippen treten lassen, und den Schrei der Angst, der in ihrem Busen zitterte, ausströmen in die Einsamkeit.

Wo war er? Wo war Trenck? Warum war er nicht heimgekehrt? Warum bekam sie keine Nachricht, kein Liebeszeichen, keine Botschaft von ihm? Er war nicht unter den Gefallenen oder schwer Verwundeten, sie hatte die Listen derselben genau durchgelesen, er war nicht unter den Heimgekehrten, denn sonst würde sie ihn schon gesehen haben, Wo war er also? War er krank? Hatte er sie schon vergessen, oder schämte er sich, ohne Ruhm und ohne Lorbeer zu ihr zurückzukehren? Oder war er vielleicht von Österreichern gefangen und schmachtete im Gefängnis, während sie lachen und scherzen, sich schmücken und fröhlich sein mußte?

Und während Prinzessin Amalie sich das selber fragte, rannen heiße Tränenströme über ihre Wangen nieder, und Seufzer und Schluchzen erstickte ihre Stimme.

Wenn er tot ist, sagte sie ganz glühend und energisch, so werde ich auch sterben, wenn er gefangen ist, werde ich ihn befreien, wenn er aber nicht kommt, weil er fürchtet, daß ich ihn nicht mehr liebe, nun, da er nicht berühmt, nicht General geworden ist, so werde ich zu ihm gehen, und ihm sagen, daß ich ihn liebe, daß ich nichts will als ihn lieben, daß ich mit ihm fliehen will in irgendein stilles, einsames Tal, eine kleine verschwiegene Hütte, daß ich meinen Fürstentitel, meine Hoheit und Geburt, daß ich alles aufgeben und verlassen will, um nur ihm anzugehören, um nur sein Weib zu sein!

So weit war sie mit ihren Betrachtungen gekommen, als ein leises Klopfen an der Tür sie aufmerksam machte, und die Stimme ihrer Hofdame um Einlaß bat.

Ach, seufzte die Prinzessin, wenn die gute Marwitz noch bei mir wäre, würde ich nicht nötig haben, die Qualen zu erdulden. Aber mein Bruder hat mich auch dieses Trostes beraubt; ohne es zu wissen, hat er mir meine Vertraute genommen und sie zu ihren Eltern geschickt, um mir dafür eine ganz fremde, langweilige Person, welche ich hasse, welche ich verabscheue, aufzudrängen.

Die Stimme draußen, welche einen Moment geschwiegen hatte, bat jetzt wieder und diesmal noch dringender und flehender um Einlaß.

Ich werde ihr wohl öffnen müssen, sagte die Prinzessin unwillig, nach der Tür gehend und den Riegel zurückschiebend. Treten Sie ein, Fräulein von Haak, sagte die Prinzessin, und kehrte der Eintretenden den Rücken zu, um sie ihre verweinten Augen nicht sehen zu lassen.

Fräulein von Haak heftete ihre traurigen sanften Blicke auf die junge Prinzessin und bat mit leiser Stimme um Verzeihung wegen ihres unwillkommenen Erscheinens.

Sie werden ohne Zweifel Gründe haben, welche Sie rechtfertigen, sagte die Prinzessin, und ich bitte Sie daher, mir dieselben schnell zu sagen, ich wünsche baldmöglichst wieder allein zu sein.

Euere königliche Hoheit sind so hart gegen mich, flüsterte das junge Mädchen seufzend. Man hat mich Ihnen aufgedrängt, ich weiß es, und Sie hassen mich, weil ich an Stelle des Fräulein von der Marwitz getreten bin. Aber es war nicht meine Schuld, Prinzessin, ich schwöre es Ihnen, und es geschah nur auf ausdrücklichen Befehl Sr. Majestät des Königs, daß meine Mutter einwilligte, mich unsere stille Zurückgezogenheit aufgeben und an den Hof gehen zu lassen.

Sind Sie nur gekommen, um mir das zu sagen?

Nein, Hoheit. Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe, daß ich, seit ich die Ehre habe bei Ihnen zu sein, Sie liebe, daß in der Öde und Einsamkeit, welche mich hier rings umgab, mein Herz sich Ihnen ganz zu eigen gegeben hat, und nimmer von Ihnen lassen kann. Oh, stoßen Sie mich nicht zurück. Sagen Sie mir, was Sie traurig macht, lassen Sie mich teilnehmen an Ihren Schmerzen und Ihren Sorgen. Prinzessin, ich biete Ihnen das Herz einer Freundin, einer Schwester, werden Sie es zurückweisen?

