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Fünfundsiebzigstes Kapitel

Schluß. Hadschi erlangt hohe Würden

Die Verhandlungen mit den Ungläubigen waren nahezu beendet. Man war dahin übereingekommen, unverzüglich eine persische Gesandtschaft zur Befestigung der freundschaftlichen Bande zwischen beiden Mächten an den König von England abzusenden.

Jeden Tag überzeugte ich mich mehr und mehr, wie sehr die Ansichten des Großwesirs durch mich beeinflußt wurden. Das oben erwähnte Ereignis bildete nur einen neuen Anlaß, zu beweisen, in welchem Grade er auf meinen Diensteifer angewiesen war.

Am Tage nach der Unterzeichnung des Vertrages mit England rief er mich in sein Privatkabinett und sprach zu mir auf folgende Weise: »Hadschi,« sagte er, »leiht mir Euer Ohr. Ich habe Euch höchst wichtige Dinge mitzuteilen, und da ich Euch als jemand betrachte, der mir rückhaltlos ergeben ist, so rechne ich darauf, daß Ihr mir mit der geziemenden Aufmerksamkeit zuhören werdet.«

Als ich gerade im Begriffe war, die üblichen Versicherungen meiner unbegrenzten Ergebenheit vorzubringen, unterbrach er mich und fuhr fort: »Unsere Geschäfte mit dem englischen Botschafter sind nun wohl oder übel abgeschlossen, auch hat sich der Schah ebenfalls damit einverstanden erklärt, eine Gesandtschaft nach England zu schicken. Ihr jedoch, der die Perser ebensogut kennt wie ich, wißt, wie ungern sie ihr Land verlassen und wie schwer es für mich ist, einen Mann ausfindig zu machen, der das Opfer dieser Stellung auf sich nimmt. Allerdings habe ich einen im Auge, den ich lieber als jeden anderen dahin schicken würde. Da es mir von äußerster Wichtigkeit dünkt, ihn gerade jetzt aus Persien, vor allem aber aus der Nähe des Mittelpunktes des Weltalls zu entfernen, so ersuche ich Euch, Euer möglichstes zu tun, ihn zur Annahme dieses Postens zu überreden.«

Wennschon ich keinen Grund einsah, weshalb gerade ich aus der Nähe des Königs entfernt werden sollte, war ich doch sofort der Meinung, damit könne niemand anders als ich selbst gemeint sein, sprang darum, ganz berauscht von der Aussicht, so plötzlich zu Rang und Würden erhoben zu sein, auf, ergriff seine Hand, um sie mit Inbrunst zu küssen, und rief: »Der geringste Eurer Sklaven wird sich stets als der treueste Eurer Diener erweisen! – Sprecht, Ihr findet mich zu allem, selbst zum Tode bereit!«

»Das heiße ich wohl gesprochen,« antwortete er mit der größten Seelenruhe; »nun aber hört mir zu. Der Mann, auf den ich soeben anspielte, ist Mirza Firus!« – Da war mein Entzücken mit einem Male gänzlich versiegen. Nur mühsam brachte ich ein langgezogenes »Belli« (Ja) heraus.

»Die Wahrheit ist, daß ich seit kurzem entdeckt habe, wie ganz beträchtlich der Einfluß des Mirza Firus auf den Schah zunimmt. Er verfügt über eine so verblüffende Redegewandtheit, versteht die Sprache in so hohem Grade zu meistern, schmeichelt so übermäßig und lügt so bodenlos, daß der König sich lieber von ihm, als von irgendeinem anderen Manne am Hofe, die Zeit vertreiben läßt. Weiß man, wie weit er da geht? Überdies bin ich überzeugt, daß er insgeheim mein bitterster Feind ist, nach außen jedoch so tut, als wäre er mein ergebenster Diener. Wenn ich mich auch niemals vor dem Hasse oder den Ränken irgendeines Menschen fürchtete, so kann ich doch nicht verhehlen, daß ich in diesem Falle ganz ernste Besorgnisse hege. Schicke ich ihn jedoch als Stellvertreter des Schahs unter die Ungläubigen, so ist die Quelle meines Unbehagens mit einem Male verstopft. Und ist er erst fort, so will ich den Dingen schon eine Wendung geben, daß – sollte er auch erfolgreich von seiner Mission zurückkehren, was, so Gott will, niemals der Fall sein wird – er nimmermehr den Einfluß auf den Schah wiedergewinnen soll, den er jetzt zu erreichen trachtet.«