Und mit von Tränen überfluteten Wangen eilte das junge Mädchen zu Amalien hin, um vor ihr auf die Knie zu sinken.

Aber die Prinzessin zog sie empor in ihre Arme und drückte sie fest an ihre Brust. Oh, sagte sie, ich sehe wohl, daß Gott mich nicht verlassen; er sendet mir einen Beistand und einen Trost in meiner Not, denn er sendet mir eine Freundin!

Eine Freundin, auf welche Sie vertrauen, und der Sie alles sagen können! flüsterte Fräulein von Haak, die Prinzessin mit bedeutsamen, lächelnden Blicken ansehend.

Wer weiß, ob das nicht für Sie gefährlicher sein möchte als für mich? seufzte Amalie. Es gibt Geheimnisse, deren Mitwissenschaft schon Verderben bringt.

Fräulein von Haak lächelte. Und wenn ich nun doch schon das Geheimnis Euerer Königlichen Hoheit kennte? Wenn ich wüßte, weshalb Sie in diesen Tagen so traurig und schwermutsvoll gewesen?

Nun, wenn Sie das wissen, so sagen Sie es mir!

Die Hofdame neigte sich dichter an das Ohr ihrer Herrin: Ihre Augen blicken vergeblich nach dem, welchen Sie lieben. Sie ängstigen sich um ihn, denn Sie wissen nicht, wo er geblieben ist.

Ja, Sie haben recht, rief Amalie ganz überwältigt, ja, ich ängstige mich um ihn, und ich werde sterben, wenn ich nicht bald erfahre, wo er ist.

Soll ich es Ihnen sagen, Prinzessin?

Amalie zuckte zusammen und sah das junge Mädchen erbleichend und zitternd an. Sie wollen nicht sagen, daß er im Grabe ist? fragte sie ganz atemlos.

Nein, Prinzessin, er lebt und ist gesund.

Er lebt und ist gesund, und er kommt nicht, mir das selber zu sagen?

Er kann es nicht, Prinzessin, denn er ist ein Gefangener!

Ein Gefangener! Ah, Gott sei Dank, daß es weiter nichts ist! rief Amalie, strahlend vor Freude. Der König wird ihn wieder auslösen, der König, welcher so sehr besorgt ist um seine Offiziere, wird ihn nicht den Österreichern überlassen. Oh, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen, Sie haben mir da eine Freudenbotschaft gebracht, und jetzt wird mein Bruder wohl mit mir zufrieden sein können, denn ich werde immer heiter sein, immer scherzen und lachen.

Das Hoffräulein seufzte und senkte traurig ihr Haupt auf ihre Brust. Er ist nicht in österreichischer Gefangenschaft, flüsterte sie ganz leise.

Nicht in österreichischer Gefangenschaft? wiederholte Amalie erstaunt. Und wo ist er denn? Mein Gott, warum sprechen Sie nicht? Wo ist Trenck? Wer hat ihn gefangen? Reden Sie, reden Sie! Ich sterbe vor Ungeduld und Angst! Wo ist Trenck?

Um Gottes willen, Prinzessin, hören Sie mich ruhig an, flüsterte das Hoffräulein, und vor allen Dingen sprechen Sie leise, denn ich glaube, Sie sind von Spionen umgeben. Wenn man uns jetzt belauscht, so sind wir beide verloren.

Ah, Sie wollen also, daß ich sterbe? murmelte die Prinzessin, ganz erschöpft auf den Diwan niedersinkend. Sie sagen mir nicht, wo er ist?

Fräulein von Haak neigte sich dicht an ihr Ohr. Er ist auf der Festung Glatz.

Ah, also in einer preußischen Festung, und der König hat ihn dorthin geschickt? Er wird also ein leichtes Vergehen begangen haben, wie schon früher einmal, und deshalb straft ihn der König jetzt ein wenig härter. Das ist das Ganze. Oh, ich danke Ihnen, Sie haben mir meine Ruhe wiedergegeben.

Ich fürchte, Prinzessin, daß dem nicht so ist. Der Herr von Trenck, sagt man, ist wegen Hochverrats verhaftet.

Die Prinzessin erbleichte, und ein Schwindel erfaßte sie. Aber sie überwand die Schwäche bald, und mit einem köstlichen Lächeln sagte sie: Er wird also bald wieder frei sein, denn man wird erkennen müssen, daß er unschuldig ist.

Gott gebe, daß man das erkennen wird, seufzte das Fräulein. Es ist jetzt nicht Zeit, zu bemänteln und zu verschweigen. Sie haben ein großes starkes Herz, und Sie lieben ihn. Sie müssen daher alles wissen. Hören Sie also, Prinzessin. Gleich Ihnen liebe ich, gleich Ihnen hoffe ich auf die Zukunft, nur sind meine Hoffnungen bescheidener Art, nur ist meine Liebe eine stille, ungefährliche, eine von der Billigung meiner Mutter gesegnete. Unsere Hoffnung besteht darin, daß mein Geliebter bald Hauptmann werde, und daß der König uns dann die Erlaubnis zu unserer Verheiratung geben möge, denn da wir beide arm sind, müssen wir alles von der Gnade des Königs hoffen. Mein Verlobter ist bis jetzt erst Leutnant, und er steht in Glatz in Garnison.

In Glatz, und Sie sagen, daß Trenck in Glatz gefangen sitzt?

Ich habe gestern Briefe von dort empfangen. Mein Verlobter, Leutnant von Schnell, gehört zu den Offizieren, welche sich in der Bewachung des Herrn von Trenck abzulösen haben, und er schreibt mir, daß er für diesen jungen Mann das tiefste Mitleid, die innigste Freundschaft empfände, und daß er freudig bereit sein würde ihm zu helfen, ihm beizustehen. Er fragt mich, ob ich hier am Hofe niemand wüßte, der den Mut haben möchte, für den unglücklichen Mann sich beim König zu verwenden, und eine Milderung seiner Strafe zu bewirken.

Mein Gott, mein Gott, gib mir Kraft, alles zu hören, und standhaft zu bleiben, murmelte Amalie, und ihre Zähne schlugen aufeinander wie im Fieberfrost. Kennen Sie seine Strafe? fragte sie dann ganz tonlos.

Niemand kann sagen, daß er sie mit Bestimmtheit kenne, aber der Festungskommandant und Platzmajor Doo hat den Offizieren gesagt, daß der Herr von Trenck auf unbestimmte Zeit, auf lange, lange Jahre Gefangener sei.

Ein einziger gellender Schrei rang sich aus der Brust der Prinzessin hervor, aber sie preßte ihre beiden Hände auf ihre Lippen und zwang sich, still zu sein.

Wessen klagt man ihn an? fragte sie dann nach einer langen Pause.

Des Hochverrats! Man will eine verbrecherische Korrespondenz zwischen ihm und seinem Vetter entdeckt haben.

Die Prinzessin zuckte verächtlich die Achseln, von einer so elenden Anklage wird er sich zu rechtfertigen wissen, sagte sie, er wird seinen Richtern seine Unschuld beweisen können, und dann werden sie ihn freigeben müssen. Aber warum ist er nicht schon frei? Warum hat man ihn denn verurteilt, wer sind seine Richter gewesen? Denn wie Sie sagen, ist er schon verurteilt?

Mein Verlobter schreibt mir, daß Herr von Trenck an den König geschrieben und verlangt habe, vor ein Kriegsgericht gestellt und verhört zu werden Trencks Memoiren I, 71..

Sie sehen also, daß er unschuldig ist, denn er fürchtet das Gericht nicht. Und was hat der König geantwortet?

Gar nichts! Er hat nur dem Kommandanten den Befehl erteilt, den Herrn von Trenck in ein weniger gutes Gefängnis zu bringen, und keine Briefe von demselben an den König mehr zu befördern. Jetzt also, Prinzessin, jetzt müssen Sie für ihn handeln, jetzt müssen Sie allen Ihren Einfluß, Ihre Mittel anwenden, wenn Sie wollen, daß er errettet werden soll.

Ich habe keinen Einfluß, ich habe keine Mittel, rief Amalie mit strömenden Tränen. Oh, Sie kennen meinen Bruder nicht. Sein Herz ist wie ein Felsen, starr und unerreichbar. Niemand hat Einfluß auf ihn, weder seine Mutter, noch seine Geschwister, noch seine Gemahlin. Was er will, das ist unabänderlich, und was er sagt, das geschieht. Aber ich werde ihm zeigen, daß ich seine Schwester bin, er soll sehen, daß das feurige Blut der Hohenzollern auch in meinen Adern fließt. Ich werde offen und ohne Scheu vor ihn hintreten, ich werde ihm sagen, daß ich Trenck liebe, daß er ihn mir freigeben oder mich töten soll, ich werde von ihm fordern –

Die Tür ward hastig aufgerissen, eine Kammerfrau stürzte herein und sagte atemlos: Der König kommt!