Allem, was er sagte, stimmte ich, ganz in Gedanken versunken, wie ich diese neue Probe seines Zutrauens zu meinem eigenen Vorteil wenden könnte, rückhaltlos bei, als mich der Wesir neuerdings anredete und sagte: »In den ersten Teil meiner Pläne hätte ich Euch nun eingeweiht; der zweite jedoch besteht darin, daß Ihr, Hadschi, in der Eigenschaft eines ersten Mirza oder ersten Sekretärs den Botschafter begleiten sollt. Ihr seid mein Freund, mein Vertrauter, seid von jedem meiner Wünsche unterrichtet und habt genaue Kenntnis von allem, was seit der Ankunft der Ungläubigen hier vorfiel. Ihr seid ganz der Mann, diese Stellung auszufüllen, und leistet mir den größten Dienst, wenn Ihr auf meinen Vorschlag eingeht.«

So sehr mich die Aussicht entzückt hatte, das Haupt der Gesandtschaft zu werden, so war mir doch ganz anders zumute, als man mir das untergeordnete Amt antrug.

Ach, ich fühlte nur zu deutlich, daß das Aufgeben aller Vorteile meiner jetzigen Stellung ein Abweichen von der geraden Hauptstraße bedeutete, die zu den Ehrenämtern führte, und die Annahme des neuen Postens ein Verirren in eine ihrer krummen Seitengassen.

Abgesehen davon war ich gleichfalls vom nationalen Widerwillen und der Abneigung erfüllt, mein Vaterland zu verlassen. Schon der Gedanke, aufs Meer zu gehen, flößte mir ungeahntes Grauen ein. Und bedachte ich ferner, daß das Land, in welches man mich voraussichtlich schickte, ein mir völlig unbekanntes Land war, ein Land, das ewige Finsternis umfing, das außerhalb der Sonnensphäre lag und noch obendrein von einer ungläubigen, unreinen Rasse bewohnt wurde, so schreckte ich vor dem Anerbieten des Wesirs mit einem Beben zurück, als täte sich der Höllenrachen gähnend vor mir auf.

Und so war die Antwort, die ich dem Großwesir gab, eine Reihe jener kalt zustimmenden Worte, wie sie jeder Perser, was immer seine wahren Gefühle sein mögen, beständig auf den Lippen trägt. Ich sagte: »Bei meinen Augen, ich bin Euer Diener, mein Ohr ist in Eurer Hand; was immer Ihr befehlet, ich bin verpflichtet zu gehorchen« – um daraufhin zu verstummen wie ein Stein.

Nur zu leicht erriet der Wesir, was in mir vorging, und sagte: »Wenn Euch mein Anerbieten nicht behagt, so tut, wie es Euch beliebt; ich finde leicht einen andern, der es annimmt. Ich hatte nicht nur mein Wohl, sondern auch Euer Bestes im Auge. Erstens solltet Ihr unverzüglich nach Ispahan reisen, um einen großen Teil der Geschenke, welche unser Hof dem Könige von England darzubringen beabsichtigt und die von der Bevölkerung dieser Stadt erhoben werden müssen, einzutreiben, was eine schöne Gelegenheit gewesen wäre, Euch zu bereichern.«

Jetzt ließ ich den Wesir nicht weiterreden. Die Versuchung, in meine Vaterstadt als mächtiger Mann in dieser bevorzugten Stellung zurückzukehren, war zu groß, um ihr widerstehen zu können; und felsenfest entschlossen, rief ich in ganz verändertem Tone: »Bei dem Salze Eurer Hoheit, bei Eurem Tode und beim Barte des Schahs, es bedarf keines Wortes mehr! Wohin immer Ihr befehlt, dahin werde ich gehen, und müßte ich den Vater aller Franken aus den tiefsten Höllenregionen herausholen!«

»So sei es denn!« rief der Wesir; »geht als ersten Schritt sogleich zu Mirza Firus, umschmeichelt ihn, versichert ihm, er sei der einzige Mann in ganz Persien, dem man diese Gesandtschaft anvertrauen könne, macht ihm klar, welche Vorteile ihm daraus erwachsen, daß ihm Ehre, Reichtum, die Gnade des Schahs und meine Gunst im Übermaße zuteil werden, daß er nach seiner Rückkehr aber wer weiß wie hoch steigen kann. Macht ein paar Anspielungen, es sei noch eine andere Persönlichkeit (die Ihr Euch ausdenken mögt) als Nebenbuhler für diese Stellung in Aussicht genommen. Ihr werdet dann sehen, wie er nach dem Köder schnappt. Nun geht, und Allah sei mit Euch.«