Nein, er ist schon da, sagte der König, auf der Schwelle der Tür erscheinend. Er kommt um seine kleine Schwester aufzufordern, mit ihm hinunterzusteigen, und auf dem Schloßhof die Renntiere und die Lappländer zu beschauen, welche die Kronprinzessin von Schweden uns gesandt hat Rödenbeck. Tagebuch. S. 122..

So sprechend, schritt er durch das Zimmer zu seiner Schwester hin und reichte ihr beide Hände dar.

Aber die Prinzessin schien das nicht zu sehen, sie machte vor dem König eine tiefe und zeremoniöse Verbeugung, und murmelte einige kalte Worte der Begrüßung. Der König legte die Stirn in Falten und blickte erzürnt seine Schwester an. Er sah, daß sie geweint hatte, und seine Züge wurden ernst und düster.

Kommen Sie, Prinzessin, sagte er gebieterisch.

Aber Amalie hatte jetzt ihr banges Zagen überwunden. Sie war entschlossen, zu handeln und eine Entscheidung herbeizuführen.

Erlauben mir Euere Majestät, Sie um eine Audienz zu bitten, ich habe Ihnen wichtige, für mich wichtige Dinge zu sagen, welche ich indes mehr dem Herzen meines Bruders, als dem Ohr des Königs anvertrauen möchte. Ich bitte Euere Majestät also, mich ohne Zeugen anzuhören.

Des Königs Augen ruhten mit einem finstern zürnenden Ausdruck auf ihr, aber sie schlug den Blick nicht zu Boden, sie begegnete dem Anschauen des Königs mit festen, fast trotzigen Blicken, und das machte den König stutzen.

Sie will mir die Wahrheit sagen, dachte der König. Aber dann wird sie mich zwingen, strenge gegen sie zu sein, und das will ich nicht. Ich werde also dieser Schlacht mit einem Mädchenherzen entfliehen.

Meine Schwester, sagte er laut, wenn Sie in der Tat mir etwas zu sagen haben, was nicht der König, sondern nur der Bruder hören soll, so rate ich, es mir heute lieber nicht zu sagen, denn ich habe in diesen Tagen so viel als König zu tun, daß ich gar nicht Muße finden kann, etwas anderes zu sein. Ist das, was Sie mir zu sagen haben, indessen sehr wichtig, betrifft es irgendeinen Schmuck, einen kostbaren Stoff, eine kleine Schuld, welche Sie mit Ihrem Nadelgeld nicht zu decken vermögen, kurz eines dieser vielen wichtigen Dinge, welche ein junges Mädchenherz ganz und gar ausfüllen, so bitte ich, mich davon durch unsere Mutter, die Königin, benachrichtigen zu lassen, dann sind Sie sicher, bei mir keine Fehlbitte zu tun. Für ein junges Mädchen ist es überhaupt immer besser und passender, wenn sie sich zuerst und vor allen Dingen mit ihren kleinen Geheimnissen an das Herz ihrer Mutter wendet, denn ich denke, wenn ihre Geheimnisse guter und unschuldiger Art sind, wird eine Mutter sie immer beschützen und befürworten, sind sie aber schlimmer Art, so wird sie vielleicht milder sein in ihrem Zorn, als es ein Bruder jemals sein kann.

Sie wollen mich also nicht anhören, mein Bruder? fragte die Prinzessin fast schluckend.

Der König warf einen raschen Blick rückwärts auf die offene Tür und in den Vorsaal, in welchem die Kavaliere des Königs und die Damen der Königinnen und Prinzessinnen versammelt waren, und neugierige verstohlene Blicke nach dem Gemach der Prinzessin herübersandten.

Ich will Sie nicht anhören, sagte der König leise, aber Sie sollen mich anhören. Ich will nicht, daß Sie meinem Hofe ein Schauspiel, der Welt ein Gerede geben. Ich will nicht, daß man Sie mit verweinten Augen sehe, denn man könnte das falsch deuten und vermeinen, die Schwester des Königs liebe ihren Bruder nicht genug, um sich über seine Rückkehr zu freuen, sie sei nicht Patriotin genug, um sich über die Befreiung ihres Landes von Krieg und Schlachten glücklich zu fühlen, nicht Patriotin genug, um die Feinde Preußens zu verachten und zu vergessen. Ich verlange also von Ihnen, daß Sie heiter sind und Ihre kindischen Schmerzen zu verbergen trachten. Eine Prinzessin darf niemals weinen, oder wenn sie es tut, so darf sie es nur nachts, und nur, wenn Gott bei ihr ist, tun. – Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe, und ich bitte Sie, daß das alles bleiben möge. Ich werde jetzt nicht von Ihnen fordern, daß Sie mit mir gehen, denn Ihre Augen sind trübe und rot vom Weinen. Bleiben Sie also hier, und damit Ihnen die Zeit nicht lang werde, will ich Ihnen da einen Brief an Sie geben, den ich eben für Sie erhalten habe.

Er zog ein versiegeltes Briefchen aus seinem Busen und reichte es der Prinzessin dar, dann nickte er ihr lächelnd zu und kehrte in den anstoßenden Saal zurück.

Lassen Sie uns hinuntergehen, die Prinzessin ist leidend und wird uns nicht begleiten können, sagte der König, indem er seinen Kavalieren winkte, ihm zu folgen.

Fräulein von Haak eilte wieder in das Boudoir zu der Prinzessin.

Nun, königliche Hoheit? Haben Sie mit dem König gesprochen?

Sie schüttelte stumm den Kopf und zerriß mit zitternden Händen das Kuvert des Briefes, den ihr der König gegeben. Ganz atemlos entfaltete sie das Papier, um zu lesen, dann aber, als sie ihre Augen darauf heftete, stieß sie einen lauten Schrei aus und taumelte halb ohnmächtig rückwärts an die Wand.

Dieser Brief, welchen ihr der König gegeben, es war ihr eigener Brief, den sie an Trenck geschrieben, und an den Rand desselben hatte der König mit großen Zügen das eine Wort: » Gelesen« hingeschrieben.

Der König wußte also alles, der König hatte den Brief gelesen, er kannte ihr Verhältnis zu Trenck, er wußte, daß sie ihn liebte, und dennoch hatte er keine Gnade geübt! Nein, dennoch hatte er ihn verurteilt. Er gab ihr jetzt den Brief, um ihr zu sagen, daß sie von ihm keine Gnade zu hoffen habe, um ihr zu sagen, daß Trenck gestraft worden sei, nicht, weil er ein Verräter sei, sondern weil er der Geliebte der Prinzessin war.

Amalie wußte und begriff das jetzt alles, und mit flammenden Augen und mit von Begeisterung strahlendem Angesicht sagte sie: Ich werde ihn befreien! Ich muß ihn befreien! Um mich ist es, daß er leidet, weil er mich liebt, ist er ein Gefangener, schmachtet er im einsamen Kerker. Aber ich werde ihn befreien, und sollte ich mein Herzblut tropfenweise für ihn hingeben. Oh, Friedrich, Friedrich, jetzt sollst du sehen, daß ich deine echte Schwester bin, daß ich einen Willen habe, der dem deinen gleicht. Mein ganzes Leben gehört meinem Geliebten, und wenn ich es nicht mit ihm teilen soll, so werde ich es für ihn hinopfern. Das schwöre ich, und möge Gott mich verdammen, wenn ich meinen Schwur breche. Ich will Trenck befreien, das ist die Losung meines Gebens, und nun, Freundin, komm und hilf mir, laß uns ein Mittel ersinnen, welches ihn befreit. Alles, was ich habe und bin, opfere ich dafür. Brauchen wir Geld, um die ganze Garnison zu bestechen, nun wohl, ich habe Geld, ich habe Brillanten, ich habe ein Gut von meinem Vater ererbt, ich werde alles verkaufen, alles dem einen großen Zwecke opfern, ihn zu befreien. Und jetzt zuerst und vor allen Dingen will ich ihm schreiben.

Und ich werde den Brief sicher befördern, sagte Fräulein von Haak, ich werde ihn an meinen Verlobten schicken, und diesen Brief an den Herrn von Schnell werde ich nicht von hier absenden, sondern meiner Mutter schicken, denn niemand darf hier wissen, daß ich mit einem Offizier der Festung Glatz korrespondiere.

Nein, niemand darf das wissen bis zu dem Tage, wo wir ihn aus Glatz befreit haben, sagte die Prinzessin mit einem köstlichen Lächeln.


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