Ich verließ ihn und wußte nicht recht, schwebte ich im Himmel oder schritt ich auf der Erde dahin. »Was,« dachte ich im Gehen, »ich soll also den Gipfel der irdischen Glückseligkeit erreichen, die längst gestellte Prophezeiung soll erfüllt werden? – Ich soll wirklich meine Vaterstadt betreten, angetan mit dem Chälät der Ehre, die Macht in Händen halten und auf dem Rosse der Herrlichkeit reiten? Mögen alle jene, die einst Hadschi Baba, den Sohn des Barbiers, verachteten, auf ihrer Hut sein; denn nun hätten sie es mit einem Abgesandten des Schahs zu tun! Mögen sich alle, deren Häupter ich einst unter meinem Rasiermesser hielt, niederwerfen; denn nun ist einer bei der Hand, der den Kopf abschneiden kann! Und ihr, die ihr mich meiner Erbschaft beraubt habt, zittert; denn mein ist die Macht, sie wiederzuerlangen!«

Sicherlich guckte mich jeder ganz erstaunt an, weil ich, im Hochgenusse ähnlicher Gefühle schwelgend, gar so aufgeblasen und würdevoll einherstolzierte. Ich konnte an nichts anderes als an meine kommende Größe denken. Mein ganzes Sinnen nahm ein Zukunftsbild gefangen. Ich sah mich auf einem herrlich gezäumten, den Hals mit goldener Kette und baumelnder Silberquaste geschmückten Pferde, vor mir die Läufer mit den ledigen Handpferden, bei mein er Ankunft von ein er Deputation des Statthalters begrüßt, in meine Vaterstadt einleiten.

Als ich endlich die Wohnung des Mirza Firus betrat, dem der ›Iltschi‹ bereits Vorschläge gemacht hatte, die sich mit den Absichten des Großwesirs deckten, war er schon darauf vorbereitet, mit mir die Angelegenheiten der Gesandtschaft zu besprechen. Obschon ich meine Dienste fast ausschließlich dem Großwesir widmete, so hatte ich doch stets getrachtet, die Freundschaft mit Mirza Firus, der hocherfreut war, als er vernahm, daß ich ihn begleiten sollte, aufrecht zu erhalten.

Wir sprachen lange, sowohl über unsere zukünftigen Pläne als auch über unsere vergangenen Abenteuer. Als er mich jedoch unter brüllendem Gelächter fragte, ob ich jetzt nicht versuchen wollte, wieder in den Besitz meiner treulosen Schekerleb zu gelangen, kniff ich schleunigst aus, so ungern mochte ich an diese Begebenheit aus meinem Leben erinnert werden.

Am nächsten Morgen verkündete der Schah in der öffentlichen Audienz die Absicht, Mirza Firus als seinen Stellvertreter nach England zu senden. Und mir befahl der Großwesir, mich zu meiner Reise nach Ispahan bereitzuhalten, sobald die Fermane, die mich mit der nötigen Vollmacht betrauten, ausgefertigt wären.

Ich will meinen Leser nicht mit der Beschreibung aller Einzelheiten meiner Reisevorbereitungen zu diesem Unternehmen langweilen; er könnte dessen überdrüssig werden, und ich müßte ob meiner Eitelkeit erröten. Es genügt, wenn ich sage, daß ich mit all dem Glanz und Pomp eines Mannes in wichtiger Stellung nach Ispahan reiste, meine Vaterstadt aber mit Gefühlen betrat, die niemand, außer einem Perser, dem der unersättlichste Ehrgeiz angeboren und anerzogen wird, verstehen kann. Meiner Überzeugung nach hatte ich den Gipfel menschlicher Glückseligkeit erreicht. Das Mißgeschick schien mich verlassen zu haben; alles wies darauf hin, daß ein neuer Lebensabschnitt für mich begonnen hatte. – Hadschi Baba, der Sohn des Barbiers, betrat seine Vaterstadt als Mirza Hadschi Baba und Abgesandter des Schahs! Brauche ich mehr zu sagen?


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